Wie geht es in Polen nach den Wahlen weiter?

Plenarsaal des Sejm. Bild: The Chancellery of the Senate of the Republic of Poland/CC BY-SA-3.0

Für Brüssel und Berlin wird Polen unter der neuen Regierung wieder ein freundliches Land und ein leichter steuerbarer Partner.

 

“Egal ob wir in der Regierung oder Opposition sind, unser Projekt für Polen werden wir realisieren und nicht erlauben, dass Polen verraten wird”, verkündete trotzig der Vorsitzende der regierenden PiS, Jaroslaw Kaczynski, am Sonntagabend nachdem die ersten Prognosen der TV-Sender die Wahlschlappe der PiS andeuteten. Mitglieder und Anhänger der PiS dürften die nun endgültig feststehenden Wahlergebnisse kaum zu solch kämpferischer Rhetorik ermuntern.

Denn mit 35,4 % wird die PiS zwar wieder stärkste Partei im neuen Sejm, doch gegenüber 2019 hat sie rund 8% Stimmenanteil verloren. Und nicht nur das: Bei dem gleichzeitig stattgefundenem Referendum, mit dem die PiS zukünftigen Regierungen u. a. einen “Ausverkauf des Staatsvermögens zugunsten von Ausländern” und “die Aufnahme von tausenden illegalen Migranten aufgrund von EU-Verteilungsregelungen” verbieten wollte, wurde das notwendige Quorum von 50% der Wahlberechtigten nicht erreicht.

Die große Überraschung dieser Sejm-Wahlen war mit 73,1% die für Polen außergewöhnlich hohe Wahlbeteiligung. Profitiert von dem stark emotionalisierten, von Schreckenszenarien beim Sieg des politischen Gegners durchsetzten Wahlkampf hat aber eben nicht die PiS. Mit 30,7% war es auch nur eingeschränkt Donald Tusks oppositionelle “Bürger-Koalition” (KO). Es war ein kurzfristig entstandenes Wahlbündnis unter der Bezeichnung “Dritter Weg”, das 14,4 % erreichte. “Schluss mit dem Gezänk, vorwärts!” war dessen wichtigste Botschaft.

Dieser polnische “Dritte Weg” ist ein Zusammenschluss der PSL, einer um den Parlamentseinzug bangenden ursprünglichen Partei der ländlichen Bevölkerung, und einer Gruppierung namens “Polska 2050” mit dem Journalisten Szymon Holownia an der Spitze. Holownia trat bereits 2020 unter dem Label “Polska 2050” bei den Präsidentschaftswahlen an und liess 2021 “Polska 2050” als Partei registrieren. Ende 2022 hatte “Polska 2050” 721 Mitglieder, darunter einige aus anderen Parteien ausgetretene Abgeordnete. “Polska 2050” sieht sich als “grün”, “sozial”, “liberal”, “christlich” und insgesamt “zentristisch”, vort allem aber “pro-europäisch”. Zu den “10 Versprechungen” von “Polska 2050” gehören “pünktliche und saubere Züge”, “Englisch ab der Grundschule” und der “Facharzttermin innerhalb von 3 Monaten”.

Für die Programmatik der Partei ist grundsätzlich das “Instytut Strategie 2050” zuständig. Dessen Direktorin ist Katarzyna Pelczynska-Nalecz, eine ehemalige Staatssekretärin der letzten Tusk-Regierung. Mit Jacek Cichocki fungiert einer von Tusks ehemaligen Innenministern als Berater des Instituts. Bei näherem Hinschauen wirkt “Polska 2050” also wie ein von dem britischen Soziologen Colin Crouch in seinem Buch “Postdemokratie” beschriebenes politisches Marketing-Projekt, dessen wichtigstes Ziel ist, als unverbrauchter und durch Affären nicht belasteter Koalitionspartner für Tusks KO zu dienen.

Da auch der kleinste Partner des absehbar neuen Regierungsbündnisses, die mit 8,6% in den Sejm gewählte “Neue Linke”, bislang eher durch Anpassung und Machtstreben als durch Gestaltungswillen aufgefallen ist, dürfte die Regierungsbildung relativ komplikationslos verlaufen. Die PiS wird ihre Ansprüche als stärkste Partei schnell aufgeben. Interessant könnte nur noch werden, ob die KO den eher unpopulären Tusk oder den Warschauer Stadtpräsidenten Trzaskowski als neuen Premier vorschlägt.

