
Nicht erst seit der umstrittenen Antisemitismus-Resolution des Bundestags vom 29. Januar 2025, in der u.a. von den Universitäten gefordert wird, „dass Aktivitäten von Gruppierungen, die israelbezogenen Antisemitismus verbreiten, zu deren Mittel auch Boykottaufrufe, Delegitimierung, Desinformation und Dämonisierung des jüdischen Staates gehören, unterbunden werden“, und Unterstützer der Boykott-Kampagne BDS und „ähnlich gesinnte Bewegungen in deutschen Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen keinen Platz haben“ dürfen, fürchten Universitäten und Wissenschaftler zunehmenden autoritären Druck von außen und Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit. Beliebtes Mittel: Kürzung oder Versagen finanzieller Unterstützung. Das erzeugt eine Mentalität des Schwankens zwischen Anpassung oder Verzicht, die für eine freie Wissenschaft Gift ist.
Im Jahr 1966, zur Hochzeit des Vietnamkrieges, hielt Noam Chomsky an der Harvard University einen Vortrag, der 1968 auch in der Bundesrepublik im Suhrkamp- Verlag veröffentlicht wurde. Sein Titel: „Die Verantwortlichkeit der Intellektuellen“. Dort heißt es unter anderem: „Die Intellektuellen sind in der Lage, die Lügen der Regierenden zu entlarven, die Handlungen nach ihren Ursachen, Motiven und oft verborgenen Absichten zu analysieren. Zumindest in der westlichen Welt haben sie jene Macht, die sich aus der politischen Freiheit, dem Zugang zu Informationen und der Redefreiheit herleitet. Für eine privilegierte Minderheit hält die westliche Demokratie die Muße, die Einrichtungen und die Ausbildung bereit, die ihr erlauben, die Wahrheit zu suchen, die sich hinter dem Schleier von Verzerrung und Verdrehung, Ideologie und Klasseninteressen verbirgt, unter dem die gegenwärtigen geschichtlichen Ereignisse sich uns darstellen. Die Verantwortlichkeit der Intellektuellen reicht also weit tiefer als die Verantwortlichkeit der Völker“ – wegen der einzigartigen Privilegien, die sie genießen“. (Noam Chomsky, Die Verantwortlichkeit der Intellektuellen, in: Amerika und die neuen Mandarine, Frankfurt 1966, S. 140/41.)
Noam Chomsky begreift die Wissenschaftler als Intellektuelle – folgen wir ihm. Sie alle leben und arbeiten von der Forderung nach Freiheit der Wissenschaft.
Man könnte zahllose tiefgreifende und erhebende Worte über die Wissenschaftsfreiheit zitieren. Sie ist nicht nur im Grundgesetz kodifiziert, sondern auch in zahlreichen Dokumenten der UNESCO und internationalen Verträgen der Vereinten Nationen. Sie ist global als verpflichtend anerkannt. Sie trägt Verantwortung für die Garantie der Menschenwürde, den Erhalt des Friedens, den sozialen Fortschritt der Menschheit, die Überwindung der Armut und die Sicherung der materiellen Grundlagen des Überlebens auf diesem Planeten. Doch wie konkret stellt sich diese Verantwortung der Wissenschaft und ihren Vertretern? Und welche Rolle spielt die internationale Solidarität, nach der wir im Grundgesetz suchen müssen?
Nehmen wir ein Beispiel, bleiben wir in den USA und blenden wir 20 Jahre zurück. Es war die Administration von George W. Bush, und die Falken im Kongress heizten die iranische Nukleargefahr an. Bush selbst erklärte im Oktober 2007 in einer Pressekonferenz, wenn man einen dritten Weltkrieg und einen „nuklearen Holocaust“ verhindern wolle, müsse man Iran unverzüglich daran hindern, die Bombe zu bauen. Die Vorbereitungen für einen Militärschlag gegen Iran waren getroffen.
