Wissenschaftsfreiheit und internationale Solidarität

 

Norman Paech sprach auf der Veranstaltung „Academia Under Attack. Konferenz für Wissenschaftsfreiheit und internationale Solidarität“, die am 12. und 13. April 2025 an der Universität Hamburg stattfand.

Nicht erst seit der umstrittenen Antisemitismus-Resolution des Bundestags vom 29. Januar 2025, in der u.a. von den Universitäten gefordert wird, „dass Aktivitäten von Gruppierungen, die israelbezogenen Antisemitismus verbreiten, zu deren Mittel auch Boykottaufrufe, Delegitimierung, Desinformation und Dämonisierung des jüdischen Staates gehören, unterbunden werden“, und Unterstützer der Boykott-Kampagne BDS und „ähnlich gesinnte Bewegungen in deutschen Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen keinen Platz haben“ dürfen, fürchten Universitäten und Wissenschaftler zunehmenden autoritären Druck von außen und Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit. Beliebtes Mittel: Kürzung oder Versagen finanzieller Unterstützung. Das erzeugt eine Mentalität des Schwankens zwischen Anpassung oder Verzicht, die für eine freie Wissenschaft Gift ist.

Im Jahr 1966, zur Hochzeit des Vietnamkrieges, hielt Noam Chomsky an der Harvard University einen Vortrag, der 1968 auch in der Bundesrepublik im Suhrkamp- Verlag veröffentlicht wurde. Sein Titel: „Die Verantwortlichkeit der Intellektuellen“. Dort heißt es unter anderem: „Die Intellektuellen sind in der Lage, die Lügen der Regierenden zu entlarven, die Handlungen nach ihren Ursachen, Motiven und oft verborgenen Absichten zu analysieren. Zumindest in der westlichen Welt haben sie jene Macht, die sich aus der politischen Freiheit, dem Zugang zu Informationen und der Redefreiheit herleitet. Für eine privilegierte Minderheit hält die westliche Demokratie die Muße, die Einrichtungen und die Ausbildung bereit, die ihr erlauben, die Wahrheit zu suchen, die sich hinter dem Schleier von Verzerrung und Verdrehung, Ideologie und Klasseninteressen verbirgt, unter dem die gegenwärtigen geschichtlichen Ereignisse sich uns darstellen. Die Verantwortlichkeit der Intellektuellen reicht also weit tiefer als die Verantwortlichkeit der Völker“ – wegen der einzigartigen Privilegien, die sie genießen“. (Noam Chomsky, Die Verantwortlichkeit der Intellektuellen, in: Amerika und die neuen Mandarine, Frankfurt 1966, S. 140/41.)

Noam Chomsky begreift die Wissenschaftler als Intellektuelle – folgen wir ihm. Sie alle leben und arbeiten von der Forderung nach Freiheit der Wissenschaft.

Man könnte zahllose tiefgreifende und erhebende Worte über die Wissenschaftsfreiheit zitieren. Sie ist nicht nur im Grundgesetz kodifiziert, sondern auch in zahlreichen Dokumenten der UNESCO und internationalen Verträgen der Vereinten Nationen. Sie ist global als verpflichtend anerkannt. Sie trägt Verantwortung für die Garantie der Menschenwürde, den Erhalt des Friedens, den sozialen Fortschritt der Menschheit, die Überwindung der Armut und die Sicherung der materiellen Grundlagen des Überlebens auf diesem Planeten. Doch wie konkret stellt sich diese Verantwortung der Wissenschaft und ihren Vertretern? Und welche Rolle spielt die internationale Solidarität, nach der wir im Grundgesetz suchen müssen?

Nehmen wir ein Beispiel, bleiben wir in den USA und blenden wir 20 Jahre zurück. Es war die Administration von George W. Bush, und die Falken im Kongress heizten die iranische Nukleargefahr an. Bush selbst erklärte im Oktober 2007 in einer Pressekonferenz, wenn man einen dritten Weltkrieg und einen „nuklearen Holocaust“ verhindern wolle, müsse man Iran unverzüglich daran hindern, die Bombe zu bauen. Die Vorbereitungen für einen Militärschlag gegen Iran waren getroffen.

Doch im November 2007 berichteten ihm seine Geheimdienste – insgesamt 16 – in der verbindlichsten Form eines „Estimate“, dass der Iran keine Atombombe baue, Teheran habe schon 2003 sein Atomprogramm gestoppt. Dieser Bericht drohte, wenn er an die Öffentlichkeit gelangte, was immer wahrscheinlich war, die Militärstrategie Präsident Bushs zu durchkreuzen, er war hoch gefährlich. Also musste Bush reagieren. Er schrieb dazu 2010 in seinen Memoiren „Decision Points“:

Einen großen Teil des Jahres 2008 verbrachte ich damit, die diplomatische Koalition gegen den Iran wieder aufzubauen, wir schafften es auch, eine neue Runde von Uno-Sanktionen zu bekommen […]. Außerdem dehnten wir unseren Raketenschild aus, darunter ein neues Raketensystem mit Stützpunkten in Polen und der tschechischen Republik, um Europa vor einem iranischen Angriff zu schützen.“

Erinnern wir uns: Diese Ausdehnung des Raketensystem gen Osten war der Ausgangspunkt der unseligen Osterweiterung der NATO. In jenem Jahr trafen sich US-Außenminister Baker, Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Sarkozy in Bukarest zu einem NATO-Gipfel, auf dem Baker die Aufnahme der Ukraine und Georgiens vorschlug, was aber damals auf den Widerstand von Merkel und Sarkozy stieß. Wie es weiterging, sehen wir heute täglich. Kurz zuvor im Januar 2008 reiste Bakers Chef Bush nach Saudi-Arabien zu König Abdullah, um sich für den Geheimdienstbericht, er war nun öffentlich geworden, zu entschuldigen und die Front gegen Iran zu stabilisieren: „Ich bin über diesen Bericht genauso verärgert, wie Sie es sind“, bekennt er in seinen Memoiren.

