Wie sich Rumäniens Regierung selbst ein Bein stellte und darüber stürzte

 

George Simion. Bild: partidulaur.ro

Seit Dienstag haben die Rumänen einen neuen Ministerpräsidenten. Der bisherige Innenminister Cătălin Predoiu (PNL) folgt als Übergangspremier dem Regierungschef der sozial-liberalen Koalition Marcel Ciolacu (PSD) nach, der am Montagabend seinen Rücktritt erklärt hat.

Die Rochade ist der vorläufige Höhepunkt eines politischen Schelmenstücks, das seit Ende des vergangenen Jahres international Aufsehen erregt hat. Am vergangenen Sonntag fand es mit dem haushohen Sieg des Führers der nationalistischen „Allianz für die Vereinigung der Rumänen“ (AUR) George Simion seinen vorläufigen Höhepunkt. Es mag all jenen als warnendes Beispiel dienen, die ihre etablierte Macht durch politische und juristische Winkelzüge vor dem Machtanspruch ihrer Alternativen zu retten suchen.

Rückblende: Der 6. Dezember 2024 steht für ein in der jüngeren Geschichte präzedenzloses Ereignis. Zwei Tage vor dem entscheidenden zweiten Wahlgang annullierte das Verfassungsgericht die Wahl zum neuen Staatsoberhaupt. Die neun vor allem von Rumäniens Sozialdemokraten (PSD) und Nationalliberalen (PNL) nominierten Verfassungsrichter begründeten dies damit, der als Überraschungssieger aus dem ersten Wahlgang hervorgegangene unabhängige Kandidat Călin Georgescu habe sich verdeckter Wahlkampffinanzierung schuldig gemacht und von der Wahlmanipulation eines fremden Staates durch Online-Kampagnen profitiert. Dies insinuierte stillschweigend Russland (was sich als Deinformation herausstellte: Eine proeuropäische Partei hat die Präsidentenwahl über TikTok beeinflusst).

Die Kandidaten der Regierungsparteien PSD Marcel Ciolacu und PNL Nicolae Ciucă waren also aus dem Rennen um den Einzug in den Präsidentenpalast Cotroceni ausgeschieden. In der Stichwahl sollten am 8. Dezember 2024 der von seinen Gegnern als Faschist diskreditierte, selbsterklärte EU-Kritiker und Souveränist Georgescu und die zweitplatzierte Führerin der liberalen, als Anti-Korruptionspartei profilierten Union zur Rettung Rumäniens (USR) Elena Lasconi zur Wahl stehen. Doch dies verhinderte das Verfassungsgericht mit seiner Annullierung der Wahl.

Drei Monate später disqualifizierten die Verfassungsrichter Georgescu zudem wegen „Verletzung demokratischer Spielregeln“ für die zum 4. und 18. Mai 2025 angesetzte Wiederholungswahl. Außerdem strengte die rumänische Staatsanwaltschaft gegen ihn Strafverfahren wegen „Gründung einer faschistischen Organisation und Aufwiegelung gegen die verfassungsmäßige Ordnung“ sowie „Verbreitung falscher Informationen“ an.

Hat sich das Verfassungsgericht bei seiner Annullierung der Wahl und Georgescus Disqualifizierung für die Wiederholungswahl ausschließlich von rechtlichen Erwägungen leiten lassen? Oder suchten die Verfassungsrichter mit ihren Entscheidungen die transatlantisch orientierte Staatsführung vor ihrer EU-kritischen, nationalistisch-souveränistischen Opposition in Schutz zu nehmen?

Wie gespalten die Rumänen in dieser Frage sind, spiegeln auch die Resultate des ersten Wahlgangs der Wiederholungswahl vom vergangenen Sonntag wider. Eine gute Hälfte der Wahlberechtigten beteiligte sich an ihr. Davon votierte eine einfache Mehrheit von fast 41% für AUR-Chef George Simion. Er hatte sich im Wahlkampf ausdrücklich als Statthalter des disqualifzierten Călin Georgescu präsentiert und kündigte an, als Präsident werde er diesem jede politische Rolle übertragen, die er zu übernehmen wünsche, auch das Amt des Regierungschefs.

