
Studienergebnisse stellen erneut die Richtlinie zur Behandlung von Depressionen in Frage. Mit Gedanken über Erwartungseffekte (Placebo).
In Marienheide bei Gummersbach, ziemlich genau in der Mitte zwischen Köln, Wuppertal und Siegen, liegt das Zentrum für Seelische Gesundheit des Klinikums Oberberg. Ein Team von Forschern und Therapeuten unter der Leitung von Reinhard Maß, Professor für Klinische Psychologie, und Bodo K. Unkelbach, Chefarzt und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, berichtet jetzt seine Forschungsergebnisse.
Die neue Studie basiert auf den Daten von rund 1000 Patientinnen (n = 565) und Patienten (n = 433) im Alter von durchschnittlich 38 Jahren. Diese wurden im Zeitraum zwischen Oktober 2012 und Juni 2021 behandelt. Der Titel fasst das Ergebnis in typischer Wissenschaftssprache zusammen: „Kein Vorteil durch Antidepressiva bei der stationären Behandlung von Depression.“ Erstaunlicherweise findet man diese Studie, publiziert am 1. August 2023, in der Fachzeitschrift Psychopharmacology, also einem auf Psychopharmakologie spezialisierten wissenschaftlichen Medium.
Behandlung
Das Behandelkonzept dieser Klinik sieht vor, dass die Patienten zweimal pro Woche eine intensive Kognitive Verhaltenstherapie erhalten. Zum Verständnis der Entstehung und Aufrechterhaltung der psychischen Problematik konzentriert man sich auf systemisch-biographische Aspekte: das heißt, die Strukturen (z.B. Beziehungen, Familie, Arbeitsplatz) und Lebensverläufe der Betroffenen.
Dazu kommen Sitzungen in Gruppentherapie zu den Themen Depression, soziale Fähigkeiten, Achtsamkeit und Verkörperung. Außerdem wird begleitend Ergotherapie und Physiotherapie angeboten. Die Behandlung in der Klinik dauert rund zwei Monate.
Bei der Aufnahme erstellen die Fachleute für jede Patientin und jeden Patienten ein individuelles Modell der Faktoren, die die psychische Störung bedingen, auslösen und aufrechterhalten. Dabei wird Depression als eine Reaktion auf akuten und chronischen psychosozialen Stress aufgefasst, die insbesondere bei bestimmten Risikofaktoren auftreten kann:
Der Stress kann sich beispielsweise durch die Arbeitsmenge, Partnerschaftsprobleme und Beziehungskonflikte ergeben; die Risikofaktoren können bestimmte Gedankenmuster oder körperliche Probleme sein. In der Psychotherapie sollen hierfür bessere Bewältigungsstrategien gelernt werden.
„Antidepressiva“
Bei der Klinikaufnahme verwendete rund die Hälfte der Patientinnen und Patienten sogenannte Antidepressiva. Das waren vor allem selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs), die seit den 1980ern immer häufiger verschrieben werden. Gemäß den Richtlinien der Bundesärztekammer ist eine medikamentöse Behandlung bei Depressionen immer noch Standard.
Laut dem Arzneiverordnungs-Report (2021, S. 691) stieg die Verschreibung solcher Medikamente – auf bereits hohem Niveau – in den Jahren von 2011 bis 2020 in Deutschland um noch einmal 34 Prozent. So kam man in 2020 auf satte 1,7 Milliarden Tagesdosen. Das ist genug, damit 4,6 Millionen Menschen die Mittel tagtäglich verwenden können.
„Mit weit über 2 Milliarden [Tagesdosen] stellen die Psychopharmaka eine der größten Arzneimittelgruppen dar. Dabei sind die seit vielen Jahren beobachteten Zu- wächse vor allem auf steigende Verordnungen und Indikationsausweitungen von An- tidepressiva zurückzuführen […]. Im Durchschnitt haben die Verordnungen von Antidepressiva (Noradrenalin/Serotonin-Verstärker) in der letzten Dekade um mehr als 40% zugenommen. Dieser Anstieg wurde vor allem von den selektiven Serotonin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SSRI) und den selektiven Serotonin-Noradrenalin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SNRI) getragen […].“ Arzneiverordnungs-Report 2021, S. 689

Doch „Antidepressiva“ ist eigentlich eine irreführende Bezeichnung. Abgesehen von der nachweislich schlechten Wirksamkeit, auf die wir gleich noch näher eingehen werden, passt dieser Name nicht zur etablierten Verschreibungspraxis. Dazu noch ein Zitat aus dem Arzneiverordnungs-Report:
„Ursprünglich wurden diese Arzneistoffe zur Therapie der Depression eingesetzt. In den letzten Jahren hat sich jedoch eine dramatische Erweiterung des Indikationsspektrums für die Antidepressiva entwickelt. Sie werden unter anderem auch zur Therapie von Angststörungen, Zwangserkrankungen, Panikstörungen, posttraumatischem Stress-Syndrom und neuropathischen Schmerzen eingesetzt. Also muss der Arzt bei diesen Indikationen, wenn er ein Antidepressivum verschreibt, dem Patienten unter Umständen klarmachen, dass er keine Depression habe, sondern die verschriebenen Arzneistoffe auch bei anderen Erkrankungen wirksam sind. Der Patient wird oft irritiert sein und dann beim Recherchieren im Internet feststellen, dass die Depression als Hauptindikation für Antidepressiva gelistet wird.“ Arzneiverordnungs-Report 2021, S. 111f.
