Ungerechtfertigter Hass?

Maale Adumim: Jüdische Siedlung im Westjordanland. Bild: Mujaddara/CC BY-SA-3.0

Der Talmud spricht vom “ungerechtfertigten Hass” und seinen politischen Folgen. Stimmt die Apodiktik der alten jüdischen Weisheit?

 

Im Judentum gibt es den talmudistischen Begriff “sin’at chinam”, ungerechtfertigter Hass. Er meint einen unsachlichen Hass, bei dem ein Mensch einen anderen Menschen oder eine Gruppe ohne sachlichen Grund hasst, nur weil er eine andere Anschauung als die seine vertritt oder einer anderen Gruppe angehört. Die Weisen des Talmuds gaben “sin’at chinam” als den Grund an, der zur Zerstörung des zweiten Tempels führte (obgleich alle anderen religiösen Gebote eingehalten worden sind).

Vor etwas zwanzig Jahren veröffentlichte ich in meinem Buch “Zeit der Lemminge” folgenden Aphorismus, der den Titel “Berechtigter Haß” trug:

“Ungerechtfertigter Haß!“ schreien sie auf. Wieso ungerechtfertigt? Der Haß ist absolut berechtigt. Verkörpern nicht gerade sie das Verabscheuungswürdige an arrogant-brachialer Herrschaft, an grausamer Unterdrückung, an raffend-zerstörerischer Ideologie? Berauscht vor lauter innerer Überzeugung von ihrer Auserwähltheit, von der exklusiv-unerschütterlichen Wahrheit ihrer fundamentalistischen Religion, sind nicht gerade sie es, die die Botschaft einer stammesmäßig geschlossenen Solidarität voller Verachtung für alles “Andere“ und fortgesetzter Leugnung des Leidens derer, die ihrer Unterdrückung ausgesetzt sind, verbreiten? Sie, Kinder von Verfolgten, die zu Verfolgern geworden sind, verwirklichen kraft ihrer politischen Praxis die Kontaminierung dessen, was in aller Munde geführt wird und inzwischen zur vollends verlogenen Ideologie des Kollektivgedächtnisses par excellence verkommen ist: “das Andenken der Opfer“. Sie, die in bigott-larmoyanter Selbstgerechtigkeit die Augen himmelwärts rollen und voller Selbstmitleid den gegen sie gerichteten Abscheu beklagen; sie, die unter gewissen historischen Bedingungen sich als diejenigen erweisen mögen, die auf der anderen Seite der Barrikade stehen werden – dich beschießend, und du auf sie schießend –, wie soll man sie nicht hassen? Dagegen wird das schlagende Argument erhoben: Dein auf sie gerichteter Haß ist nichts als Selbsthaß! Wohlan, insofern sie dem Kollektiv angehören, dem auch ich – gegen meinen eigenen Willen – zugerechnet werde, scheint hier ein Moment des „Selbsthasses“ auf – zu Recht! Es scheint indes, als sei die adäquate Antwort wesentlich einfacher: Nicht um Selbsthaß handelt es sich, sondern um einen ganz und gar, pur gegen sie gerichteten, und zwar vollkommen berechtigten Haß.

 

Der Aphorismus war damals primär gegen die Siedler in den besetzten Gebieten und ihre Ideologie gerichtet. Sie waren in jenen Jahren noch in der Minderheit, obwohl sie bereits begonnen hatten, das Establishment zu infiltrieren, und ohnehin der Großisrael-Ideologie der Likud-Partei verschwistert waren. Sie sind heute an der Regierung und bestimmen weitgehend die Richtung, die die Netanjahu-Koalition einschlägt. Man darf getrost sagen, dass sie die politische Spitze des israelischen Faschismus verkörpern. Zusammen mit dem der Korruption, des Betrugs und der Veruntreuung angeklagten Premierminister, der seinem Prozess mit verderbten politischen Mitteln zu entgehen trachtet, betreiben sie den Untergang dessen, was noch die spärlichen Überreste der formalen Demokratie Israels ausmachte. Netanjahu strebt Diktatorisches an, seine natürlichen Verbündeten Theokratisches.