Als Zweiter qualifizierte sich der als liberaler Reformer geltende Bürgermeister Bukarests Nicușor Dan mit rund 21% der Stimmen für das Stechen. Er verwies mit dünnem Vorsprung den Kandidaten der Regierungskoalition Crin Antonescu auf Rang Drei, vierter wurde der frühere sozialdemokratische Ministerpräsident Victor Ponta mit gut 13%. Da sich ihre Partei URS für die Unterstützung von Nicușor Dan entschieden hatte, platzierte sich die als unabhängige Kandidatin antretende Elena Lasconi mit knapp 2,7% unter ferner liefen.

Mit einem Vorsprung von knapp 1,9 Millionen Stimmen ist George Simion nun der große Favorit für die Wahl zum neuen Staatsoberhaupt. Um ihn aufzuholen, muss sein Herausforderer Nicușor Dan auf neu hinzukommende Stimme derer hoffen, die dem ersten Wahlgang ferngeblieben waren. Auch kann er mit Stimmen der Wähler des ausgeschiedenen Kandidaten der Regierungskoalition Antonescu rechnen. Für die Sozialdemokraten erklärte PSD-Chef Ciolacu aber, seine Partei werde für den zweiten Wahlgang keine Wahlempfehlung geben.

Simion dürfte dagegen Stimmen aus dem Lager von Victor Ponta erhalten, der sich im Wahlkampf mit dem Slogan  „Romania pe primul loc“ (Romania First) nationalistisch positioniert hat.

Wie aber kam es zu der Situation, dass sich die Rumänen nun gegenüber den seit Jahrzehnten führenden euro-atlantisch orientierten Parteien PSD und PNL nun dem realistischen Szenario ihrer Ablösung durch nationalistisch-souveränistische politische Kräfte konfrontiert sehen?

 

Manipulation der proeuropäischen Parteien, die an der Macht klammern

 

„Die beiden großen Parteien der Bukarester Regierungskoalition – die (sogenannten) Sozialisten und die (vermeintlichen) Nationalliberalen – die sich in Rumänien seit Jahren Macht und Posten zuschanzen, wurden Opfer ihrer eigenen Manipulationsversuche“, schreibt Michael Martens dazu in der FAZ.

Zwar habe es im Wahlkampf zur Präsidentschaftswahl 2024, „tatsächlich systematische Manipulationen zugunsten Georgescus auf TikTok“ gegeben, so Martens, doch eine für sie „maßgebliche Rolle Russlands“ sei „nicht nachweisbar“., säßen die „wichtigsten Manipulatoren“ doch „nicht in Moskau, sondern in Bukarest“.

Martens belegt seine Thesen mit vom rumänischen Investigativ-Medium Snoop im Dezember 2024 veröffentlichten Rechercheergebnissen, über sie hatte Overton seinerzeit berichtet. Ihnen zufolge hatte die nationalliberale PNL die PR-Agentur Kensington Communication beauftragt, bezahlte Influencer TikTok-Videos produzieren zu lassen, die die Werte der Partei propagieren und auf diese Weise ihren Präsidentschaftskandidaten Nicolae Ciucă popularisieren sollten. Georgescus Anhänger aber hätten diese Video-Kampagne u. a. dadurch instrumentalisiert, dass sie in den Kommentaren zu den Clips die Botschaften und den Namen ihres Kandidaten verbreiteten. Sie hätten die PNL-Kampagne „gekapert“, klagte Kensington Communication.

Bereits im Oktober 2024 wurden Vorwürfe gegen die PSD laut, sie fordere ihrer Anhänger dazu auf, ihre Stimmen im ersten Wahlgang teilweise dem nationalistischen Kandidaten George Simion zu geben, da sie davon ausgehe, ihr Präsidentschaftskandidat Marcel Ciolacu werde sich in der Stichwahl am einfachsten gegen ihn durchsetzen können. Schließlich aber kam Simion mit 13% lediglich auf den vierten Rang und Ciolacu verfehlte als Drittplatzierter dass Stechen.

Nachdem beide Regierungskandidaten für das höchste Staatsamt „den Einzug in den Stichentscheid verpassten“, so Martens in der FAZ, „zog das Bukarester Machtkartell die Notbremse“. Die Regierung habe ih­ren Einfluss auf eine Mehrheit der Ver­fassungsrichter genutzt, „um die Wahl für ungültig zu erklären, und schob die Schuld auf Russland, das per Geheimdienstbericht als plausibler Verdächtiger aus dem Hut gezogen wurde“.