Doch im November 2007 berichteten ihm seine Geheimdienste – insgesamt 16 – in der verbindlichsten Form eines „Estimate“, dass der Iran keine Atombombe baue, Teheran habe schon 2003 sein Atomprogramm gestoppt. Dieser Bericht drohte, wenn er an die Öffentlichkeit gelangte, was immer wahrscheinlich war, die Militärstrategie Präsident Bushs zu durchkreuzen, er war hoch gefährlich. Also musste Bush reagieren. Er schrieb dazu 2010 in seinen Memoiren „Decision Points“:
„Einen großen Teil des Jahres 2008 verbrachte ich damit, die diplomatische Koalition gegen den Iran wieder aufzubauen, wir schafften es auch, eine neue Runde von Uno-Sanktionen zu bekommen […]. Außerdem dehnten wir unseren Raketenschild aus, darunter ein neues Raketensystem mit Stützpunkten in Polen und der tschechischen Republik, um Europa vor einem iranischen Angriff zu schützen.“
Erinnern wir uns: Diese Ausdehnung des Raketensystem gen Osten war der Ausgangspunkt der unseligen Osterweiterung der NATO. In jenem Jahr trafen sich US-Außenminister Baker, Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Sarkozy in Bukarest zu einem NATO-Gipfel, auf dem Baker die Aufnahme der Ukraine und Georgiens vorschlug, was aber damals auf den Widerstand von Merkel und Sarkozy stieß. Wie es weiterging, sehen wir heute täglich. Kurz zuvor im Januar 2008 reiste Bakers Chef Bush nach Saudi-Arabien zu König Abdullah, um sich für den Geheimdienstbericht, er war nun öffentlich geworden, zu entschuldigen und die Front gegen Iran zu stabilisieren: „Ich bin über diesen Bericht genauso verärgert, wie Sie es sind“, bekennt er in seinen Memoiren.
Ich bringe diese Anekdote nicht wegen des grenzenlosen Zynismus und der arroganten Dreistigkeit dieses Kriegstreibers – nein, bei der Frage nach der „Wissenschaftsfreiheit und internationalen Solidarität“ ist die Tatsache erschreckend, dass die in Think-Tanks, NGOs und Universitäts-Instituten versammelte Friedens- und Strategieforschung sich dieser Diffamierung Irans angeschlossen hat und sich nicht der Entwicklung dieses angsteinflößenden Schreckensgemäldes von einer Atommacht Iran widersetzt hat.
Israels Premier Netanjahu erklärte im September 2012 ohne konkrete Beweise vor den Vereinten Nationen, der Iran habe seine Atombombe bereits zu 70 Prozent fertiggebaut. Seitdem wird dieses Horrorscenario unablässig aufgefrischt und mit neuen Sanktionen untermauert. Israels Premier Netanjahu hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass er sofort einen Krieg gegen den Iran anzetteln würde, wenn die USA ihm die Bunker-brechenden Waffen liefern würde. Doch die Wissenschaft hält sich zurück.
Wir brauchen nicht so weit über den Atlantik zu gehen, es gibt auch hier genügend Beispiele. Wir sollten nicht vergessen, dass der ehemalige Bundeskanzler Schröder erst 2014 öffentlich bei Phönix erklärte, dass der Überfall der NATO auf Ex-Jugoslawien 1999 völkerrechtswidrig gewesen war. Schon lange zuvor war klar geworden, dass auch der Vorwand für diesen Krieg, die Gefahr eines drohenden Völkermords im Kosovo, erfunden war. Doch nur wenige Kritiker in der Wissenschaft mochten sich seinerzeit dem Krieg entgegenstellen, zu wenig, um den ersten Einsatz einer deutschen Armee nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verhindern zu können. Das „nie wieder“ ist seitdem zum unglaubwürdigen Slogan verkommen.
