Verstecken Regierungen geheime Akten … ?

 

 

Magazinraum. Bild: Bundesarchiv, B 198 Bild 2017-0202-006/Nobel, Jürgen

 

… und wenn ja, wo?

 

Fast alle sich „demokratisch“ nennende Staaten haben Informationszugangsgesetze erlassen, in Europa war Deutschland einer der letzten. Erst 2006 trat das IFG gegen heftige Widerstände in Kraft und wurde dann 16 Jahre lang von der Merkel-Regierung ausgehebelt.

In Argentinien dauerte es noch länger. Die Peronisten wollten sich nie kontrollieren lassen, und erst die konservative Macri-Regierung verabschiedete 2016 das Gesetz 27.275, öffnete aber keinesfalls ihre Archive. Und die folgenden Regierungen änderten daran nichts. Allerdings wurden jetzt in Buenos Aires bekannt, wie das System funktioniert. Aber der Reihe nach.

Aktenverstecken in Deutschland

Das IFG regelt die allgemeine Auskunftspflicht der Behörden, ausgenommen sind die Geheimdienste. Allerdings gibt es da noch das wenig beachtete Bundesarchivgesetz (BarchG) von 1988, laut dem alle Behörden, ihr Schriftgut dem Bundesarchiv übergeben müssen, das entscheidet, was für die Geschichtsschreibung relevant ist. Das gilt auch für die Geheimdienste, stellte das Bundesverwaltungsgericht 2010 in meinem Prozess auf Offenlegung der BND-Akten über den SS-Mann Adolf Eichmann klar.

„Die Schutzfrist für Archivgut beträgt grundsätzlich 30 Jahre. Unterliegen Unterlagen der Geheimhaltung, beträgt die Schutzfrist 60 Jahre (§ 11 Abs. 3). Ausnahmen von der Schutzfrist gelten für Personen der Zeitgeschichte und können durch das Bundesarchiv unter Umständen verkürzt werden“. (Wikipedia)

Eigentlich müssten also nach 60 Jahren alle Unterlagen offengelegt werden, das passiert aber nicht. Bis heute lagern Kanzlerakten nicht im Koblenzer Bundesarchiv, wo sie laut Gesetz hingehören, sondern bei den (privaten) Parteistiftungen wie der Konrad-Adenauer-Stiftung oder im Keller von Maike Kohl-Richter. Die Justiz hat das, bis hin zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte abgesegnet – obwohl es ausdrücklich dem Gesetz widerspricht.

Eine andere Möglichkeit des Aktenversteckens besteht darin, das Bundesarchiv anzuweisen, einige Dokumente über die 60-Jahre-Schutzfrist hinaus für „geheim“ zu erklären und der Öffentlichkeit zu verweigern; diese Dokumente werden in Hangelar gelagert. Die Ampel-Regierung hatte zwar in ihrem Koalitionsvertrag eine maximale Schutzfrist von 30 Jahren versprochen, aber keine der drei Parteien rührte auch nur einen Finger, um das umzusetzen, auch nicht die Grüne Claudia Roth, die dem Bundesarchiv Anweisungen erteilt. Ich habe gegen diese Praxis geklagt, bisher aber verloren, die Sache liegt beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.

Aktenverstecken in Argentinien

Auf Zugang zu den Eichmann-Akten des argentinischen Außenministeriums klagte ich ab 2018 auch in Buenos Aires. Der Mossad brüstet sich damit, denn SS-Mann von dort 1960 entführt zu haben – eine Version, die ich nach jahrelanger Archiv-Arbeit bestreite.

Im Prozess verlangte ich die Vorlage der Telexe zwischen dem Konsulat in Tel Aviv und dem Ministerium in Buenos Aires. Die Existenz dieser chiffrierten Kabel kann ich beweisen, daran besteht kein Zweifel. Das Ministerium behauptete, es besitze nur die Unterlagen, die in seinem öffentlichen „Historischen Archiv“ aufbewahrt seien und ignorierte meine Frage, wo die geheimen Papiere lagern. Zeugen wurden gehört, und alle drei Instanzen der Verwaltungsgerichtsbarkeit verurteilten das Außenamt zur Vorlage. Nach fast vier Jahren wollte das Ministerium plötzlich festgestellt haben, dass „jemand“ diese Unterlagen gestohlen habe und kündigte eine Untersuchung an, wie das geschehen konnte.