Ähnlichen Argwohn hegt Rumäniens früherer Staatspräsident Traian Băsescu. Er schrieb Ende April 2025 in zwei Facebook-Postings, die vier Wahlen des Jahres 2024 seien alle „strikt nach den Interessen der PSD und der PNL durchgeführt worden, mit dem Ziel, die Macht vollständig zu übernehmen und jede ernsthafte Opposition auszuschalten“. So glaube er auch nicht, dass die Annullierung der Präsidentschaftswahl etwas mit der Person Călin Georgescu zu tun gehabt habe.

Bis heute seien keine schlüssigen Beweise vorgelegt worden, dass sich Georgescu der ihm zur Last gelegten Taten wie etwa der Zusammenarbeit mit von Russland unterstützten Gruppen oder Aktionen gegen die verfassungsmäßige Ordnung schuldig gemacht habe, kritisiert Băsescu. Die Verfassungsgerichtsentscheidungen seien rechtlich nicht ausreichend begründet, sondern politisch motiviert.

Dass es die Kandidaten der Regierungsparteien im ersten Wahlgang nicht in die Stichwahl geschafft hatten, stellte laut Băsescu für diese „eine wahre Katastrophe“ dar, wollten sie doch „die ganze Macht“. Deshalb hätten sie „die Wahlen ohne triftigen Grund abgesagt“. PSD und PNL seien bereit, Wahlen so lange zu wiederholen, „bis das Ergebnis ihren Interessen entspricht“. Ein erster Wahlgang werde „sicherlich nicht abgesagt, wenn Herr Ciolacu in die zweite Runde einzieht. Vielleicht erst nach der zweiten Runde, wenn Herr Ciolacu nicht gewinnt“, so Rumäniens Ex-Präsident Traian Băsescu.

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9 Kommentare

  1. Ich würde allerdings sagen, die EU hat mit ihrem Versuch der Einflußnahme die größte Schlappe erlitten.
    Würde aber abwarten ob diese Wahl nicht auch wieder annulliert wird.
    Die EU und Deutschland wollen nur kriegswillige Regierungen in Europa.

    1. „…die EU hat mit ihrem Versuch der Einflußnahme die größte Schlappe erlitten.“

      Mag sein, nur: Rumänien ist wirtschaftlich eine große Null geworden. Hat sich selbst zugrunde gebracht indem sie alles was eigene Industrie, Landwirtschaft, usw. anbelangt, in den letzten 20-30 Jahren platt gemacht hat. Rumänien ist voll abhängig von EU-Geldern und sonstige „Unterstützung“. Also kann Simion noch so
      „Souveränist“ sein wie er will. Das wird er sich nicht leisten können. Er wird sich der EU beugen müssen. Eigentlich unterwerfen.
      Dazu kommt noch, dass die Amis militärisch massiv im Land präsent sind. Also wird nix mit „Souveränität“.
      Rumänien ist eine tragische Figur Europas.
      Nur scheint sie das noch nicht verstanden zu haben oder wahrnehmen zu können / wollen.

      1. Ganz hypothetisch kann Simion ja beginnen Rumänien wieder aufzubauen und auf eigene wirtschaftliche Beine wieder stellen. Das wird aber ein Vorhaben vergleichbar mit der Reform- und Öffnungspolitik, welche die VR China seit 1978 getan hat. Aber mit den kurzen Rwgierungszeiten wird das fraglich ob so ein Aufbau in Rumänien umgesetzt werden kann, wenn alle paar Jahre Wahlen sind die von außen beeinflusst werden können.

      2. Um die Wirtschaftskraft geht es da nicht. In Rumänien wird gerade unter Bruch aller Verträge mit Russland die größte NATO-Basis Europas aufgebaut. Und da in Rumänien der Staatspräsident neben rein repräsentativen Aufgaben auch administrative Befugnisse im Bereich Verteidigung hat, ist das von Bedeutung….

  2. Rumänien wird als Brückenkopf gegen Russland benötigt. Ein pro russischer Regierungschef dürfte da kaum willkommen sein. Mal sehen, was sich die Antidemokraten aus dem Hintern ziehen…
    Wenn das durchgeht, besteht noch Hoffnung, weil es beweist, dass der Arm derselben (NOCH) nicht lang genug ist.
    Aber der Kriegskurs ist inzwischen so fest in den Köpfen, dass man mit allem rechnen sollte