Es gibt keine Kriege ohne Lügen derer, die sie führen
So ist Deutschland zum Beispiel nur deshalb nicht vom Internationalen Gerichtshof im Prozess Nicaraguas gegen die Bunderepublik wegen Unterstützung des Völkermordes in Gaza zum Stopp seiner Waffenlieferungen an Israel verurteilt worden, weil er der Bundesregierung glaubte, dass 98 % der Lieferungen keine Kriegswaffen, sondern nur allgemeine Rüstungsgüter gewesen seien. 10 Monate später, im Oktober 2024 erklärte Bundeskanzler Scholz im Plenum des Bundestags offen: „Wir haben Waffen geliefert und wir werden Waffen liefern.“ Die Regierung hatte den Internationalen Gerichtshof offensichtlich belogen. Doch die institutionelle Friedens- und Konfliktforschung, die Experten für Krieg und Frieden, schwieg und sah auch hier keinen Anlass, sich einzumischen. Wer hatte den Mut, sich hinter den von Nicaragua erhobenen Vorwurf der Beihilfe zum Völkermord auf der Basis der unzweideutigen Normen des Völkerrechts zu stellen?
Jetzt nun fordern 77 Völkerrechtler den Stopp von Waffenlieferungen. Das ist zwar aufrecht, dieser Aufruf fehlte aber Anfang 2024 zur Unterstützung der Klage Südafrikas gegen Israel wegen des Vorwurfs des Völkermordes und deren Forderung nach sofortigem Waffenstillstand. Nach über eineinhalb Jahren eines mörderischen Krieges, der in zahllosen Erklärungen der israelischen Regierung, Knesseth und Armee offen als Säuberungs- und Vernichtungskrieg begrüßt wird, bezweifeln die Mandarine der deutschen Völkerrechtswissenschaft in den Medien immer noch, dass es sich hier um einen Völkermord handelt. Unbeeindruckt von den eindeutigen Verurteilungen als Völkermord von Amnesty International, Human Rights Watch, der Ärzte ohne Grenzen, der UN-Menschenrechtsbeauftragten Francesca Albanese und zahlreicher internationaler Völkerrechtler, hüllt sich diese Wissenschaft in den dünnen Mantel der Staatsräson, um ja nicht die lukrativen Verbindungen zur Regierung zu verlieren.
Erst dieser Tage hat die südafrikanische Regierung dem IGH auf 227 Seiten immer neue Beweise für die Absicht der israelischen Regierung vorgelegt, die palästinensische Bevölkerung aus Gaza zu vertreiben und zu vernichten. Im Februar dieses Jahres forderte Elad Barashi, ein namhafter Medienproduzent in Israel, den Holocaust für die Palästinenser. Das fand keine Erwähnung in den Medien und die Wissenschaft schweigt. Hat man sich daran gewöhnt?
Die unfassbaren Zahlen an Toten, Verletzten und Zerstörungen, die barbarischen Methoden der Kriegsführung, der gezielte Einsatz des Hungers und die ständigen Vertreibungen von einem Fluchtort in den anderen verlangen auch über den Ruf nach einer Verurteilung durch die internationalen Gerichte hinaus unsere Solidarität mit den Opfern. Diese ist notwendig trotz des furchtbaren Massakers am 7. Oktober 2023. Doch diese Solidarität ist in dem Gestrüpp beliebiger Antisemitismus-Vorwürfe und unter dem vermeintlichen Auftrag einer ebenso beliebig konstruierten Staatsräson vollkommen verrutscht und in Schieflage gekommen.
Unsere Solidarität soll die Juden schützen, was zweifellos notwendig ist. Sie schützt jedoch ein Regime, welches mit seinen Siedlern und seiner Armee schwerster Kriegsverbrechen bis zum Völkermord an der palästinensischen Bevölkerung schuldig ist. Die Kritik an Netanjahu und seiner rechtsradikalen und faschistischen Umgebung ist billig, solange ihr nicht die Solidarität mit den Opfern, dem palästinensischen Volk folgt. Wo bleibt die Unterstützung für den einzigen den Palästinensern verbliebenen zivilen Widerstand, den Aufruf zum Boykott, De-Investition und Sanktionen (BDS), wenn man ihnen das Recht zum bewaffneten Widerstand nicht zugestehen will? Eine halbierte Solidarität ist eine falsche Solidarität.
