Wie die argentinische Regierung versucht, sich der Justiz zu entziehen

Eichmann während des Prozesses in Jerusalem 1961. Bild: GPO

Der Weg zur Wahrheit ist lang, er ist gepflastert mit Politikern und Bürokraten, die nichts mehr fürchten als eine Revision ihres Tuns. Das ist überall auf der Welt so, in Diktaturen sowieso, aber auch in sog. Demokratien samt ihrer Transparenz-Gesetze. Fall Argentinien.

 

In Buenos Aires gewann 2015 der konservativ-neoliberale Mauricio Macri die Stichwahlen und wollte sich selbst und der Welt beweisen, dass nun endlich das Zeitalter des populistsischen Autoritarismus überwunden sei und die Ära der Demokratie begonnen habe. So erließ er ein neues “Gesetz für den Zugang zur öffentlichen Information” samt Durchführungsrichtlichen und heimste international viel Lob ein. Endlich, dachte ich damals, denn die Peronisten hatten in der Tat alle Versuche eines Informationszugangsgesetzes, wie sie längst in den Nachbarländern existierten, sabotiert. Und Macris neues Gesetz war, ehrlich gesagt, gut. Ich war die erste Journalistin, unterstützt vom Klub der Auslandskorrespondenten, die einen entsprechenden Antrag stellte.

Ich hatte zuvor im öffentlichen Archiv des Außenministeriums eine Liste gefunden, in der die immer noch geheimen (“cifrado”) Telexe des argentinischen Generalkonsulats in Tel Aviv an das Ministerium in Buenos Aires aufgelistet waren, mit Datum und Registriernummer. Es ging um den Fall des in Israel als Nazi-Kriegsverbrecher verurteilten SS-Offiziers Adolf Eichmann, von dem der Mossad behauptet, ihn im Mai 1960 heldenhaft aus Argentinien nach Israel entführt zu haben. Ich halte das für eine Mär – und klage seit Jahren in der Hoffnung auf Aufklärung gegen den BND und das Kanzleramt. Ich habe es auch in Israel (dort verweist man auf die “nationale Sicherheit”) und Russland (dort wurden meine Anwälte kriminalisiert) probiert. Die USA halten bis heute ihre Dokumente vom Mai 1960 geheim, nicht einmal das US-Bundesarchiv NARA konnte daran bisher etwas ändern.

2017 beantragte ich beim argentinischen Außenministerium Kopien der Telexe vom Mai und Juni 1960. Ich verspreche mir von ihnen den Beweis, dass Eichmann freiwillig nach Israel gereist ist und vieles andere mehr. Die Behörde stellte sich stur. Wir, das heißt der Vorstand des Klubs der Auslandskorrespondenten und eine Notarin, besuchten das Ministerium. Aber die Beamten teilten uns nur mit, dass sie selbst keinen Zugang zu diesen Dokumenten besitzen; wo diese liegen können, wüssten sie angeblich nicht.

Ich beantragte im Februar Informationen über die verschiedenen Geheimhaltungsstufen und ihre Verwahrung. Denn in jeder Behörde dieser Welt fallen Dokumente mit unterschiedlicher Klassifikation ein, in Deutschland etwa “nur-für-den-Dienstgebrauch”, “Vertraulich”, “Geheim” und “Streng Geheim”, und jede dieser Einstufungen hat eigene Zugangs-Regeln. “Streng geheime” Dokumente sind besonders geschützt, ein einfacher Angestellter der Behörde hat zu ihnen keinen Zugang. Wieder noch Funkstille.

Im April 2018 reichte mein Anwalt Dante Reyes, Präsident des Korrespondenten-Klubs, Klage vor dem Verwaltungsgericht ein und beantragte die Vernehmung zahlreicher Zeugen. Die Chefin des (öffentlichen) Archivs sagte aus, dass die von mir eingereichte Liste der Telexe authentisch sei, dass sie aber nur über öffentliche Dokumente verfüge; die noch geheimen bewahre das Ministerium woanders auf. Der Direktor der Abteilung “Naher Osten” bezeugte, dass er keinen Zugang zu diesen Dokumenten habe. Meine Frage, wo sich diese geheimen Unterlagen befänden, beantwortete er nicht. Details zu dem Verfahren sind auf meiner Homepage www.gabyweber.com

Im Oktober 2020 urteilte das Verwaltungsgericht, dass mir beglaubigte Kopien dieser Telexe auszuhändigen seien. Man ging in die Revision, und es dauerte bis Dezember 2021, bis das Urteil endgültig rechtskräftig wurde. Nach den Sommerferien begann nun die zähe Auseinandersetzung um die “Ejecución”, also die Durchsetzung des Urteils. Denn eine Sache ist offensichtlich ein Richterspruch und eine andere Sache, ob sich die Behörde und die Politik an die Grundregeln der Gewaltenteilung halten.

Das Ministerium stellte sich nun auf den Standpunkt, dass diese Dokumente nicht in seinem öffentlichen Archiv liegen und daher gäbe es keine Möglichkeit, diese herauszugeben. Es bestritt gar nicht die Existenz dieser Telexe – sondern nur, dass diese sich nicht in dem öffentlichen Archiv befinden. Es tat so, als gelte das Informationszugangs-Gesetz nur für die Dokumente, die die Behörde von sich aus, in eigener Initiative, in eine Sammlung packt, um den Bürgern ihre Sicht der Dinge darzulegen, Politikerreden, Zeitungsausschnitte etc.