Ich bringe diese Anekdote nicht wegen des grenzenlosen Zynismus und der arroganten Dreistigkeit dieses Kriegstreibers – nein, bei der Frage nach der „Wissenschaftsfreiheit und internationalen Solidarität“ ist die Tatsache erschreckend, dass die in Think-Tanks, NGOs und Universitäts-Instituten versammelte Friedens- und Strategieforschung sich dieser Diffamierung Irans angeschlossen hat und sich nicht der Entwicklung dieses angsteinflößenden Schreckensgemäldes von einer Atommacht Iran widersetzt hat.

Israels Premier Netanjahu erklärte im September 2012 ohne konkrete Beweise vor den Vereinten Nationen, der Iran habe seine Atombombe bereits zu 70 Prozent fertiggebaut. Seitdem wird dieses Horrorscenario unablässig aufgefrischt und mit neuen Sanktionen untermauert. Israels Premier Netanjahu hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass er sofort einen Krieg gegen den Iran anzetteln würde, wenn die USA ihm die Bunker-brechenden Waffen liefern würde. Doch die Wissenschaft hält sich zurück.

Wir brauchen nicht so weit über den Atlantik zu gehen, es gibt auch hier genügend Beispiele. Wir sollten nicht vergessen, dass der ehemalige Bundeskanzler Schröder erst 2014 öffentlich bei Phönix erklärte, dass der Überfall der NATO auf Ex-Jugoslawien 1999 völkerrechtswidrig gewesen war. Schon lange zuvor war klar geworden, dass auch der Vorwand für diesen Krieg, die Gefahr eines drohenden Völkermords im Kosovo, erfunden war. Doch nur wenige Kritiker in der Wissenschaft mochten sich seinerzeit dem Krieg entgegenstellen, zu wenig, um den ersten Einsatz einer deutschen Armee nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verhindern zu können. Das „nie wieder“ ist seitdem zum unglaubwürdigen Slogan verkommen.

Es gibt keine Kriege ohne Lügen derer, die sie führen

So ist Deutschland zum Beispiel nur deshalb nicht vom Internationalen Gerichtshof im Prozess Nicaraguas gegen die Bunderepublik wegen Unterstützung des Völkermordes in Gaza zum Stopp seiner Waffenlieferungen an Israel verurteilt worden, weil er der Bundesregierung glaubte, dass 98 % der Lieferungen keine Kriegswaffen, sondern nur allgemeine Rüstungsgüter gewesen seien. 10 Monate später, im Oktober 2024 erklärte Bundeskanzler Scholz im Plenum des Bundestags offen: „Wir haben Waffen geliefert und wir werden Waffen liefern.“ Die Regierung hatte den Internationalen Gerichtshof offensichtlich belogen. Doch die institutionelle Friedens- und Konfliktforschung, die Experten für Krieg und Frieden, schwieg und sah auch hier keinen Anlass, sich einzumischen. Wer hatte den Mut, sich hinter den von Nicaragua erhobenen Vorwurf der Beihilfe zum Völkermord auf der Basis der unzweideutigen Normen des Völkerrechts zu stellen?

Jetzt nun fordern 77 Völkerrechtler den Stopp von Waffenlieferungen. Das ist zwar aufrecht, dieser Aufruf fehlte aber Anfang 2024 zur Unterstützung der Klage Südafrikas gegen Israel wegen des Vorwurfs des Völkermordes und deren Forderung nach sofortigem Waffenstillstand. Nach über eineinhalb Jahren eines mörderischen Krieges, der in zahllosen Erklärungen der israelischen Regierung, Knesseth und Armee offen als Säuberungs- und Vernichtungskrieg begrüßt wird, bezweifeln die Mandarine der deutschen Völkerrechtswissenschaft in den Medien immer noch, dass es sich hier um einen Völkermord handelt. Unbeeindruckt von den eindeutigen Verurteilungen als Völkermord von Amnesty International, Human Rights Watch, der Ärzte ohne Grenzen, der UN-Menschenrechtsbeauftragten Francesca Albanese und zahlreicher internationaler Völkerrechtler, hüllt sich diese Wissenschaft in den dünnen Mantel der Staatsräson, um ja nicht die lukrativen Verbindungen zur Regierung zu verlieren.

Erst dieser Tage hat die südafrikanische Regierung dem IGH auf 227 Seiten immer neue Beweise für die Absicht der israelischen Regierung vorgelegt, die palästinensische Bevölkerung aus Gaza zu vertreiben und zu vernichten. Im Februar dieses Jahres forderte  Elad Barashi, ein namhafter Medienproduzent in Israel, den Holocaust für die Palästinenser. Das fand keine Erwähnung in den Medien und die Wissenschaft schweigt. Hat man sich daran gewöhnt?

Die unfassbaren Zahlen an Toten, Verletzten und Zerstörungen, die barbarischen Methoden der Kriegsführung, der gezielte Einsatz des Hungers und die ständigen Vertreibungen von einem Fluchtort in den anderen verlangen auch über den Ruf nach einer Verurteilung durch die internationalen Gerichte hinaus unsere Solidarität mit den Opfern. Diese ist notwendig trotz des furchtbaren Massakers am 7. Oktober 2023. Doch diese Solidarität ist in dem Gestrüpp beliebiger Antisemitismus-Vorwürfe und unter dem vermeintlichen Auftrag einer ebenso beliebig konstruierten Staatsräson vollkommen verrutscht und in Schieflage gekommen.

