
Statt die USA unter Trump mit dem Nationalsozialismus zu vergleichen, wäre eine Erinnerung an eine jüngere repressive Geschichte der BRD angemessener – den Deutschen Herbst.
War der Mord an den rechten Star-Komiker Charly Kirk der Reichstagsbrandmoment der USA? Diese Frage stellten in den letzten Tagen nicht wenige Medien. Für manche war es gar keine Frage. Für sie scheint festzustehen, dass das Attentat eine staatliche Verfolgung von Trump kritischen Kräften im großen Stil zur Folge haben würde. Nach dem historischen Reichstagsbrand am 28. Februar 1933 wurden noch in der Nacht Kommunisten, Sozialdemokraten und andere Nazigegner verhaftet, in SA-Folterkellern oder wilden Konzentrationslagern gefoltert. Viele derer, die nach dem Reichstagsbrand verhaftet wurde, überlebten die Inhaftierung nicht.
Das historische Ereignis wurde so zum Inbegriff einer staatlichen Repressionswelle nach einem Anschlag, der vielleicht sogar zumindest mit Duldung von staatlichen Stellen verübt wurde. Wie weit führende Nazis in den Reichstagsbrand verstrickt waren, ist heute noch immer ein historisches Streitthema. Doch taugen solche Analogien wirklich, um die innenpolitische Situation in den USA nach dem Mord an Kirk adäquat zu betreiben? Oder ist es nicht mehr das hilflose Hantieren mit Begrifflichkeiten aus einer Epoche, die gar nicht zu der aktuellen Situation in den USA passt? Diese Lesart drängt sich zumindest auf, wenn man bedenkt, dass Trump und seine Mega-Bewegung schon lange mit dem Verdikt des Faschismus bedacht wurden. Spätestens nach dem versuchten Sturm von Trump-Anhängern auf den Kongress im Januar 2020 wurde mit dem Begriff „Reichstags-Moment“ hantiert. Es handelt sich aktuell also um eine Neuauflage.
Nun ist auch schon einige Zeit nach dem Mord an Kirk vergangen. Man muss eigentlich feststellen, dass Massenverhaftungen gegen Trump-Gegner bisher nicht stattgefunden haben. Was es aber schon seit Trumps zweiter Amtszeit gibt, sind Razzien und Deportationen gegen vor allem migrantische Arbeiterinnen. Doch die bekommen in der liberalen Öffentlichkeit wesentlich weniger Aufmerksamkeit als die kurzzeitige Aussetzung einer Fernsehsendung des Komödianten Jimmy Kimmel, die bald wieder aufgenommen wurde. Aktuell ist es die Anklageerhebung gegen den Trump kritischen ehemaligen FBI-Chef James Comey, die Warner vor dem Trump-Faschismus wieder lauter werden lassen.
Diese Prioritätensetzung sagt auch viel über das Demokratieverständnis jener liberalen Trump-Kritiker, die mit der Verfolgung von Arbeitern und armen Menschen längst nicht solche Probleme haben, wie mit der Absetzung einer Fernsehshow oder der Anklage gegen einen Funktionär des US-Staatsapparates, der selber gegen seine Gegner mit den gleichen Mitteln vorgegangen ist.
Die Nichtwahl einer liberalen Richtern sorgt für Empörung, Hetze gegen Bürgergeldempfänger kaum
Auf die bundesdeutschen Verhältnisse übertragen, kann man auch sagten, die Nichtwahl der linksliberalen Richterin Frauke Brosius Gersdorf sorgte für große Aufregung im liberalen Milieu. Mit besonderer Empörung wurde vermerkt, dass die Union mit ihrer Kampagne gegen die Juristin rechte Propaganda der AfD übernommen und damit dieser Rechtspartei indirekt Einfluss auf die Richterwahl gewährt habe.
Doch kaum jemand aus diesem Milieu wendet sich mit der gleichen Verve gegen die fortdauernde Hetze gegen Bürgergeldempfänger als angebliche Totalverweigerer, die den Sozialstaat ausnutzen. Auch hier klingen Unionsparteien und AfD fast gleich. Die Frage, welche Partei das Copyright auf die Hetze hat, muss offen bleiben. Doch kaum jemand aus dem linksliberalen Milieu prangert an, dass es bei der Ablehnung des Bürgergelds nie eine Brandmauer zwischen AfD und Union gegeben hat.
