Steigende Staatsschulden der USA: Trump ist aber nicht schuld

Donald Trump feiert seine One, Big, Beautiful Bill. BIld: Weißes Haus

Trumps Schuldenpläne seien ein Affront gegen die ökonomische Vernunft, meint ein Kommentator des Handelsblatts. In 40 Jahren könnte die Schuldenquote des amerikanischen Staates bei 200 Prozent liegen. Das werde nicht gut gehen. Ein anderer Kommentator im selben Blatt meint gar in einem „Essay“, der Präsident schwäche „in atemberaubender Geschwindigkeit“ die stärkste Volkswirtschaft der Welt, weil das neue Gesetz eine „unkalkulierbare Schuldenwette“ bedeute.

Doch das alles sind Vorurteile aus einer Welt, die es lange schon nicht mehr gibt. 95 Prozent der Ökonomen und schätzungsweise 99 Prozent der Wirtschaftsjournalisten halten an der Fiktion fest, es gebe andere Sektoren der Volkswirtschaft, die die immer unumgängliche Verschuldung schultern würden, wenn der Staat sich zurückzöge. Allerdings wissen die meisten nicht einmal, dass es Sparen nicht geben kann, wenn sich nicht gleichzeitig in gleicher Höhe jemand verschuldet. Die Volkswirtschaftslehre ist immer noch eine verkappte Betriebswirtschaftslehre, ein Fach, das sich mit Händen und Füßen dagegen wehrt, intellektuell das Niveau der Volkswirtschaft und damit das der ökonomischen Vernunft zu erreichen (wie hier und in meinem Grundlagenbuch gezeigt).

Man kann von Trumps Gesetzespaket halten, was man will (ich halte nichts davon, weil die Verteilungswirkungen unsäglich sind), doch die Verschuldung des Staates, die infolgedessen erwartet wird, ist ohnehin unumgänglich. Eine einfache, aber kaum zu widerlegende Rechnung zeigt, dass eine staatliche Schuldenquote von 200 Prozent in den USA schon weit vor 2040 erreicht wird – und zwar weitgehend unabhängig davon, was Donald Trump an „Schuldenexzessen“ plant.

Die Ausgangsdaten

Derzeit liegt die Sparquote der privaten Haushalte der USA bei etwa 4 Prozent des BIP. Die amerikanischen Unternehmen weisen ebenfalls eine positive Sparquote auf, die zwar schwankt, aber in den vergangenen Jahren etwa bei einem Prozent des BIP gelegen hat. Hinzu kommt das Leistungsbilanzdefizit der USA, das nichts anderes bedeutet, als dass auch das Ausland „für die USA“ spart bzw. den USA – in der Größenordnung von mindestens 3 Prozent des BIP – Nachfrage wegnimmt. Summa summarum sind wir bei 8 Prozent des BIP (oder mehr als zwei Billionen US-Dollar), die in jedem Jahr an Nachfrage in der größten Volkswirtschaft der Welt fehlen.

Was soll der Staat tun? Unterstellen wir einmal, was für die USA absolut realistisch ist, dass es das oberste Ziel jedes gewählten Präsidenten ist, Rezessionen und steigende Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Will er (oder sie) eine Rezession vermieden, muss der Präsident – auf welche Weise auch immer – die Nachfragelücke schließen. Dazu muss, da beißt die Maus kein‘ Faden ab, der staatliche Nachfrageschub 8 Prozent des BIP betragen, was heißt, dass die USA jedes Jahr ein staatliches Defizit von 8 Prozent brauchen, um über die Runden zu kommen. Ob sich damit wirklich Wachstum generieren lässt, ist eine offene Frage. Es ist nur das Minimum dessen, was man braucht, um nicht in eine Rezession zu geraten.

Dass Trump versucht, das Problem dadurch etwas zu entschärfen, dass er sich bemüht, das außenwirtschaftliche Defizit deutlich zu reduzieren bzw. ganz zu eliminieren, ist ihm nicht zu verdenken. Gelänge ihm das, müssten die staatlichen Defizite Jahr für Jahr nur bei 5 Prozent des BIP liegen. Immerhin!

Die staatliche Schuldenquote steigt enorm

Doch was bedeutet das für die Schuldenquoten des Staates in den USA? Bei einem laufenden Defizit des Staates von 8 Prozent und einem (rein fiktiven) Wachstum von 2 ½ Prozent liegt die amerikanische Staatsschuldenquote im Jahr 2040 bei über 250 Prozent. Beträgt das Wachstum lediglich 1 ½ Prozent, sind 2040 schon die 300 Prozent überschritten.

