
Das italienische Berufungsgericht in Bologna hat die Auslieferung von Serhii Kuznietsov genehmigt. Sein Anwalt Nicola Canestrini will allerdings vor dem Kassationsgericht in Rom Einspruch einlegen, der schon einmal eine Auslieferung abgelehnt und den Fall zurück an das Berufungsgericht überwiesen hat. Es geht also weiter hin und her.
Der Ukrainer wird von der Bundesanwaltschaft beschuldigt, Chef der Andromeda-Gruppe gewesen zu sein, die die Nord Stream-Pipelines im September 2022 gesprengt haben soll, eine der insgesamt vier Röhren ist noch intakt. Der Mann war aufgrund eines Europäischen Haftbefehls am 21. August in Rimini während seines Badeurlaubs festgenommen worden. Man muss davon ausgehen, dass er nicht damit gerechnet hatte, dass die italienischen Behörden dem Haftbefehl nachkommen.
Zweifel gibt es, ob die Andromeda-Crew tatsächlich in der Lage gewesen sein kann, die Sprengsätze in 80 Meter Tiefe anzubringen. Es wird vermutet, dass damit eine falsche Spur gelegt wurde, um die wirklichen Täter zu decken. Die Bundesanwaltschaft hat auch keine hinter der Gruppe stehenden Drahtzieher, Auftraggeber und/oder Finanziers genannt. In der Ukraine und in Polen, wie sich herausgestellt hat, werden die mutmaßlichen Täter jedenfalls als Helden gefeiert und vor Ermittlungen geschützt. Das ist besonders schwerwiegend, weil Deutschland mittlerweile Hauptunterstützer der Ukrainer ist.
Polen hat die Auslieferung des mit einem von der Bundesanwaltschaft ausgestellten Europäischen Haftbefehls gesuchten Wolodymyr Schurawlew nach Deutschland verhindert. Der Ukrainer, der ausgebildeter Taucher ist, wird beschuldigt, an der Sprengung von Nord Stream mit der Andromeda-Gruppe beteiligt gewesen zu sein. Das polnische Gericht sprach ihn frei, die Regierung bis hinauf zum Regierungschef hatte entsprechenden Druck ausgeübt. Ganz unabhängig davon, ob er an der Sprengung teilgenommen hat oder nicht, sprach das Gericht ihm funktionelle Immunität zu: „Wenn die Ukraine und ihre Spezialeinheiten, darunter auch der Verdächtige, eine bewaffnete Mission zur Zerstörung feindlicher Pipelines organisiert haben“, so der Richter, „waren diese Aktionen nicht rechtswidrig. Im Gegenteil, sie waren gerechtfertigt, vernünftig und gerecht.“ (Polnisches Gericht: Zerstörung feindlicher Infrastruktur in einem Krieg ist keine Sabotage).
Wie Schurawlew will auch Kuznietsov, früher beim ukrainischen Militär, nichts mit der Sabotage zu tun haben. Sein Anwalt kündigte eine neue Berufung an und verlangt eine öffentliche Anhörung, eine Entscheidung könnte etwa in einem Monat fallen. Er warf dem Berufungsgericht schwere Mängel vor: „Das Verfahren weist schwerwiegende Verfahrensmängel auf, die seine Legitimität und die Einhaltung der Grundsätze eines ordnungsgemäßen Verfahrens beeinträchtigen.“
Es seien Dokumente aus einem Verfahren verwendet worden, das vom Kassationsgericht für nichtig erklärt wurde. Und dann sei die polnische Gerichtsentscheidung nicht berücksichtigt worden, die die „funktionelle Immunität“ in diesem Fall anerkannt hatte. Es sei auch nicht die „politische Natur der vorgeworfenen Sabotage“ berücksichtigt worden. Würde es sich um eine politische Straftat handeln, könnte die Auslieferung nach Artikel 10 Absatz 4 der Verfassung und Artikel 2 des Gesetzes Nr. 69/2005 abgelehnt werden.