Unsere Solidarität soll die Juden schützen, was zweifellos notwendig ist. Sie schützt jedoch ein Regime, welches mit seinen Siedlern und seiner Armee schwerster Kriegsverbrechen bis zum Völkermord an der palästinensischen Bevölkerung schuldig ist. Die Kritik an Netanjahu und seiner rechtsradikalen und faschistischen Umgebung ist billig, solange ihr nicht die Solidarität mit den Opfern, dem palästinensischen Volk folgt. Wo bleibt die Unterstützung für den einzigen den Palästinensern verbliebenen zivilen Widerstand, den Aufruf zum Boykott, De-Investition und Sanktionen (BDS), wenn man ihnen das Recht zum bewaffneten Widerstand nicht zugestehen will? Eine halbierte Solidarität ist eine falsche Solidarität.

Wer sich im Schutz des juste milieu in seine Wissenschaft zurückzieht, kapituliert vor der Komplexität des Krieges

Hier fängt Wissenschaftsfreiheit erst an. Wer sich im Schutz des juste milieu in seine Wissenschaft zurückzieht, schließt sich den vorherrschenden Rationalitätskriterien, den dominierenden Werten und gesellschaftlich erzwungenen Maßstäben für Leistung und politische Neutralität an. Er überlässt die Sorge um das Ganze anderen und kapituliert vor der Komplexität des Krieges. Dieser Wissenschaftler braucht sich um die Wissenschaftsfreiheit nicht zu sorgen.

Im Jahr 1961 veröffentlichte der US-Ökonom Paul A. Baran – bekannt geworden auch hier durch sein Buch mit Paul Sweezy „Monopolkapital“, ebenfalls im Suhrkamp Verlag erschienen – einen Aufsatz im Monthly Review unter dem Titel „The commitment of the Intellectual“. Baran nennt diese Wissenschaftler „Intellektarbeiter“ und schreibt: „Sie nehmen eine agnostische Haltung gegenüber den Zielen selbst ein … Es sollte vollkommen klar sein, dass eine solche Preisgabe in der Praxis auf die Billigung des Status quo hinausläuft, auf die Unterstützung derer, die versuchen, jede Veränderung der bestehenden Ordnung zugunsten einer besseren zu verhindern. Es ist die ‚ethische Neutralität‘, die viele Ökonomen, Soziologen und Anthropologen – ich füge die Juristen hinzu – zu der Erklärung veranlasst hat, dass sie als Wissenschaftler keine Meinung“ zu dem Ganzen äußern können. (Paul A. Baran, The Commitment of the Intellectuel, Monthly Review Vol. 13 No.1, May 1961, zit. nach Reprint in MR Pamphlets Series No. 23, 1966, eigene Übersetzung)

 Die zeitnahe Auseinandersetzung von Chomsky und Baran mit den Intellektuellen in den USA erklärt sich aus der Situation des Krieges Mitte der sechziger Jahre. Es ist die Hochzeit des Vietnamkrieges, der die Gesellschaft zur Wahrheit und Stellungnahme zwang: Bist du für oder gegen diesen Krieg? Doch viele Wissenschaftler, Experten, „Intellektarbeiter“ tauchen zwischen dieser Entscheidung ab.

Eine solche Situation des Krieges haben wir jetzt auch hier. Nicht dass die Bundesrepublik direkt Krieg führt in der Ukraine und in Gaza. Sie ist aber an beiden Kriegen direkt beteiligt und es stellt sich die Frage der Wahrheit und der Stellungnahme gleichermaßen. Auch hier spricht einiges für die Schlussfolgerung von Chomsky, „dass es in der Tat so etwas wie einen Konsensus unter den Intellektuellen gibt, die bereits zu Macht und Wohlstand gekommen sind, oder die glauben, dass sie beides erreichen können, wenn sie die Gesellschaft nehmen, wie sie ist und die Werte fördern, die in dieser Gesellschaft hochgehalten werden.“ Für sie ist die Wissenschaftsfreiheit kein Problem, sie genießen sie ohne Einschränkung.

Der Frieden ist der Kern der internationalen Solidarität und die zentrale Aufgabe der Wissenschaft ist, für den Frieden zu arbeiten

Der Wissenschaftler als Intellektueller hingegen muss sich entscheiden, „die Lügen der Regierenden zu entlarven, die Handlungen nach ihren Ursachen, Motiven und oft verborgenen Absichten zu analysieren“, wie Chomsky es formuliert hat. Es ist also nicht allein die Suche nach der Wahrheit, die für ihn die Wissenschaftsfreiheit begründet. Es ist vor allem der Mut, rationale Forschung durchzuführen, wohin auch immer sie führen mag, und „schonungslose Kritik an allem, was existiert, zu üben, schonungslos in dem Sinne, dass die Kritik weder vor ihren eigenen Schlussfolgerungen noch vor Konflikten mit den Mächtigen zurückschreckt.“ Das bedeutet, die Angst zu überwinden, von der herrschenden Klasse in Politik, Regierung und den Medien als Unruhestifter -neudeutsch als Verschwörungstheoretiker – gebrandmarkt zu werden, der um den Status und die Privilegien eines in ihren Diensten stehenden Intellektuellen fürchten musss.