Bleierne Zeit und Deutscher Herbst
Solche Rückblicke auf die jüngeren deutschen Zustände wären manchmal angebracht, wenn man Entwicklungen in den USA beurteilen und adäquat kritisieren will. Denn auch für die aktuelle Situation nach dem Attentat auf Kirk muss man nicht in das Deutschland von 1933 zurückblicken.
Es würde ein Blick auf die BRD Mitte der 1970er Jahre reichen, als die Attentate der Rote Armee Fraktion und anderer militanten linker Gruppen zu einer Kampagne gegen sämtliche Initiativen und Personen links von der SPD führte. Diese Epoche ging bald als Deutscher Herbst auch in die Filmgeschichte ein. Hier wird die Zeitspanne auf die Jahre 1975- 1977, die Hochzeit der RAF-Attentate, konzentriert. Treffender ist vielleicht von der bleiernen Zeit, ebenfalls ein Filmtitel, zu sprechen, die viel früher begann und deren Folgen sich bis heute in die deutsche Verfassung eingeschrieben haben.
Damals gab es einen Generalangriff auf alle, die Kritik am Kapitalismus und der konkreten BRD-Verfassung übten, auch wenn sie überhaupt nichts mit der RAF oder der Bewegung 2. Juni zu tun hatten. Selbst die Theoretiker der Frankfurter Schule, Horkheimer und Adorno, wurden zu „geistigen Anstiftern des Terrorismus“ erklärt. Die Kampagne zeigte Wirkung. Einschüchterung gerade bei bekannten Linken war an der Tagesordnung. Denn es reichte schon, ein kapitalismuskritisches Gedicht im Schulunterricht zu verwenden, um ins Visier der Anti-Terror-Experten zu geraten.
Selbst der sozialdemokratische Historiker Bernt Engelmann geriet in die Mühle. Der dritte Band seiner Anti-Geschichts-Trilogie wurde verzögert ausliefert. Denn er hatte den Titel „Deutsche Radikale“. Gemeint waren Aktivisten der frühbürgerlichen Revolution des 19 Jahrhunderts. Aber in der bleiernen Zeit des Deutschen Herbst galt eine solche historische Schrift schon als Terrorverherrlichung. Heute kann man noch in zeitgenössischen Filmen wie dem Klassiker „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ von dieser Zeit erfahren. Linke Gruppen sprachen auch damals von der Faschisierung der deutschen Gesellschaft.
Autoritärer Staatsumbau
Doch tatsächlich handelte es sich um einen autoritären Staatsumbau innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft. Viele der repressiven Elemente, die damals durchgesetzt wurden, sind nie zurückgenommen worden. Doch heute gerieren sich sogar manche Linke als Verteidiger „unserer Demokratie“, wie die realexistierende Verfassung in Deutschland gerne genannt wird, gegen den Faschismus. Der wird im Inland bei der AfD und sonst bei den sogenannten illiberalen Demokratien gesehen. Dazu gehört je nach außenpolitischen Interessen Ungarn unter Orban, aber natürlich auch die USA unter Trump.
Bei dieser Gemengelage wird oft nicht erkannt, dass es sich hier auch darum geht, dass der von Deutschland dominierte EU-Block sich mit solchen Auseinandersetzungen im innerkapitalistischen Kampf der unterschiedlichen Blöcke profilieren will. Da ist es klar, dass der Faschismus entweder bei der größten Oppositionspartei und den kapitalistischen Konkurrenten, aber nie bei den eigenen Staatsapparaten gesehen wird. Hierin liegt auch der Grund, warum Kommentatoren der aktuellen politischen Situation in den USA unter Trump sofort an den Reichstagsbrand, aber selten an die bleierne Zeit des Deutschen Herbst denken. Der erste ist mit der allseits geächteten NS-Zeit verbunden. Aber wenn es um den Deutschen Herbst geht, müsste man auch darüber reden, wie damals ein autoritärer Staatsumbau in der BRD vollzogen wurde, der bis sich in die Verfassung und die Staatsapparate eingeschrieben hat. Es ist genau diese Verfassung und es sind genau diese Staatsapparate, die heute auch von Linken als Waffe gegen verschiedene Faschismen verteidigt werden.