Für Brüssel und Berlin wird Polen unter der neuen Regierung wieder ein freundliches Land und ein leichter steuerbarer Partner. Die Polen zustehenden, aber von Brüssel wegen “fehlender Rechtsstaatlichkeit” blockierten Milliardenbeträge aus dem Kohäsionsfonds und dem Wiederaufbaufonds – ein wichtiges Wahlkampf-Thema der Opposition – werden wohl schon nach kleineren Korrekturen des Richterwahlsystems zügig ausgezahlt. Im wichtigen Bereich der TV-Medien, in dem es durch die Dualität des unter der PiS zur staatlichen Kultureinrichtung degradierten TVP und den der Opposition nahe stehenden grossen Privatsendern TVN und SAT 1 bislang in innenpolitischen Fragen Meinungsvielfalt gab, wird eher wieder Eintönigkeit einkehren. Das unter der PiS noch verschärfte, eh restriktive Abtreibungsrecht, was parteiintern als größte taktische Fehlleistung gilt, wird. wieder liberalisiert, allerdings wohl ohne Fristenregelung.

Die meisten Probleme wird die neue Regierung aber mit dem sozialpolitischen und volkswirtschaftlichen Teil des von Kaczynski beschworenen PiS-Projekts haben. Die PiS wollte Polen in beiden Bereichen an die westlichen EU-Länder heranführen. Dazu diente die Verdoppelung des Mindestlohns auf aktuell 3600 Zloty (ca. 800 Euro). Das Kindergeld wurde seit der Regierungsübernahme sogar verfünffacht und der alte Sejm beschloss gar, es ab 1.1.2024 von 500 auf 800 Zloty anzuheben. Große Konzerne mit Staatsbeteiligung, die sich speziell noch im Energie- und Verkehrssektor befinden, hat die PiS als “strategisch und unverkäuflich” deklariert. Neben den Ersparnissen der Bürger sollen sie einen nationalen Kapitalstock bilden, aus dem ehrgeizige Projekte wie der erst kürzlich mit Westinghouse vereinbarte, auch von Tusk unterstützte Bau eines großen AKW an der Ostsee finanziert werden.

In der Außenpolitik wird sich unter Tusk oder Trzaskowski an der von der PiS gepflegten schroffen Konfrontationspolitik gegenüber Russland nichts ändern. Gegenüber dem ukrainischen Nationalismus und ukrainischen Flüchtlingen wird man dagegen etwas gefälliger agieren als zuletzt die PiS. Die von der PiS stark unterstützte “3-Meeres-Kooperation”, ein Bündnis der ost-mitteleuropäischen und süd-osteuropäischer Länder mit Polen als bedeutendstem Teilnehmerland, wird an Bedeutung verlieren. Insgesamt müssen Tusk & Co nach 8 Jahren PiS aber mit einer Bevölkerung rechnen, die im Hinblick auf nationale Interessen und einen zu starken ausländischen Einfluss sensibilisiert ist. Und sie müssen wie jede Regierung darauf hoffen, dass die wirtschaftliche Entwicklung günstig ausfällt und die Inflationsrate sinkt.

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8 Kommentare

  1. “Der Besuch des Präsidenten der Russischen Föderation in Polen ist ein wichtiges Ereignis. Es tauchen immer mehr Sphären auf, in denen Polen und Russland eng und gegenseitig vorteilhaft zusammenarbeiten können.”

    Ist das aus einem Märchenbuch? Absolut nicht, das ist wirklich passiert, erst vor stark 20 Jahren. Artikel ist hier und da reiht sich aus heutiger Sicht eine Ungeheuerlichkeit an die andere:

    https://www.dw.com/de/polen-will-keine-mauer-zwischen-russland-und-dem-westen-sein/a-407354

    12 Jahre nach dem Ende des Ostblocks kamen beide Länder überein, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Der NATO-Beitritt Polens war für Putin kein Problem, da er noch nicht von aggressiv dämonisierender Propaganda begleitet wurde. Und Polen befürwortet den NATO-Beitritt Russlands!

