Ukraine lässt überraschend 18-22-jährige Männer ausreisen. Warum?

Männer, die aus der Ukraine fliehen wollen, um nicht Kriegsdienst leisten zu müssen, werden mitunter abgefangen. Hier wurden am 20. August 6 Männer zwischen 21 und 39 Jahren festgenommen, die mit einem Schlauchboot über die Donau nach Rumänien wollten. Die veröffentlichten Fotos sollen wohl der Abschreckung dienen. Bild: dpsu.gob.ua

 

Das ukrainische Parlament Rada hat einen am 22. August eingeführte Resolution bereits am 26. August mehrheitlich angenommen, das Ministerkabinett hat das entsprechende Dekret am Mittwoch beschlossen. Ab heute dürfen danach Männer im Alter zwischen 18 und 22 Jahren aus der Ukraine ausreisen. Das ist überraschend, weil angesichts des Personalnotstands des ukrainischen Militärs der Druck, auch aus den Unterstützerstaaten, größer wurde, Männer ab 18 Jahren zum Kriegsdienst einzuziehen. Bislang können erst Männer ab 24 Jahren (zwangs)rekrutiert werden.

Der ukrainische Präsident Selenskij hat nach längerem Zögern 2024 die Mobilisierung von Männern nur von 27 auf 25 Jahren gesenkt und Frauen weiterhin ausgenommen, gleichwohl gab es seit der Einführung des Kriegsrechts das vielfach von Ukrainern gebrochene Ausreiseverbot für Männer zwischen 18 und 60 Jahren.

Rätselraten herrscht nun, warum jetzt unter 23-Jährige ins Ausland ausreisen dürfen. Viele werden dies natürlich machen, um nicht doch noch zum Kriegsdienst eingezogen zu werden oder im Ausland die weitere Entwicklung abzuwarten. Massenhaft hatten bereits 17-Jährige das Land verlassen bzw. wurden von ihren Eltern ins Ausland geschickt, um der Registrierung und einer womöglich drohenden Mobilisierung zu entgehen.

Die Sorge besteht in der ukrainischen Regierung, dass die vor der Mobilisierung Geflüchteten auch nach Ende des Krieges im Ausland bleiben könnten. Man will vielleicht keine ganze Generation verlieren, die für den Wiederaufbau und die Streitkräfte nach Kriegsende entscheidend werden könnte, weil zunehmend nur die älteren Menschen in der Ukraine bleiben und das Land vergreist. In der Begründung  heißt es, dass Ukrainer zwischen 18 und 25 Jahren, die im Ausland gearbeitet haben, seit mehr als drei Jahren nicht zurückkehren wollen, weil sie dann das Land nicht mehr verlassen können. Das bislang geltende Verbot würde die Rückkehr junger Männer in die Ukraine verhindern und es ihnen erschweren, „den Kontakt zu ihren Familien aufrechtzuerhalten“. Provoziert würden durch das Verbot Versuche, illegal auszureisen, was mit einer Kriminalisierung einhergehe. Die Veränderung des Verbots würde „keine wesentliche Bedrohung für Verteidigungsfähigkeit der Ukraine darstellen“, heißt es ohne Begründung.

Eine Vermutung ist, dass Kiew mit einem baldigen Ende des Krieges rechnet, so dass die Mobilisierung der 18-22-Jährigen nicht mehr notwendig wäre. Andererseits könnte der Grund sein, dass man noch die 23- und 24-Jährigen mobilisieren könnte, aber um des gesellschaftlichen Friedens und/oder anstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen willen, die Jüngeren verschont. Fies wäre es, wenn damit die jungen Männer in Sicherheit gewiegt werden sollen, jederzeit ausreisen zu können, während eine Senkung des Kriegsdienstalters vorbereitet wird. Verlangt wird zur Ausreise ein gültiger Reisepass und ein militärisches Registrierungsdokument.

Oder es wird doch noch mit einer Kriegsdauer von 1-2 Jahren gerechnet, so dass die 23- bis 24-Jährigen ins Kriegsdienstalter kommen könnten. Wahrscheinlich werden viele Männer dieser Altersgruppe nun versuchen, irgendwie die Ukraine zu verlassen oder sich eine Bescheinigung der Wehrdienstunfähigkeit zu besorgen.

Die neue Premierministerin der Ukraine, Julia Swyrydenko, schlägt vor, Männer wegen Fluchtversuchen ins Ausland mit Gefängnis zu bestrafen. Sie hat der Rada einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Offenbar nehmen die Fluchtversuche von ukrainischen Männern zu, sich der Mobilisierung zu entziehen. Transkarpatien war und ist weiter beliebt. Die Flucht nach Belarus scheint gegenwärtig attraktiv zu werden, weil die Grenze bislang weniger überwacht wird. 2025 wurden nach der Grenzschutzbehörde 911 Männer im Alter von 18 bis 60 Jahren an der ukrainisch-belarussischen Grenze festgenommen. Das sind doppelt so viele wie in den letzten drei Jahren zusammen. Belarus ist ein enger Verbündeter von Russland.

