Virtuelle Realität ermöglicht Ausflüge aus der Isolationshaft

 

 

Häftling in einem „therapeutischen Modul“ mit VR-Headset. Bild: Sam Richardson/Courtesy of Creative Acts

Technik als Heilmittel wird kalifornischen Gefängnisinsassen angeboten, um Isolationshaft besser auszuhalten und weniger Verstöße gegen die Gefängnisordnung zu begehen. Virtual Reality (VR) dient dabei zur Simulation eines Ausbruchs aus der Zelle in das wirkliche Leben außerhalb der Mauern. Das erinnert an Platons Höhlengleichnis, wo den in der Höhle Eingeschlossenen eine Illusionswirklichkeit vorgespielt wird. Begonnen wurde damit, Gefangene vor ihrer Freilassung auf die gesellschaftliche Wirklichkeit außerhalb vorzubereiten, um dann die Gefangenen in Isolationshaft – zynisch? – virtuell einen Ein-oder Ausblick in den Alltag ohne Gitter zu bieten.

Die USA – land of the free –  haben bekanntlich mit über 1,8 Millionen von 340 Millionen Einwohnern absolut die weltweit größte Gefängnispopulation. China konkurriert auf dem zweiten Platz mit 1,6 Millionen Gefangenen bei einer Bevölkerung allerdings von 1,4 Milliarden. Bezogen auf die Bevölkerung liegt allerdings El Salvador an der Spitze, wo ein Massengefängnis gebaut wurde und das sich den USA zum Outsourcen von Gefangenen anbietet. Aber die USA stehen nach Kuba, Ruanda, Turkmenistan und Amerikanisch-Samoa immerhin an fünfter Stelle.

Die USA sind aber auch mit an vorderer Front bei den Gefangenen, die in Isolationshaft gehalten werden. Über 120.000 Gefängnisinsassen oder 6,28 Prozent der Gefangenen sollen 22 Stunden und mehr 2019 in Isolationshaft eigesperrt gewesen sein. Ein Viertel davon waren über Jahre in Insolationshaft, 4 Prozent mehr als ein Jahrzehnt. Das sind Zahlen vom  Bureau of Justice Statistics des Justizministeriums.

Isolationshaft bedeutet nicht nur, keinen Kontakt zu anderen Menschen zu haben, sondern mitunter auch in kleinen Zellen ohne Sonnenlicht eingesperrt zu werden. Dass auch in Deutschland willkürlich Häftlinge in fensterlosen „besonders gesicherten Hafträumen“ nackt und ohne Matratzen wochenlang eingesperrt werden, zeigte der Skandal in der JVA Augsburg-Gablingen. Man weiß, dass Isolationshaft schon nach kurzer Zeit psychische Traumata hinterlassen  und für längere Zeit nicht nur schwere psychische, sondern auch körperliche Schäden bewirken kann.

Gefangene mit VR-Headset sollen lernen, wie sie in der Welt außerhalb des Gefängnisses zurechtkommen. Bild: California Department of Corrections & Rehabilitation

In Kalifornien bemüht sich die Initiative Creative Acts Häftlinge, die viele Jahre, auch Jahrzehnte hinter Mauern verbracht haben, auf das Leben in Freiheit in einer Gesellschaft vorzubereiten, die sich seit der Inhaftierung stark verändert hat (VR Reentry Training Program). 60 Prozent der Menschen, die ihre Haft verbüßt haben, werden wieder inhaftiert. Im Kern geht es darum, mit Virtual Reality (VR) stressvolle Szenen zu erleben und durchzuspielen, die auftreten können, um zu lernen, wie man damit umgehen und seine Emotionen im Zaum halten kann. Dazu wird dann auch Kunst (Gedichte, Zeichnen/Malen, Theater etc.) eingesetzt. Die Häftlinge erhalten Oculus Virtual Reality (VR) Headsets, um in die Szenen einzutauchen und können sich frei in dem Raum bewegen.

Mittlerweile wird VR auch für Gefangene im Corcoran State Prison in Isolationshaft eingesetzt. Dabei dürfen sie ihre 1,8 x 3,3 Meter großen Zellen verlassen und werden in noch beengendere  „therapeutische Module“ in Größe einer Telefonzelle gebracht. In diesen Metallkäfigen werden sie auf einem Stuhl sitzend mit Hand- und Fußschellen angekettet und erhalten den VR Headset, um sich aus der Gefängnisrealität zu katapultieren. Sie erleben in vierstündigen Sitzungen sieben Tage lang Szenen aus dem Alltag, sehen sich aber auch auf Ausflügen nach Paris oder beim Paragliding. Beispielsweise können sie eine vierminütige virtuelle Reise nach Thailand machen, auf einem Boot fahren oder über einen Markt spazieren, wie das kürzlich im Guardian beschrieben wurde.

Bild: Creative Acts

Das mag die Käfiginsassen unterhalten, man sollte aber meinen, sie würden ihr derart eingesperrtes Dasein noch viel schlimmer erleben, als wenn das Außen ausgeblendet bleibt. Ziel der Übung sei nicht, so Creative Acts, „jemanden zu therapieren oder zu diagnostizieren; es geht darum, ihnen die Mittel an die Hand zu geben, damit sie in einem ansonsten repressiven Umfeld ihre eigenen Emotionen fühlen und wahrnehmen können“. Angeblich sollen die Verstöße gegen die Gefängnisordnung bei den Gefangenen in Einzelhaft aus dem VR-Programm drastisch zurückgegangen sein. Möglicherweise hilft es also, den eingesperrten Alltag nicht besser, aber mit weniger Verzweiflung und Wut zu ertragen, man könnte auch sagen, sich mit dem Gefangenendasein in Isolation abzufinden.

Ich stelle mir allerdings umgekehrt ein VR-Projekt als äußerst lehrreich vor, bei dem die Menschen in Freiheit über Stunden erleben könnten, wie es ist, sich in Einzelhaft in einer winzigen Zelle ohne Fenster und unter starker sensorischer Deprivation vorzufinden.

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14 Kommentare

  1. Wenn man die Zahlen recherchiert kommen bei drei Quellen drei unterschiedliche Ergebnisse raus. Mal sind die USA ganz vorne, mal El Salvador. Mal ist Cuba mit vorne, mal taucht es gar nicht auf. Und bei einer Quelle liegt Russland gleich hinter den USA. Das zeigt, dass derlei Statistik schwachsinnig ist. Wer weiß, was da als Quelle angegeben wird.

  2. Warum wird das gemacht, wenn doch bekannt ist, dass man einen Menschen damit regelrecht kaputt machen wird?

    Eben drum. Der Gefangene wird auch nach seiner Entlassung kaum in der Lage sein, sich über Wasser zu halten. Er landet wieder im Gefängnis. Und genau das ist die Absicht des Betreibers. Ein privatisiertes Gefängnis wird niemals eine Resozialisierung anstreben. Mehr Gefangene bedeuten mehr Profit. Das ist der Grund für dieses Handeln.

    Der Strafvollzug darf niemals privatisiert werden. Wenigstens das wurde uns bisher erspart.

    1. „Der Strafvollzug darf niemals privatisiert werden.“
      Sehe auch so. Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe.
      „ Wenigstens das wurde uns bisher erspart.“
      Da haben Sie echt was verpasst

  3. Allein diese Fotos wirken wie aus einem Horrorfilm.
    Diese Gefangenen sind Versuchskaninchen.
    Wer lässt sich solche Begriffe wie „therapeutisches Modul“ einfallen für einen engen Käfig, in dem der Gefangene sitzt und angekettet ist?
    Heute kam die Meldung rein, daß in South Carolina ein Gefangener per Erschießungskommando hingerichtet wurde.
    Er „durfte“ zwischen Giftspritze, elektrischem Stuhl und Erschießungskommando wählen.
    Das nennt man Wahlfreiheit.
    Das sind die USA.

    1. @Eric Meyer: „Heute kam die Meldung rein, daß in South Carolina ein Gefangener per Erschießungskommando hingerichtet wurde.
      Er „durfte“ zwischen Giftspritze, elektrischem Stuhl und Erschießungskommando wählen.
      Das nennt man Wahlfreiheit.“

      Super, das ist gelebte Demokratie! *Zynismus-Modus off*

  4. Hmm, interessant, eine Simulation um aus dem Gefängnis auszubrechen? Wenn man es auch noch annähernd real gestaltet, erhält man damit die Schwachstellen des Gefängnis und Einblicke in die Phantasie mit der Ausbrüche geplant würden. Die Insassen sorgen somit selbst dafür dass das Gefängnis ausbruchssicher wird und sind gleichzeitig so damit beschäftigt, dass sie keine Zeit haben, Probleme im Gefängnisbetrieb zu verursachen. Ausserdem bekommt man noch Einblicke wie sie sich verhalten würden, wenn der Ausbruch gelingt, sind also nachher leichter aufzuspüren.

    Da die Welt mittlerweile so zynisch und kalt geworden ist, halte ich diese Überlegung für möglich.

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