Ein großer Teil der jüdischen Bevölkerung Israels möchte keine Theokratie haben und gewiss nicht die Diktatur des populistisch-demagogischen, perfide-eigennützigen Premiers. In einer Gesprächsrunde über den Umsturz des israelischen Justizsystems äußerte sich David Hodek, einer der führenden Rechtsanwälte des Landes, mit radikaler Emphase: “Wenn mich jemand zwingen wird, in einer Diktatur zu leben, und ich keine Alternative haben werde, werde ich nicht zögern, zur Feuerwaffe zu greifen.“ Im Publikum applaudierte man, aber es gab auch welche, die behaupteten, dass man gegen Hodek eine Beschwerde einreichen müsse.

Die Gilde der Justiz hat nicht so viel Macht wie die der Ökonomie. Als die Hichtech-Größe Tom Livne, Gründer der überaus erfolgreichen Verbit Software Ltd, im Rahmen der Proteste gegen die “Justizreform” Netanjahus und Levins deklarierte, er beabsichtige, das Land zu verlassen, aufhören, Steuern zu zahlen, mithin sein Unternehmen ins Ausland zu überführen, reagierte man an der Politspitze sofort. Finanzminister Bezalel Smotrich schrieb im Twitter: “Schalom Tom, wir sind Brüder. Ich hoffe, dass Du deine Worte zurücknimmst. Wir haben kein anderes Land, kein anderes Volk, keinen anderen Staat. Jedenfalls versprechen wir dir, mit Gottes Hilfe ein jüdisches und demokratisches, starkes und wirtschaftlich florierendes Israel zu bewahren, damit du und jeder Jude ein Haus hat, in das er zurückkehren kann.”

Das ist in nuce ein Abbild des umfassenden Selbstbetrugs, der heute in Israel Urständ feiert, und letztlich die Sackgasse des Zionismus widerspiegelt. Einer kann die Missstände im Lande nicht mehr ertragen und möchte gegebenenfalls zur Feuerwaffe greifen (es hat schon seit vielen Jahrzehnten mehr als genug Gründe für eine solche Empörung gegeben; aber immerhin ist sie nun artikuliert worden). Ein anderer hat eine besonders empfindliche Stelle getroffen: Er möchte sich aus der israelischen Ökonomie (Netanjahus Forte, dessen er sich rühmt) zurückziehen und dabei das Land gleich ganz verlassen (noch immer ein israelisches Tabu; zumindest ist man nicht stolz darauf, das zu beabsichtigen). Typisch verlogen, ja von ideologischer Verblendung geschlagen, die Reaktion des Ministers: “Wir sind Brüder”

  • Die schmalzige familiäre Rhetorik hat von Anbeginn Einzug in den israelischen Politdiskurs gehalten; in Israel redet man kaum je von Bürgerkrieg, sondern stets von Bruderkrieg; nie geklärt wird dabei, ob die larmoyant Angesprochenen überhaupt Brüder von Smotrich und seinesgleichen sein wollen. “Wir haben kein anderes Land, kein anderes Volk, keinen anderen Staat.”
  • Diese Lüge hat der Zionismus stets als sein ideologisches Selbstverständnis hochgehalten. Eine Großteil der Juden in der Welt hat sich entschieden, nicht in Israel zu leben. Diese Juden haben sehr wohl ein anderes Land, einen anderen Staat und ihre Volkszugehörigkeit hat für sie nichts mit politisch aufoktroyierter Ideologie und damit einhergehender Territorialität zu tun. “Jedenfalls versprechen wir dir, mit Gottes Hilfe ein jüdisches und demokratisches, starkes und wirtschaftlich florierendes Israel zu bewahren, damit du und jeder Jude ein Haus hat, in das er zurückkehren kann”
  • “Gottes Hilfe” wird neuerdings immer öfter herangezogen, um Politisches durchzusetzen. Ein “jüdisches und demokratisches” Israel wird versprochen; das ist ein Oxymoron: ein demokratisches Israel kann nicht jüdisch sein, ein jüdisches Israel kann nicht demokratisch sein; bezeichnend ist zudem, dass gerade die Sachwalter des antidemokratischen Umsturzes stets die Demokratie beschwören (um sie dann theokratisch einzufärben). Ein wirtschaftlich “florierendes Israel” wird es kaum mehr geben können, wenn Leute (wie Tom Livne, aber nicht nur er) beginnen, ihre Konten ins Ausland zu überführen, und sich ausländische Inverstoren zweimal überlegen werden, ob sie in einem dermaßen durch “Justizreform” erschüttertes Land ihr Kapital anlegen wollen. Wozu BDS, wenn man Netanjahu und Yariv Levin hat? “… damit du und jeder Jude ein Haus hat, in das er zurückkehren kann”
  • Viele Juden werden in so ein Haus nicht “zurückkehren” wollen. Viele werden auch mit diesem Land nichts mehr zu tun haben wollen, wenn es das rassistische Land sein wird, das nur für Juden offen ist. Unterschwellig wird auch suggeriert, was im Parteiprogramm von Smotrich, Ben-Gvir und Konsorten steht: Die Nichtjuden haben hier nichts mehr verloren, jedenfalls nicht als Bürger mit vollen Rechten.