Zwei Phasen, ein Ergebnis
Eine Besonderheit der neuen Studie ist eine Änderung des Behandelprotokolls im Laufe der Zeit: Während der ersten Phase (Phase A) empfahl man den Patientinnen und Patienten mit schweren Depressionen die Einnahme eines „Antidepressivums“. In der zweiten Phase (Phase B) verzichtete man auf diese Empfehlung. Das ermöglicht einen interessanten Vergleich der Ergebnisse.
Zunächst einmal fällt auf, dass in Phase A die Rate der Depressionspatienten ohne medikamentöse Behandlung sank, nämlich von 44 Prozent bei der Aufnahme auf 34 Prozent bei der Entlassung. Einige Patientinnen und Patienten entschieden sich also – im Einklang mit der Empfehlung und den offiziellen Richtlinien – für „Antidepressiva“.
In Phase B war das gerade umgedreht: Hier stieg die Rate derjenigen, die auf Medikamente verzichteten, nämlich von 54 (Aufnahme) auf 74 Prozent (Entlassung). Wie unterscheidet sich nun das Ergebnis dieser beiden Phasen?

Demnach spielte es im Durchschnitt keine Rolle, ob die Patienten „Antidepressiva“ nahmen oder nicht. Die hier gezeigten Unterschiede von in etwa einer Halbierung der Punkte auf der Depressionsskala sind übrigens erheblich.
Solche zeitlichen Verläufe sind aber mit Vorsicht zu genießen: Wie ich erst kürzlich schrieb, geht eine depressive Episode nämlich meist nach vier bis neun Monaten von selbst wieder vorbei (Barlow, Durand & Hofmann, 2023, S. 213).
In der hier vorliegenden Studie ging es aber um Härtefälle. Schließlich wird nicht jede(r) mit einer depressiven Verstimmung gleich in einer Klinik aufgenommen und sind die Wartezeiten oft lang. Dementsprechend berichten die Forscherinnen und Forscher, dass die hier untersuchten Personen wegen eines hohen Suizidrisikos, mangelnder Bewältigung des Alltags, Arbeitsunfähigkeit und/oder gescheiterter vorheriger Therapien aufgenommen wurden.
Zufriedener ohne „Antidepressiva“
Ein anderes Maß für den Erfolg einer Behandlung ist bei solchen Studien übrigens die Abbruchquote. Das gilt insbesondere für Depressionen: Eines ihrer Kernkriterien ist neben der depressiven Verstimmung nämlich die Antriebslosigkeit. Das heißt, den Patientinnen und Patienten fehlt es oft an der Motivation oder Energie, etwas zu unternehmen oder durchzuhalten. Das gilt auch für die Behandlung selbst.
In Phase A sank die Anzahl der Teilnehmenden von 574 auf 489, brachen also 15 Prozent vor der Entlassung ab – davon leider vier Patienten unter medikamentöser Behandlung mit „Antidepressiva“ durch einen Suizid. In Phase B sank die Zahl von 401 auf 378, also um nur 6 Prozent und gab es keine Suizide. Demnach waren die Personen im Schnitt ohne Medikamente zufriedener mit der Behandlung.
Bei der Nachuntersuchung sollten die Patientinnen und Patienten beantworten, was ihrer Meinung nach am wichtigsten für ihre Behandlung war. Dabei nannten 81 beziehungsweise 78 Prozent die Psychotherapie (Phase A, B), jedoch nur 2 beziehungsweise 3 Prozent die Pharmakotherapie (medikamentöse Behandlung).
Alles in allem kommen die Forschenden zu diesem deutlichen Fazit: „Die Ergänzung der Kognitiven Verhaltenstherapie durch Antidepressiva verleiht der Therapie keinerlei Vorteile, sondern erhöht nur die Last der Nebenwirkungen“ (Maß et al., 2023). Dementsprechend kritisieren sie auch die Therapierichtlinien, die stark auf „Antidepressiva“ bauen.
Internationale Studien
Die aufmerksamen Leserinnen und Leser von MENSCHEN-BILDER wissen bereits seit vielen Jahren, dass die Behandlungseffekte in psychopharmakologischen Studien zu Depressionen systematisch verzerrt sind. Beispielsweise wird aufgrund der Nebenwirkungen oft die Placebo-Kontrolle durchbrochen, wissen also sowohl die Forscher als auch die Patienten, wer den Wirkstoff erhält (Teil 1, Teil 2).
Zudem werden im Voraus Patienten mit einem starken Placebo-Effekt ausgeschlossen; auch das verzerrt die Ergebnisse. Wenn die Medikamente vor dem Studienbeginn abgesetzt werden, kommt es außerdem zu Entzugserscheinungen. Dann ist der Einstiegswert auf der Depressionsskala besonders hoch – und der „Behandlungserfolg“ mit Psychopharmaka in Wirklichkeit eine Abnahme der Entzugserscheinungen. Auch werden Patienten mit komplexen Problemen oft ausgeschlossen. In der neuen Studie von Maß und Kollegen wurden sie gerade mitbehandelt.
Sogar laut den eher positiven pharmakologischen Analysen profitieren nur etwa 15 Prozent der Patientinnen und Patienten von Antidepressiva (Stone et al., 2022; eine Zusammenfassung von 232 Einzelstudien mit über 73.000 Teilnehmenden). Dieser (ohnehin kleine) Unterschied könnte, wie gesagt, schlicht an der Verletzung der Placebo-Bedingung liegen – und reflektiert nur unzureichend die wirklichen Bedingungen von Menschen mit Depressionen.
Über Interessenkonflikte wegen der Finanzierung durch die Pharmaindustrie haben wir noch gar nicht geredet. In der Praxis werden unerwünschte Studienergebnisse dann leider oft aus der wissenschaftlichen Forschungsliteratur herausgehalten – obwohl solche Negativbefunde für die Patientinnen und Patienten sehr wichtig wären.
Natürlich hat auch die vorliegende Studie ihre Einschränkungen: So gibt es in der Psychotherapieforschung – ebenso wie bei den Psychedelika – keine echte Placebo-Kontrolle. Es ist eben Menschenmedizin, keine Biomedizin. Stattdessen vergleicht man die Patienten zu verschiedenen Zeitpunkten mit sich selbst; und hier, dank der beiden Phasen, vergleicht man Behandlungen mit mehr und weniger Psychopharmaka.
Erwartungseffekt
Der Begriff des Placebo-Effekts gilt ohnehin überholt. In der einschlägigen Forschung spricht man seit Jahren lieber vom Erwartungs-, Situations- oder Bedeutungseffekt. Anstatt, wie traditionell in der Biomedizin, den Placebo-Effekt zu bekämpfen, sollte man ihn viel besser im Sinne der Genesung nutzen.
Und was wäre ein besseres Beispiel für – sozusagen – die heilende Kraft der Psyche als der Bereich der psychischen Störungen? An der neuen Studie fällt auf, dass Depressionen explizit als psychosoziales Problem dargestellt werden. Und beim Zentrum für Seelische Gesundheit des Klinikums Oberberg ist der Schwerpunkt auf die Kognitive Verhaltenstherapie zudem weitbekannt. Insofern dürften die Patientinnen und Patienten dort auch eine hohe Erwartung an die Wirksamkeit von Psychotherapie haben.
Auch wenn wir natürlich Körperwesen sind und sich Unterschiede in der depressiven Symptomatik (nur!) zu 1,5 bis 3,2 Prozent durch Unterschiede in den Genen erklären lassen (Giangrande, Weber & Turkheimer, 2022), sind Traumata und andere schwere Lebensereignisse der bislang größte bekannte Risikofaktor für diese psychische Störung (Teil 1, Teil 2).
Das bedeutet nicht automatisch, dass jemand beim Verlust des Arbeitsplatzes, einer Trennung oder einem Todesfall schwerdepressiv wird. Viele Menschen suchen sich dann eine Bewältigungsstrategie und stürzen sich vielleicht in Arbeit, Reisen, Sport, Hobbys, Drogen- oder Alkoholkonsum. Das kann eine Zeit lang gut gehen – aber insbesondere im Zusammenhang mit negativen Gedankenmustern oder beim Auftreten weiterer Schocks oder von zu viel Stress, kann eine schwere psychische Störung entstehen.
Erwartungen spielen für die Therapie eine wichtige Rolle. Das gilt gleichermaßen für „körperliche“ und „seelische“ Erkrankungen, wobei man Leib und Seele besser als Einheit sieht (englisch: emobiment). Das macht psychische Störungen nicht weniger real – weist aber ein weiteres Mal die Beschränktheit der biomedizinischen Sichtweise auf, wenn Depressionen als „Erkrankungen im medizinischen Sinn“ (Ulrich Hegerl, Stiftung Deutsche Depressionshilfe) oder gar „Hirnstörungen“ (Florian Holsboer, früher Max Planck-Institut für Psychiatrie) bezeichnet werden.
Die neue Studie ist ein weiterer Hinweis, dass Menschen Menschenmedizin brauchen, nicht Bio-, Nagetier- oder Schaltkreisemedizin. Hier geht es also ums Menschenbild.
Der Artikel wurde zuerst auf dem Blog „Menschen-Bilder“ des Autors veröffentlicht. Stephan Schleim ist studierter Philosoph und promovierter Kognitionswissenschaftler. Seit 2009 ist er an der Universität Groningen in den Niederlanden tätig, zurzeit als Assoziierter Professor für Theorie und Geschichte der Psychologie.
Ähnliche Beiträge:
- Psychische Störungen lassen sich weder auf die Gene, noch auf das Gehirn reduzieren
- Lass den Geist wandern
- Sie sind nicht mangelhaft, Sie werden nur von Idioten regiert!
- Psyche und Corona: Die Seele leidet
Bitte Herr Schleim! Sie wollen der Pharma-Branche jetzt doch nicht ihre Einkünfte durch Langzeitmedikation mit sehr teuren Medikamenten wegnehmen?
Der Autor schreibt :
„Demnach spielte es im Durchschnitt keine Rolle, ob die Patienten „Antidepressiva“ nahmen oder nicht.“
Eigentlich bin ich ziemlich durchschnittlich; im Bezug auf obigen Text muß ich aber sagen : Was geht mich der Durchschnitt an !
Jeder in diesem Forum kennt Heines „Wintermärchen“; ich erlaube mir, einen Vers desselben umzuformulieren : “ Ich denk an Deutschland Tag und Nacht; mich hat’s um den Verstand gebracht !“
Ohne Antidepressiva wäre ich schon längst in der Klapse, oder in der Kiste !
( by the way : Bevor mich teutonische Herrenmenschen wegen meiner Psyche zum Untermenschen erklären : Auch berühmte Menschen, die einem „auserwählten“ Volk angehörten, fanden ähnliche Lebensenden ( siehe Biographie des Ezra Pound + David Foster Wallace )).
Sollten Sie nicht besser sagen: Was gehen mich die Leute an, denen durch die Antidepressiva-Verabreichung eine wirksame Psychotherapie vorenthalten wurde! Was gehen mich die Leute an, die durch Antidpressiva schwere körperliche und zentralnervöse Schäden erlitten haben! Was gehen mich die Leute an, die von Antidepressiva körperlich abhängig wurden und nun unter bleibenden massiven Entzugsproblemen leiden! Was gehen mich die Leute an, die durch Antidepressiva in den Suizid getrieben wurden! Was geht es mich an, wenn sich die Verordner systematisch strafbar machen, wenn sie vor Beginn der Antidepressiva-Verabreichung nicht – wie rechtlich vorgeschrieben – über das Risiko der körperlichen Abhängigkeit aufklären! Was gehen mich die Leute an, deren Depressionen durch die fortgesetzte Verabreichung von Antidepressiva und die dadurch bewirkten Rezeptorenveränderungen chronisch depressiv wurden! Was geht mich die Gesellschaft an, wenn durch die sozialen Folgeschäden der körperichen Abhängigkeit, deren Verleugnung und der Vorenthaltung von Hilfen beim Absetzen Milliardenschäden entstehen!
Sport ist der Platinstandard, jedenfalls sollen Studien gezeigt haben, dass Sport besser wirkt als der Goldstandard in Form von Antidepressiva. Manche Wissenschaftler gehen auch davon aus, dass es sich bei Depressionen einfach um eine Entzündung im Gehirn handelt, die durch die üblichen, nicht medikamentösen Maßnahmen aus Sport, Fasten und Gewichtsabnahme einfach zu behandeln ist. Dieses dreiteilige Rezept scheint übrigens bei fast allen der Zivilisationskrankheiten zu helfen.
Disziplin des Willens!
Disziplin sollte ein Ausdruck des Wollens sein Selbstdisziplin, Konzentration, Geduld, das Wichtignehmen der Kunst des Seins und ein Gespür für sich selbst.
Es gibt eben kein Pardon und es gibt auch kein richtiges Leben im falschen Leben!
Aus meiner eigenen Erfahrung heraus, kann ich von Antidepressiva nur abraten.
Sie helfen kaum, zerschießen aber die Libido häufig so nachhaltig, dass sie daher neben anderen Nebenwirkungen auch noch zu Beziehungs- beziehungsweise zu Selbstwertkrisen führen.
Solange korrupte Ärzte – eingebunden in einem ökonomisierten korrupten „Gesundheitssystem“ – für die Verschreibung des X-tausenden „Antidepressiva“ vom Pharmaunternehmen eine „Schulung“ in Budapest erhalten, wird nun mal weiter tüchtig verschrieben….
Jo Mei……
Mal zum Gesamtbild: der Umsatz an Psychopharmaka geht ab wie eine Rakete:
https://www.depression-heute.de/siebenmal-mehr-antidepressiva-als-1991/
Das endet 2014, neuere Zahlen fand ich nicht. Wer im Netz nach pharmakritischen Artikeln sucht, stößt mit fast hundertprozentiger Sicherheit auf Herrn Schleim, bei Overton oder bei Telepolis. Dort allerdings seit über einem Jahr auch nicht mehr. Es hat sich wohl die Pharmaindustrie beschwert, die dort wirbt. Welches Medium ist denn nicht auf Werbeeinnahmen der Pharma angewiesen? Nun ja, man sollte sich nicht wundern, wenn Overton hier ein Alleinstellungsmerkmal hat.
Der einzige Politiker, der sich getraut hat, das zu thematisieren, ist Robert F. Kennedy. Er stellt fest, dass 70 Prozent der Werbeeinnahmen der Presse wie auch der Internetkonzerne von der Pharma kommen, was unter anderem heißt, dass in diesen Medien jede Pharma-Kritik unterbleibt. Und natürlich, dass sich die Presse dann sofort auf Kennedy einschießt. Das könnte er durchaus umdrehen, indem er genau das thematisiert. Leider schießt dieser Kennedy an anderer Stelle so viele Eigentore, dass er am Ende doch wohl chancenlos bleibt.
Über die Umsatzzahlen der US-Pharma fand man vor Jahren noch absolut erschreckende Zahlen im Netz. Die findet man inzwischen nicht mehr, die wurden offenbar gelöscht. Um es kurz zu machen: dieses Land verweigert einem Großteil seiner Bürger selbst eine rudimentäre Gesundheitsversorgung. Wer Schmerzen hat, wirft Opioide ein, wer seelischen Schmerz hat, Antidepressiva.
Der Mensch, der nur Gemüse isst und auf alle Genussmittel verzichtet, lässt sich beim besten Willen nicht heranzüchten. Er wünscht eine Inspiration und das kann man ihm beim besten Willen nicht abgewöhnen. Gegen die traditionellen Genussmittel wie Tabak und Alkohol läuft gegenwärtig eine regelrechte Prohibitionskampagne, wohlwissend, dass die Leute dann ersatzweise zu Pharmaprodukten greifen werden. Hirndoping oder aber Cannabis, was inzwischen auch zu den Pharmaprodukten gezählt werden muss. Ein Experiment, das verheerend in die Hose ging. In früheren Zeiten waren die USA das Land der Pioniere, der Musiker und Komponisten, der Schriftsteller und der Intellektuellen. Alles verschwunden, einfach weg. Noch nie ist eine Generation von so doofen Amis über Gods own Country getappt wie diese. Einzige Attraktion: herumballern mit Kriegswaffen. Mit bekanntem Ergebnis.
Man liegt nicht falsch, wenn man von einer Pharmadiktatur spricht. Die aber aus bekannten Gründen niemals thematisiert wird.