„Wir werden weiterhin dafür kämpfen“, so Canestrini, „dass ein Richter die Fragen des Völkerrechts und der Immunitäten, die Italien bisher nicht einmal in Betracht ziehen wollte, endlich in der Sache prüft, und wir werden nicht aufhören, bis ein Richter die Aspekte des Völkerrechts und des Schutzes der Grundrechte, die in diesem Fall eine Rolle spielen, endlich geprüft hat.“
Kann Kuznietsov funktionelle Immunität beanspruchen?
Entscheidend für die Argumentation dürfte sein, ob Kuznietsov funktionelle Immunität beanspruchen kann, wie dies in Polen dem von der Bundesanwaltschaft Verdächtigen gewährt wurde. Die Sabotage, sollte sie von der ukrainischen Gruppe begangen worden sein, würde dann eine legitime militärische Operation im Krieg zwischen Russland und der Ukraine darstellen. Was bedeutet funktionelle Immunität:
„Mit funktioneller Immunität (ratione materiae) ist gemeint, dass sämtliche Personen, die – unabhängig von ihrem Rang – staatliche Funktionen wahrnehmen, für Handlungen, die sie in offizieller Eigenschaft vornehmen, vor ausländischen Gerichten strafrechtlich nicht zur Rechenschaft gezogen werden können. Privates Handeln hingegen wird damit nicht erfasst. Funktionelle Immunität besteht fort, nachdem die Person aus dem offiziellen Dienst ausgeschieden ist. Hinter dem Konzept der funktionellen Immunität steht der Grundsatz, dass kein Staat über einen anderen Staat Gerichtsbarkeit ausüben darf (par in parem non habet iudicium). Dies wiederum ergibt sich aus dem Prinzip souveräner Gleichheit.“ – Christian Schaller: Völkerrechtliche Verbrechen im Krieg gegen die Ukraine
Nach dem I. Zusatzprotokoll der Genfer Abkommen dürfen nicht-militärische Ziele nur dann angegriffen werden, wenn ihre Zerstörung „einen eindeutigen militärischen Vorteil darstellt“. Im Fall der Pipelines, die bereits außer Betrieb waren, wurde die Sabotage weit außerhalb des Kriegsschauplatzes in der Ostsee in den „Ausschließlichen Wirtschaftszonen“ Dänemarks und Schwedens ausgeführt. Das war offenbar der Grund, warum das Gericht in Bologna die funktionelle Immunität für Kuznietsov nicht anerkannt hat: Die Tat habe außerhalb des Kriegsschauplatzes stattgefunden, über hat die Ukraine nicht offiziell anerkannt, dass sie im Auftrag staatlicher Stellen begangen wurde. Das klingt für einen Nicht-Juristen eingängig.
„Ob diese Argumentation einer genaueren Prüfung standhalten kann“, schrieb Canestrini, „bleibt angesichts der umfangreichen Indizien für eine koordinierte militärische Planung und der strategischen Bedeutung der Störung der russischen Energieexporte, mit denen die Invasion Russlands in der Ukraine finanziert wird, abzuwarten.“
Ein Problem für die Verteidigung dürfte sein, dass zwar Nord Stream 2 einer hundertprozentigen Tochtergesellschaft von Gazprom gehört, die allerdings ihren Firmensitz in der Schweiz hat. Nord Stream 1 kann auf jeden Fall nicht als russische Infrastruktur gelten. Sie gehört Nord Stream AG, ein internationales Konsortium von fünf Energieunternehmen mit Firmensitz in der Schweiz. Damit hätten die Täter nicht die überdies zivile Infrastruktur eines Angreiferstaats, sondern im Eigentum juristischer Personen des Privatrechts stehende Pipelines in internationalen Gewässern sabotiert. Solange die Ukraine nicht offiziell bestätigt, dass der Anschlag auf die Pipelines im Dienste des Staates gehandelt hat, muss Kuznietsov als nicht-staatlicher Akteur gelten, der keine funktionelle Immunität beanspruchen dürfte. Das scheint aber Gerichten wie denen Polens gleichgültig zu sein (Nord Stream-Sabotage: Terrorschlag oder Selbstverteidigung?).
Und weiter offen bleibt, wer wirklich die Anschläge ausgeführt und vor allem beauftragt hat.