Ich habe jetzt das Gericht aufgefordert, das Ministerium endlich zu der Auskunft zu zwingen, wo Geheimdokumente aufbewahrt werden und diesen Ort zu durchsuchen, mit Gerichtsvollzieher und einem amtlichen Durchsuchungsbeschluss. Ich verwies auch auf das Dekret 232/92 des früheren peronistischen Präsidenten Carlos Menem, der bereits 1992 verfügt hatte, dass sämtliche argentinische Behörden ihre Dokumente in das Nationale Bundesarchiv überführen und den Bürgern zugänglich machen müssen, die mit nationalsozialistischen Kriegsverbrechern zu tun haben, vor allem wenn es sich um Nazis handelt, denen Argentinien nach dem Zweiten Weltkrieg Unterschlupf gewährt hatte.

Dieses Dekret ist immer noch gültig, und es gilt ausdrücklich und ausnahmslos auch für geheime Unterlagen. Die von mir begehrten Telexe hätten also schon damals deklassifiziert werden müssen. Doch keiner der argentinische Außenminister hat seit 1992 das getan, was in dem Dekret steht. Und der derzeitige Chef des Außenamtes, der sehr unerfahrene peronistische Santiago Cafiero, weigert sich sogar, einem rechtskräftigen Urteil Folge zu leisten. Nun bleibt es abzuwarten, wie dies die Justiz sieht.

 

Dieser, und alle anderen Prozesse auf Informationszugang, wurden und werden durch Spenden ermöglicht. Wer diese unterstützen will, kann dies tun über paypal: gabyweber@gmx.net oder über die Comdirect Bank: Iban DE53200411550192074300, BIC COBADEH055 

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3 Kommentare

  1. Tja. In der Schweiz wurden gerade Akten zu Mengele gesperrt…

    Regula Bochsler, Autorin von “Nylon und Napalm. Die Geschäfte der Emser Werke und ihres Gründers Werner Oswald” im schweizer “Beobachter”:

    “Geheimakt Mengele”
    Während der Recherchen zu “Nylon und Napalm” stellte sich heraus, dass die Mengele-Akte der Schweizerischen Bundesanwaltschaft bis 2041 gesperrt ist.
    https://nylonundnapalm.ch/user/pages/04.medien/beobachter/0%2020221010%20BEHP21_1410_Fokus_MengeleDEF.pdf

    “Was bitte ist hier schützenwert?”
    Editorial von stv. Chefredaktor Martin Vetterli
    https://nylonundnapalm.ch/user/pages/04.medien/beobachter/beo_20221014_0_0_3.pdf

  2. Der großartigste Eröffnungssatz, der mir seit langem in einem Artikel untergekommen ist:
    “Der Weg zur Wahrheit ist lang, er ist gepflastert mit Politikern und Bürokraten, die nichts mehr fürchten als eine Revision ihres Tuns. ”
    Liebe Gaby Weber, vielen Dank für diesen und die vielen anderen Artikel zu Ihrer Arbeit, und ein “Weiter so!”

  3. Argentinien:
    Das Attentat gegen die Vizepräsidentin und die lange Vorbereitung
    eines Umsturzes – 21. Nov. 2022 / von Maria Müller

    Die Untersuchungen der Hintergründe des Attentats auf die Vizepräsidentin Argentiniens, Cristina Fernández de Kirchner, fördern Erstaunliches zutage. Der direkt am Tatort mit der Waffe in der Hand festgenommene Fernando Sabag Montiel war kein Einzeltäter.

    Er gehörte einer neofaschistischen Organisation an, der „Föderalen Revolution“.

    Die Tätowierungen von Symbolen der ukrainischen Neonazis bedecken seine Arme und Hände.
    Doch es gibt weitere Parallelen.

    Die Chats zwischen den Mittätern und Unterstützern des Attentats belegen die Rolle der Neonazi-Organisation Föderale Revolution bei den Vorbereitungen des Attentats.

    Sie zeigten auf ihrer App „Cafecito“ auch Videos mit Hassreden und Aufforderungen zur Ermordung des Präsidenten Argentiniens, Alberto Fernández, der Vizepräsidentin Kirchner und ihres Sohnes Máximo Kirchner. Letzterer gilt als der politische Kopf der peronistischen Jugendorganisation La Cámpora.

    Die Untersuchungsrichterin María Capuchetti wird inzwischen wegen Befangenheit abgelehnt.

    Je mehr die Akteure im Hintergrund des Geschehens zutage treten, desto klarer zeigt sich das Panorama
    eines von langer Hand vorbereiteten politischen Umsturzversuchs.

    Neofaschistische Fackelumzüge auf Bestellung, Preislage nach Teilnehmerzahl

    Ein besonders brisantes Detail fand bei den argentinischen und internationalen Medien kaum Beachtung,

    obwohl es auf eine Verwandtschaft mit dem Geschäftsmodell der internationalen Neonazis hindeutet, besonders bekannt aus der Ukraine………………..

    Mehr über die NAZIS, die nicht nur in der Ukraine wüten…..
    https://de.rt.com/amerika/154985-argentinien-attentat-gegen-vizepraesidentin-und/

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