Hier wird die Wissenschaftsfreiheit erst relevant. Schon Immanuel Kant verband 1789 in seinem „Streit der Fakultäten“ die Forderung nach einer besonderen Unabhängigkeit der philosophischen Fakultät von obrigkeitlichem Einfluss mit der Verpflichtung der Wissenschaft allein auf die Wahrheit und Vernunft. Doch das allein garantiert ihre Freiheit nicht. Die Unabhängigkeit und Freiheit der Wissenschaft hat ihren Ursprung in den Kämpfen der bürgerlichen Revolution und muss auch heute immer wieder erkämpft werden. Hegel sah die wissenschaftliche Autonomie noch als durch den Staat gewährleistet. Das Grundgesetz lässt in Artikel 5 Abs. 3 den Staat aus dem Spiel: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ Es bindet einen Teil ihrer Praxis aber an eine neue Verpflichtung: „Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“ Wie aber die aktuelle Praxis und die Angriffe auf die kritische Wissenschaft und Solidarität zeigen, stellt sich der Staat nicht als Garant der Wissenschaftsfreiheit, sondern als die Gefahr heraus, gegen die es die Wissenschaft zu verteidigen gilt.

Und dazu ein letztes Beispiel. Vor genau zwei Jahren hatte der ASTA der Hamburger Universität die Räume der Universität einer Internationalen Konferenz unter dem Titel „Challenging Capitalist Modernity IV -WE WANT OUR WORLD BACK!“ in der vorlesungsfreien Zeit zur Verfügung gestellt. Diese Konferenz, ihre internationalen Dozenten und Dozentinnen und über tausend Besucherinnen und Besucher hatten die Gastfreundschaft der Universität bereits dreimal zuvor in den vergangenen Jahren genossen. In diesem Jahr untersagte der Präsident der Universität die Vergabe der Räume genau eine Woche vor Beginn der Konferenz. Zur Begründung des Verbots bezog er sich auf eine Warnung des Verfassungsschutzes, es handele sich um eine Propagandaveranstaltung für die kurdische PKK. Die PKK ist seit 1993 als Terrororganisation in Deutschland und Europa verboten.

Die Initiative für diese Konferenzreihe ging von kurdischen Studierenden aus, die auch bei der Organisation maßgeblich beteiligt waren. Die drei vorangegangenen Konferenzen waren ohne Zwischenfälle vorübergegangen. Noch ehe sich die Studierenden des ASTA sammeln konnten, reichte der Präsident eine weitere Begründung nach, die er ebenfalls vom Verfassungsschutz erhalten hatte. Es sei eine Reihe von kurdischen Vereinen identifiziert worden, die die Konferenz unterstützten und ebenfalls Verbindung zur PKK hätten. Es handelt sich um ca. 7 Vereine, die seit Jahren ohne Probleme und polizeiliche Beanstandungen ihren kulturellen und sozialen Aufgaben nachgehen. Das angerufene Oberverwaltungsgericht konnte nicht mehr rechtzeitig eine Entscheidung fällen. Es mussten schnellstens verschiedene Räume in der Stadt gemietet werden, wo die Konferenz dann in reduzierter Form stattfinden konnte.

In letzter Zeit sind Forderungen laut geworden, den Verfassungsschutz mit der Identifizierung antisemitischer und islamistischer Aktivitäten in Universitäten zu betrauen. Weitgehend unbekannt war bisher, dass die verschiedenen Verfassungsschutzämter schon seit Jahren in den Universitäten undercover aktiv sind.  Wie kann es sein, dass autonome Institutionen der Wissenschaft das zulassen und auch noch beliebigen ungeprüften Denunziationen Folge leisten?

Der Akademische Senat hat am 13. April 2023 eine Erklärung verabschiedet, in der er mit 9 gegen 3 bei 6 Stimmenthaltungen unter anderem „dem Präsidium der Universität Hamburg empfiehlt, zukünftige Versuche des Landesamtes für Verfassungsschutz, auf den Inhalt und den Ablauf wissenschaftlicher Tagungen und Veranstaltungen an der Universität Hamburg Einfluss zu nehmen, zurückzuweisen. Einstimmig wurde die Bitte des Senats an das Präsidium angenommen, „unter Einbeziehung des Akademischen Senats öffentliche Veranstaltungen zum Verständnis und der Praxis der Wissenschaftsfreiheit an der UHH zu planen und durchzuführen.“

 Zwei Jahre fand das Präsidium offensichtlich keine Zeit, diese Bitte zu erfüllen. Nun haben die Studierenden dieser Universität die Initiative ergriffen und eine solche Konferenz zur „Praxis der Wissenschaftsfreiheit“ organisiert, wofür ihnen Dank gebührt.

Was hat Wissenschaftsfreiheit mit internationaler Solidarität zu tun, kann man sie von der Wissenschaft überhaupt einfordern? Ich komme auf mein erstes Beispiel zurück, die Drohungen gegen Iran wegen des angeblichen Baues einer Atombombe in den Jahren 2007/2008. Zwei Atommächte, die USA und Israel, drohen auch heute wieder offen mit Gewalt, wenn sich der Iran ihnen nicht unterwirft. In dieser Zeit, inmitten von Kriegen, an denen die europäischen Staaten alle aktiv beteiligt sind, ist der Frieden der Kern der internationalen Solidarität und die zentrale Aufgabe der Wissenschaft, für den Frieden zu arbeiten.

Solidarität mag sich in Entwicklungs- und Katastrophenhilfe äußern. Solidarität für den Frieden verlangt jedoch mehr, sie verlangt die schonungslose Kritik an dem System, in dem wir leben, das immer wieder den Krieg aus sich hervorbringt. Sie verlangt den Mut, auch ohne Rücksicht auf die eigenen Statusprivilegien gegen die forcierte Militarisierung, gegen die unverkennbaren strategischen Vorbereitungen auf einen großen Krieg und gegen die ideologische Einstimmung der Menschen auf den Krieg, sprich „Kriegstüchtigkeit“, zu arbeiten. Das ist mehr als „Friedensforschung“, das fordert uns auf, der Schlächterei in Gaza und den Plänen einer „Endlösung“ offen entgegenzutreten.

