Syrien: Neuauflage des „afghanischen Modells“?

 

Vorort von Damaskus. Bild: Instagram

Die EU hat angekündigt, ihre diplomatische Mission in Damaskus wiederzueröffnen. EU-Chef-Diplomatin Kaja Kallas sagte dazu vor dem Europaparlament: „Wir können in Syrien kein Vakuum hinterlassen. Die EU muss präsent sein.“

Der Leiter der EU-Delegation für Syrien, Michael Ohnmacht, hatte bislang seine Aufgaben aus Beirut wahrgenommen, war aber jetzt bereits zur Sondierung und Gesprächen mit der Hayat Tahrir al-Sham (HTS) in Damaskus, obwohl die EU-Sanktionen weiterhin in Kraft sind.

Die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Syrien

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche bilateralen Beziehungen sich die Bundesregierung in Zukunft vorstellt.

Deutschland und Syrien unterhalten zwar formal weiterhin diplomatische Beziehungen, aber die Deutsche Botschaft in Damaskus ist seit 2012 geschlossen. Die syrische Botschaft in Berlin ist zwar immer noch geöffnet, allerdings ist kein Botschafter akkreditiert, sondern sie wird geleitet vom Geschäftsträger ad interim (a.i.) Abdulkareem Khwanda.

Wird Deutschland seine Botschaft in Syrien wieder eröffnen und einen Botschafter bei der von der HTS geführten Regierung akkreditieren und damit ein Regime anerkennen, dessen Schlüsselpersonal zu einer Terrororganisation gehört?

Da es aber unabdingbar erscheint, eigenes Personal in Syrien vor Ort zu haben, um dadurch über Informationen aus erster Hand zu verfügen, besteht Handlungsbedarf, so dass eine Entscheidung nicht bis nach den Bundestagswahlen aufgeschoben werden kann.

Ein Konstrukt, wie es aktuell zwischen Deutschland und Afghanistan besteht, sollte und kann allerdings keine Option sein.

 Die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Afghanistan

 Nach Aussage eines Sprechers des Auswärtigen Amtes „unterhält Deutschland diplomatische Beziehungen zum Staat Afghanistan, nicht zur De-Facto-Regierung der Taliban“.

Das von den Taliban geführte „Islamische Emirat Afghanistan“ wird wegen der Verletzung der Menschenrechte nicht anerkannt. Ebenso wie die UNO kennt Deutschland die von den Taliban gestürzte international anerkannte „Islamische Republik Afghanistan“ weiterhin als legitime Vertretung des Landes an. Formal wird der von den Taliban gestürzte Präsident Ashraf Ghani immer noch als Regierungschef geführt, der bislang allerdings keine Exilregierung gebildet hat.

Diese „komplexe Lage“, wie das AA die Situation bezeichnet, hat dazu geführt, dass die afghanische Botschaft in Berlin, ebenso wie die afghanischen Generalkonsulate in Bonn und München weiterhin geöffnet sind, weil das dort eingesetzte diplomatische Personal noch von der Regierung der „Islamischen Republik Afghanistan“ entsandt wurde. Leiter der afghanischen Botschaft ist als Geschäftsträger ad interim Abdul Baqi Popal. Dieser erkennt die Taliban-Regierung nicht an, ebenso wie der Leiter des Generalkonsulats in Bonn, und beide Herren verweigern jede Zusammenarbeit mit den Taliban. Der Leiter des afghanischen Generalkonsulats in München soll angeblich mittlerweile mit der Taliban-Regierung zusammenarbeiten.

Die deutsche Botschaft in Kabul und das deutsche Konsulat in Kunduz sind seit August 2021 geschlossen.

Um für die besonders gefährdeten Menschen in Afghanistan trotzdem ansprechbar zu sein, hat die Bundesregierung ein sogenanntes „Bundesaufnahmeprogramm“ ins Leben gerufen, auf das hier nicht näher eingegangen wird.

Die zukünftigen Beziehungen zwischen Deutschland und Syrien 

Ich denke, dass die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Afghanistan, wie bereits festgestellt, kein Modell für die Zusammenarbeit mit der neuen Regierung in Damaskus sein können. Ein solches nur schwer nachvollziehbares, diplomatisches Vorgehen darf sich in Syrien nicht wiederholen, weil letztlich die Bevölkerung dafür den Preis zahlen würde.