Wohin das führt? Diese Woche hat ein angesehener Anwalt artikuliert, was auch mir vor 20 Jahren in den Sinn kam. Ich sprach von denen, “die unter gewissen historischen Bedingungen sich als diejenigen erweisen mögen, die auf der anderen Seite der Barrikade stehen werden – dich beschießend, und du auf sie schießend“. Die historischen Bedingungen sind offenbar schon eingetreten. Es ist die Zeit der Gesinnungsfinsternis, Zeit einer umgreifenden Ohnmacht, Zeit des angekommenen Faschismus – es ist die Zeit des vollkommen berechtigten Hasses.

Ähnliche Beiträge:

29 Kommentare

  1. Danke für den Text!
    Bezeichnend, dass Zuckermanns Texte wiederholt hier anscheinend weniger zu interessieren scheinen.
    Oberflächlicher Empörungsjournalismus in hoher Taktzahl kommt da besser – ohne konkrete Namen nennen zu wollen.

    „Es ist die Zeit der Gesinnungsfinsternis, Zeit einer umgreifenden Ohnmacht, Zeit des angekommenen Faschismus – es ist die Zeit des vollkommen berechtigten Hasses.“

    Analogien im allgemein verschärften Faschistisierung- und Ideologisierungsprozess als kapitalistische Krisensymptomatik quer durch alle Gesellschaften sind unverkennbar.
    Vermehrte Reflektion darüber würde ich mir wünschen…

    1. chefkoch01
      lese doch nochmal und auch wenn es weh tut auch lese das mit,
      „“Gottes Hilfe” wird neuerdings immer öfter herangezogen, um Politisches durchzusetzen. Ein “jüdisches und demokratisches” Israel wird versprochen; das ist ein Oxymoron: ein demokratisches Israel kann nicht jüdisch sein, ein jüdisches Israel kann nicht demokratisch sein; bezeichnend ist zudem, dass gerade die Sachwalter des antidemokratischen Umsturzes stets die Demokratie beschwören (um sie dann theokratisch einzufärben). Ein wirtschaftlich “florierendes Israel” wird es kaum mehr geben können, wenn Leute (wie Tom Livne, aber nicht nur er) beginnen, ihre Konten ins Ausland zu überführen, und sich ausländische Inverstoren zweimal überlegen werden, ob sie in einem dermaßen durch “Justizreform” erschüttertes Land ihr Kapital anlegen wollen. Wozu BDS, wenn man Netanjahu und Yariv Levin hat? “… damit du und jeder Jude ein Haus hat, in das er zurückkehren kann”
      da müsste doch deine Forderung erfüllt sein. Ich kann nachvollziehen, weshalb du zu deiner Aussage kommst. Es sind viel Apologeten da die vordergründige Kritik führen, allerdings nur seine Wurzel stärken und genau das wollen.
      Das kann ich aber bei Zuckermann überhaupt nicht sehen. Was er macht und das finde ich richtig, ist zu belegen, woher nicht nur bestimmte gesellschaftlichen Sichtweisen kommen, sondern auch wohin sie führen.
      Na klar sind, ist das alles mit dem Kapitalismus erklärbar, aber auch wie sich der Kapitalismus entwickelt ist unterschiedlich.
      Was ich nicht sehen kann, ist das du nicht konstruktiv eingreifst. Sicher kann es auch an mir liegen. Meinetwegen kannst du ruhig konkret werden: „ohne konkrete Namen nennen zu wollen.“
      Dass es in Israel Faschismus geben könnte oder gibt, ist doch mal eine Aussage, die Charakter abverlangt, selbst sollte sie falsch sein.