Ähnliche Beiträge:
- Nord Stream: Hersh greift Andromeda-Narrativ an, funktionelle Immunität für Serhii K.?
- Polnisches Gericht: Zerstörung feindlicher Infrastruktur in einem Krieg ist keine Sabotage
- Nord Stream-Anschlag: Polens Regierung will den Verdächtigen Wolodymyr S. nicht ausliefern
- Spielt Polen eine Rolle bei den Anschlägen auf die Nord Stream-Pipelines?
- Anschläge auf Nord Stream-Pipeline: Polen will offenbar Auslieferung von Wolodymyr S. verhindern



Wir wissen doch, dass das alles völliger Blödsinn ist, warum jetzt noch so ein Themenbaum über die Sprengung der Pipeline?
Weil das Verhalten unserer sogenannten Verbündeten ein eigenes Thema ist.
Irgendwie tappen die in dem Bestreben, die Nummer irgendwie so lange hinzuziehen, bis die Farce sich selbst erledigt, gerade in selbst aufgestellte Fallen.
„Funktionelle Immunität“ klingt super, zerstört aber komplett die ganze schöne Story von den mutigen Seglern, die aus Eigenantrieb ohne Unterstützung oder Mitwisserschaft staatlicher Stellen handelten, und macht daraus einen staatlichen Terrorakt. Und dann ist es egal, welcher Staat dahintersteht, es ist ein Kriegsakt gegen deutsche und EU-Infrastruktur! Nicht (nur) gegen russische!
Und in dem Zusammenhang muß man wohl auch die jüngsten Beschlüsse in Brüssel verstehen, die ja bis 2027/28 komplett und für alle Zeiten aus russischen Energieträgern aussteigen „wollen“, koste es (und alle), was es wolle. Dann erübrigt sich die Frage, wer es war und warum aus Sicht der verrückten da, weil es ja dann egal ist, wenn wir ja doch nie wieder….
Ich finde die neue Nachricht hochinteressant, hatte ich doch eigentlich erwartet, dass der Verdächtige in Italien genau so auf freien Fuss gesetzt wird wie der in Polen. Was natürlich, je nach Urteil des Berufungsgerichts, immer noch passieren kann.
Aber irgendwie haben die italienischen Richter da Sand ins Getriebe der Vertuschung geworfen. Kommt es zur Auslieferung und Gerichtsverhandlung ind Deutschland, wird der Verteidiger des Delinquenten schwer überlegen müssen, ob er dann nicht doch das Fass namens Hersh-Version aufmacht – anstatt wie jetzt rein formal-legislative Argumente gegen die Auslieferung vorzubringen und so dem Hohelied der offiziellen Andromeda-Version beizupflichten.
Irgendwie ist da was in der europäischen Strafverfolgungs-Maschinerie schief gegangen. Ich war ziemlich erstaunt über die Verhaftung und die Unruhe, die wieder in die Nordstream-Geschichte kommt, hatte das Thema schon abgehakt. Aber so wie die Dinge liegen, bleibt es spannend.
„hatte ich doch eigentlich erwartet,“
Ich auch! Weshalb ich die Meldungen zum Fall seit Monaten überhaupt nicht mehr gelesen habe.
Nun bin ich überrascht. Aber der evtl. Überstellte könnte ja immer noch ernsthafte Gesundheitsprobleme erleiden, bevor er Aussagen treffen kann, die die Situation komplizieren. (Ich wette hier ’nen Euro!)
Röper: „Die Sprengung der Nord Streams hat Deutschland quasi auf einen Schlag seine außenpolitische Autorität gekostet. Das begann mit dem Auftritt von Kanzler Scholz mit US-Präsident Biden im Februar 2022 im Weißen Haus, als Biden offen drohte, die Nord Streams zu vernichten – und Scholz nur dümmlich grinsend daneben stand.