Für den Donnerstag berichtet Sprecher des Grenzschutzes, Oberst Andriy Demchenko, dass es „keine nennenswerte Zunahme“ von Ausreisen der Altersgruppe gegeben habe, es habe aber erste Ausreisen gegeben. Man mache aber auch keine Statistik der Altersgruppen, die ausreisen. Auf Videos von jungen Leuten angesprochen, die im Netz zirkulieren und zeigen, wie diese die Ukraine verlassen, meinte er schon zurückhaltender, dass „diese Kategorie von Bürgern nicht die große Mehrheit derjenigen ausmacht, die die Grenze der Ukraine überqueren“.

Da die Aufhebung des Ausreiseverbots für die 18-22-Jährigen so schnell durchgepeitscht wurde, haben sich wohl die wenigsten bereits darauf vorbereitet, gleich in den ersten Stunden die Gelegenheit zu nutzen. Jetzt gibt es auch erst einmal Zeit, sich auf die Ausreise vorzubereiten, wobei die Unterstützung, die in den europäischen Ländern ukrainischen Flüchtlingen gewährt werden, geringer wird. In Polen hat der neue Präsident Karol Nawrocki ein Veto bei einem Gesetz eingelegt, dass den Flüchtlingen weitere Unterstützung zusichert. In Deutschland sollen ukrainische Flüchtlinge kein Bürgergeld mehr erhalten, sondern die üblichen Asylleistungen. In den Niederlanden fordert Geert Wilders, sofort mit der Rückführung der im Lande lebenden ukrainischen Männer über 18 Jahren zu beginnen. Die USA haben mit der Abschiebung der ersten Ukrainer begonnen. Auch Polen hat begonnen, 57 Ukrainer wegen Rowdytums während eines Konzerts des Rappers Max Korzh abzuschieben.

Ob es einen Zusammenhang mit dem massiven russischen Angriff mit 598 Drohnen und um die 30 Raketen auf Kiew und andere Orte gibt, bei dem 19 Menschen, darunter 4 Kinder, starben, ist nicht ersichtlich. Moskau dürfte daran gelegen sein, dass junge Ukrainer, die mobilisiert werden können, aus dem Land gehen. Angeblich wurden 563 Drohnen, eine von zwei Kinshal-Raketen, 7 von 9 Iskander-M/KN-23-Raketen und 18 von 20 Kh-101-Marschflugkörper. „Raketen- und Drohnentreffer wurden an 13 Orten registriert“, berichtet die Luftwaffe, „und abgeschossene Drohnen (Splitter) gingen an 26 Orten nieder.“ Bekannt wurde, dass eine im Bau befindliche Drohnenfabrik von Bayraktar angegriffen wurde, zerstört wurde auch im südöstlichen Stadtteil Darnitsky ein fünfstöckiges Wohngebäude. Energieinfrastruktur wurde durch die Luftangriffe in mehreren Regionen der Ukraine beschädigt.

Florian Rötzer

Florian Rötzer, geboren 1953, hat nach dem Studium der Philosophie als freier Autor und Publizist mit dem Schwerpunkt Medientheorie und -ästhetik in München und als Organisator zahlreicher internationaler Symposien gearbeitet. Von 1996 bis 2020 war er Chefredakteur des Online-Magazins Telepolis. Von ihm erschienen sind u.a. „Denken, das an der Zeit ist“ (Suhrkamp 1988), „Die Telepolis“ (1995), „Vom Wildwerden der Städte“ (Birkhäuser 2006), „Smart Cities im Cyberwar“ (Westend 2015), „Sein und Wohnen“ (Westend 2020) oder „Lesen im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz“ (Bielefeld 2023)
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26 Kommentare

  1. Es mußte natürlich ganz subtil erwähnt werden, dass der Drohnenangriff der Russen stattgefunden hat, bei dem Zivilisten und Kinder ums Leben kamen, obwohl das alles nichts mit dem eigentlichen Thema zutun hat.

  2. Wie wäre folgendes? Deutschland nimmt die nun ausreisefähigen Männer auf und schickt im Gegenzug alle Politikerinnen und Politiker jener Parteien, die diesen Krieg fortsetzen wollen, die für die Kriegskredite gestimmt haben, und die im Fernsehen so kriegstreiberisch auftreten, direkt an die Front. Und in einem zweiten Los sämtliche Mitglieder dieser Parteien.

