Werben für Kriegstüchtigkeit: „Lieber Monate Kasernendienst als Jahre im Schützengraben“

Schützengraben der ukrainischen Truppen vor der Niederlage in Bachmut
Verschlammter Schützengraben der ukrainischen Truppen vor der Niederlage in Bachmut. Bild: Viktor Borinets/mil.gov.ua/ CC BY-4.0

Nach der von Scholz angesichts des Kriegs in der Ukraine ausgerufenen Zeitenwende, die aus der geschürten oder begründeten Angst vor der „russischen Aggression“ zu einer massiven Aufrüstung und der unbedingten Unterstützung des ukrainischen Kampfes gegen Russland geführt hat, entwickelt sich nun erst wirklich eine Diskussion über den Krieg durch den Plan, eine Wehrpflicht einzuführen. Jedem dürfte schließlich klar sein, dass sich nicht genügend junge Deutsche zum Eintritt in die Bundeswehr melden werden, wenn nicht die Zeitenwende mit einer tiefen Wirtschaftskrise einhergeht, so dass die Bundeswehr attraktiv als Arbeigeber wird. Das würde dann aber auch die Finanzierung der Aufrüstung gefährden.

Erforderlich wären nach Nato-Vorgaben 80.000 Soldaten mehr, um auf 260.000 zu kommen. Stand heute: etwa 180.000. Weil aus der überalterten Bundeswehr jedes Jahr viele in den Ruhestand gehen, wären noch deutlich mehr erforderlich. Jetzt schafft es die Bundeswehr gerade, ihren Personalstand zu erhalten.

Zehntausende neue Rekruten, auch wenn sie nur eine kurze Grundausbildung erhalten, erfordern schnell den Aufbau einer entsprechenden Logistik. Gedacht wird beispielsweise an Container-Unterkünfte wie für Flüchtlinge. Je vier Soldaten sollen in einem Raum leben. 270 Gebäude für bis zu 40.000 Rekrutinnen und Rekruten werden auf die Schnelle benötigt. Genannt das G-CAP Programm (German Armed Forces Contractor Augmentation Program) soll „Kasernenbau vom Fließband“ (Pistorius) ermöglichen.

Jetzt geht es darum, wie man junge Menschen, die es trifft, während die Älteren, also die über 18-Jährigen sich zurücklehnen können, davon überzeugen kann, zur Bundeswehr zu kommen, um dann eventuell in den Krieg zu ziehen. Wird die Bereitschaft ein Fragebogen triggern? Wird eine gute Bezahlung trotz primitiver Unterkünfte und autoritärer Führung verführen? Wird körperliche Fitness zum Nachteil? Es geht ja nicht nur darum, eventuell für die Verteidigung eines Landes zu sterben, das sich nur bedingt um das Wohlergehen der ärmeren Schichten kümmert, sondern auch bereit zu sein, sich den Disziplinritualen, der Hierarchie und dem Kasernenleben zu unterwerfen. Es ist ja das Paradox, wenn man meint, Freiheit militärisch verteidigen zu müssen, dass man dies als Teil einer höchst unfreien und antidemokratischen  militärischen Formation machen muss. Die Disziplin besteht letztlich darin, den individuellen Willen zu brechen, damit Befehlen bedingungslos gehorcht wird, und die Tötungshemmung abzusenken.

Wenn man eine Wehrpflicht mit Zwang einführt, muss man sich Gedanken machen über die Gerechtigkeit der Auswahl und das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, das man möglichst erschweren kann, wie das auch im Kalten Krieg gemacht wurde. Ansonsten muss überlegt werden, wie man Freiwillige anwerben könnte, die nicht schon von Waffen, möglicher Kameradschaft, Abenteuerlust, Geld oder der Sinnsuche nach etwas Wichtiges, nach dem, was zählt, motiviert sind. Jetzt springt ein Viertel derjenigen, die sich freiwillig melden, während der Ausbildung wieder ab. Das Problem würde man nach der Wiedereinführung der Wehrpflicht nicht haben.