Wie allerdings eine Alternative aussehen könnte, muss nicht nur juristisch, sondern vor allem auch politisch entschieden werden. Aus meiner Sicht sind dabei vor allem die nachfolgenden Fragen zu beantworten:

  • Ist die Herrschaft von Präsident Assad völkerrechtlich gesehen beendet oder ist das erst nach demokratischen Neuwahlen der Fall?
  • Was geschieht mit dem diplomatischen syrischen Personal, das noch von der Regierung Assad entsandt wurde?
  • Ist die HTS keine Terrororganisation mehr und weiß jemand, wohin sie das Land führen will?
  • Welche Rolle haben Großbritannien, Israel, die Türkei und die USA im Vorfeld und bei den Operationen der HTS auf dem Weg zu der kaum erklärbaren schnellen Machtübernahme gespielt?
  • War die Bundesregierung über die Aktivitäten dieser Länder informiert und hat sie diese ggf. auch gebilligt?
  • Wer stoppt die völkerrechtswidrigen Luftangriffe der USA und seit Neustem auch Frankreichs in Syrien?
  • Wer stoppt die völkerrechtswidrigen Operationen Israels in Syrien?
  • Wer stoppt die völkerrechtswidrigen Militäroperationen der Türkei in Syrien, vor allem gegen die Kurden?
  • Was passiert mit den russischen Militärbasen in Syrien.? Im Gegensatz zu Großbritannien, Israel, der Türkei und den USA war Russland 2015 von Präsident Assad offiziell um militärische Unterstützung gebeten worden, u.a. zur Abwehr der CIA-Operation „Timber Sycamore“, die den Sturz des syrischen Herrschers zum Ziel hatte.

Zusammenfassende Bewertung

Ich habe keine Antwort auf die gestellten Fragen und verfüge auch nicht über den juristischen Sachverstand, der für das weitere Vorgehen erforderlich ist. Ich bin mir allerdings sicher, dass ein deutscher Alleingang nicht sinnvoll ist, sondern die EU ein abgestimmtes Vorgehen beschließen sollte, das auch von der UNO gebilligt wird. Die darauf basierende Zusammenarbeit mit der von der HTS dominierten Übergangsregierung sollte auf einem Niveau erfolgen, das nicht mit einer völkerrechtlichen Anerkennung gleichzusetzen ist, weil zurzeit noch niemand weiß, ob die HTS Syrien wirklich in eine bessere Zukunft führen wird.

Der HTS ist klarzumachen, dass der von ihr geplante Zeitrahmen von vier Jahren bis zur Durchführung von demokratischen Wahlen nicht akzeptabel ist. Um die Forderung nach einem wesentlich kürzeren Zeitplan für die HTS attraktiv zu machen, könnte im Gegenzug die Aufhebung der von den USA und der EU verhängten Sanktionen angeboten werden.

Um ein mögliches Machtvakuum in Syrien zu verhindern, ist schnelles Handeln geboten. „Der Westen“ sollte Russland in seine Planungen einbeziehen, um die Entstehung eines weiteren Konfliktfeldes zu vermeiden.

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20 Kommentare

    1. Schon ein bisschen skurril, wie der Artikel treffend die völkerrechtswidrigen Bombardierungen des Wertewestens anprangert, aber dann den Aspekt der “regelbasierten” Ordnung, dass man international zwischen Anerkennung von Ländern und von Regierungen unterscheiden könne, als völkerrechtliche Anerkennung vorstellt.

      Unsere Medien haben den Leuten seit dem Überfall auf Afghanistan 2001 so restlos das Gehirn verdreht, dass die langsam alles als OK-Regel akzeptieren, wenn es ihnen von der Nato-Presse lange genug in den Kopf geprügelt wird.

      Die Unart, dass die USA – und im Windschatten die EU – andere Länder regieren wollen, und dafür illegale Sanktionen, bis hin zu Södnerarmeen einsetzen, läuft in Syrien wie in Afghanistan lückenlos weiter. Ich weiß nicht, wie lange ich den Grundsatz aus der UN-Charta Artikel 2, “Nichteinmischung in innere Angelegenheiten” in unseren Qualitätsmedien nicht mehr gehört haben. Vermutlich seit 2001.

      Wenn die USA Lust hat, einem Land zu sagen, was es im Innern tun darf und was nicht, dann wird die Berechtigung einfach für ein paar Monate von allen Hauptmedien im Gleichklang wiederholt und dann ist es irgendwie Völkerrecht.