  3. Ist dieser Simion rechtsextrem? Dazu sind kaum Informationen auf dem Netz. Aber er ist loyal zu Călin Georgescu. Dieser nun ist seit 1993 für die UNO tätig und da immer mit dem Thema nachhaltige Entwicklung. Georgescu war von 2013 bis 2015 Präsident des Europäischen Unterstützungszentrums des Club of Rome in Winterthur. (Wikipedia). Das klingt nun überhaupt nicht nach Rechtsextremismus. Es wird geraunt, er habe Sympathien für den Faschisten Codreanu geäußert. Das wird mit keinem einzigen Zitat belegt. Ebenso wenig wie seine Nähe zu einer „orthodoxen Bruderschaft“. Das sieht danach aus, als ob hier ein Rechtsextremer von der EU zusammengebastelt würde. Was aber eigentlich stört, ist sein fehlendes Mitmachen bei der Anti-Russland-Front. Das stimmt tatsächlich.

    Insofern war das Statement von JD Vance durchaus angebracht. Um die antirussische Front intakt zu halten, werden Wahlen manipuliert. Was nun krass nach hinten losgegangen ist.

  4. George Simion ist ein Trumpianer, allertreuester Nato-Knecht, Meloni-Anhänger und Israel-Fan.
    Er ist ein Dampf-Schwätzer, der sich auf Trump und Charles de Gaulle gleichzeitig bezieht. Daran ist klar zu sehen, dass er entweder keine Ahnung hat oder auf Logik keinen gesteigerten Wert legt.

    Sein erklärtes Ziel ist, Europa zu einem neurechten Vasallistan auszubauen. Hier nachzulesen: „Rumänischer Kandidat George Simion: ‚Werde in die Fußstapfen der Trump-Administration treten'“ Im Interview mit Thomas Fasbender – Berliner Zeitung 08.05.2025
    Daraus:
    George Simion: „In den meisten außenpolitischen und internationalen Fragen werden wir uns gänzlich an unseren strategischen Partner USA anlehnen.“
    Frage: In Rumänien entsteht derzeit die größte Nato-Basis auf dem europäischen Kontinent. Würde dieses Projekt unter Ihrer Regierung weiterhin unterstützt werden?
    George Simion: „Es ist lebenswichtig für uns. Für uns, für Polen, für die baltischen Staaten. Ich bin der Einzige, der dafür sorgen kann …“

    1. Es scheint ein atlantischer, ein Nato-treuer Populismus zu entstehen, zu dem auch Simion gehört (Pseudo-Populismus). Der wird von der kriegsgeilen europäischen Elite benutzt um von den alten Populisten, die auf nationale Souveränität aus waren, Stimmen abzufischen.

  5. Es scheint doch Unterschiede zwischen dem Populismus von Simion und dem vom verbotenen Georgescu zu geben:

    Simion ist ein echter Ethnonationalist, dessen Positionen wohl die Bezeichnung „rechtsextrem“ rechtfertigen – im Gegensatz zu Georgescu, dessen Wahlkampf sich vor allem auf Wirtschaftspolitik und die geopolitische Ausrichtung Rumäniens konzentrierte. Simion hingegen steht in zentralen Fragen wie der NATO, der europäischen Integration und dem Ukraine-Krieg deutlich stärker auf der Seite des Establishments. Er steht der Europäischen Union zwar kritisch gegenüber, seine Rhetorik bleibt jedoch im Rahmen des konventionellen konservativen Euroskeptizismus und konzentriert sich eher auf Reformen als auf einen Rückzug. Er äußerte Missbilligung über Aspekte des Umgangs mit dem Ukraine-Krieg, unterstützte aber weiterhin offen die NATO und die USA und verurteilte Russland wiederholt. Seine Partei, die AUR, gehört zur Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten (EKR) im Europäischen Parlament, die für ihre atlantische Haltung und ihre uneingeschränkte Unterstützung der Ukraine bekannt ist.

    In diesem Licht repräsentiert Simion einen neuen und zunehmend verbreiteten Typus politischer Akteure: den Pseudopopulisten, der vehementen kulturellen Nationalismus mit Loyalität zum wirtschaftlichen und geopolitischen Status quo verbindet. Diese Doppelidentität macht ihn für das Establishment akzeptabel, trotz des oft mit ihm verbundenen Etiketts „rechtsextrem“. Die eigentliche rote Linie scheint nicht die kulturelle Rhetorik zu sein, sondern der Widerstand gegen globalisierte Wirtschaftspolitik und Militärbündnisse wie die NATO.
    https://www.thomasfazi.com/p/this-is-now-trumps-war

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