Eine „gelungene“ Argumentation für die Einführung der Wehrpflicht konnte man kürzlich in hartpunkt.de, eine der Militär- und Rüstungspublikationen, die in den letzten Jahren entstanden sind, unter dem Titel „Wehrpflicht – keine Kriegstüchtigkeit ohne junge Soldaten“ lesen. Waldemar Geiger schreibt zu Recht mit Verweis auf den Krieg in der Ukraine: „Auch der ‚moderne Krieg‘ hat einen unstillbaren Hunger nach jungen Soldatinnen und Soldaten. Denn auch in Zukunft müssen Systeme, egal ob Drohnen, Munitionskisten oder schwere Waffen, Tag für Tag über Kilometer hinweg von A nach B geschleppt werden. Es werden auch weiterhin unzählige Häuser und Stellungssysteme zur Verteidigung ausgebaut oder im Rahmen von Angriffen gestürmt werden.“

Das ist tatsächlich ein Problem der überalterten ukrainischen Streitkräfte, da die 18-24-Jährigen von der Wehrpflicht aus politischen Gründen ausgenommen sind, was vom Westen kritisiert wird, der auf der Erfüllung der Arbeitsteilung besteht. Zudem hat Kiew im August fast schon provokativ beschlossen, dass die 18-22-jährigen Männer ins Ausland ausreisen dürfen. Das scheint sich zu einem Exodus der jungen Männer auch nach Deutschland auszuarten, zumal allen Ukrainern die gewaltsamen Jagdszenen auf Wehrpflichtige bekannt sind. Die Versuche, junge Männer durch hohe Geld- und Karriereversprechungen in den Kriegsdienst zu locken, haben hingegen nur geringen Erfolg gehabt.

Pistorius macht sich zwar für die Freiwilligkeit stark, aber er fordert auch eine allgemeine Musterung. Dann weiß der Staat in einem Kriegs- oder Notfall, wer von den Jungen, die kriegstüchtig sind und nicht verweigert haben, eingezogen werden kann. Auf den Kriegsfall läuft auch die Argumentation in hartpunkt.de zu, denn dann ist sowieso Schluss mit der Freiwilligkeit, wie man mit Blick auf die Ukraine sehen kann (Menschenrechtsverletzungen durch ukrainische Militärrekrutierungsbeamte sind „systematisch und weit verbreitet“,). Das „Vaterland“ holt sich dann die Dienstpflichtigen, ob sie wollen oder nicht (Gewaltsame Verschleppung: Die Wirklichkeit der gepriesenen Wehrpflicht in der Ukraine). Wie weit das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung dann noch gilt, ist fraglich. Die Ukraine hat es abgeschafft, ein deutsches Gericht hat schon mal die Möglichkeit zur Abschaffung vorbereitet: BGH: Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung kann ohne Verfassungsänderung im Kriegsfall ausgesetzt werden.

Weil der Bedarf nach den Plänen bestehen bleibe, jährlich einige Zehntausend Rekruten in die Streitkräfte einzuziehen, werde ein Wehrdienst unumgänglich sein. In einem weiteren Artikel „Ja zur Wehrpflicht – lieber Monate Kasernendienst als Jahre im Schützengraben“ versucht Geiger, den Wehrdienst den Jungen schmackhaft zu machen, die ihn in der Mehrzahl ablehnen. Er macht deutlich, dass die Wehrpflicht im Kriegsfall nach dem Grundgesetz sowieso wieder eingeführt werden kann bzw. wird: „Plakativ gesprochen, würde ein rein freiwilliger Wehrdienst einen jungen Mann – denn Frauen unterliegen nach jetziger Gesetzeslage nicht der Wehrpflicht – nur vom verpflichtenden Kasernendienst im Frieden bewahren, nicht jedoch von einem Einsatz im Schützengraben, sobald der Krieg ausgebrochen ist.“

Und was muss der junge Mann machen, um nicht im Schützengraben bzw. im Krieg zu landen? Natürlich seinen Wehrdienst leisten, was denn sonst. Verblüffend einfach und schön paradox ist die Logik. Wenn man zur Bundeswehr geht und diese stark oder kriegstüchtig auftritt, wird jeder Gegner abgeschreckt, er traut sich nicht: „‘Kämpfen können und wollen, um nicht kämpfen zu müssen‘, hieß es dazu schon zu Zeiten des Kalten Krieges. Was sehr abstrakt klingt und für viele junge Menschen wenig greifbar ist, lässt sich mit einer Schulhofanalogie  veranschaulichen: Auf dem Schulhof wird nicht der Kampfsport praktizierende Jugendliche vom Schulrabauken gehänselt und verprügelt, sondern derjenige, der sich nicht wehren kann.“

Das mag teilweise so sein, aber auch die Muskelprotze prügeln sich auf dem Schulhof und nicht nur dort, um Dominanz zu erzielen oder zu erhalten. Nach der Logik, der auch unsere Regierung seit der Zeitenwende folgt, dass man sich auf den Krieg vorbereiten muss, um im Frieden zu leben, müsste die Welt im Frieden leben, wenn alle vor Waffen starren. Das war nur niemals in der Geschichte so, und wird auch nicht so kommen. Da gibt es geopolitische und ökonomische Interessen und vor allem ein Argument, das immer wieder zu Kriegen geführt hat, auch zum russischen Krieg gegen die Ukraine: In der Aufrüstungsspirale, in die die europäischen Staaten verstärkt eintreten sollen, gibt es immer den Moment, dass eine Seite geneigt ist zuzuschlagen, bevor die andere zu mächtig und gefährlich wird.

Und die andere Frage ist, um bei Deutschland zu bleiben: Wäre Deutschland vor einem Krieg sicher, wenn es bei entsprechender Ausrüstung 260.000 Soldaten und Soldatinnen sowie eine ähnlich große Zahl von Reservisten ins Aufrüstungsspiel bringen kann? Wenn beispielsweise über eine Provokation beispielsweise  Litauen und Russland aneinandergeraten, wird Deutschland dann durch die personell aufgestockte Bundeswehr vor Krieg bewahrt? Und gegen welchen möglichen Feind schützen die 260.000? Gegen Russland? Und was ist mit China oder mit China und Russland vereint? Oder mit den USA? Bundeskanzler Merz will die Bundeswehr in Konkurrenz zu Polen ja zur stärksten Armee der EU ausbauen, am liebsten wohl auch mit Zugriff auf Atomwaffen. Fürchtet er einen Angriff von einem anderen europäische Land oder soll Deutschland auch militärisch zum dominanten Land werden?

Florian Rötzer

Florian Rötzer, geboren 1953, hat nach dem Studium der Philosophie als freier Autor und Publizist mit dem Schwerpunkt Medientheorie und -ästhetik in München und als Organisator zahlreicher internationaler Symposien gearbeitet. Von 1996 bis 2020 war er Chefredakteur des Online-Magazins Telepolis. Von ihm erschienen sind u.a. „Denken, das an der Zeit ist“ (Suhrkamp 1988), „Die Telepolis“ (1995), „Vom Wildwerden der Städte“ (Birkhäuser 2006), „Smart Cities im Cyberwar“ (Westend 2015), „Sein und Wohnen“ (Westend 2020) oder „Lesen im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz“ (Bielefeld 2023)
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17 Kommentare

  1. Sterben für den Frieden, denn Frieden gibt es auf jedem Friedhof.

    Friedrich Merz (etwas abgewandelt)

    Gott schenke ihm die ewige Ruhe! Möglichst bald!