    Wie kam es, dass heute alles anders ist? Ich kann es zeitlich nicht genau einordnen, aber irgendwann begann die EU, Polen als antirussischen Frontstaat aufzubauen. Erst einmal kaufte die deutsche WAZ-Gruppe die gesamte Presse auf und griff zu immer schärferer Rhetorik gegen Russland. Was am Ende in regelrechtem Russlandhass mündete. Der eben zu Tusks neoliberal-bürgerlicher Partei nicht passte. Russlandhass braucht eben stramm rechten Nationalismus und den hatte die PiS zu bieten. Deren Konzept ist in diesem Sinne rund und in sich geschlossen.

    Allerdings nicht ohne Nebenwirkungen. Die WAZ-Gruppe flog raus und die PiS etablierte ihre eigene Presse. Dann ist Polen der größte Nettoempfänger der EU und man musste mit ansehen, wie die PiS dem Parlament einfach das Haushaltsrecht entzog. Das Parlamentsgebäude sei zur Abstimmung ungeeignet, fand man. Dazu wurde in ein benachbartes Haus umgezogen, in dem aber nicht alle Abgeordneten Platz hatten. Eben nur die von der PiS. Kreative Demokratiegestaltung nenne ich das.

    Und dann wollten sie von Deutschland auch noch Entschädigung für WK II. Gern gesehen hingegen wurde, dass Polen Nazibataillone erlaubte und diese in NATO-Strukturen integrierte. Dagegen hatte es einst ja mal Widerstand gegeben. Lange her.

    Stabil ist das, was da jetzt in Polen regieren will, unter keinen Umständen. Lenin hätte wieder ein prächtiges Beispiel für sein Buch: “der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus”.

    Exakt das hat er darin vorausgesehen.

    1. “irgendwann begann die EU, Polen als antirussischen Frontstaat aufzubauen.”

      Ich meine die Initiative dafür ging von den Angelsachsen aus, die in der wachsenden wirtschaftlichen Kooperation zwischen Deutschland und Russland eine Gefahr für die von den USA geführten westlichen Dominanz sahen. Das war auch der Grund für die Ausbreitung der Nato nach Osten.

      1. Hm. Eigentlich ja.

        Hinzu kam die Instrumentalisierung des Flugzeugunfalls, bei dem einer der Kaczynski-Brüder ums Leben kam. Der andere hat wahrheitswidrig immer wieder die Schuld den Russen gegeben. Leider erfolgreich.

    2. Tatsächlich sahen viele poln. Unternehmen in den 90ern grosse Chancen für sich auf dem russischen Markt. Die zunehmenden geopolitischen Belastungen im Verhältnis des Westens zu Russland machten diese Hoffnungen weitgehend zunichte. Die USA vermittelten in Polen den Eindruck, dass das Land als Bündnispartner der USA in Europa eine privilegierte Rolle spielen könnte. Nach der Besetzung des Iraks wurde der polnischen Armee einer der drei Besatzungs-Sektoren zugewiesen. Bush jr. bezeichnete den damaligen polnischen Präsidenten Kwasniewski vom Linksbündnis SLD als seinem besten Freund auf dem europäischen Kontinent. Auch die in Polen stark vertretenen deutschen Medienkonzerne Springer und die Passauer Verlagsgruppe befeuerten die Ressentiments gegenüber Russland.
      Das fiel nicht schwer, denn bekanntlich ist das polnisch-russische Verhältnis historisch belastet, auch wenn es im Zusammenhang mit Katyn Versöhnungsgesten gab. Zudem ist die Vorstellung, dass Russland geschwächt und isoliert werden müsse, damit man im Raum zwischen Russland und Deutschland selbst eine gewichtige Rolle spielen kann, in Polen seit der Teilungszeit existent und wurde durch den russisch-ukrainischen Antagonismus zusätzlich belebt.

  2. Immerhin besteht jetzt die Chance, dass ein Streit, den ich seit einiger Zeit mit polnischen Verwandten und Freunden ausfechte, beendet und entschieden wird.
    Mehrheitlich vertraten die die Überzeugung, sie hätten mit der PiS die dümmste und lächerlichste Regierung in Europa, wenn das mal reicht. Das konnte ich als Deutscher , regiert vom Cumexomaten, der Außenlena und Nancy mit den nackten Armen nicht hinnehmen.
    Nun besteht die Chance, dass unsere Spitzenposition im Lächerlichkeitsranking anerkannt wird.

    Ich fürchte im übrigen, dass die Bürgerplattform, wenn sie ihren neoliberalen Überzeugungen treu bleibt, die Voraussetzungen für weitere Jahre PiS schaffen wird.

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