      1. @Peter
        Auf die Schnelle: Das war keine Kritik am Text – im Gegenteil!
        Ich wünschte mir allgemein mehr derartiges…
        Deinen vollständigen Kommentar lese ich später gerne; gerade fehlt mir die Zeit 😉

        1. @chefkoch01
          Ich lese es auch nochmal, kann sein das ich im Kasten stehe oder auch Fettnäpfchen genannt.
          Kann sein das ich da ein bisschen verklärten Blick hatte, ich finde den Text „auch“ ausgezeichnet.

          1. @Peter
            Kein Fettnäpfchen; ich hatte mich unbeabsichtigt missverständlich ausgedrückt.

            „Konkrete Namen“ (von Autoren) meine ich in Erwartung der nächsten Sau, die durchs OT Dorf getrieben wird und spannend zu diskutierende Texte wie den Obigen in die Bedeutungslosigkeit schickt.
            Spekulationen darüber, ob Putin nicht längst tot sei – und weiteres „Berichten“ ähnlich wirrer Mutmaßungen aus der ukrainischen PR Abteilung erzeugen jenen Tiefgang, in dem man in knöcheltiefem Wasser zu ertrinken droht…..

    2. Ich kann Peter nur zustimmen. Ich glaube nicht, dass weniger Leute die Beiträge von Moshe Zuckermann lesen als die von anderen Autoren. Es ist nur so, dass es wohl vielen so geht wie mir, dass ich nicht viel zu kommentieren weiss. Und es gibt zum Glück auch keine Trolle, die hier Tiraden (im schlimmen Falle antisemitische) ablassen, und auch keine Wichtigtuer mit ihrer Selbstdarstellung. Das bedeutet weniger Traffic in der Kommentarspalte.

      Ich wüsste gern, wie Mosche Zuckermann darüber denkt. Die Befangenheit vieler Deutscher im Umgang mit israelischen und jüdischen Themen ist ihm geläufig, er hat sehr kluge Sachen darüber geschrieben. Insofern glaube und hoffe ich nicht, dass er sich „vernachlässigt“ fühlt.

  2. „Die wichtige Reflektion darüber würde ich mir wünschen…“
    Diese Reflexion wurde beschrieben und es liegt an dir, deine Schlüsse daraus zu ziehen.
    Ich bin mir sicher das du diese besitzt.
    Ich persönlich lerne daraus, wie alles psychologisch manipuliert wird.
    Jude/Kristen/Islam (oder andere Glaubensrichtungen) ein ständiger ‚psychologischer Machtkampf‘ der medial unterbreitet wird, die einzelnen/mehrheitlichen Glaubensrichtungen dürften überhaupt keine Probleme miteinander haben. Probleme werden kreiert das ein zusammen finden unterbunden wird.
    Final geht es um Interessen, ein Prozent möchte weiterhin 99 Prozent ‚regulieren‘.

    1. Eingangs bedanke ich mich für den Text, um ihn abschließend zu bemängeln?
      Der Wunsch galt einer vermehrten Reflexion allgemein wie die im Text geäußerte.

      Die von dir geäußerte „psychologische Manipulation“ durch Regulieren von Interessen des „einen Prozents“ ist so „gehaltvoll“ wie jede andere VT; schaffen ein falsches Bewusstsein und Lenken von radikaler und wahrlicher Kapitialismuskritik ab.

      1. Die ‚Kritik‘ ist keine Kritik sondern Realität.
        Warum stellst Du die VT Frage?
        Es geht nicht um Verschwörung, sondern um Realitäten .

          1. Was geschieht seit „3“ Jahren im Westen inkl. Israel?
            Man hat ‚offiziell‘ Corona für beendet erklärt, aber die psychologischen Ängste sind weiterhin aktiv im Menschen. Kritische Aufarbeitung aller Maßnahmen bleiben unter dem Teppich verdeckt. Ein staatliches ‚Regime‘ beschliesst den Einkauf, Haftung und Verteilung alles von oben nach unten und unten wurde jede Kritik sofort ‚getötet‘!
            Der Faschismus wird von dem ‚1‘% praktiziert oder hatte ich etwas verpasst?

  3. Ich lese Moshe Zuckermanns Texte stets und schätze sie sehr, ebenfalls danke. Aber ich weiss nicht viel zu kommentieren. Dieser Artikel hat schon ein wenig erschreckt, ganz so schlimm hatte ich es mir nicht vorgestellt. Sagen kann ich wenig dazu, und ich vermute, vielen geht es ähnlich.

