Können Verschwörungstheoretiker nicht kritisch denken?

Bild: Markus Spiske/Unsplash.com

Französische Psychologen legen eine nicht sehr überzeugende Studie vor. Aber was ist eine Verschwörungstheorie – und sind die Anhänger der dominierenden Meinung kritische Denker?

Verschwörungstheorien und deren Bekämpfung haben eines gemeinsam: die Vereinfachung durch Personalisierung. Die ergibt schöne, runde Geschichten von Bösen und Strippenziehern, die sich gut und interessant wie in einem Thriller erzählen lassen, in dem Spur um Spur auf der Suche nach dem Täter aufgedeckt wird. Heutzutage funktioniert dies bei den Verschwörungstheoretikern und den (oft staatlich finanzierten oder unterstützten) Experten für Desinformation gerne durch Internetsuchen. Gibt es Korrelationen oder Verbindungen, gilt dies meist als Beleg der Komplizenschaft. In der Regel werden nicht verschiedene Szenarien durchgespielt, sondern wird nur gesammelt, was in die gewünschte/vermutete Richtung weist.

 

Verschwörungstheoretiker, also diejenigen, die aus Sicht  der die vermeintliche Realität/Wahrheit verteidigenden Personen oder Instanzen als solche bezeichnet werden, verstehen sich selbst als eine Art Avantgarde, als kritische Denker, die aufdecken, was in trüben Gewässern oder im Dunkeln von anderen nicht erkannt wird oder werden soll. Französische Wissenschaftler haben sich einmal angeschaut, wie kritisch sie tatsächlich denken (Studie), dabei aber leider vergessen, auch diejenigen miteinzuschließen, die vermeintlich kritischen Verschwörungstheoretiker jagen. Ausgangspunkt sind Studien, nach denen Verschwörungstheoretiker geringere analytische Fähigkeiten zugesprochen werden, und die Überzeugung von Verschwörungstheoretikern, sich als kritische Denker von der Masse der gutgläubigen Schafe zu unterscheiden.

Als Definition geben die Psychologen an: „Verschwörungstheorien sind Versuche, den letzten Grund eines wichtigen (sozialen, politischen, klimatischen etc.) Ereignisses durch die Beschuldigung einer verborgenen Koalition von bösartigen und mächtigen Personen und Organisationen zu erklären, die heimlich diese Ereignisse geplant und umgesetzt haben.“ Man müsste wohl eigentlich hinzufügen, dass es sich in der Regel um eine andere Erklärungs- oder Deutungsversion als die herrschende handelt, die als nicht überzeugend wahrgenommen wird. Das würde auch eher hervorheben, dass es sich um eine Konkurrenz der Deutung handelt, was auch diejenigen ins Spiel bringt, die andere Verschwörungstheorie bezichtigen.

Bei zwei Gruppen von vorwiegend weiblichen Versuchspersonen (Studierende der Psychologie) wurde zur Erfassung der Verschwörungsneigung die Skala für allgemeine Verschwörungsüberzeugungen verwendet. Gefragt wird dabei nicht nach bestimmten „Verschwörungstheorien“, sondern nach einer Tendenz mit allgemeinen Aussagen wie: „Bestimmte bedeutende Ereignisse waren das Ergebnis der Aktivität einer kleinen Gruppe, die im Geheimen Weltereignisse manipulieren.“ Das Schlüsselwort dürfte „im Geheimen“ sein, aber das ist sehr vage.

Überdies wurden die Versuchspersonen noch einem Test unterzogen, der nachweisen soll, ob sie fähig sind, kritisch zu denken (eine französische Version des Ennis-Weir Critical Thinking Essay Test). Das heißt auch, das entscheidende Argument sowie Gründe und Annahmen zu erkennen, seinen eigenen Standpunkt klar zu stellen, andere Möglichkeiten zu erwägen oder bestimmten Fallstricken zu entgehen (Zirkularität, zu starke Verallgemeinerung, exzessiver Skeptizismus, Umdrehung eines Wenn-Dann-Verhältnisses etc.). Erfordert wird, einen Text zu verstehen und Antworten auf diesen zu formulieren. Juroren beurteilen dann die kritische Denkleistung.

Das Problem bei diesem Test ist u.a., dass Menschen sich sprachlich gut ausdrücken können müssen, um als kritische Denker ausgezeichnet zu werden. So kamen Studien wie diese denn auch zu dem Ergebnis, dass die Neigung zu Verschwörungstheorien mit steigendem Bildungsgrad abnehmen soll.

Ergebnis der Wissenschaftler ist, dass diejenigen (Psychologiestudentinnen), die eher zu Verschwörungstheorien neigen und sich als kritische DenkerInnen einschätzen, nicht besser im Test für kritisches Denken abschneiden (obgleich sie sich ja etwa dadurch auszeichnen, dass sie von der herrschenden Meinung, also der Norm, abweichen, weil sie dieser kritisch/skeptisch gegenüberstehen. Die Frage wäre, ob diejenigen, die sich in den Bahnen der herrschenden Meinungen bewegen, Kritikfähigkeit ausgebildet haben). Hingegen würden sie schlechter beim Kritischen-Denken-Test abschneiden, je stärker sie an Verschwörungstheorien glauben. Machen die also dumm, weil sie durch scheinbare Beantwortung mittels einer „schönen“ Erzählung Denken betäuben oder weil Unkritische sich von Verschwörungstheorien angezogen fühlen? Wäre also etwa Adorno, der einen Verblendungszusammenhang konstatiert, ein weniger kritischer Denker als Popper, der auch die Wissenschaften über den neoliberalen Mechanismus der Falsifizierung als Markt betrachtete.

Allerdings waren die Unterschiede in der Studie der Psychologen ziemlich schwach. Es zeigten sich auch Unterschiede bei den Studierenden nach Universität. So bleibt eigentlich den Psychologen die Schlussfolgerung, dass weitere Studien notwendig seien, auch wenn sie sagen, dass ihre Forschung die These unterstützt, dass es eine „Verbindung zwischen dem Fehlen der Fähigkeit des kritischen Denkens und dem Glauben an Verschwörungstheorien“ gibt.

Trotz wirklicher Beweiskraft sei ihre Studie eine Empfehlung für die Einführung von Initiativen, „Verschwörungsüberzeugungen durch die Verstärkung der Fähigkeit des kritischen Denkens zu bekämpfen“. Dem ließe sich nicht widersprechen, allerdings wäre kritisches Denken auch gegenüber wissenschaftlichen Studien, Medien, Regierungen, Unternehmen, Organisationen … wichtig. Aber das ist weniger interessant als der Kampf gegen den auserwählten Feind von Verschwörungstheorien, der die gesunde Skepsis eher ablenkt als fördert.

Siehe zum Thema auch das Gespräch mit Nicola Gess über das postfaktische Zeitalter und Halbwahrheiten im Digitalen Salon des ZKM.

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2 Kommentare

  1. Charles Pigden, Philosophieprofessor an der Universität of Otago, New Zealand, sieht es spannenderweise genau andersrum, als die Studien-Autoren: 2017 hielt er einen Vortrag an der University of Cambridge mit dem bezeichnenden Titel: ‘If You Are Not A Conspiracy Theorist Then You are an Idiot’ http://talks.cam.ac.uk/talk/index/47011

    Pigden kam eher zufällig mit der Thematik in Berührung, jedoch nicht ganz zufällig.
    Neuseeland ist der Ort, an dem der österreichische Philosoph Karl Popper die Kritik an der „Verschwörungstheorie der Gesellschaft“ formulierte. Aufgrund seiner jüdischen Wurzeln hatte Popper sich 1937 entschlossen mit seiner Frau ins Exil zu gehen und nahm einen Lehrauftrag an der Univertity of Canterbury in Christchurch an. Nebenher schrieb er sein wichtiges Werk: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde (Band 1+2).

    Pigden widerum formulierte eine Kritik an Poppers Kritik der „Verschwörungstheorie“. Wie es dazu kam, erklärt er hier:
    https://www.rnz.co.nz/national/programmes/saturday/audio/2558763/charles-pigden-conspiracies-and-cockups

    Von Pigden gibt es mehrer ausgezeichnete Artikel auf academia.edu zum Thema.

    Daran anknüpfend setzt sich David Coady mit der erkenntnistheoretischen Berechtigung von Verschwörungsglauben auseinander: What to Believe now. Applying Epistemology to Contemporary Issues.
    https://www.wiley.com/en-us/What+to+Believe+Now%3A+Applying+Epistemology+to+Contemporary+Issues-p-9781405199940

    Egal man Verschwörungstheorien wohlwollend oder ablehnend gegenübersteht – Karl Poppers Werk „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“, Bd. 1 + 2, ist für alle, die tiefer in die Materie einsteigen wollen, ein Muss – und selbstverständlich eine Herausforderung. Wenn man mit dem Einstieg Mühe hat, empfehle ich folgendes: Den Einstieg kann man finden, indem man „Verschwörungstheorie“ im Stichwortverzeichnis nachschlägt und die entsprechenden Passagen liest. Man kann dann im 2. Band anfangen mit der Kritik an Hegel, im „Scherzo-Stil“ verfasst, wie Popper es selbst nennt, d. h. Popper persifliert Hegel, indem er sich laufend widerspricht, bzw. das vorher gesagt wieder verneint. Dann kann man mit dem 1. Band und den antiken Philosophen, speziell Platon, beginnen. Auch wenn man Poppers grundsätzliche Ablehnung von Hegel und Marx nicht teilt, muss man Popper doch zugestehen, dass er teils bedenkenswerte Kritik übt, und dass Popper hilft, von beiden auch zu lernen. Das selbstständige Denken nimmt Popper einem allerdings nicht ab. Das was er bei Hegel und Marx kritisiert, wendet er selber an, sein Text ist voller Doppel- und Mehrdeutigkeiten sowie Widersprüchlichkeiten, und man ist selber gefordert, das zu durchschauen, und vielleicht auch die eine oder andere Passage der von Popper kritisierten Philosophen im Original nachzulesen.
    Ich empfehle die Ausgabe im Verlag Mohr Siebeck, da ist auch Korrespondenz mit Friedrich von Hayek und Weiteres im Anhang enthalten.

  2. Ich habe mir die Studie auch gerade mal angesehen, und es stimmt das Gesagte: „Allerdings waren die Unterschiede in der Studie der Psychologen ziemlich schwach.“ In der ersten Teilstudie mit 86 Teilnehmerinnen müssen die Autoren konstatieren: „This relationship approached significance“, und in der zweiten, größeren Teilstudie verschwindet die Zwei-Sterne-Signifikanz, wenn die Forscher die verschiedenen Universitäten mit einberechnen. Will sagen: Der scheinbare Zusammenhang zwischen kritischem Denken und Verschwörungsglauben geht darauf zurück, dass die Studentinnen an den beiden Unis unterschiedlich gut denken können, und gleichzeitig unterschiedlich stark zu Verschwörungstheorien neigen. Was ja viele, v.a. lokalkulturelle Ursachen haben kann.
    Hätten die Autoren und Gutachter mal kritisch über die Studie nachgedacht, dann hätten sie diese wohl nicht veröffentlicht.

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