Die Freiheit der Wissenschaft muss immer wieder erkämpft werden, und das wird uns nur gelingen als Wissenschaft für den Frieden. Das ist riskant, braucht Mut und kostet Kraft, doch nur so können wir die Freiheit der Wissenschaft sichern.

Prof. Dr. Norman Paech hielt diesen Text als Vortrag im Rahmen der Veranstaltung „Academia Under Attack. Konferenz für Wissenschaftsfreiheit und internationale Solidarität“, die am 12. und 13. April 2025 an der Universität Hamburg stattfand. Sie wurde von Lehrenden, Beschäftigten und Studierenden der Hamburger und anderer norddeutscher Hochschulen organisiert, die eine kritische, friedensorientierte und internationalistische Orientierung verbindet.

Zum Thema siehe auch das Gespräch mit Norman Paech: „Wer in der Verantwortung zu Israel steht, steht auch in der Verantwortung zu Palästina“

 

Norman Paech

Norman Paech, Jahrgang 1938, studierte Geschichte und Jura in Tübingen, München und Paris. Seine Dissertation schrieb er im Bereich Arbeits- und Öffentliches Recht. Von 1975 bis 1982 war er als Professor für Politische Wissenschaft in der Juristenausbildung der Universität Hamburg und von 1982 bis 2003 für Öffentliches Recht an der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg tätig. Von 1969 bis 2001 war Paech Mitglied der SPD, seit 2007 Mitglied Partei Die LINKE. Als MdB von 2005 bis 2009 war er Außenpolitischer Sprecher der LINKEN. Paech ist u.a. im Wissenschaftlichen Beirat von IALANA und IPPNW sowie bei attac.
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24 Kommentare

  1. Wissenschaft ler und Intellektuell: innen
    sind heute meist Wasserträger ihrer Geld geber und ihrer Arbeitgeber, vollgestopft mit Daten aber ohne Bildung.

    1. Naja. Der Druck wird über die Vorgesetzten/Universitätsleitung ausgeübt. Die wiederum wird mit drohendem Geldentzug auf Kurs gehalten. An Unis sorgt schon seit langem die Drittmittelfinanzierung dafür, dass bei allem, was dem Großen Geld nicht nutzt, sowieso Finanzierungsnotstand herrscht.

      Die Schröder-Regierung hat die Lage mit den Excellenz-Unis verschäft, die, wenn sie auf Kurs sind vermehrt Geld bekommen, das der Breitenbildung dann abgeht. Usw.

      Wir haben immer genau so viel Demokratie, wie die staatliche Funktionselite zulässt. Seit einigen Jahrzehnten – ich neige dazu, das am Zwei-Plus-Vier-Vertrag festzumachen – wird der Hahn wieder zugedreht.

  2. Deutschland ist kein Hort für gebildete Menschen.

    So war das schon in der Schule. Jegliche Schularbeiten waren politisch ausgerichtet, so dass die Arbeiten von Schülern auf etwaiges Gedankengut analysiert werden.

    Die Uni in Deutschland ist noch schlimmer. Besonders bei Deutschen Akademikern sind die schlimmsten zu verorten.

    Das sind Umgebungen die intelligente Menschen meiden sollten.

    In 100 Jahren existiert sowieso kein Deutsches Volk mehr… und irgendwelche Leute werden einen neuen heiligen Feiertag bekommen.

    Amen

  3. „Es ist schwierig, jemandem etwas verständlich zu machen, wenn sein Gehalt davon abhängt, dass er es nicht versteht!“ (Upton Sinclair). Es lebe die Wissenschaftsfreiheit…😂

  4. Danke, solche Intellektuellen sind leider Ausnahmeerscheinungen.
    Intellektuell meint ja nur, dass der Betroffene eine bestimmte Bildung durchlaufen hat und sagt nichts über seinen Verstand aus. Schopenhauer sagte dazu :
    „Natürlicher Verstand kann fast jeden Grad von Bildung ersetzen, aber keine Bildung den natürlichen Verstand.“

  5. „Deutschlands Intellektuelle sind wie Stabhochspringer, die nie abheben. Sie rennen an, sie schwitzen, sie zittern – aber springen? Niemals. Zu groß die Angst, das herrschende Dogma zu verletzen. Zu groß die Sorge, aus dem Kreis der Gleichdenkenden ausgeschlossen zu werden.
    Zu groß die Sorge, sein üppiges Staatsgehalt zu verlieren.“
    Mehr ist dazu nicht zu sagen! Solange es sich im Elfenbeinturm in Luxus leben lässt, steigt von dort kaum jemand freiwillig herab…

  6. Es waren und sind Wissenschaftler und Intellektuelle, die in „Think Tanks“, NGO… , Regierungsdienststellen die Strategien und Pläne ausgearbeitet haben, Russland zu vernichten.
    Es waren Wissenschaftler, die die Propagandastrategien ausgearbeitet haben, um die Bevölkerung „kriegstüchtig“ zu machen. Es waren Wissenschaftler, Ärzte und Psychologen, die die Foltermethoden der Geheimdienste und Militärs akribisch ausgearbeitet haben….
    All das haben diese Leute freiwillig und oft auch mit Begeisterung getan. Die Folgen ihrer Arbeiten waren und sind ihnen egal!