Ein halbes Jahr lang passierte gar nichts. Dann stellte ich Strafanzeige gegen Unbekannt. Zunächst wollte mich der neue Strafrichter nicht als Nebenklägerin akzeptieren. Einspruch. Gewonnen. Dann legte ich eine lange Liste mit Beweisanträgen vor und forderte Auskunft über die Aufbewahrung von Geheimdokumenten. Ablehnt. Einspruch. Gewonnen. Wieder wurden Zeugen gehört, zunächst die derzeitige Archivleiterin, eine junge und verunsicherte Frau, die offensichtlich Angst um ihren Job hat. Präsident Javier Milei hatte erst vor einigen Wochen seine Außenministerin entlassen und weitere Säuberungsaktionen angekündigt. Die Beamtin behauptete in ihrer Aussage, dass ihr Historisches Archiv die einzige Sammlung der Behörde sei, es gäbe weder ein Geheimarchiv noch verschiedene Geheimhaltungsstufen, die jeweils separat gelagert würden – so, wie es in so ziemlichen allen Verwaltungen dieser Welt passiert.

Wenige Tage später sagte die frühere Archivchefin aus, eine Kennerin der Materie. Sie hat ihre Magisterarbeit zu diesem Thema verfasst. Darin werden die entsprechenden Dekrete und Anweisungen für die verschiedenen Geheimhaltungsstufen aufgelistet, es geht von vertraulich bis geheim und die höchste ist “Nur dem Außenminister vorzulegen”. Dies bestätigte sie ausdrücklich in ihrer Zeugenaussage. Diese Dekrete sind noch geheim, und mit ihnen wird endgültig klar, dass das, was die Behörde freiwillig in ihr Historisches Archiv schickt, nur ein kleiner Teil ist, Verlautbarungen, Pressemitteilungen, Wahlreden usw. Das Interessanteste will sie, entgegen der Gesetze und entgegen der Anordnungen der Verwaltungs- und Strafgerichtsbarkeit, weiterhin verstecken.

Nun habe ich die Vorlage dieser Anweisungen sowie erneut den kompletten, noch geheimen Schriftverkehr in Sachen Eichmann beantragt. Die Regierung will dies auf jeden Fall verhindern. Zum Einen, weil der Präsident und sein neuer Außenminister Gerardo Werthein (der seinen Amtseid auf die Tora abgelegt hat) bedingungslos Benjamin Netanjahu unterstützen. Eine Freigabe würde die jahrzehntelange Fake News des Mossad widerlegen. Außerdem stört sich der sich als „libertärer Anarchokapitalist“ bezeichnende Milei gegen alles, was mit Transparenz zu tun hat. Nicht nur wegen der zahlreichen Korruptionsskandale seiner Verwaltung, sondern auch wegen seiner geliebten Hunde.

Ein Journalist hatte Auskunft verlangt, ob die in der Präsidentenresidenz Olivos neu errichteten Zwinger mit Steuergeldern finanziert worden sind – oder aus seiner privaten Schatulle. Milei verweigerte die Auskunft und erließ im vergangenen September das Dekret 780/24, das das Informationszugangsgesetz einschränkt. Er will selbst bestimmen, was von öffentlichem Interesse ist und was nicht.

Eigentlich ist ein Gesetz nicht durch ein Dekret, sondern nur durch ein neues Gesetz zu begrenzen. Kein Wunder, dass mehr als 60 Organisationen dieses Dekret als verfassungswidrig bezeichneten. Umso interessanter ist nunmehr, ob die Regierung offenlegen wird, welche Geheimhaltungsstufen existieren und wo diese sensiblen Papiere aufbewahrt werden. Denn die Durchsuchung dieser Orte habe ich bereits beantragt. Laut Beschluss der Strafkammer und der Verwaltungsgerichte muss sie dies offenlegen, zumindest im Fall Eichmann.