    2. Wovon alle ganz selbstverständlich auszugehen scheinen, die diese neue syrische “Regierung” überhaupt in Erwägung ziehen für irgendwelche “Partnerschaften”, das ist schlicht folgendes: Straffreiheit für diese exquisite Gruppe Massenmörder während des Bürgerkrieges; und unseren: den westlichen Regierungen, die diesen Bürgerkrieg inszeniert und geschürt haben, reicht als Legitimierung das Versprechen der Massemörder: Heute sind wir nicht mehr so! Für den künftigen Alltag der Syrer läuft das in jedem Fall – auch dann, wenn die ehemaligen Massenmörder tatsächlich „nicht mehr so“ sein sollten – auf folgendes raus: Um Ausgewogenheit bemühte Aufarbeitung der Bürgerkriegs-Gräuel wird es nie geben, im Gegenteil: Bürgerkriegs-Opfer und ihre Hinterbliebenen werden gegenüber diesen nun regierenden Tätern noch mehr ins (staatliche) Hintertreffen geraten, als sie es ohnehin schon sind; Bürgerkriegs-Brutalität und Opfer-Demütigung werden einfach verstaatlicht, und die Opfer haben dafür auch noch dankbar zu sein.
      Wenn die EU-Regierungen, die für die Bürgerkriegs-Gräuel entscheidend mit verantwortlich waren (und sind und bleiben), nun verkünden, sie wollten in Syrien “kein Vakuum hinterlassen”, so ist das nur das Syrien-Analogon zur Corona-Aufarbeitungs-Formel des Ex-Bundesgesundheitsministers Spahn: Wir werden einander viel zu verzeihen haben! (So tönen Täter-Befehle an die Opfer.)

  1. Russland hat lange versucht, den Westen vor seinem nächsten großen Fehler zu beahren, aber die Lust am Untergang ist einfach zu groß.

  2. So, so: “Der HTS ist klarzumachen,…”
    Das ist zweifellos eine sehr gelungene und diplomatisch sehr feinfühlige feststellung/aufforderung! Sie entspricht voll und ganz dem niveau der deutschen (und auch der EU-) aussenpolitik von Baerbock-Leyen. Herr Hübschen sollte sich – sofern noch nicht geschehen – unbedingt auf eine position im AA bewerben – solche forschen “klarspüler” braucht das land dringend,..

    1. Ist das nicht so wie damals in Cuba? Ein paar bärtige Männer kommen und befreien die Insel von einem Diktator. Danach errichten sie zu Freude der Einwohner eine linke Regierung mit ihren Leuten. In Syrien wird es dann halt eine islamische Regierung.
      Die Exil-Syrier bleiben dann doch lieber in Florida äh Deutschland.

  3. Ein Frage picke ich mal raus:
    “Wer stoppt die völkerrechtswidrigen Operationen Israels in Syrien?”
    heute morgen den Bericht von Karin Leukefeld aus Damaskus auf https://globalbridge.ch/erkundungen-vor-ort-in-syrien/
    gelesen:
    der letzte Absatz des Berichts bringt es ans Tageslicht.
    “Die Autorin wirft einen Blick auf das Handy, um zu prüfen, ob Nachrichten eingegangen sind. Der syrische Anbieter MTN ist verschwunden, stattdessen gibt es einen neuen, unbekannten Anbieter namens „Cellcom“. Das SMS Signal kündigt eine neue Nachricht an. Darin weist der deutsche Vertragspartner darauf hin, dass man in einem neuen Land angekommen sei. „Willkommen in Israel“, steht in der Nachricht.
    Da die Nordsyrer schon lange mit ” Willkommen in der Tuerkei” begruesst werden, ist jetzt meine Frage:
    wie werden die Kurden in Nord-Ost-Syrien begruesst?

    Ich wuensche allen ein glueckliches und gesundes 2025

    1. Das sind halt die westlichen Werte! Klauen, wo es etwas zu klauen gibt. Warte wir doch mal ab, wie lange es dauern wird, bis die ersten Siedler in Syrien anrücken, um das ihnen von Gott persönlich geschenkte Land an sich zu raffen. Wenn niemand die Zausels anhält, werden die erst kurz vor Peking haltmachen.

    2. Die geben sich gar keine Mühe mehr, ihre Raubzüge zu verbergen. Wenigstens weiß man nun in Syrien, dass die Zionisten alles überwachen.

  4. Wozu sollen diplomatische Beziehungen von Deutschland nach Syrien gut sein? Mir fällt nichts ein.

    Für die Menschen dort muß es aber eine Lösung geben! Wir müssen sie aufnehmen. Schließlich haben wir ihre Heimat zerstört. Ich schätze, 10 Mio Menschen von dort können wir noch aufnehmen, ohne daß es uns schadet. Nicht alle auf einmal, das ist klar, aber 2 Mio pro Jahr sollte gehen, ging 2015 ja auch. Und die anderen europäischen Länder können auf jeden Fall auch einige Millionen aufnehmen.