    1. Genau so ist es!
      Intellektuelle haben sich prostituiert – zu allen Zeiten.
      Auch Leonardo da Vinci hat sich in geradezu unterwürfiger Weise einem italienischen Fürsten als Waffenkonstrukteur angedient:
      „Allerdurchlauchtester Herr! Nachdem ich bis jetzt die Versuche aller derer genügend beobachtet und geprüft habe, die sich Meister und Erfinder von Kriegsmaschinen nennen und festgestellt habe, dass ihre Maschinen in nichts von denen abweichen, die im allgemeinen Gebrauch sind, erkühne ich mich, ohne jemand Unrecht tun zu wollen, mich an Eure Exzellenz zu wenden, um Euch meine Geheimnisse zu verraten und Euch alle die hier aufgezählten Dingen vorzuführen, wann immer es euch gefällt.“

      Quelle:
      https://overton-magazin.de/wp-content/uploads/2024/07/Nold-KeinFriedenKeineZukunft-24720sN.pdf

      S. 106

  7. Man muss sich mal vorstellen, was für ein Wahnsinn das ist, wenn ein Staat das Töten von Menschen in Friedenszeiten entweder als schwerstes aller Verbrechen bestraft oder im Kriegsfall dann verlangt.

    Der Staat schwingt sich also als Herrscher über Leben und Tod auf.

    Mit welchem verdammten Recht?

    Gleichzeitig erzählen die uns was über „Werte“, z.B. die Menschenrechte und behaupten, man müsse diese im Kriegsfall gegen den bösen Feind verteidigen. Oder die Demokratie! Denkt denn keiner an die arme Demokratie?

    Frage: Werden Soldaten eigentlich demokratisch gefragt, ob sie in den Krieg ziehen wollen?

    Komisch. Die Bilder aus der Wiege der Demokratie, die ja neuerdings in der Ukraine geboren wurde, sehen nicht so aus, als würden die Zwangsrekrutierten jubeln, wenn man sie von der offenen Straße weg gegen ihren massiven Widerstand und mit zahlenmäßiger Übermacht seitens der Feldjäger in Kleinbusse prügelt.

    Entschuldigung: Der erste Feind eines Soldaten ist sein eigener Staat, der ihn in den Krieg zwingt.

    Wieso akzeptieren das soviele Leute? Mein Naturrecht als Mensch ist das Recht auf Leben, auf Überleben, darauf niemanden töten zu müssen. Kein Staat der Welt hat das Recht, mich zum Töten zu zwingen oder mich auf ein Schlachtfeld zu schicken, auf dem ich getötet werden kann. Ich gehöre keinem Staat mit Haut und Haar und ich akeptiere es nicht, wenn so getan wird, als sei das trotzdem so! Das ist nämlich eine Lüge!

    Wieso tun die vielen sendungsbewußten Akademiker so, als hätten sie nie was vom Naturrecht gehört? Oder vom rousseau´schen Gesellschaftsvertrag? Alles vergessen, was am Anfang stand? An dem Anfang, als im Rahmen der Aufklärung plötzlich Staaten sich vor ihren Bürger zu legitimieren hatten und nicht umgekehrt?

    Was ist der Unterschied zum Gottesgnadentum absolutistischer Monarchen? Dass Staaten inzwischen selbst Gott spielen und sich nicht mehr nur auf ihn berufen?

    Man kann die Menschenrechte nicht an- und ausschalten wie einen Lichtschalter. Entweder gelten sie oder sie sind nur hohles Gelaber für Dummköpfe, denen man weismachen kann, sie müssten diese Rechte mit ihrem Leben verteidigen und zwar genau in dem Moment, in dem ihr eigener Staat sie ihnen bereits abgesprochen hat, weil dieser Staat glaubt, er könne über Leben und Tod bestimmen.

    Ich habe das Gefühl, dass viele Akademiker (Intellektuelle sind das nämlich gerade nicht!) so sehr in Narrativen verstrickt sind, dass ihnen vollständig die Klarheit abhanden gekommen ist. Nein, Krieg führen ist nicht legitim. Es ist nicht legitim, Individuen zu bestrafen für Politikerentscheidungen. Es ist nicht legitim, Menschen zum Objekt zu degradieren für staatliche Interessen.

    In Friedenszeiten würde es das Bundesverfassungsgericht empört weit von sich weisen, Menschen zum bloßen Werkzeug zu machen. Wieso sollte das in Kriegszeiten anders sein? Gelten Rechte universal oder doch nicht? Ist die Menschenwürde nicht anzutasten oder doch? Was denn jetzt?

    Was mich schon im Studium aufgeregt hat, das war diese Mentalität, die offensichtliche Widersprüche einfach hingenommen und eine fragende Studentin als ein bisschen naiv hingestellt hat, wenn die wagte, auf diese Widersprüche hinzuweisen. Ich bin aber der Meinung, dass es Voraussetzungen dafür gibt, einem Staat zu gestatten, persönliche Freiheiten einzuschränken (um z.B. das Recht des Stärkeren einzuschränken und damit Freiheit für alle zu schaffen). Aber nein, es ist nicht legitim, wenn Staatsgebilde sich selbst für wichtiger halten als das Leben ihrer Bürger. Das kann man natürlich so machen, aber dann will ich nicht die Schalmeien-Gesänge von den Menschenrechten hören. Das löst nämlich zusätzlich zum Zwang durch einen Staat, der mich zum Werkzeug seiner Macht degradiert, auch noch einen Brechreiz aus. Ich will nicht auch noch angelogen werden und das ist genau der Punkt, der mich an den sog. „Intellektuellen“ so ankotzt: Die meinen, sie könnten mit vielen Nebensätzen und Wortgeklingel verschleiern, dass die Menschenrechte ein Beschiss sind, wenn sie im Kriegsfall nicht gelten.

