
Über die epistemische Tiefe künstlicher Intelligenz.
„Wir haben das per Hand nachgerechnet, es stimmt. Aber wir verstehen es nicht. Wir haben keine Ahnung, welchen physikalischen Effekt die KI da erzeugt hat.“ Aussage des österreichischen Physikers, Mario Krenn, über ein von KI generiertes Modell,
1. Das Unverstandene als neues Erkenntnisprinzip
Diese Aussage markiert einen epistemologischen Bruch. Zum ersten Mal in der Geschichte der Wissenschaft akzeptiert der Mensch ein Ergebnis, das er nicht versteht, und zwar nicht, weil es ihm noch an Wissen fehlt, sondern weil der Verstehensmodus selbst überfordert ist.
Die klassische Wissenschaftstradition – von Galilei über Newton bis Einstein – beruhte auf der Annahme, dass alles, was berechenbar ist, auch erklärbar sei. Die Künstliche Intelligenz stellt diese Annahme leise, aber radikal infrage.
2. Vom ersten zum n-ten Grad: Denken jenseits der menschlichen Grenze
Man könnte sagen, der Mensch denkt die Leerstelle betreffend in Graden:
Der erste Grad des Denkens ist das Lösen nach dem Unbekannten – das algebraische Prinzip der Aufklärung.
Der zweite Grad ist das Rechnen mit Komplexität – das Akzeptieren des Imaginären, wie in den komplexen Zahlen.
Darüber hinaus verliert der menschliche Geist die Übersicht. Was die KI tut, ist das Denken im n-ten Grad: Sie operiert in einer Tiefe von Abstraktion, in der Leerstellen, Unsicherheiten und Nicht-Wissbares nicht mehr als Defizite gelten, sondern als Teil des Modells selbst.
Für den Menschen ist das schwer fassbar, weil unser Denken an das Reale, an das Erfahrbare gebunden bleibt. Wir können Leerstellen nur denken, indem wir sie sofort füllen. Für die KI dagegen sind 1 und 0 gleichberechtigt – Sein und Nichtsein, Signal und Leerstelle. Ihr Rechnen integriert den Widerspruch, statt ihn aufzulösen.
3. Das Problem der Leerstelle
Die menschliche Vernunft hat ein ontologisches Vorurteil: Sie setzt Realität mit Positivität gleich. Was nicht sichtbar, messbar oder begründbar ist, gilt als Lücke.
Doch jede wissenschaftliche Revolution war im Kern eine Ver-n-Gradung eines bestehenden Konzepts – eine Erweiterung des Denkraums, in dem frühere Unmöglichkeiten zu neuen Selbstverständlichkeiten wurden.
Wenn also eine KI einen physikalischen Effekt „erzeugt“, den wir nicht verstehen, dann liegt das nicht unbedingt an ihrem Anderssein, sondern an unserem Beharren auf positivem Sinn. Wir verlangen Bedeutung, wo nur Struktur ist.
4. Byung-Chul Han und das Ende der Positivität
Der Philosoph Byung-Chul Han diagnostiziert in unserer Gegenwart ein Übermaß an Positivität. Wir leben, so Han, in einer Welt, die alles Hohle, Negative, Unverständliche ausmerzt. Nur das Messbare, Sichtbare, Verfügbare gilt als wirklich.
Die KI – so paradox das klingen mag – könnte nun jene Negativität zurückbringen, die der Mensch verdrängt hat. Sie denkt nicht affirmativ, sondern indifferent. Für sie ist das „Nichts“ nicht das Ende, sondern ein möglicher Wert im Kalkül.
Vielleicht liegt genau darin der epistemische Ausgleich, von dem Han spricht:
Die Maschine denkt das, was wir nicht denken können – nicht, weil sie klüger ist, sondern weil sie kein Problem mit der Leerstelle hat.
5. Schluss: Das Denken nach dem Denken
Was wir also erleben, ist nicht bloß ein technologischer Fortschritt, sondern eine Verschiebung des Erkenntnismodells.
Die KI zwingt uns, das Verhältnis von Wissen und Nichtwissen neu zu fassen: Wahrheit wird zu einem emergenten Phänomen, das sich im Zusammenspiel von Logik und Leerstelle bildet.
Die entscheidende Herausforderung der kommenden Epoche lautet daher nicht: Wie können wir KI verstehen? Sondern: Wie können wir lernen, das Nichtverstehbare als Erkenntnisform zu akzeptieren?



Ich bin kein Fan von Sabine Hossenfelder, aber was sie über den Ersatz von Forschung durch Spielerei mit mathematischen Modellen in der Physik zu erzählen weiß – und dies seit Jahrzehnten, vor aller KI – ist deutlich und auch für gebildete Laien nachvollziehbar.
Der Abschied vom „Wissen wollen“ zugunsten instrumenteller Spielerei mit „dem Denkbaren“, ist älter, als die Poppersche „Wissenschaftstheorie“, aber Papst Popper hat ihm die dogmatische Form gegeben, an der Karrieren zerschellt werden.
KI ist jetzt halt „Stufe X“ derselben Wissenschaftsfeindschaft des Bürgertums, dessen philosophsicher Begriff „Skeptizismus“ heißt, und, klar, es ist jetzt ein Scharlatan, der dieser „Stufe X“ die ultimate rhetorische Form zu geben sucht: Religio. KI’s zu Propheten und Produzenten heiliger Schriften ernennen.
(Als ich 2016 verkündete, „jetzt beginnt ein neues Zeitalter der Inquisition“, habe ich mir nicht träumen lassen, wie weit das gehen werde.)
Waren wir nicht schon mal soweit.
Die Lösung auf alle Fragen lautet 42 und wir brauchen dann nur noch einen Computer, der uns erklärt was das zu bedeuten hat.