Weg frei für Chlorhühnchen

Der argentinische Präsident Milei und US-Präsident Trump. Das Foto wurde anlässlich der „historischen Handelsabkommen“ mit Argentinien, Ecuador, El Salvador und Guatemala veröffentlicht. Bild: Weißes Haus

Argentinien unterschreibt Rahmenvertrag mit den USA über Freihandel.

 

Am Donnerstag verordnete die Milei-Regierung plötzlich Festtagsstimmung. Nach zähen Verhandlungen sei es ihr gelungen, mit der Trump-Regierung einen Rahmenvertrag über den künftigen Freihandel zu unterzeichnen. Die Minister beglückwünschten sich gegenseitig und lobten ihren Präsidenten Javier Milei über den grünen Klee; auch die Märkte dankten es: das Länderrisiko fiel, die Aktienkurse stiegen und die US-Handelskammer vor Ort sparte nicht an Lobpreisungen. Endlich sei das Land am Rio de la Plata in der freien Welt angekommen! Die parlamentarische Opposition, die Gewerkschaften und die großen Medien runzelten die Stirn, war das nicht ein „Akt der Unterwerfung“, fragte man. Aber alles in allem blieb es ruhig in Buenos Aires. Und schließlich liegen die Details des Vertrages noch nicht auf dem Tisch.

Was bekannt wurde, ist schlimm genug, für die Argentinier, nicht für die US-Industrie und vor allem nicht für Big Pharma. In 12 Punkten akzeptiert Milei die Forderungen aus Washington, die verschiedene US-Regierungen seit vielen Jahren durchsetzen wollen, nicht nur in Südamerika, sondern auch in Europa.

Erinnern wir uns an das Chlorhühnchen vor elf Jahren. Damals stand das Freihandelsabkommen TTIP mit der Europäischen Union auf dem Programm, das am Ende am Widerstand der europäischen Konsumenten scheiterte. In den großen Fabriken der US-Landwirtschaft war und ist es üblich, die geschlachteten Hühner mit Chlor zu desinfizieren, um Salmonellen und andere Keime abzutöten. In der EU ist das bis heute verboten, in Argentinien ebenfalls. Mit dem neuen Rahmenvertrag jedoch soll der Export von Chlorhühnchen an den Rio de la Plata nicht nur erlaubt werden, er verbietet sogar den nationalen Kontrollbehörden wie Anmat und Senasa eine eigene Analyse, um die angebliche Unschädlichkeit dieser behandelten Tierkadaver nachzuprüfen. Alles, was von der US-Behörde für Lebensmittel und Medikamente (FDA) für „nicht erwiesenermaßen gesundheitsschädlich“ – erklärt worden ist, wird von weiteren Kontrollen ausgenommen und sein Export erlaubt.

Während in Europa und in den meisten südamerikanischen Ländern die Unschädlichkeit eines Lebensmittels bewiesen werden muss, bevor es für den menschlichen Konsum zugelassen wird, gilt in den USA die umgekehrte Beweispflicht. Dort muss die Schädlichkeit bewiesen werden, und solange das nicht der Fall ist, ist alles erlaubt. In Argentinien etwa ist der Einsatz von Antibiotika bei der Tierzucht verboten – das wird sich nun ändern, wenn das Rahmenabkommen vom Kongress bestätigt wird und in Kraft tritt.

Dasselbe gilt auch für Arzneien. Jede Pille und jeder Impfstoff, der das FDA-Siegel trägt, gilt damit in Zukunft als ausreichend geprüft und ausdrücklich von argentinischen Kontrollen ausgenommen. Für Produkte aus den Nachbarstaaten wie Brasilien, Uruguay und Chile gelten diese Kontrollen nach wie vor. Nur die USA dürfen nunmehr ins Land bringen, was sie wollen, auch jeden Dreck, versifft mit Chlor und Antibiotika.

Gleichzeitig verpflichtet sich Milei, dass künftig das US-Patentrecht respektiert wird und dass Big Pharma seine Produkte problemlos patentieren kann. Viele Medikamente werden in Argentinien billiger hergestellt. Das Land hält sich an internationale Regelungen und nicht an die strengeren US-amerikanischen. Und was den Graubereich angeht, hat Milei, ebenso wie bei der Software, versprochen, gegen Markenpiraterie vorzugehen.

Cilfa, der Verband der nationalen Labors, gibt sich bislang bedeckt. „Bevor der endgültige Text des Abkommens nicht vorliegt, können wir dazu nichts sagen“, erklärte Cilfa der Tageszeitung „La Nación“. Lange Zeit waren in Argentinien Medikamente zu einem Bruchteil des Preises zu haben, zu denen sie etwa in Chile verkauft wurden. Das hat sich seit dem Amtsantritt des „Anarchokapitalisten“ geändert, ohne dass dies in der Öffentlichkeit thematisiert wurde. Wie gesagt, die Opposition befindet sich nicht in ihrem besten Zustand; die größte Oppositionspartei, die Peronisten, kümmert sich vor allem um den gerade eröffneten Prozess gegen die frühere Präsidentin Cristina Kirchner wegen Korruption – so, als wäre er das zentrale Problem des Landes.

Milei erfüllt praktisch alle Wünsche von Trump

Auch beim Thema Saatgut konnten sich Cargill und Monsanto/Bayer durchsetzen. Die internationale Rechtsprechung erlaubt, dass Bauern einen Teil ihrer Getreideernte für die kommende Aussaat benutzen, statt jedes Jahr neues genmodifiziertes Saatgut teuer einzukaufen. Das ist ein uraltes Recht von Bauern, das die Saatgutproduzenten schon lange abschaffen wollen. Manche Firmen bauten sogar ein Terminator-Gen ein, damit ihre Samen in der zweiten Generation steril werden. Außerdem wollten sie die Getreideexporteure zwingen, beim Export ihrer Ware die Einkaufs-Belege für das Saatgut vorzulegen. Die US-Regierungen haben sie dabei unterstützt, allerdings bisher vergeblich. Jetzt kroch Milei zu Kreuze, und in den Chefetagen von Big Pharma müssen die Sektkorken geknallt haben. Vermutlich war dieses Zugeständnis eine der Bedingungen Trumps gewesen, als er seinen Amtskollegen mit einem Währungsswap kurz vor den Oktoberwahlen vor einer drohenden Abwertung gerettet hatte.

Auch beim Kauf von Maschinen und Fahrzeugen hat Milei die Wünsche Trumps erfüllt und wird künftig dem Großen Bruder einen „privilegierten Zugang“ einräumen. Diese Worte betreffen die Chinesen, die sowohl elektrogetriebene PKWs wie Nutzfahrzeuge zu günstigen Preisen anbieten. Für sie gilt aus Gründen des Umweltschutzes eine weitgehende Steuererleichterung beim Import. US-Fahrzeuge sind deutlich teurer. Das soll nun anders werden: „Argentinien wird den Import von Autos akzeptieren, die in den USA gebaut wurden und die die US-Normen erfüllen, was Sicherheit und Emissionen angeht“, heißt es in dem Text. Eigene Vorstellungen zum Klimaschutz sind nicht mehr maßgebend, eigene Kontrollen der Fahrzeuge ausgeschlossen. Und falls in Zukunft Streitereien auftauchen, sollen diese nicht vor Ort, sondern vor Schiedsgerichten im Ausland ausgetragen werden, und diese sind meist in den Vereinigten Staaten. Das ist eigentlich keine Neuigkeit, denn auch die Vorgängerregierungen hatten diese ausländischen Schiedsgerichte bereits ausdrücklich akzeptiert.

China wird in dem Abkommen nicht erwähnt. Allerdings findet sich dort das Versprechen Mileis, dass Argentinien Maßnahmen gegen staatliche Unternehmen ergreifen wird, die die Regeln des freien Marktes nicht respektieren. Gemeint ist damit wohl weniger die EU mit ihrem hochsubventionierten Agrarsektor, sondern die Volksrepublik, denn dort haben fast alle großen Unternehmen eine staatliche Beteiligung. Buenos Aires verspricht in diesem Zusammenhang auch eine Mitarbeit beim Austausch kritischer Mineralien und eine gemeinsame Anstrengung, „um den globalen Handel mit Soja zu stabilisieren“. Was unter dieser „Stabilisierung“ zu verstehen sei, wird in dem Text nicht erklärt, denn eigentlich ist Trump ja bekennender Anti-Globalist. Aber die Argentinier werden das sicher noch erfahren, schließlich konkurrieren ihre Soja-Produzenten mit den USA auf dem Weltmarkt um Märkte.

In einem Punkt, behauptet man in den Interviews, habe Argentinien einen Vorteil aushandeln können, nämlich bei Aluminium und Stahl. Hier gilt noch ein Strafzoll von 50 %, weshalb den nationalen Produzenten Techint und Aluar einen Steuererlass gewährt worden war. Jetzt „könnte“ dieser sinken, vielleicht, eventuell – konkret wurde noch nichts bekannt.

Eile in Washington auch wegen Ecuador

In Buenos Aires wurde das Rahmenabkommen als ein außergewöhnlicher Erfolg der Milei-Administration gefeiert – auffallend war die Hektik, mit der dies geschah. Die ist wahrscheinlich damit zu erklären, dass die Unterzeichnung des Abkommens von Washington bekannt gegeben wurde, nicht von der Regierung in Buenos Aires. Offensichtlich hatte es Trump nicht einmal für nötig gehalten, seinen Amtskollegen vorzuwarnen. Denn Eile war geboten, die Bekanntgabe der Verträge nicht zufällig gewählt worden.

Am Donnerstag waren nämlich vier fast gleichlautende Rahmenverträge abgeschlossen worden, auch mit El Salvador und Guatemala sowie mit Ecuador. Dort findet am kommenden Sonntag ein Referendum über die Frage statt, ob das in der Verfassung von 2008 festgeschriebene Verbot von ausländischen Militärbasen aufrecht erhalten und ob nicht besser eine ganz neue Verfassung verabschiedet werden soll. Die alte, noch gültige verbietet im Übrigen auch die Anerkennung ausländischer Schiedsgerichte, um die nationale Souveränität zu schützen.

Die südamerikanische Pazifikküste ist für das Pentagon von strategischer Bedeutung; es will auf den Galápagos-Inseln unbedingt einen Stützpunkt errichten. Um die Volksabstimmung in seinem Sinne zu beeinflussen, stellte nunmehr Präsident Trump drei Tage vorher die ecuadorianische Bevölkerung de facto vor die Wahl: entweder die Militärbasis oder das Freihandelsabkommen. Diese Methode hatte ja schon bei den Oktoberwahlen in Argentinien so gut funktioniert. Dort hatte er, wenige Tage vor dem Urnengang, öffentlich gedroht, dass er sich aus Argentinien zurückziehen würde, wenn Milei die Wahlen nicht gewinnen würde. Das jetzt unterzeichnete Rahmenabkommen mit den USA war ein Wink mit dem Zaunpfahl. Im Falle von Argentinien hatte die Erpressung funktioniert, in New York allerdings nicht. Und ob sie in Quito funktionieren wird, werden wir am Sonntag wissen.

Gaby Weber

Gaby Weber
Weber studierte Romanistik und Publizistik an der Freien Universität Berlin und promovierte 1982 am Lateinamerika-Institut. Seit 1978 ist die Mitgründerin der taz als Journalistin und seit 1986 als freie Korrespondentin tätig, zuerst aus Montevideo und ab 2002 aus Buenos Aires. Außerdem hat sie mehrere Reportagen und umfangreiche Recherchen zur Geschichte nachrichtendienstlicher Aktivitäten veröffentlicht. 2012 erschien ihr Buch „Eichmann wurde noch gebraucht“.
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10 Kommentare

  1. Kein wird gezwungen Chlorhühnchen zu kaufen.
    Die Macht liegt immer beim Verbraucher.
    Aber das arme Opfer spielen und über den phöööösen Kapitalismus schimpfen,
    ist natürlich viiiiiiiiel schöner. 😎

    1. Dieses Märchen der Macht des Verbrauchers ist immer wieder schön. Der Einzelne hat keine Macht. Es funktioniert nur, wenn ein überwiegenden Teil der Verbraucher das Produkt ablehnt.

  2. Argentinien taugt offensichtlich nicht mal zum trumpschen Bettvorleger. Verdreckte, verschlissene Fussmatte triffts eher. Nuevo Puerto Rico am Südzipfel des Doppelkontinents.
    Das präsidiale loco Personal passt perfekt, da ein potenzieller Insasse (Gummizelle!!!) des Narrenhauses Professor, Fernsehmoderator und dann noch Staatsoberhaupt wurde.

  3. Wieviel Prozesse sind denn in den USA schon von “ Chlorhungeschädigten“ geführt worden und wieviel Mrd. Dollar sind als Entschädigung gezahlt worden ? Wenn schon ein abgebrochener Zahn beim Verzehr eines Doppelwopper bei Mc Frass zu Millionenzahlungen führt, müsste da doch richtig was raus zu holen sein.

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