Stimme gegen die Faschisierungs-These
Eine der linken Stimmen in Deutschland, die gegen die Faschismusthese in Bezug auf die Trump-USA anschreiben, ist der Publizist und Sozialwissenschaftler Ingar Solty. In seinem im VSA-Verlag erschienenes Buch Trumps Triumph betont er, dass von einer Faschisierung in den USA unter Trump nicht die Rede sein kann. Er bezieht sich dabei aber vor allem auf die USA-Gesellschaft, in der die Trump-Agenda keine Mehrheit habe, und er setzt auf einen sozialdemokratischen Populismus in der Demokratischen Partei der USA, der bei den nächsten Wahlen siegreich sein könnte. Hier werden wieder reformistische Hoffnungen auf den angeblich linken Wahlsieg zelebriert, die regelmäßig zerstört werden, egal ob sie die Wahl verlieren oder gewinnen und rechte, d.h. kapitalkonforme Politik machen.
Doch der wahre Kern in Soltys Buch findet sich im Untertitel. Der heißt „Gespaltene Staaten von Amerika, autoritärer Staatsumbau und neue Blockkonfrontation“. Tatsächlich ist der autoritäre Staatsumbau zugunsten der aktuell modernsten Fraktionen des Kapitals weltweit überall in Gange. Vorangetrieben wird er von rechten Regierungen wie der Trump-Administration in den USA oder Orban in Ungarn, aber auch von den verschiedenen sozialdemokratischen Regierungen wie aktuell in Großbritannien oder in Deutschland unter Schröder mit der Einführung der Hartz IV-Agenda.
Der autoritäre Staatsumbau hat auch in den USA nicht erst unter Trump begonnen, wie viele der linksliberale Kritiker suggerieren. Da wird ignoriert, dass die Zahl der Abschiebungen von Migranten unter Obama und Biden nicht geringer war als unter Trump. Der setzt sie allerdings martialischer um. Und die Verfolgung von Minderheiten, Kriegsgegnern und Regierungskritikern war unter Nixon und Reagan wesentlich gravierender als aktuell unter Trump. Da wurde die Black Panther Party mit repressiven Mitteln regelrecht zerschlagen und einige ihre Führungsfiguren von der Polizei hingerichtet. Studierende, die gegen den Vietnamkrieg protestierten, wurden 1970 an der Universität von Kent in Ohio von der Nationalgarde erschossen. Anfang der 1980er Jahre wurden unter Reagan streikende Fluglosten von der Polizei in Handschellen abgeführt.
Schon damals setzte sich in Künstlerkreisen die Formulierung vom Winter America durch. Vielleicht sollten wir die aktuelle Situation in den USA unter Trump daher als US-amerikanischer Herbst bezeichnen. Wenn schon eine Analogie auf die repressive Geschichte in Deutschland, wäre die auf jeden Fall wesentlich angemessener als der Verweis auf den Reichstagsbrand.
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Der deutsche Herbst vor 50 Jahren ist also wichtiger als die aktuellen Ereignisse in den USA.
Da spricht vermutlich der Historiker aus Herrn Nowak, das sollte er dann aber Kennzeichnen und nicht als tagesaktuellen Journalismus (Kolumne) verpacken.
@Ottono’s
Als 45 Jähriger Sockenpuppen Stricker sollte man ein bisschen mehr Textverständnis mit bringen, bevor man los pöbelt.
Darauf ein Dunja 😘
Für mich einer der besten Artikel zum Thema, besten Dank Herr Nowak!
Wie ich schon des öfteren schrub, dient das alles nur um schärfere Überwachungsmaßnahmen durchzusetzten.
Nachdem linkes Gedankengut, zumindest in der westlichen Welt, überall diskreditiert ist, übernehmen jetzt, wie geplant, die „Law and Order“ Parteien, das Ruder.
Sie schruben hier -sind also ein Schrubler. Vermutlich kommt Schrubler von Schwurbler.
Hab ich von Flatter vom Feynsinn, fand ich irgendwie witzig… 😉
Nach dem Bild zu urteilen sieht es eher nach fünften Frühling im Herbst aus.