    Da kommt was zusammen, wenn CDU, CSU, SPD, Grüne, FDP und „Linke“ in den Krieg ziehen müssen! Entweder eine Menge „Menschenmaterial“ für diesen sinnlosesten aller Kriege oder die spontane Selbstheilung vom grassierenden Russenhass, und damit ein Ende des Krieges mangels Unterstützern…

    1. Das wäre ein guter Anfang.
      2 Dinge, die mir fehlen:
      – Politikerinnen und Politdiverse nicht vergessen, ebenso alle in die EU abgeschobenen oder ins Ausland geflohenen (ehemaligen) deutschen Politiker. Könnte zwar durch ein generisches Makulinum abgedeckt sein, aber sicher ist sicher. Und ich will ja Niemanden diskriminieren
      – Die Journaille ganz nach vorne

    2. so sinnlos auch wieder nicht
      „Michael Hudson: Im Grunde ist es Washington egal, ob Russland den Krieg [in der Ukraine] gewinnt, denn den USA ist es gelungen, ihre Konkurrenz in Europa, vor allem Deutschland, auszuschalten.“

    3. Und vorne weg die Waffenschmieden Papperger zB und die Chefs von Heckler und Koch, all diese Kriminellen eben. Und die deutsche sog. Justiz darf auch gerne gehen. Die verurteilt mir zuviele Friedensaktivisten und Demokraten (Kritiker des Ganzen) und zu wenige Täter…. Wir können hier gerne eine neue Justiz aufmachen, eine die auch versteht, was der Begriff Recht eigentlich bedeutet…und eine, die mal wirklich unabhängig ist.

  3. Ja warum nur?

    In Deutschland können die Freien Ausbildungsplätze nicht mehr besetz werden. Und die Ukrainische Jugend bietet sich dafür sozusagen einfach an.

  4. Damit können die Sprösslinge der ukrainischen „High Society“ (im Alter von 18-22) endlich (wieder) legal ausreisen, sei es für Urlaube, längere „Selbstfindungs-Reisen“ oder Studium an „Eliteuniversitäten“ (oder transatlantischen Kaderschmieden) – oder aus dem Ausland einreisen, um für ein paar Tage Verwandte in der Ukraine zu besuchen, ohne sich Gedanken über die spätere Ausreise zu machen.

    Den Rest meint man wohl, falls es sein muss, wieder einfangen zu können.

    1. Die sidn sowieso schon längst in der Schweiz. Die ukrainischen unabhägigen Nachrichtenkanäle wie Rezident oder Legetimny vermuten, das selenskyregierung druck aus dem Kessel nehmen will. Die Alterkohorte ist führend bei den Demonstrantionen gegen die Regierung, die dein letzter Zeit immer mehr fahrt aufgenommen hatte..

  5. oder oder oder…
    Senf dazu von mir der Vollständigkeit halber (reine Spekulation…):

    oder die Regierung erhofft sich, dass viele mit 17 ausgereiste Ukrainer zurückkommen (sie könnten ja jederzeit wieder ausreisen), sind dann registriert und dann (wenn genügend zurückgekehrt sind) wird das Wehrpflichtsalter gesenkt…

    oder die zurückkehrer werden für wichtige Jobs gebraucht

    oder das ist der Dolchstoß, der die letzten 18-22-jährigen zur Ausreise veranlasst um die Ukraine zu schwächen

    oder oder oder – spekulieren tut sich’s leicht

  6. Und was ist, wenn 2-3 Jahre vergangen sind. Gehen die jungen Leute dann noch mal zurück, wenn sie sich hier was aufgebaut haben?

    Werden sie in ein heruntergekommenes, vom Krieg zerstörtes und von korrupten Gewalttätern regiertes Land gehen – wo ihnen jederzeit ein zweiter Waffengang droht? Ich glaub nicht dran.

    1. Wenn die Deutschen ganz ohne Krieg am Aussterben sind, werden es die Ukrainer um so eher. So muß gesorgt werden das das Volk nicht ganz ausstirbt. Ganz einfach.

  7. „Ukraine lässt überraschend 18-22-jährige Männer ausreisen. Warum?“

    „Zur Fortpflanzung vielleicht?“

    Jetzt mal ehrlich, ist die Frage krank oder diejenigen die für die Umstände dieser Frage verantwortlich sind?
    Und auch für die Beantwortung solcher kranken gesellschaftlichen Zustände.

  8. Es könnte auch folgendes bezweckt werden. Viele der bereits geflüchteten nunmehr 18-24jährigen könnten zurückkehren – und dann wieder plötzlich das Gesetz geändert werden.

  9. „massiven russischen Angriff mit 598 Drohnen und um die 30 Raketen auf Kiew und andere Orte gibt, bei dem 19 Menschen, darunter 4 Kinder, starben….“

    Da merkt man wieder: die „Trump – Putin -Friedensverhandlingen“ laufen auf Hochtouren.

    „Wir telefonieren täglich mit den Russen“ -Immobilieninvestor und Trumps Supegesandter Witkoff gestern.

    1. Die Tage vor und nach dem Trump Treffen waren geprägt von ukrainischen Angriffen mit FPV-Drohnen auf Zivilisten – hat aber aus irgend einem Grund niemand erwähnt in den Medien…

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