Wer sich im Schutz des juste milieu in seine Wissenschaft zurückzieht, kapituliert vor der Komplexität des Krieges
Hier fängt Wissenschaftsfreiheit erst an. Wer sich im Schutz des juste milieu in seine Wissenschaft zurückzieht, schließt sich den vorherrschenden Rationalitätskriterien, den dominierenden Werten und gesellschaftlich erzwungenen Maßstäben für Leistung und politische Neutralität an. Er überlässt die Sorge um das Ganze anderen und kapituliert vor der Komplexität des Krieges. Dieser Wissenschaftler braucht sich um die Wissenschaftsfreiheit nicht zu sorgen.
Im Jahr 1961 veröffentlichte der US-Ökonom Paul A. Baran – bekannt geworden auch hier durch sein Buch mit Paul Sweezy „Monopolkapital“, ebenfalls im Suhrkamp Verlag erschienen – einen Aufsatz im Monthly Review unter dem Titel „The commitment of the Intellectual“. Baran nennt diese Wissenschaftler „Intellektarbeiter“ und schreibt: „Sie nehmen eine agnostische Haltung gegenüber den Zielen selbst ein … Es sollte vollkommen klar sein, dass eine solche Preisgabe in der Praxis auf die Billigung des Status quo hinausläuft, auf die Unterstützung derer, die versuchen, jede Veränderung der bestehenden Ordnung zugunsten einer besseren zu verhindern. Es ist die ‚ethische Neutralität‘, die viele Ökonomen, Soziologen und Anthropologen – ich füge die Juristen hinzu – zu der Erklärung veranlasst hat, dass sie als Wissenschaftler keine Meinung“ zu dem Ganzen äußern können. (Paul A. Baran, The Commitment of the Intellectuel, Monthly Review Vol. 13 No.1, May 1961, zit. nach Reprint in MR Pamphlets Series No. 23, 1966, eigene Übersetzung)
Die zeitnahe Auseinandersetzung von Chomsky und Baran mit den Intellektuellen in den USA erklärt sich aus der Situation des Krieges Mitte der sechziger Jahre. Es ist die Hochzeit des Vietnamkrieges, der die Gesellschaft zur Wahrheit und Stellungnahme zwang: Bist du für oder gegen diesen Krieg? Doch viele Wissenschaftler, Experten, „Intellektarbeiter“ tauchen zwischen dieser Entscheidung ab.
Eine solche Situation des Krieges haben wir jetzt auch hier. Nicht dass die Bundesrepublik direkt Krieg führt in der Ukraine und in Gaza. Sie ist aber an beiden Kriegen direkt beteiligt und es stellt sich die Frage der Wahrheit und der Stellungnahme gleichermaßen. Auch hier spricht einiges für die Schlussfolgerung von Chomsky, „dass es in der Tat so etwas wie einen Konsensus unter den Intellektuellen gibt, die bereits zu Macht und Wohlstand gekommen sind, oder die glauben, dass sie beides erreichen können, wenn sie die Gesellschaft nehmen, wie sie ist und die Werte fördern, die in dieser Gesellschaft hochgehalten werden.“ Für sie ist die Wissenschaftsfreiheit kein Problem, sie genießen sie ohne Einschränkung.
Der Frieden ist der Kern der internationalen Solidarität und die zentrale Aufgabe der Wissenschaft ist, für den Frieden zu arbeiten
Der Wissenschaftler als Intellektueller hingegen muss sich entscheiden, „die Lügen der Regierenden zu entlarven, die Handlungen nach ihren Ursachen, Motiven und oft verborgenen Absichten zu analysieren“, wie Chomsky es formuliert hat. Es ist also nicht allein die Suche nach der Wahrheit, die für ihn die Wissenschaftsfreiheit begründet. Es ist vor allem der Mut, rationale Forschung durchzuführen, wohin auch immer sie führen mag, und „schonungslose Kritik an allem, was existiert, zu üben, schonungslos in dem Sinne, dass die Kritik weder vor ihren eigenen Schlussfolgerungen noch vor Konflikten mit den Mächtigen zurückschreckt.“ Das bedeutet, die Angst zu überwinden, von der herrschenden Klasse in Politik, Regierung und den Medien als Unruhestifter -neudeutsch als Verschwörungstheoretiker – gebrandmarkt zu werden, der um den Status und die Privilegien eines in ihren Diensten stehenden Intellektuellen fürchten musss.