Schon da rieb man sich außerhalb des Westens, wo Deutschland zu dem Zeitpunkt noch einen durchaus guten Ruf hatte und insgesamt geachtet wurde, ungläubig die Augen.“
Ich glaube nicht, dass die Auslieferung den deutschen Behörden wirklich Freude bereiten würde. Bleiben die „Verdächtigen“ im Ausland – tot oder lebendig- wird man weiter das Märchen vom Andromedanebel erzählen können. Das würde schwieriger werden, wenn sie ein Verfahren in Deutschland durchführen müssten. Schon wenn der Verdächtige schweigt, wird es problematisch, schlimmer, wenn er abstreiten. Das Verfahren könnte die garnicht öffentlich durchführen. Sonst haben sie Moser im Saal.
Ja, es bleibt interessant und es wird sehr viel Unterhaltsames vorgeführt werden. Alles kann passieren, nur die Aufklärung des Anschlages durch deutsche Behörden sollte man nicht ernsthaft erwarten. Eher wird der NSU – Komplex aufgeklärt.
Ich hatte erwartet, dass die Angelegenheit mit einer (selbstverständlich abgesprochenen!) Nichtsauslieferung beerdigt würde. Interessiert die Öffentlichkeit ja auch nicht so brennend?
(Ich hatte gerade woanders einen kleinen Zusammenstoß. „Schwurbler“ und so …)
Welche Rolle könnte hier Giorgia Meloni einnehmen?
In Polen bestimmte ja wohl offensichtlich die Politik über das Gericht?
Schwer einzuordnen?!?
Ich denke, man kann davon ausgehen, dass SIE das irgendwie hinbekommen werden! 😉
Technisch gesehen ist Andromeda ein Nebelgebilde der Geheimdienste und ein Ablenkungsmanöver vom wahren Täter USA.
Aber was die Polnische Regierung angeht so muss man dabei auch berücksichtigen, dass der Wirbel um die nicht Auslieferung der vermeidlichen Täter, davon ablenkt, dass neben den USA, die mit der Sprengung ihren Interessen folgten, es ausgerechnet die deutsche Bundesregierung ist, die eine Komplizenschaft bei der Zerstörung unserer Infrastruktur eingegangen ist.
Mich würde ja mal interessieren, ob die Segeljolle überhaupt in der fraglichen Zeit im fraglichen Gebiet unterwegs war, oder ob man sich diese Nummer sogar komplett ausgedacht hat, und die „Spuren“ einfach generiert hat. Also Zeugenaussagen, Hafenprotokolle, angebliche Ermittlungsergebnisse zu Sprengstoffresten auf dem 500 Kilo tragenden Küchentisch, etc.
Das letzte, was ich dazu las war, daß sich Zeugen in Dänemark (Bornholm) nicht erinnern konnten, dieses Boot je gesehen zu haben. Dafür aber etliche Militärschiffe.
Also lautet die Frage, ob man die Nummer von Anfang an als Cover nebenher laufen ließ, um im Notfall darauf zurück kommen zu können, oder ob wir es hier mit reinen Hirngespinnsten zu tun haben, die nur real erscheinen, weil Behörden und Medien Hand in Hand so tun, als sei es geschehen. Für die zweite Variante spricht die Tatsache, daß wir erst von „Andromeda“ erfuhren, als man sich genötigt sah, auf Seymour Hershs sehr glaubwürdige Recherche reagieren zu müssen. Und schon der Kurzbesuch von Scholz in Washington wenige Tage vor dem konzertierten Veröffentlichen der Story in US- und deutschen Leitmedien ohne das übliche Prozedere und Journalistentross spricht dafür. Hätte man das per Telefon gemacht, hätte die Gefahr bestanden, daß es jemand mithört, und die Nummer völlig zur Peinlichkeit gerät.
Der große Zauberer von Oz,
der gesamte Andromeda Nordstream Scoop ist eine Beschäftigungtherapie für die Truther.
„Der große Zauberer von Oz,“
Der hier?
https://de.wikipedia.org/wiki/Lyman_Frank_Baum
Das nur, weil mir die dauernde Nennung hier zunehmend auf die Zwiebel geht.
„legitime militärische Operation im Krieg zwischen Russland und der Ukraine darstellen“
Da können die Italiener auch nicht klagen wenn eine Atombombe aufs Nachbarland fällt. viele italiener dannauch mit sterben müssten an den Folgen..