    Und dabei wäre es genau ihre Aufgabe, unermüdlich immer und immer wieder auf diesen Betrug hinzuweisen!

    1. Was mich zusätzlich aufregt: Jeder regt sich darüber auf, dass z.B. ein Friedrich Merz damals gegen die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe war.

      Wieso? Kann doch eine super Ehe sein und so eine kleine Vergewaltigung hin und wieder ist doch nicht der Rede wert, oder?

      Jeder würde mich für bekloppt halten, wenn ich sowas sagen würde. Zu Recht.

      Aber sorry: GENAUSO wird in Sachen Staatsgewalt und Krieg argumentiert. Ein super Staat. Demokratie und Menschenwürde und alles. Okay, hin und wieder will man sich das Recht herausnehmen, seine Bürger zum Töten und Getötet-werden in den Krieg schicken, aber sonst ist alles paletti, oder?

      1. Wieso? Kann doch eine super Ehe sein und so eine kleine Vergewaltigung hin und wieder ist doch nicht der Rede wert, oder?

        Das Problem bei diesem Thema, ist die nicht-Beweisbarkeit. Der Schuldvektor zeigt immer auf die Männer, weil die körperlich stärker sind und bringt sie damit automatisch in die Defensive. Erfahrungsgemäß gibt es aber auch eine Menge Frauen, die dieses Gefälle gern zu ihrem Vorteil ausnutzen, etwa um das alleinige Sorgerecht zu bekommen etc. mögliche Streitigkeiten gibt es massenweise, ebenso wie es psychische Störungen wie Borderline gibt.

        Eine Frau, die in der Ehe Gewalt erfährt, kann zumindest ins Frauenhaus gehen. Da innerhalb der Ehe Geschlechtsverkehr als normal betrachtet wird, lässt sich eine Vergewaltigung nur bei entsprechender Gewaltanwendung nachweisen (die m.W. sowieso verboten ist). Ich kann mich an die Debatte erinnern und auch wenn ich Merz nicht mag, halte ich die Entscheidung für nachvollziehbar.

        1. Haben Sie mein Beispiel nicht verstanden? Es geht um den Vergleich einer Ehe, in der Vergewaltigung passiert und einem Staat, der von Menschenrechten, Menschenwürde und Demokratie erzählt und dann Menschen in den Krieg schicken will.
          Weder das eine noch das andere passt zusammen.
          Nehmen Sie das Beispiel so hin, dass eine Vergewaltigung passiert ist. Wir sind hier nicht vor Gericht, es handelt sich um eine Metapher!

    2. Mit welchem verdammten Recht?

      Dem des Stärkeren, es ist ja auch nicht „der Staat“, sondern es sind eine handvoll Politiker, blöde oder gekauft, die ihre Macht aus einem hierarchisch organisierten Apparat beziehen. Ohne Apparat geht m.E. nicht, auch wenn Anarchisten gern davon phantasieren, es würde sehr wahrscheinlich nicht funktionieren.

      Wieso akzeptieren das soviele Leute? Mein Naturrecht als Mensch ist das Recht auf Leben, auf Überleben, darauf niemanden töten zu müssen.

      Rechte sind das, was andere dir gewähren oder du selbst durchsetzen kannst (die Natur gewährt gar keine Rechte, außer das des Stärkeren bzw. Fitteren). Das ist die harte Wahrheit, die man als gehirngewaschener idealistischer Westler nicht akzeptieren kann und will (geht mir genauso).

      Gelten Rechte universal oder doch nicht? Ist die Menschenwürde nicht anzutasten oder doch? Was denn jetzt?

      Es gibt nichts Universales und nichts ohne Ausnahmen. Menschenrechte werden schon eingeschränkt, wenn du einen Straftäter ins Gefängnis steckst. Die „Menschenwürde“ ist ohnehin ein Wieselwort, welches m.E. niemand genau definieren kann. Der Versuch, allen Menschen weltweit die Menschenrechte zu sichern, indem sie etwa bei uns einreisen können, führt u.U. sogar zum Gegenteil, nämlich dass hier die Rechte und Sitten erodieren und demokratische Kompromisse unbefriedigender werden (je heterogener/diverser die Positionen sind, desto kleiner der gemeinsame Nenner).

      Das Problem ist schon, dass Menschenrechte idealistisch formuliert sind und von „sonderbaren Gesellschaften“ kommen, in denen Individualismus hochgehalten wird. Schon im Islam gelten diese Ansichten nicht mehr viel:
      https://de.wikipedia.org/wiki/Kairoer_Erkl%C3%A4rung_der_Menschenrechte_im_Islam

  8. So sehr mir das Prinzip gefällt, komme ich doch nicht umhin anzumerken, dass der Wokismus auch und vor allem von den Unis kommt. Meines Erachtens hat das tiefer liegende psychologische Ursachen, Leute die in ihren Zwanzigern sind und sich für die künftige Elite halten, aber noch nicht im wirklichen Leben angekommen sind, neigen zu Neurosen aller Art, weil die Lebenserfahrung und Anerkennung noch fehlt, während die persönliche Energie ihr Maximum erreicht.