Hier wird die Wissenschaftsfreiheit erst relevant. Schon Immanuel Kant verband 1789 in seinem „Streit der Fakultäten“ die Forderung nach einer besonderen Unabhängigkeit der philosophischen Fakultät von obrigkeitlichem Einfluss mit der Verpflichtung der Wissenschaft allein auf die Wahrheit und Vernunft. Doch das allein garantiert ihre Freiheit nicht. Die Unabhängigkeit und Freiheit der Wissenschaft hat ihren Ursprung in den Kämpfen der bürgerlichen Revolution und muss auch heute immer wieder erkämpft werden. Hegel sah die wissenschaftliche Autonomie noch als durch den Staat gewährleistet. Das Grundgesetz lässt in Artikel 5 Abs. 3 den Staat aus dem Spiel: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ Es bindet einen Teil ihrer Praxis aber an eine neue Verpflichtung: „Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“ Wie aber die aktuelle Praxis und die Angriffe auf die kritische Wissenschaft und Solidarität zeigen, stellt sich der Staat nicht als Garant der Wissenschaftsfreiheit, sondern als die Gefahr heraus, gegen die es die Wissenschaft zu verteidigen gilt.
Und dazu ein letztes Beispiel. Vor genau zwei Jahren hatte der ASTA der Hamburger Universität die Räume der Universität einer Internationalen Konferenz unter dem Titel „Challenging Capitalist Modernity IV -WE WANT OUR WORLD BACK!“ in der vorlesungsfreien Zeit zur Verfügung gestellt. Diese Konferenz, ihre internationalen Dozenten und Dozentinnen und über tausend Besucherinnen und Besucher hatten die Gastfreundschaft der Universität bereits dreimal zuvor in den vergangenen Jahren genossen. In diesem Jahr untersagte der Präsident der Universität die Vergabe der Räume genau eine Woche vor Beginn der Konferenz. Zur Begründung des Verbots bezog er sich auf eine Warnung des Verfassungsschutzes, es handele sich um eine Propagandaveranstaltung für die kurdische PKK. Die PKK ist seit 1993 als Terrororganisation in Deutschland und Europa verboten.
Die Initiative für diese Konferenzreihe ging von kurdischen Studierenden aus, die auch bei der Organisation maßgeblich beteiligt waren. Die drei vorangegangenen Konferenzen waren ohne Zwischenfälle vorübergegangen. Noch ehe sich die Studierenden des ASTA sammeln konnten, reichte der Präsident eine weitere Begründung nach, die er ebenfalls vom Verfassungsschutz erhalten hatte. Es sei eine Reihe von kurdischen Vereinen identifiziert worden, die die Konferenz unterstützten und ebenfalls Verbindung zur PKK hätten. Es handelt sich um ca. 7 Vereine, die seit Jahren ohne Probleme und polizeiliche Beanstandungen ihren kulturellen und sozialen Aufgaben nachgehen. Das angerufene Oberverwaltungsgericht konnte nicht mehr rechtzeitig eine Entscheidung fällen. Es mussten schnellstens verschiedene Räume in der Stadt gemietet werden, wo die Konferenz dann in reduzierter Form stattfinden konnte.