Liegt das laufende Defizit dagegen nur bei 5 Prozent, sind die USA bei 2 ½ Prozent Wachstum 2040 weit von einem Schuldenstand von 250 Prozent entfernt, sie liegen dann nur bei etwas über 170 Prozent. 250 Prozent wären dann erst im Jahr 2055 erreicht.

Man sieht, die einfache Rechnung ist brutal und überfordert schon die Vorstellungskraft der meisten Beobachter. Aber eine Wirtschaft, in der sich die Unternehmen per Saldo nicht mehr verschulden, sondern per Saldo sparen, haben alle diese Beobachter nicht verstanden. Wer Zeter und Mordio schreit, weil die staatlichen Schulden steigen, sich aber nicht mit der Rolle der Unternehmen (als Sparer) auseinandersetzt, hat einfach keine Ahnung (oder will keine Ahnung haben), wovon er spricht.

Was folgt?

Die Furcht vor einem Crash wegen der US-Staatsschulden ist vollkommen abwegig. Der amerikanische Staat tut nur das, was alle von ihm erwarten, nämlich dafür zu sorgen, dass die Volkswirtschaft auf einem positiven Entwicklungspfad bleibt und Vollbeschäftigung erreicht wird. Die Märkte wissen das komischerweise, obgleich immer wieder (wie im oben erwähnten „Handelsblatt Essay“) das Gegenteil behauptet wird. Der langfristige Zins (10-jährige Staatsanleihen) in den USA liegt, genauso wie in Europa (und Deutschland), ganz nahe beim kurzfristigen Zins. Wo soll er sonst liegen?

Gäbe es Furcht vor einem Ausfall der US-Anleihen müsste er, jedenfalls im Vergleich zu Europa, weit über dem kurzfristigen Zins liegen. Dass er über dem europäischen liegt, hat gar keine Bedeutung, sondern ist nur Ausdruck der unterschiedlichen Geldpolitik. Und die amerikanische Geldpolitik hält den Zins höher, weil das Wachstum weiterhin gut und Vollbeschäftigung erreicht ist.

Findet man keine Lösung für die sparenden Unternehmen (Unternehmenssteuersenkung ist genau das Gegenteil dessen, was man tun sollte), ist die Marktwirtschaft auf Dauer eine vom Staat nicht nur gelenkte, sondern auch permanent angeschobene Wirtschaft. Da mögen die Libertären schäumen, sie beweisen damit aber nur, dass sie nicht wissen, wovon sie reden.

Auch der weit verbreitete Glaube, man könne mit Wachstum die Zunahme des Schuldenstandes des Staates verhindern, ist naiv. Dazu müsste das Wachstum über der Nachfragelücke liegen, die vom Sparen geschaffen wird. Das geht ausnahmsweise nur dann einmal, wenn es einem Land gelingt, durch Leistungsbilanzüberschüsse die eigene Sparlücke – auf Kosten anderer Länder selbstverständlich – sehr klein zu halten. Deutschland hat das im goldenen Zeitalter von Wolfgang Schäuble (mit Leistungsbilanzüberschüssen von 7 bis 8 Prozent des BIP) tatsächlich geschafft. Trump zeigt, dass die anderen Länder so dumm jetzt nicht mehr sind.

Heiner Flassbeck

Heiner Flassbeck studierte Volkswirtschaft in Saarbrücken und wurde 1987 an der FU Berlin promoviert. Er arbeitete im Stab des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und danach im Bundesministerium für Wirtschaft. Im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin war er von 1988 bis 1998 Leiter der Abteilung Konjunktur. Im Jahr 1998 wurde Heiner Flassbeck zum beamteten Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen ernannt. Von August 2003 bis Dezember 2012 war er bei UNCTAD in Genf Direktor der Abteilung für Globalisierung und Entwicklungsstrategien. Mit Friederike Spiecker zusammen hat er in den Jahren 2020 und 2022 einen „Atlas der Weltwirtschaft“ herausgebracht, der bei Westend erschienen ist. 2024 erschien sein Buch: Grundlagen einer relevanten Ökonomik ebenfalls bei Westend.
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4 Kommentare