„Das endet 2014, neuere Zahlen fand ich nicht. Wer im Netz nach pharmakritischen Artikeln sucht, stößt mit fast hundertprozentiger Sicherheit auf Herrn Schleim, bei Overton oder bei Telepolis.“
Habe doch was gefunden, da ist der Verlauf noch deutlicher. Zeigt ein Vergleich wie Psychopharmaka innerhalb von 25 Jahren (1994 – 2018) verschrieben wurden.
https://www.ppt-online.de/heftarchiv/2019/01/1994-2018-welche-substanzen-wurden-neu-zugelassen-welche-sind-noch-verfugbar-eine-ubersicht.html
Auch noch interessant wie die Suizide zurück gingen:
https://www.depression-heute.de/luegen-mit-suiziden-antidepressiva-vermarktung-von-experten/
Da, in einem Fachmagazin, ist Pharmakritik noch möglich. Was aber niemals den Weg in die Presse schafft.
Es geht hier nur um die verschriebenen Medikamente. Zumindest in den USA ist das schon nur noch ein Teilbereich. Mehr oder weniger bekommt man die wie die Smarties.
@Arthur_C
Und wer im Altersheim etwas vorlaut oder lebhafter ist bekommt Beruhigungspillen. Aber streng nach ärztlicher Anweisung. Wobei man beachten kann, dass der Arzt im Regelfalle das verschreibt was das Pflegepersonal bzw. die Krankenschwester „begründet“ verlangt. Es liegt ergo oft an der Toleranzgrenze des Pflegepersonals / der Krankenschwester ob und wann der Bewohner ruhig gestellt wird.
Dies ist ein Pauschalurteil, das weder andere noch ich aus Erfahrungen (vor Ort) bestätigen würden.
In Pflegeheimen befinden sich vermehrt Personen, die aufgrund ihres Alters an Demenz oder Alzheimer erkrankt sind. Die daraus resultierende Regression verändert die Psyche und das Wesen massiv. Weshalb also sollte es nicht angezeigt sein, einem Patienten durch passende medikamentöse Einstellung das Leben einerseits durch „innere Ruhe“ zu erleichtern und andererseits ein mögliches destruktives Verhalten bei Interaktion mit Pflegepersonal zu entschärfen, was letztlich einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Interaktion mit dem Personal und dem daraus resultierenden Umgang haben wird. Beachte: medikamentöse Hilfestellung, KEINE Sedierung!
Darüber hinaus dürften/sollten die meisten Heimbewohner eine gültige Vorsorgevollmacht besitzen.
Was bedeutet, dass die Bevollmächtigten, ! so sie denn ihren Job korrekt erledigen !, auch über Behandlungen, Therapien, OPs sowie Medikation informiert werden müssen und eingreifen können. Keineswegs obliegt dies dem Gutdünken der Angestellten vor Ort!
Der Trend in Deutschland geht mal wieder Richtung Zwangsbehandlung
https://www.alexianer-muenster.de/unternehmen/aktuelles/aktuell/psychisch-kranken-menschen-helfen-auch-gegen-ihren-willen-debatte-beim-alexianer-ethik-symposium
Ja, aus einer gewissen Sicht hat dieses viele Vorteile (Zwangsbehandlung in Verbindung mit vorheriger „Zwangs-psychiatrischer Untersuchung“ bzw. nur in Verbindung mit Gefälligkeits „ärztlichen Zeugnis“). Da gehen dann solche Dinge, wie bei ein paar hessischen Steuerfahndern¹ viel einfacher.
Und es ist halt auch einfacher, falls ein Psychologe/Psychiater nur eine psychische Krankheit bei jemanden herbeiphantasieren muss als auch gleichzeitig noch herbeiphantasieren zu müssen, dass die Person auch keinen freien Willen oder nur einen eingeschränkten freien Willen hätte.
Hmm und ob man vielleicht auch – zumindest theoretisch – von Seiten von Ämtern und Behörden durch Schikane, Mobbing etc. eine psychische Erkrankung (bzw. psychische Krankheit) bei jemanden zuerst verursachen könnte, die man dann mit einer Zwangsbehandlung (gegen den freien Willen) behandeln muss oder könnte.
ps. Wer Sarkasmus (oder Zynismus) in diesem Beitrag findet, kann diesen gerne behalten, ich bin da nicht so.
¹) Siehe https://www.spiegel.de/politik/deutschland/affaere-um-steuerfahnder-in-hessen-opposition-will-sich-minister-vorknoepfen-a-636918.html oder auch
https://www.anstageslicht.de/themen/steuerflucht/steueroase-hessen-hessische-steuerfahnder-affaere/chronologie-hessische-steuerfahnderaffaere-1991-bis-2011/
Die Auswüchse in der Verschreibung von Psychopharmaka (aka legale Drogen) allein auf die Profitgier der Pharmakonzerne zu reduzieren greift zu kurz.