    Sowohl die Gleichschaltung unter den Nazis, wie auch die chinesische Kulturrevolution gingen u.a. sehr stark von den Unis aus. Da hatte es sich plötzlich mit Wissenschaft. Angesichts der Tatsache, dass wir mittlerweile Fächer wie „gender studies“ haben, die noch nichtmal ansatzweise ergbnisoffene Wissenschaft betreiben, sondern bestenfalls so tun als ob, lässt mich politischen Bewegungen innerhalb der Unis sehr kritisch gegenüber stehen. Dazu kommt, dass viele geisteswissenschaftliche Fächer (zumindest von außen) den Eindruck machen, dass sie zum einen käuflich sind, zum anderen aber auch sehr stark ideologisiert und nur danach trachten, ihren Confirmation Bias zu pflegen. Vielleicht täuscht das, aber die Wirkung auf die Öffentlichkeit kann jedenfalls fatal sein.

    Angesichts der finanziellen Abhängigkeit der Universitätsangestellten, den Problemen, die die Verwaltung machen kann, den Problemen, die Studenten machen können (Vorlesung stürmen, stören, mobben u.ä.) können Impulse aus den Universitäten eigentlich nur anonym erfolgen, sofern sie umstrittene Themen behandeln. Gefällt mir nicht, aber ich wüsste jetzt auch nicht, wie man das robust absichern könnte (und ob das insgesamt eher sinnvoll oder gefährlich wäre).

    1. „Dazu kommt, dass viele geisteswissenschaftliche Fächer (zumindest von außen) den Eindruck machen, dass sie zum einen käuflich sind, zum anderen aber auch sehr stark ideologisiert und nur danach trachten, ihren Confirmation Bias zu pflegen. “
      Geisteswissenschftler entwickeln weder Atombomben noch Impfstoffe und auch Klimaforschung wird primär von Naturwissenschaftlern betrieben. Die Ideologisierung ist also kein speziell geisteswissenschaftliches Problem. Nicht mal die Ideologie der Studenten ist das Problem. Auch früher waren Studenten ideologisiert. Aber Sie waren sich dessen auch bewußt und es gab und galt nicht nur eine allein selig machende Ideologie an den Universitäten, sondern verschiedene. Da hat es oft richtig gekracht und durch die unterschiedlichen Argumentationen konnte man was lernen, begreifen. Aber genau das wird heutzutage verhindert, was nicht nur zum Tod der politischen Auseinandersetzung, sondern auch der Wissenschaft führt.

  9. Man sollte die „Interlektuellen“ nicht überhöhen..
    Die Gleichschaltung der Universitäten im 3. Reich erfolgt von innen heraus, also freiwillig.
    Und eine Selbstreinigung nach 1945 erfolgte natürlich auch nicht, der Spruch „Unter den Talaren der Muff von 1000 Jahren“ kam eben auch nicht von ungefähr.

    Da muss die Kriecherei der heutigen Hochschullehrer nicht wundern.
    Wobei mal interessant wäre, ob es da Unterschiede zwischen Geistes- und ordentlichen Wissenschaften gibt.

    1. Da muss die Kriecherei der heutigen Hochschullehrer nicht wundern. Wobei mal interessant wäre, ob es da Unterschiede zwischen Geistes- und ordentlichen Wissenschaften gibt.

      Mein Eindruck ist: höchstens graduelle. Was in den Geisteswissenschaften m.E. viel stärker ausgeprägt ist, ist aber die Ideologisierung, weil die als Studienobjekt halt Mensch und Gesellschaft usw. haben, was dafür natürlich prädestiniert. In den harten Wissenschaften ist alles, was nicht im Labor praktiziert werden kann, eher verpönt, was andererseits teilweise auch zu einer starken Naivität gegenüber geisteswissenschaftlichen Positionen und gesellschaftlichen Entwicklungen führt (ich kenne das von Informatikern, außerhalb ihres Fachgebietes sind das oft leichtgläubige Schäfchen).

    2. „ob es da Unterschiede zwischen Geistes- und ordentlichen Wissenschaften gibt.“

      Meinen Sie mit ordentlicher Wissenschaft, Leute, die Impfstoffe herstellen und deren Wirksamkeit bekunden?
      Solche, die sagen, Masken würden nichts bringen und nach drei Monaten das Gegenteil behaupten?
      Solche. die an den negativen Auswirkungen von CO2 forschen, wobei gegenteilige Erkenntnisse von vorneherein ausgeschlossen werden?
      Ist z.B. Geschichte keine ordentliche Wissenschaft, weil sie nicht im Labor betrieben werden kann?
      Sind Sozialwissenschaften keine ordentlichen Wissenschaften, weil wir tatsächlich nicht im Labor leben?
      Ordentliche Wissenschaft ist jede, die nach bestem Wissen und Gewissen und mit anerkannten Methoden betrieben wird. Und genau da liegt das Problem der Wissenschaft heute. Erst wird das Gewissen eingeengt und justiert, dann das Wissen stromlinienförmig reduziert.

  10. Unerträglich ist es, wenn jemand als Pensionär mit einer stattlichen Versorgung als emeritierter Professor und ex-Bundestagsabgeordneter davon spricht, dass Akademiker in den heutigen Zeiten Mut haben sollen, „ohne Rücksicht auf die eigenen Statusprivilegien gegen die forcierte Militarisierung, gegen die unverkennbaren strategischen Vorbereitungen auf einen großen Krieg und gegen die ideologische Einstimmung der Menschen auf den Krieg, sprich ‚Kriegstüchtigkeit‘, zu arbeiten.“ Es mag in der Sache richtig sein, was Paech gesagt hat, aber die unreflektierte Selbstgerechtigkeit, die in den Worten eines Mannes zum Vorschein kommt, der als aktiver Wissenschaftler nicht unter so einem Druck hat arbeiten müssen, den er selbst in seinem Beitrag skizziert, nimmt ihm das Recht, so apodiktisch zu formulieren.

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