    1. BertT.0: “Wozu sollen diplomatische Beziehungen von Deutschland nach Syrien gut sein?”

      Um die Flüchtlinge zurückführen zu können. Denn die werden dringend in Syrien gebraucht um das Land wieder aufzubauen nachdem es durch Krieg und Sanktionen gründlich zerstört wurde. Natürlich ist die Einfuhr von großen Mengen an Kapital die Grundvoraussetzung. Da darf der Westen nicht knausern. Genau das dürfte aber ein Problem werden, denn der Westen ist gewohnt nur zu investieren wenn schneller Gewinn zu haben ist.

      1. Es werden keine Flüchtlinge zurückgeführt, das wird nicht passieren, es ist ein reines Denkmodell. Und nein, in Syrien werden die nicht gebraucht, das Bevölkerungswachstum dort ist so krass, daß sie über jeden froh sind, der abhaut. Glück für uns, so bekommen wir neue Menschen.

  5. Sie deutsche Aussenpolitik vertreten durch Baerbock hat doch längst klar gemacht:
    Syrien muss die Russen rausschmeissen sonst gibt es keine Unterstützung!

    Das,AA macht also klar wer Wirt und wer Kellner ist

    Ein geeintes Syrien einschließlich aller bisher besetzten Gebiete wird es in naher Zukunft nicht geben.

  6. Oho! Wie ich jüngst analysiert hatte, braucht Putin Assad nicht mehr, weil keine Chance auf Rückkehr des Schlächters besteht.
    …und prompt: Es gibt erste Gerüchte, dass Assad vergiftet wurde. “Trink keinen Tee mit Putin!”. Er war gewarnt.

    1. “Oho! Wie ich jüngst analysiert hatte, braucht Putin Assad nicht mehr, weil keine Chance auf Rückkehr des Schlächters besteht.
      …und prompt: Es gibt erste Gerüchte, dass Assad vergiftet wurde. “Trink keinen Tee mit Putin!”. Er war gewarnt.”

      Wow, Du machst dem Drecksblatt BILD ernsthafte Konkurrenz!

  7. Meiner Meinung nach ist dieser Jolani ein echter Könner. Das politische Handwerk liegt ihm. Was eine ganz große Ausnahme ist inzwischen.
    Die Russen dürfen ihre Stützpunkte behalten, sagt wenigstens Thomas Röper. Sich nicht von einer Seite vereinnahmen lassen, um von beiden Seiten umworben zu werden. Dass das klappt, zeichnet sich schon ab.
    Dann hat sich die HTS verpflichtet, bis März eine neue Verfassung vorzulegen. Die müsste dann irgendwie legitimiert werden. Eine Volksabstimmung würde weltweit begrüßt.
    Warum es ab da noch vier Jahre dauern soll, bis Wahlen kommen, ist etwas schleierhaft. Ich schätze mal, sie wollen nicht allzu stromlinienförmig daher kommen. Das lassen sie sich abverhandeln und Hunderte von Diplomaten behaupten dann, sie hätten das bewirkt. Was ab da dann freundlich gesonnene Diplomaten sein dürften.
    Iran-Freund Hübschen könnte dorthin ja auch mal einen Blick werfen. Natürlich war Syrien ihre Kolonie und sie haben sie ausgequetscht wie eine Zitrone. Nicht zuletzt mit den Drogen. All das fällt jetzt weg und schon kracht die iranische Wirtschaft zusammen. Dasselbe im Libanon, im Iraqk und im Jemen. Solang die Iraner drin sind, kriegen diese Länder nie einen Fuß auf den Boden.
    Dazu kein Kommentar?

  8. Nach meiner Einschätzung werden in Syrien eher Verhältnisse wie in Libyen entstehen. 2 oder auch 3 Machtzentren rivalisierender islamistischer Gruppen.

    Derzeit werden die Reste der staatlichen Strukturen Syriens von Israel kaputt gebombt.
    Das Land wird ins Mittlalter zurück gebombt Es herrschen dann islamistische Horden, ausgestattet mit Maschinengewehren.
    Dabei war Syrien eins der weitest entwickelten arabischen Länder im Nahen Osten.

    Wie der Westen dieses großartige und säkulare Land mutwillig zerstört hat, das ist ein furchtbares Verbrechen!

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