Der Boden auf dem dieses skrupelose Gewinnstreben von Pfizer&Co wächst, ist eine Gesellschaft, deren Wertesystem in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr pervertiert ist. Der krankhafte Zwang zum Glücklichsein, oder besser zum dem wie heute Glück definiert wird. Die Menschen leben in einer irrealen Phantasie eines zu erstrebenden synthetischen Glückes, welches sie aber nie wirklick glücklich machte. Sozialer Status sind wichtiger geworden als reales soziales Leben. Ich konsumiere also bin ich. Wenn ich traurig bin, bin ich krank, so die Botschaft, die inzwischen in fast allen Köpfen sitzt. Wir haben es verlernt Schmerz, Leid, Kummer aber auch Wut, Enttäuschung, Resignation als Phasen und natürlichen Bestandteil des Lebens zu akzeptieren.
Wir verdrängen alles, was den äußerlichen Anschein des Glücklichseins schmälern könnte, denn das äußere Erscheinen ist wichtiger geworden als das innere Sein. Und so laufen die allermeisten vorwährend einer Illusion von Glück hinterher ohne überhaupt zu wissen, was sie wirklich glücklich machen würde.
Und gefangen in dieser Hamstermühle blind ein Phantasie von Glück hinterherzulaufen, bleibt keine Zeit mehr das was IST zu leben. Wenn die Ehe in die Brüche geht – oftmals aus den gleichen oben beschriebenen Gründen -, ein geliebter Menschen gestorben ist, alte Kindheitsthemen sich nicht länger verdrängen lassen, etc, dann ist keine Zeit dafür. Man muss weiter funktionieren. Und dann kommt die „helfende“ Hand vom Pharmaretter und biete dir eine kleine Pille an, und alles wird gut. So das Versprechen. Die schnelle oberflächliche Lösung, für den schnelllebigen, oberflächlichen Zeitgeist.
Ach,
da ist auch jede Menge voreingestellter BIAS zugunsten Verabreichung von Medikamenten drin.
Ein Arzt sagte mal in einem 4-Augengespraech waehrend eines stationaeren Aufenthalts zu mir:
‚Wenn sie ihre Unterlagen mal zu Gesicht bekommen, wundern Sie sich nicht.
Da steht drin, dass Sie in Situation X von uns Medikament Y erhalten‘
Grosses Fragezeichen meinerseits, denn ich hatte von Anfang an klargemacht, dass man garnicht erst versuchen braucht mir ne Medikation aufs Auge zu druecken.
Antwort:
‚Wir muessen das so machen, weil die Krankenkasse nur bei Gabe dieses Medikaments die Dauer der Behandlung bewilligt….‘
Es gibt also Vorgaben pro Medikamentengabe, die selbst, wenn diese Verabreichung inoffiziell dann doch nicht stattfindet, dann laut Akten positiv bestaetigt und so verfestigt werden…
Tolles ‚Gesundheitssystem‘ haben wir da…
Das hört sich schwer nach scientology an die wollen auch nicht das die Leute Anti depressiva einnehmen. Jeder Mensch (Körper) ist anders deshalb gibt es ja auch verschiedene Sorten. Die Patienten sollten ermutigt werden verschiedene Tabletten auszuprobieren und auch verschiedene Dosen. Bei vielen Menschen Helfen die Antidepressiva aber das ist auch ein Fakt und lieber am Tag eine Tablette einnehmen als Suicid gefährden zu sein auf lager Sicht. Also ich persönlich gebe nichts auf diese Studie es gibt genug andere Studien wo die Patienten einfach ne Handvoll Pillen bekamen und erstmal wieder klar kamen und einfach geschlafen haben und erst dann kam zur Medikamtösen die therapeutische Behandlung dazu. Sie wollen den Leuten die Pillen ausreden weil sie den Krankenkassen Geld kosten und weil es Engpässe gibt das sind wohl eher die Gründe. Nochmal mit einer Tablette Antidepressiva kann man ganz normal weiter leben es dauert nur bis der Körper darauf eingestellt ist nämlich 4-6 Wochen deshalb geht man ja in die Tages Klinik damit sie funktionieren. Sorry aber diese Klinik ist nicht zu empfehlen.
Sie meinen die Menschen, die „weit über 2 Milliarden [Tagesdosen]“ einnehmen (so steht es oben im Artikel),
das sind solche, die „einfach ne Handvoll Pillen bekamen und erstmal wieder klar kamen und einfach geschlafen haben und erst dann kam … die therapeutische Behandlung dazu“ (so sagen Sie)?
Das wollen Sie im Ernst glauben machen??