 

Die hier erwähnten Prozesse wurde mit Spenden finanziert. Wer dies unterstützen will, kann dies hier tun:

Comdirect Bank:  IBAN DE53200411550192074300, BIC COBADEH055.

Über Paypal: gaby.weber@gmx.net

Gaby Weber: Drei Kreise des Abgrunds. Wie der Bonner Staat kriegstüchtig wurde – Adolf Eichmann und der Zionismus – Die Machtergreifung des Militärisch-Industriellen Komplexes. Erschienen Oktober 2024. Verlag Die Buchmacherei, 16 Euro. ISBN 978-3-9826199-3-4

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23 Kommentare

  1. Natürlich verstecken Regierungen geheime Akten, sonst wären sie ja nicht geheim aber vermutlich haben inzwischen alle Bundesbürger ihre eigene Geheimakte, die sie in informationstechnologischer Form mit den Aufsichtsbehörden dieses Planeten, teils auch in unterbewusst privatwirtschaftlicher Weise teilen, da sich der Informationskreislauf inzwischen dank künstlicher Intelligenz längst verselbstständigt hat.

    Es besteht dennoch Hoffnung: Arten, die bereits vor ihrer Entdeckung ausgerottet wurden, bedürfen keinerlei Schutzmechanismen. Darüber, dass Tesla Muscle oder Vladissimus Blutin oder irgendeine andere durchgeknallte Charge zu wenig Futter zwischen die Beißerchen bekommen könnten, muss sich auch niemand wirklich sorgen. Wo soll die Reise hinführen, außer in das totale Chaos. Haben Sie, Frau Weber, eine Zukunftsvision?

    1. ‘die Bevölkerung’ im Allgemeinen kann niemand ‘verstören’, weil sie längst nicht mehr auf neuronale Stimulation reagiert. Du bildest da eher noch die Ausnahme von der Regel. Die Masse der Bevölkerung bekommt da normalerweise nichts von mit, weil ihre Frontallappen bereits durch Handystrahlung verödet wurden, worduch die KI jetzt leichtes Spiel mit der Restintelligenz hat. Der Beitrag von Frau Weber war trotzdem mehr als gerechtfertigt, nur entsteht in mir daraufhin das unwiderstehliche Verlangen, das ganze Thema vollkommen lächerlich zu machen, zumal es das inzwischen auch ist. Kaum ein Individuum innerhalb dieser Hammelherde schert sich noch um Datensicherheit.

      1. Das ist sicherlich auch richtig.
        Nur, um das “Narrativ” aufrecht zu erhalten ist es schon vonnöten, dass nicht all zu viel Aufrührerisches das Licht der Welt erblickt. 😉
        Gerade was den Klimahoax betrifft und darum geht es wohl augenblicklich, wäre es doch Fatal, wenn die Leute rausbekommen würden das bspw. Windräder mehr kosten als sie je Strom liefern können.
        Abgesehen, vom 3.Weltkrieg natürlich, aber der ist m.E. eh unvermeidbar, ™1974 so lange wir dem Kapitalismus frönen.

    2. Ich vermute, dass Behörden auf der ganzen Welt ähnlich ticken und wie so eine Art Akten- Messi funktionieren. Es fällt ihnen schwer, das einmal zusammengetragene wegzuschmeissen, also zu vernichten. Das pasiert dann nur, wenn Verfolgung droht. Das aber ist bei den Akten zum Fall Eichmann auszuschließen. Da geht es dann um ein phantasietes nationales Interesse oder noch alberner, das nationale Ansehen.
      Letzteres finde ich ausgesprochen lustig, wenn es um das Ansehen Deutschlands in der Welt geht. Jedes öffentliche Auftreten unserer gegenwärtigen Außenministerin, jeder Staatsbesuch scheint mir in dieser Hinsicht gefährlicher.