  4. So sehr ich die Ausführungen und Gefühle von Moshe Zuckermann nachvollziehen kann, sowenig kann ich differenzieren zw. gerechtfertigten und ungerechtfertigten Hass. Hass in jeder Form ist schlecht, ja das schlechteste am Menschen und seine stärkste Triebfeder, wenn er bereit ist Ungerechtigkeit bis hin zu Unmenschlichkeit zu begehen. Hass befähigt u.a. zu undifferenzierten Handeln.

    Sicher, meine Person kann Hass nicht aus der Welt räumen. Aber ich möchte scharf kritisieren, Hass zu differenzieren, so als ob es „guten und bösen“, “ akzeptablen und inakzeptablen“ Hass geben könnte.

    Als Atheist bedeutet mir der Talmud nichts, ebenso die Bibel oder der Koran etc. Ich lese sie gerne, um die Erfahrungen und Weisheiten alter Zivilisationen kennen zu lernen, eventuel daraus gar Handlungsempfehlung zu erfahren. Irgendeine Interpretation von Hass gehört sicher nicht dazu.

  5. Wie kommt ein Mensch darauf, daß „ein Hass“ neben dem Grund oder den Motiven, die er hat, noch „ein Recht“ braucht?

    In bürgerlichen Rechtsideologien fristet diese Idee fast buchstäblich ein Kerkerdasein, sie wird in abgezirkelten und abgeschotteten Bereichen zugelassen. Prominentes Beispiel ist, daß es einem Staatsanwalt schwerlich einfällt, in Revision zu gehen, wenn eine Mörderin oder Totschlägerin ein „mildes“ Urteil kassiert, nachdem sie einen Vergewaltiger gekillt hat.
    Und das Beispiel liefert auch gleich einen „Haken“ zur Aufklärung des Sachverhaltes!
    Tribale Gerechtigkeitskodizes sind aus Gründen, die näher zu erläutern ich mich weigere – wer’s nicht nachvollziehen will, soll sich zum Teufel scheren – aus Kodizes herrschaftlicher Gewalttätigkeit nicht vollständig zu tilgen, ein Restbestand muß darin aufgehoben bleiben.

    Das organisierte Judentum teilt mit dem politischen Islam die Eigenart, sich auf einen archaischen Konsens zu berufen und herrschaftstechnologisch zu stützen, der darauf hält, daß in mehr oder minder zahlreichen Abteilungen bürgerliches Recht tribalen Gerechtigkeitsauffassungen untergeordnet bleiben soll.
    Der politische Islam (und der Leser soll hier weniger an die Scharia denken, das ist bereits eine moderne Krüppelgestalt) tut das allerdings anders. Der im vorliegenden Zusammenhang wesentliche Unterschied:
    Die jüdischen Archaismen sind rassistisch, die islamischen sind es nicht.

    Und dafür ist Moshes Text eine Art Beweis – in allen Teilen.

  6. @ Egalitarismus
    Hass ist einfach schädlich, vere? Im Normalfall für den Hassenden mehr, als seine Hassobjekte.

    Sicher, meine Person kann Hass nicht aus der Welt räumen.

    Das ist bereits der Fehler! Sicher kannst Du das! Es ist Deine „Welt“. Insofern sie nicht die Deinige ist, „die Welt“, insofern sie Dir entzogen, gar gegen Dich gestellt ist, ist es auch der Hass mitsamt seinen Gründen und Ursachen. Don’t take it, when you don’t own it. „Hass“ ist für ein Subjekt, das ihn nicht hegt, kein Gegenstand, er ist No-Thing. Um ihn zum Gegenstand zu nehmen muß er sich in der bürgerlichen Gesellschaft – im scharfen Unterschied zu tribalen Kommunen!, siehe mein voran gegangenes Posting – auf den Standpunkt eines Herrschers und/oder Pfaffen, Priesters stellen. Abstrakter formuliert (aus einem meiner Texte):

    In der gegen alle Gegensätze und Widersprüche gesetzten Idealität des Gebotenen (des Sollens, das der Geltung der herrschaftlichen Institute aus den Wechselfällen der Konkurrenz und der technischen Entwicklung zuwächst) erscheint nichts mehr so, wie es an sich ist. Die gültigen Zwecke nebst ihrem Zusammenhang (ihren Gründen) sind ersetzt durch ihr Verhältnis zum Gesetz: die Relation des Guten und des Bösen. Die rationelle Subjektivität der Urteile „gut“ und „schlecht“ – d.h. nützlich und schädlich – wird objektiviert. Die falsche – weil die Widersprüche gewaltsam vereinigende – Allgemeinheit erscheint darin als Reich des Absoluten: Gott, das Wahre, das Gute, das Schöne, das Menschliche.

