Volksabstimmungen in Uruguay –  Direkte Demokratie gegen Parteien-Regime

Bild: Gaby Weber

Lange Zeit wurde Uruguay die „Schweiz Amerikas“ genannt, was nicht nur mit dem Finanzsystem, sondern auch wegen seiner Volksabstimmungen. Neuer Film von Gaby Weber.

Vor der Rentenanstalt Montevideos sammelt ein junger Mann Unterschriften. Er ist von der Gewerkschaft ATSS, der Angestellten der staatlichen Rentenkasse BPS. Besser gesagt, von dem, was von ihr übrig geblieben ist, denn im vergangenen Dezember hatte die konservative Regierung von Luis Alberto Lacalle Pou ein Gesetz verabschiedet, wonach Berufsanfänger sich im privaten Vorsorgesystem, genannt AFAP, versichern müssen. Die staatliche BPS wird nur noch die Altfälle abwickeln.

Die Uruguayer sind empört – hatten sie sich doch vor über 30 Jahren gegen eine Privatisierung ausgesprochen. In einem Referendum, mit fast 80 Prozent der Stimmen!  Jetzt sammelt die Gewerkschaft erneut Unterschriften für ein Plebiszit. Dafür braucht die Gewerkschaft bis zum 27. April 270.000 Unterschriften – zehn Prozent der Wählerschaft. Die Chancen stehen gut. Dann wird, zusammen mit den nationalen Wahlen, Ende Oktober dieses Jahres über die Zukunft der AFAPs entschieden.

Insgesamt liegen im Moment fünf Vorschläge für eine Verfassungsreform auf dem Tisch, über die in einer Volksabstimmung entschieden werden soll, Da ist zunächst das Vorhaben der Gewerkschaft für die Abschaffung der AFAPs. Plebiszit Nummer 2 soll die Regierung verpflichten, ihre Verträge mit Unternehmen öffentlich zu machen und ausländische Schiedsgerichte zu verbieten. Rechte Parteien wollen das Volk über  Wucherzinsen und die Wahl des Generalstaatsanwaltes befragen, und die Regierung über nächtliche Hausdurchsuchungen. Noch ist unklar, ob die nötigen Unterschriften zusammengetragen werden. Bisher ist nur das vom Kongress eingereichte Projekt beschlossene Sache. Laut Verfassung darf in Uruguay die Polizei lediglich tagsüber mit einem richterlichen Beschluss den Wohnraum verletzten, nicht aber Nachts. Dies soll nach dem Willen der Parlamentarier im Oktober geändert werden.

Eigentlich stand in dem kleinen Land zwischen Brasilien und Argentinien die direkte Demokratie hoch im Kurs – im Gegensatz zur repräsentativen, in der die „Volksvertreter“, einmal gewählt, machen können, was sie wollen. In repräsentativen Demokratien blühen Korruption und Lobbyismus. Es sind ja selten die Klügsten und Honorigsten, die sich um ein öffentliches Amt bewerben, um ihre Fähigkeiten selbstlos in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen. Heute wird, auf der ganzen Welt, eine negative Auslese Berufspolitiker praktiziert. Die repräsentative Demokratie befindet sich in einer tiefen Krise, was diejenigen, die davon in Form einer ansehnlichen Privilegienwirtschaft profitieren, selten zur Kenntnis nehmen wollen.

Über 240.000 Unterschriften wurden bereits gesammelt, 270.000 sind notwendig. Bild: atss.org.uy

Uruguay – die Schweiz Amerikas

Lange Zeit wurde Uruguay die „Schweiz Amerikas“ genannt. Das hing nicht nur mit dem Finanzsystem zusammen, sondern auch wegen seiner Volksabstimmungen, deren Ergebnisse zwingend sind. Theoretisch und juristisch zumindest, denn inzwischen finden die Berufspolitiker genügend Tricks, um den Willen des Souveräns zu ignorieren. Auch die linken Parteien – einst Hort von Rebellion und kollektiven Werten – spielen mit, etwa bei den Privatisierungen und dem Umweltschutz und setzen sich über die Volksabstimmungen einfach hinweg. Gewerkschaften und Öko-Gruppen stehen alleine auf weiter Flur.

„Die AFAPs wurden trotz der Volksabstimmungen vor fast 30 Jahren eingeführt“, erzählt die Gewerkschafterin Nathalie vor der Kamera – „wir hatten seitdem rechte wie linke Regierungen, die im Wahlkampf eine Lösung dieses Problems versprachen. Aber keine hat Grundlegendes geändert und sie beseitigt.“

Im vergangenen Jahr musste in Uruguay der Wassernotstand ausgerufen werden, denn die Stauseen waren leer. Offiziell hieß es, die Dürre und der Klimawandel seien der Grund. Dass private Staudamm-Besitzer das kostbare Nass gewinnbringend anderweitig verwendet hatten, war im Fernsehen selten zu hören. Aber alle erinnerten sich daran, dass sie sich nicht nur in einem Referendum mit überwältigender Mehrheit gegen die Privatisierung des staatlichen Wasserwerkes ausgesprochen hatten. Nach einer weiteren Volksabstimmung wurde sogar das Menschenrecht auf Trinkwasser im Grundgesetz verankert.

„Drei Monate lang hatte die Hälfte der Bevölkerung kein Trinkwasser“, so der Gewerkschafter Federico, „aus den Hähnen tropfte ungenießbares Wasser. Man holte Wasser aus dem Rio de la Plata und fügte große Mengen Salz hinzu. Das war passiert, weil die Trinkwasser-Versorgung von der öffentlichen in die private Hand gelegt worden war.“ Es war Präsident José Mujica gewesen, der ehemalige Tupamaro-Guerillero, der ein neues „Bewässerungsgesetz“ vorgelegt hatte, das es privaten Investoren wie BlackRock und Co erlaubte, im Landesinneren eigene Stauseen anzulegen und gewinnbringend zu verteilen, vor allem an ihre eigenen Holzplantagen und Reisfelder.

Viele Gewerkschafter haben sich inzwischen von “ihrer” Frente Amplio abgewendet, jenem linken Parteienbündnis, das sich bei den kommenden Wahlen im Oktober beste Chancen verspricht. Sie unterstützt die Volksabstimmungen nicht, jedenfalls nicht die von den Linken initiierten. Ihre Parole ist: Wählt uns, dann werden wir einen „sozialen Dialog“ einberufen, um das Problem der Altersversorgung zu lösen. Aber warum sie das in den 15 Jahren ihrer Regierung nicht bereits getan haben, verraten sie nicht. Einige werden vermutlich trotzdem bei der Frente ihr Kreuz malen, sie als das “kleinere Übel” wählen. Der Populismus konnte in Uruguay nie Fuß fassen, er steht als Ventil für den Unmut und die Wut der Bürger nicht zur Verfügung. Die Zeichen stehen auf Entpolitisierung oder auf Radikalisierung – fernab des Parteienregimes.

 

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8 Kommentare

  1. Uruguay war ja sehr bekannt über den eigentlichen Wasserreichtum.
    Na ja so ist das mit der Schweiz, Uruguay, Libanon und sehr viele andere Staaten die einstig einen medialen Ruf genossen, um ihre willigen Anleger zu erhalten.
    Das mal wieder B&R oder seine Vertreter auf der Bühne erscheinen, zeigt letztendlich wer Macht ausübt und wen kontrolliert. Es lebe die demokratische Simulation.

  2. Der Schweizer schätzt das plebiszitäre Element und ist vielleicht das demokratischste Volk der Welt. Kurios: wenn die Schweizer einen Volksentscheid machen, richten sich die Politiker auch nach dem Ergebnis. Das ist für Berliner nur schwer nachvollziehbar.
    — Horst Evers

    und wohl auch für Uruguayer.
    Ein schlauer Kopf hat mal gesagt: “Die beste Kur für Probleme der Demokratie ist mehr Demokratie.”
    Das Parteien-Establishment ist immer bestrebt die Volksrechte zu kastrieren. Deswegen muss man permanent für mehr echte (direkte) Demokratie kämpfen. Auch und gerade da wo man noch Volksrechte hat. Sonst wird einem eben auch noch der letzte Hauch einer Chance genommen, sich gegen ein korruptes System zu wehren – so wie es in Deutschland seit dem institutionellen Rollback gegen mehr (direkte) Demokratie Ende der 1990er/Anfang 2000er Jahre der Fall ist. Auch der Fall Uruguay zeigt wie sehr dieses Land eine unbahängige, direktdemokratische Bewegung nötig hat, speziell was die Bindungswirkung und Einklagbarkeit von Volksentscheiden gegen korrupte Politiker ist. In Deutschland wurde übrigens in Schleswig-Holstein die Rechtschreibreform per Volksentscheid abgelehnt. Nach der Wahl wurde sie in trauter Allparteienkoalition gegen den Willen des Volkes doch durchgesetzt. In diesem Land haben die Politiker und Parteien nicht mehr Respekt vor dem Willen des Volkes als in Uruguay.

    “Wir können uns nicht vorstellen, dass es auch nur irgendeine
    Frage egal auf welcher Ebene geben könnte, bei der wir nicht das letzte Wort haben.”
    Eröffnungstatement der schweizerischen Moderatorin, Dr. Katja Gentinetta auf der Demokratiekonferenz 2013 in Stuttgart
    darauf der deutsche Moderator:
    “Hm, ja, das ist bei uns anders”

  3. Wie das ausgeht mit der privaten Rente, wissen wir aus Chile. Diktator Pinochet tat genau das: Auflösung der staatlichen Rentenversicherung zugunsten einer privaten. Was bei uns dann massiv beworben wurde: der chilenische Beitragszahler bekäme Zinsen für seine Einlagen, während dem deutschen diese vorenthalten würden. Aber so ein Beschäftigter arbeitet eben 45 Jahre und während dieser Zeit darf die Private nicht pleite gehen. Tat sie aber und das Ende vom Lied war, dass 40 Prozent der chilenischen Rentner kein Einkommen hatte. Warum soll das im Jahr 2024 anders verlaufen?
    Hintergrund des Ganzen ist wahrscheinlich, dass diese AFAP jetzt schon in Schwierigkeiten ist. Durch die jetzt hinzukommenden Beitragszahler wird sie wahrscheinlich zu einem Schneeballsystem. Das allerdings hiermit an seine Grenze gestoßen ist. Mehr Schneebälle kommen jetzt nicht mehr.
    Es wird nun das Referendum gelobt, aber hätte es nicht genügt, wenn die Uruquaier eine Linksregierung gewählt hätten? Dann ist man wenigstens vor solchem Unsinn oder auch dem mit dem Wasser geschützt. Die Autorin sieht hier keine geeignete Partei, aber irgendwie sollte das ja mal klappen. In den Nachbarländern hat es ja auch funktioniert.
    Nicht im benachbarten Argentinien, zugegeben. Dieser Fernandez war eben zu passiv und zu farblos. Nun haben sie diesen Milei. Dem kann man jetzt schon das Prädikat “pädagogisch wertvoll” verpassen. Der wird auch dem letzten Südamerikaer klar machen, was für ein Schwachsinn der Neoliberalismus ist.

    1. Milei ist ein passendes Beispiel, dass alte, weiße, rechte Männer sehr proisraelisch sind.
      Zionismus als Scheißhaufen, der die Aasfliegen anzieht.

      1. Ach, der Kater plappert nur nach was Phineas ihm beigebracht hat. Letzteres ist mittlerweile selber ein alter, weisser Mann, und sorgt sich um Rente und Krankenversicherung…

        1. Er hat einen Punkt: Rechte Diktatoren in Lateinamerika waren immer big buddies mit Israel wie eben Milei oder Bukele heute, die mit Israelflagge rumrennen.

          Artur C, unser Altlinker mit Israelschwäche, könnte sich ja mal überlegen warum?

          Warum mögen die sich so? Hat Israel damals wie heute Militärdiktatoren geholfen? Mit Waffen, Geld, Polizei- und Militärtraining? Oder wenn man sich Oligarchenclans in Lateinamerika anschaut, findet man doch immer wieder Weiße mit israelischem Pass, häufiger natürlich noch mit US-Pass.

          1. Nur mal als Anmerkung: Auf mehreren Migranten Webseiten, also für aus DE emigrieren wollende Deutsche, findet sich der Nachbar Paraguay ganz oben auf der Liste. Uruguay wird zwar auch gelegentlich positiv erwähnt, hat aber zu viel unschöne Seiten… Künftige Fluchtländer sind ja schon ein wenig aktuell, da es nicht so aussieht als könnten die nächsten Bundestags Wahlen etwas ändern…. 🙂

  4. Rentenversicherung via Aktien, wenn Deutschland das sogar für sinnvoll hält….
    von einer SPD geführten Regierung.

    Volksabstimmungen muss was ganz schlimmes sein. Die hat unter Politikern anscheinend keiner gerne.
    Aber zum Glück sind Volksabstimmungen in Deutschland nicht möglich, weil wir so ein großes Land sind, das wäre viel zu teuer, sagen unsere Politiker.

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