      Das Offenlegen der Allen, was immer man darin lesen kann – die Autorin formuliert da ihre Erwartungen – es wird nirgends zu einer Staatskrise führen. Nicht mal zu Irritationen.
      Was aber deutlich wird, ist, wie weit die Rückkehr zum Obrigkeitsstaat bereits vorangeschritten ist. Eine längst außer Kontrolle geraten Administration entscheidet, was Untertanen erfahren dürfen.

  2. Der Umgang mit Archivgut ist definitiv ein Gradmesser für Demokratie. Jeder möge daraus seine eigenen Schlüsse ziehen… Danke Frau Weber für Ihre Unermüdlichkeit! Mutige Leute wie Sie sind nötiger denn je.👍

  3. Ein funktionierendes IFG gibt es meiner Ansicht nach in Dänemark und Schweden. Was die Behörde weiß, muss sie dem Bürger mitteilen, ohne Wenn und Aber. Bei uns ist das fraglich. Wenn man überhaupt etwas bekommt, dann dauert es ewig, auch bei ganz unpolitischen Dingen, wie bestimmte Angaben zu einer Liegenschaft. Da müssen unzählige Stellen prüfen, ob jemand mit diesen Angaben der Behörde einen Strick drehen kann. In Schweden entfällt das, es muss herausgegeben werden. Was bewirkt, dass sich die Beamten wesentlich sinnvolleren Täötigkeiten widmen können. Und es werden nicht mehr Stricke gedreht als bei uns. Denn dieses Zurückhalten der Information weckt Misstrauen und damit die Lust zum Seilflechten.
    Ja, ich will schwedische Verhältnisse.

  4. Das ist am Dienstag in Gaza passiert:

    https://vimeo.com/1041373876

    Man sieht Tote in Säcken verpackt.
    Szenen nach einem Angriff.
    Aussicht aus dem Kamal Adwan Hospital, man sieht zerstörte Gebäude.
    Szene nach einem Angriff. Schlussszene.

    437. Tag.
    Bei einem Angriff auf ein Apartmentblock in Gaza-City gab es mindestens zehn Tote.
    Bei einem anderen Angriff in Gaza-City wurde ein Haus zerbombt. Vier Tote aus derselben Familie werden als Tote vermutet.
    Bei einem Angriff frühmorgens in der Nähe des Kamal Adwan Hospitals starben mehrere Menschen. Unter den Verletzten sind Kinder.

    Dr. Hussam Abu Safiya berichtet vom Mangelzustand im Hospital. Es gibt weder Sauerstoff noch benötigte Medikamente. Die Welt soll helfen, die Leute sollen mitbekommen was passiert. Ein Journalist berichtet aus dem Hospital von explodieren Roboter in der Nähe. Man sieht Einschusslöcher vom Militär in den Wänden der Intensivstation.
    Ein Bericht ist über UNRWA .
    UNRWA beschwert sich über fast aufgebrauchtes Insulin und Spritzen. Hilfslieferungen werden nicht nach Gaza reingelassen.

    In Beit Lahia im Norden Gazas wurden mehrere Häuser in denen Vertrieben wohnen angegriffen. Mindestens 15 Tote gab es bei einem Angriff.

    Sie können den Link gerne rumschicken, wenn Sie möchten.

  5. Was es bedeutet in so einer Akte zu verschwinden habe ich am eigenen leib erfahren.

    Ich kann nur hoffen das die Mauer des Schweigens anders gebrochen wird.

    MfG
    Satoshi Nakamoto

    1. Das Aktenverschwindenlassen(zuerst seine eigene) ebnete den Weg dafür. Was Merkels Akte betrifft: man munkelt da das er die verkaufte. Ist aber nur Gerücht mit Indizienkette ohne Kausalität.😉

        1. Lange her, Thomas Moser auf TP(Archiv gesperrt. Vielleicht noch auf Archiv.org zu finden)Bin auch nicht ganz sicher ob es Moser war. Glaub aber schon, war forensisch aufgemacht der Artikel.
          Manche Dinge vergisst man nie, nur halt die Details.
          Muss so zwischen 2007 und 2012 gewesen sein.

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