Sie meinen, 2 Milliarden Menschen gehen in die Therapie – bei einer Zunahme von 40% in den letzten Jahren?
So wie mit ADSH und Ritalin – da gehen auch alle Schulkinder, nachdem sie die Pillen bekommen haben, in die Therapie?? Nee nee. Die Diagnose ADSH gab es noch gar nicht, als ich Schüler war, und wir sind in der Schule sehr gut ohne Pillen klargekommen. Um die Zappelphilipps mussten sich die Eltern verstärkt kümmern, mehr Zeit für sie aufwänden – und das war bestimmt die bessere Lösung.als das heutige Reinstopfenlassen in den Ritalin-Praxen.
Patienten und Ärzte sind inniglich verbunden im stillschweigenden Übereinkommen, sich wechselseitig zu belügen, um die eigene hässliche Realität nicht anerkennen zu brauchen, die erfordern würde, sich selbst ändern zu müssen. Wunderbar erläutert diese Denkfaulheit von Patienten und Ärzten
https://psychotherapie.com/verhaltenstherapie/psychotherapeuten/luchmann/#selbsthilfe
Auch wenn es Antidepressiva aus der Pharma-Küche vor hundert Jahren noch nicht gab, so lernt man auf dieser Seite, dass die suizidale Denkfaulheit früher nicht anders war als heute. Deshalb wollen die meisten Menschen keine Psychotherapie als Hilfe zur Selbsthilfe, sondern sie wollen NUR, dass ein anderer etwas für SIE tut. Auf keinen Fall wollen sie die Anstrengung eigenen Denkens und eigener Veränderung. Diese Denkfaulheit bewirtschaftet die Pharmaindustrie sehr erfolgreich.
Warum benötigen Menschen überhaupt einen solchen medizinischen Bedarf?
Werden die Patienten zu möglichen Patientenen erklärt, damit der Patient eine Behandlung bekommen darf?
@Artur_C: Dass ich wegen der Pharma-Industrie nicht mehr für Telepolis schreibe, kann ich mit 99,9-prozentiger Wahrscheinlichkeit ausschließen. Das hatte wohl eher mit zwischenmenschlichen Aspekten zu tun. Doch wissen Sie, nach 17-jähriger Zusammenarbeit war es auch einmal Zeit für etwas Neues. Wie der „Abschied“ verlief, bestätigt meinen Eindruck, dass das die richtige Entscheidung war.
Im Endeffekt sind es aber auch die Leserinnen und Leser: Wem man seine Aufmerksamkeit schenkt – und in einem kapitalistischen System auch sein Geld –, bestimmt nun auch einmal, was einem serviert wird.
P.S. Und man kann sich doch freuen, dass Florian Rötzer, mit dem ich 15 Jahre lang bei Telepolis wunderbar zusammenarbeitete, hier weitermacht. Wenn Sie dem Magazin helfen wollen, machen Sie andere Leute darauf aufmerksam – oder schließen Sie vielleicht sogar ein Abonnement ab. (Ich bekomme hierfür übrigens kein Geld.)
@Goldwasser: „Antidepressiva“
„Bei vielen Menschen Helfen die Antidepressiva aber das ist auch ein Fakt…“
Na ja, wissenschaftlich lässt sich wohl zeigen, dass es höchstens so um die 10% sind. Sind das „viele Menschen“? (Genauere Quellen finden sich in dem Artikel.)
Der Rest profitiert vom Placebo-Effekt. Und wenn es einem sowieso wieder besser geht, während die Doktoren an einem herumdoktern, schreiben manche diesen Effekt eben den Antidepressiva zu; irrtümlich.
Doch wissen Sie, für mich ist das kein ideologischer Feldzug: Ich gönne allen die Mittel, die ihnen helfen.
Ich glaube, dass Professor David Healy, jahrelanger Kämpfer innerhalb der Psychiatrie(!) gegen die Pharma-Korruption, so am Ende seinen Buchtitel meinte: „Lasst sie halt Prozac fressen“ (Let Them Eat Prozac, 2004)
(Prozac ist und war eines der am meisten verschriebenen Antidepressiva; aus der SSRI-Klasse.)
war zu der zeit aber auch das gefeiertste unter borderlinern (impulsiver typ) und da-mals in d noch gar nich so locker erhältlich… da ich keine impulsive type bin, weiß ich nur ausm erleben der andren, daß es ihnen tatsächlich half (auch wenn die eine und/oder der andere denn dann doch in akuter dauergeldnot ihren impulsen folgend erfolg in der selbsttötung vorweisen mußten 🙁 )