    1. abgeMerkelt, beScholzt und verBaerBockt, jz wird ausgeMerzt, mit dem Blackout-Kanzler 2.er Wahl. wir Reiten das Pferd bis es tot ist, und haben wir keines, schlachten wir es ! wir können nix, das aber richtig gut ! – hoffentlich endet dieser Witz von Kriegs-dümmlichkeit an seiner eigen idiotie, bevor die Trottel etwas versehentlich anrichten, das uns dann alle im Halse stecken bleibt.

      telegra.ph/Slava-Idiotam-11-22

      ps: https://unzensuriert.de/232936-fdp-hardlinerin-strack-zimmermann-darf-als-brechmittel-bezeichnet-werden/

    1. Ja, den Text kann man nicht oft genug wiederholen.

      Aber das „Nein“-Sagen ist allem Anschein nach schwieriger in einer Gesellschaft der opportunistischen Ja-Sager…

  2. Erste180 Grad-Wendung
    Trumps Friedensplan soll ein Fake gewesen sein, so zwe iUS-Senatoren, einer davon war Agnus King.
    Trump soll ihn angeblcih nicht gekannt haben.

    Nächste 180 Grad-Wendung
    Der Friedensplan soll doch von Trump stammen, so Rubio

    Die USA ein Irrenhaus?
    Einige Leute vermuten die Briten hinter dem Chaos.

    Mal sehen ob es morgen mehr Infos dazu gibt

    1. Der Westen hat fertig, und zwar komplett. Es weiß die linke Hand nicht, was die rechte tut. Nur wollen beide Hände gegen Russland kämpfen, jede in eine andere Richtung, und dazwischen grinst Putin.
      Mit Ablehnung des Planes oder Verunglimpfung bis zur Unkenntlichkeit, wie das unsere Feudalherren vorhaben, wird der Verlauf des Krieges und der europäischen Wirtschaft, insbesondere der deutschen, so verlaufen, wie in den vergangenen 2 Jahren, und die Ukraine wird weiter verkleinert, bis auch das schwarze Loch der Banderas, Lwiw, mit an der Reihe ist.

  3. Als ehemaliger Zwangsrekrutierter in der DDR lebten wir zu 10nt im Soldatenzimmer in einer Holzbudenkaserne. Es war die Zeit des kalten Krieges und natürlich sollte der Osten der Gute sein. Beim Härtetest mit alter, fast luftundurchlässiger, Gasmaske und Schutzanzug fielen reihenweise Rekruten um, trotz „militärischer Körperertüchtigung – MKE“. Diese „Ertüchtigung“ hat den kalten Krieg nicht beendet, und die Kampfmoral war auch nicht vorhanden. Beendet hat die Sache der wirtschaftliche Niedergang des Ostblockes. Und nun sind wir wieder soweit, und wieder auf der Seite des wirtschaftlichen Niederganges. Nichts wird helfen, weder Lockgehälter noch Zwangsrekrutierung. Die einzige Möglichkeit, aus der Scheiße rauszukommen, wäre eine neue Entspannungspolitik, die derzeit vorwiegend von den europäischen Feudalherren und -herrinnen (sie wurden nicht gewählt, sondern von ihren Parteien eingesetzt, unter Verwendung von falscher Wahlwerbung) verweigert wird. Es tut wirtschaftlich noch nicht weh genug, BRICS wird das richten.

    1. @ Wunderlich: wirtschaftlicher Nieder gang des Ostblocks ? – richtigerweise
      müsste es heißen: durch die im Ostblock
      [ vom Westen] niedergemachte Wirt schaft

  4. Fürchtet März einen Angriff [ auf D ] aus einem europ. Land ? – Wenn die grassie -rende polit-mediale Idiotie in D weiter um sich greift und epidemische Ausmaße
    erreicht, könnte es sein, dass dem lichten stein’schen Fürsten der Geduldsfaden reißt und Lichtenstein D den Krieg erklärt

  5. Fürchtet März einen Angriff [ auf D ] aus einem europ. Land ? – Wenn die grassie -rende polit-mediale Idiotie in D weiter um sich greift und epidemische Ausmaße
    erreicht, könnte es sein, dass dem lichten stein’schen Fürsten der Geduldsfaden reißt und Lichtenstein D den Krieg erklärt

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