    Und, ganz nebenbei – nicht an E. – ein Mensch, der seinen Gegner haßt, hat schon mehr oder minder verloren. Noch immer kann jederman Muhammad Ali darauf befragen, er antwortet mit seinem Auftritt gegen George Foreman. Oder man frage George, der hat das anschließend als Laienprediger seinen Zuhörern verkündet.

  7. Brecht schrieb einmal
    „Auch der Haß gegen die Niedrigkeit
    Verzerrt die Züge.
    Auch der Zorn über das Unrecht
    Macht die Stimme heiser. Ach, wir
    Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
    Konnten selber nicht freundlich sein.“

    Das Problem, im Unterschied zu Brechts „An die Nachgeborenen“ liegt darin, dass die Perspektive zu fehlen scheint.
    Allerdings ist auch das kein ganz neues Problem.

    1. @aquadraht
      Der Neoliberismus ist die Negation jeglichen perspektivisch bzw. utopischen Gehaltes, wie er zB im Judentum vorhanden ist.
      Neoliberalismus und Antisemitismus sind daher verwandt.

    2. Die sechs Brechtschen Zeilen, die Sie zitieren, sind Teil der dritten Strophe des Gedichts „An die Nachgeborenen“. Mit der Perspektive ist also eigentlich alles in Ordnung.

      Im übrigen bedanke ich mich für den Verweis auf „An die Nachgeborenen“. Ich habe es daraufhin wiedergelesen und die im Gedicht entwickelten Gefühle erwiesen sich auf beklemmende Weise aktuell.

      Aus dem Gedicht: „… verzweifelt, Wenn da nur Unrecht war und keine Empörung …“
      So ist es. Die Ohnmacht macht einen regelrecht verrückt.

  8. Bürgerliche Ideologie faselt immer von falschen Gefühlen als Quelle von allem was dem Bürger nicht paßt.
    Gefühle kommen aus Nirgendwo der tiefinnersten Biologie oder dem Jenseits, nicht von der Sache.
    Bei Gefühlen hört das Argumentieren auf, kann ma nix machen.
    Glaube ist Gewissheit ohne Wissen.

    1. Da schreiben Sie einen Kommentar voller unwillkürlicher (?) Verachtung („Bürgerliche Ideologie _faselt_ immer …“) und behaupten gleichzeitig, Gefühle hätten mit Einsicht nichts zu tun, kämen vielmehr „aus dem Nirgendwo der tiefinnersten Biologie“.
      (OT: Das für das Gefühlsleben im engeren Sinne verantwortliche Limbische System („Echsenhirn“) mag zwar ein vergleichsweise primitives Signal- und Reaktionssystem sein, das für sich genommen es dem Menschen natürlich nicht gestatten würde, sich in menschlichen Gesellschaften zurechtzufinden. Aber als nichtssprachliches Kommunikationsmittel bildet es nicht nur die subjektive Grundlage menschlicher Sozialität (hören Sie sich mal eine computergenerierte Stimme an, dann verstehen Sie, was ich meine), es ist zudem engstens mit den für die kognitiven Funktionen des Gehirns verantwortlichen Bereichen verknüpft UND und bildet (deshalb) den eigentlichen Handlungsauslöser, selbst wenn die Handlung einer Einsicht entspringt (was jeder Drogensüchtige erfährt, wenn bei ihm das Limbische System beschädigt/manipuliert ist).)

      Zuckermann hat im übrigen m.E. nicht „falschen Gefühlen“ die Schuld gegeben, sondern diese vielmehr als Begleiterscheinung des Selbstbetrugs der zionistischen Ideologie interpretiert. (Die Gefühle wiederum hat er nicht auf der Couch ermittelt, sondern _an Handlungen bzw. Reaktionsweisen abgelesen_; siehe oben).