In letzter Zeit sind Forderungen laut geworden, den Verfassungsschutz mit der Identifizierung antisemitischer und islamistischer Aktivitäten in Universitäten zu betrauen. Weitgehend unbekannt war bisher, dass die verschiedenen Verfassungsschutzämter schon seit Jahren in den Universitäten undercover aktiv sind. Wie kann es sein, dass autonome Institutionen der Wissenschaft das zulassen und auch noch beliebigen ungeprüften Denunziationen Folge leisten?
Der Akademische Senat hat am 13. April 2023 eine Erklärung verabschiedet, in der er mit 9 gegen 3 bei 6 Stimmenthaltungen unter anderem „dem Präsidium der Universität Hamburg empfiehlt, zukünftige Versuche des Landesamtes für Verfassungsschutz, auf den Inhalt und den Ablauf wissenschaftlicher Tagungen und Veranstaltungen an der Universität Hamburg Einfluss zu nehmen, zurückzuweisen. Einstimmig wurde die Bitte des Senats an das Präsidium angenommen, „unter Einbeziehung des Akademischen Senats öffentliche Veranstaltungen zum Verständnis und der Praxis der Wissenschaftsfreiheit an der UHH zu planen und durchzuführen.“
Zwei Jahre fand das Präsidium offensichtlich keine Zeit, diese Bitte zu erfüllen. Nun haben die Studierenden dieser Universität die Initiative ergriffen und eine solche Konferenz zur „Praxis der Wissenschaftsfreiheit“ organisiert, wofür ihnen Dank gebührt.
Was hat Wissenschaftsfreiheit mit internationaler Solidarität zu tun, kann man sie von der Wissenschaft überhaupt einfordern? Ich komme auf mein erstes Beispiel zurück, die Drohungen gegen Iran wegen des angeblichen Baues einer Atombombe in den Jahren 2007/2008. Zwei Atommächte, die USA und Israel, drohen auch heute wieder offen mit Gewalt, wenn sich der Iran ihnen nicht unterwirft. In dieser Zeit, inmitten von Kriegen, an denen die europäischen Staaten alle aktiv beteiligt sind, ist der Frieden der Kern der internationalen Solidarität und die zentrale Aufgabe der Wissenschaft, für den Frieden zu arbeiten.
Solidarität mag sich in Entwicklungs- und Katastrophenhilfe äußern. Solidarität für den Frieden verlangt jedoch mehr, sie verlangt die schonungslose Kritik an dem System, in dem wir leben, das immer wieder den Krieg aus sich hervorbringt. Sie verlangt den Mut, auch ohne Rücksicht auf die eigenen Statusprivilegien gegen die forcierte Militarisierung, gegen die unverkennbaren strategischen Vorbereitungen auf einen großen Krieg und gegen die ideologische Einstimmung der Menschen auf den Krieg, sprich „Kriegstüchtigkeit“, zu arbeiten. Das ist mehr als „Friedensforschung“, das fordert uns auf, der Schlächterei in Gaza und den Plänen einer „Endlösung“ offen entgegenzutreten.
Die Freiheit der Wissenschaft muss immer wieder erkämpft werden, und das wird uns nur gelingen als Wissenschaft für den Frieden. Das ist riskant, braucht Mut und kostet Kraft, doch nur so können wir die Freiheit der Wissenschaft sichern.
Prof. Dr. Norman Paech hielt diesen Text als Vortrag im Rahmen der Veranstaltung „Academia Under Attack. Konferenz für Wissenschaftsfreiheit und internationale Solidarität“, die am 12. und 13. April 2025 an der Universität Hamburg stattfand. Sie wurde von Lehrenden, Beschäftigten und Studierenden der Hamburger und anderer norddeutscher Hochschulen organisiert, die eine kritische, friedensorientierte und internationalistische Orientierung verbindet.
Zum Thema siehe auch das Gespräch mit Norman Paech: „Wer in der Verantwortung zu Israel steht, steht auch in der Verantwortung zu Palästina“
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Bravo und danke!
Wissenschaft ler und Intellektuell: innen
sind heute meist Wasserträger ihrer Geld geber und ihrer Arbeitgeber, vollgestopft mit Daten aber ohne Bildung.