  1. OK, zur Kenntnis genommen, aber nicht verstanden. Da fehlt mir finanztechnisches Verständnis. Wenn ich das mal versuche, für den mittleren Pöbel nachzuvollziehen, sieht das so aus: Ich kaufe mir eine Wohnung auf Kredit und gehe davon aus, dass ich den Kredit während meines Lebens abbezahlen kann. Das ist dann wohl schon falsch? Also kaufe ich mir noch eine Wohnung, und habe doppelte Zinsen und Tilgung zu berappen. Um das bedienen zu können, nehme ich weitere Kredite auf, die meine Einnahmen um 100% übersteigen, aber ich bin dann nicht zahlungsunfähig? Natürlich kann ich die Wohnungen samt Restschuld wieder verkaufen, aber was wird aus den Zinsen, die ich bereits bezahlt habe? Die dürften für mich weg sein und die Wohnungen dazu. Nun könnte man spekulieren, dass der neuerliche Vekaufspreis über dem von mir früher getätigtem liegt und ich damit gut rauskomme, aber ich habe keine Wohnung mehr und wenn eine Wohnung nun teurer ist, muss ich auch bei Neukauf tiefer in die Tasche greifen, sofern mir das möglich ist. Ist es mir nicht möglich, bin ich pleite und habe keine Wohnung. Ist diese Herangehensweise wirklich gesund oder ist das eine kapitilistische Matrix, die irgendwann scheitern wird?

  2. Nur eine Frage am Rande:

    Was würden den weit höhere Steuern für Ultrareiche und Konzerne bedeuten. Angesichts der Exit-Tax und anderen Besteuerung die auch für im Ausland lebenden reichen US-Amerikaner, fällt dann nicht ganz so viel weg, wie wenn hier das Kapital ins Ausland fliehen täte, oder sehe ich das falsch? Könnte man damit das Defizit (etwas) durch Umverteilung von oben nach unten reduzieren, in dem man so die Nachfragelücke verkleinert?
    Ich weiß, dass angesichts der Macht der Oligarchen in den USA das absolut unwahrscheinlich ist… Es sei denn die Armen des Landes würden endlich mal denen mal zeigen wie man gemeingefährliche Psychopathen eigentlich behandeln sollte.

    Ja… Das Guthaben des einen, ist die Schuld eines anderen… Streichen wir mal eben das private Guthaben von allen Milliardären auf 100 Mio… Notfalls mit Gewalt! Schließlich üben die auch aufgrund ihrer Macht massive Gewalt auf die Gesellschaft aus!

    Aber was träume ich.

    Dazu würde ich gerne mal die Meinung von Ihnen hören, Herr Flassbeck.

  3. Nach dieser bestechenden Logik müsste die Schweiz tendenziell doppelt so viel Staatsdefizit hinlegen wie Deutschland, da dort die Sparquote doch ca. doppelt so hoch ist…

    Der Zusammenhang ist so nicht gegeben, die u.s.-Staatsdefizite gleichen nichts aus, schon nur deshalb, weil ein grosser Teil via Korruption irgendwohin versickert, also mitnichten eine Nachfragelücke schliesst. Gewiss gibt es keine angebbare Grenze, die automatisch zum Staatsbankrott führen würde, das ist von Staat zu Staat, Situation zu Situation sehr verschieden. Aber eins ist sicher, es gibt in jedem Fall irgendwo einen Punkt, an dem das Vertrauen so weit geschwunden ist, dass die Refinanzierung unmöglich wird. Nicht nur bei Argentinien…

  4. off-topic
    Hat Neuber sie noch alle im Oberstübchen?

    Chefredakteur: „Telepolis“ soll nicht mit „bestimmten Autoren“ in Verbindung gebracht werden

    „Die Kritik an der Sperrung aller „Alt-Artikel“ sei Neuber zufolge ein „Sturm im Wasserglas“ gewesen. Die „lautesten Kritiker“ seien die Autoren, „deren Inhalte problematisch sind“.

    Diese früheren Autoren seien keine Journalisten sondern „Missionare“, die „eine bestimmte Botschaft unter die Leute bringen wollen“ – dafür hätten die Autoren das Magazin „missbraucht“.

    Ein Teil der Kritiker gehöre einer „geschlossenen Szene“ an, die sich um Neubers Vorgänger Florian Rötzer schare und dort „ihrer Wut“ Ausdruck verleihe.“

    Quelle: https://multipolar-magazin.de/meldungen/0285

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