  9. Eines noch.
    Viele paläoanthropologischen Veröffentlichungen wälzen u.a. das „Problem“ der perfekt symmetrisch ausgearbeiteten Handäxte der Werkzeugkultur des Acheuléen. Diese Symmetrie hat einen immensen Aufwand erfordert, der keinen funktionellen Zweck erfüllte – eher das Gegenteil ist der Fall.
    Gefertigt wurden sie gewiss von „homo heidelbergensis“, wahrscheinlich von späten „homo erectus“, wobei nicht wenige Forscher zwischen heidelbergensis und erectus keine rassische Grenze ziehen wollen, so ca. ab 600k BC, wenn ich das recht in Erinnerung habe.
    Es ist natürlich Polemik, wenn ich jetzt zum Beispiel der abenteuerlichen Deutungen dieses Phänomens die in einem eigenen Papier vorgetragene Theorie zitiere, mit den Dingern hätten heidelbergensis-Kerle und die Neanders, die ihnen folgten, Weiber beeindrucken und auf die Felle locken wollen.
    Aber das Beispiel ist insofern nicht polemisch, als, falls es denn überhaupt Gegenbeispiele geben sollte, selbst dieser Autor nicht auf den Trichter kam, daß er bei den fiktiven Heidelbergensis-Weibern einen Begriff von Schönheit unterstellt hat – denn das ist zwingend impliziert, wenn man es mit Leuten zu tun hat, die zwischen 1000 und 1600 ccm im Hirnkasten und entsprechend voluminösen Cortex und Frontallappen haben. Da ist es mit iwie aus der Archaik der Zwischenhirnentwicklung gewachsenen Präferenzen für Formen und Gestalten, die sapiens für „schön“ befinden mag und kann, nicht getan.
    Solcher Begriff von Schönheit ist im Kern, und insofern abstrakt, identisch mit ihrer zweckmäßigen Darstellung, folglich ihrer Anschauung als ein Zweck an sich selbst.

    Homo erectus hat folglich etwas geleistet, was Aquadraht nicht mehr leisten kann, wenn er Brechts Sinnspruch zitiert und von „fehlender Perspektive“ quatscht.
    Wie schön wäre es gewesen, hätte Aquadraht meine abgrenzende Dichotomie von „schädlich“ und „nützlich“ um Brechts ausgreifende Dichotomie von „schön“ und „häßlich“ ergänzt.
    Aber dazu hat sich die mechanobiologische Chimäre halt außerstande gesetzt.

  10. Da Gard in seinen geisteswissenschaftlichen Schwurbeleien rotiert: Die Perspektive, die Brecht zu seiner Zeit sah, und sich daher an die Nachgeborenen richtete, war die Perspektive des Sozialismus/Kommunismus. Das zu verstehen, war wohl zu schwer für den Papst.

    Die gesamte kleinbürgerliche „linke“ Intelligentsia, mindestens in der BRD, hat diese Perspektive aufgegeben (verraten ist zu stark, es war eher ein Wechsel der Mode). Darum ging es.

    Ich nehme an, viele haben das auch so verstanden, nur um päpstliche Nebelkerzen auszublasen.

  11. Der vollständige 3. Teil aus dem Exilgedicht (zwischen ’34 und ’38) an eigene Nachkommen und die derer, die zurück geblieben waren:

    Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut
    In der wir untergegangen sind
    Gedenkt
    Wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
    Auch der finsteren Zeit
    Der ihr entronnen seid.

    Gingen wir doch, öfter als die Schuhe die Länder wechselnd
    Durch die Kriege der Klassen, verzweifelt
    Wenn da nur Unrecht war und keine Empörung.

    Dabei wissen wir ja:
    Auch der Haß gegen die Niedrigkeit
    Verzerrt die Züge.
    Auch der Zorn über das Unrecht
    Macht die Stimme heiser. Ach, wir
    Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
    Konnten selber nicht freundlich sein.

    Ihr aber, wenn es soweit sein wird
    Daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist
    Gedenkt unsrer
    Mit Nachsicht.

  12. Bekommt jetzt auch noch der „Hass“ – als pragmatisches Instrument der Politik – eine akademische Weihe ? Schon die Instrumentalisierung der „Liebe“ ( bzw. Sex, ist ja bekanntlich dasselbe ) konnte im „Wertewesten“ das patriarchalisch-kapitalistische System – in Form des Freudofaschismus – in Beton gießen; das ist schon schlimm genug. Bitte halten Sie die Triebe und Affekte aus der Politik raus !

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert