Spanien will Puigdemont-Anwalt mit gefälschten Beweisen zehn Jahre einknasten

Gonzalo Boye. Bild: Òmnium Cultural/CC BY-SA-2.0

 

Der Anwalt von Exil-Katalanen wie Carles Puigdemont ist seit langem nicht nur ein Dorn im Auge von Lawfare-Richtern. Er wurde schon über das Pegasus-Spionagetool ausspioniert und nun sitzt Gonzalo Boye in einem „politisch motivierten Prozess“ auf der Anklagebank mit mutmaßlichen Drogenbossen, wie der deutsche Menschenrechtsanwalt Wolfgang Kaleck kritisiert.

 

Der renommierte Madrider Anwalt Gonzalo Boye ist für Overton-Leserinnen und Leser ein alter Bekannter. Denn er hat nicht nur erfolgreich Katalanen wie den Exilpräsident Carles Puigdemont auch in Deutschland sehr erfolgreich verteidigt, sondern er vertritt auch den baskischen Journalisten Pablo González, angeblich eine Russland-Spion. Nun sitzt Boye, wie kaum anders zu erwarten war, in einem zweifelhaften Prozess selbst auf der Anklagebank vor dem spanischen Sondergericht „Audienca Nacional“ in Madrid. Ihm droht eine Haftstrafe von fast zehn Jahren.

Den 1965 in Chile geborenen Professor, der auch die deutsche Staatsbürgerschaft hat, wundert das selbst kaum. Denn es gibt wohl nur wenig Menschen im spanischen Staat, die sich so stark mit der  spanischen Repression und dem „lawfare“ beschäftigt haben. Lawfare nennt man eine Kriegsführung mit juristischen Mitteln, um politische Gegner kaltzustellen, die bekanntlich inzwischen sogar den spanischen Regierungschef Pedro Sánchez selbst trifft. Mit der neuen spanischen EU-Vizepräsidentin Teresa Ribera könnte es bald ein neues Opfer geben. Sie sitzt wegen der Anschuldigungen von Rechts wegen der Flutkatastrophe in Valencia selbst auf einem Schleudersitz.

Die Lawfare-Keule bekommt Boye seit langem auch selbst zu spüren. Deshalb hatte er im Overton-Interview schon vor zwei Jahren erklärt: „Spanien sieht zwar so aus wie ein Demokratie, es ist aber keine echte Demokratie.“ Hier berichtet er über die verschiedenen dubiosen Vorgänge, unter anderem dass auch er über das Spionagetool Pegasus ausgespäht wurde, womit auch die Verteidigerrechte seiner Mandanten ausgehebelt wurden.

Boye ist Berater des European Center for Constitutional and Human Rights e.V. (ECCHR) in Berlin und seine internationale Kollegen haben sich klar mit ihm solidarisiert. „Wir haben mit mehreren prominenten europäischen Kolleginnen und Kollegen einen offenen Brief an die Generalstaatsanwältin von Spanien verfasst, weil wir die Anklage und die nunmehr stattfindende Hauptverhandlung vor der Audiencia Nacional gegen unseren Kollegen, als eine Bedrohung nicht nur seiner anwaltlichen Unabhängigkeit betrachten“, erklärt Wolfgang Kaleck. Der Leiter des ECCHR, das sich global für die Aufklärung von Menschen­rechtsverbrechen einsetzt, war zum Prozessbeginn in der vergangenen Woche nach Madrid gereist, um seinen Kollegen zu unterstützen und sich selbst ein Bild zu machen.

„Dieser Prozess wäre in Deutschland undenkbar“

Die gegen Boye erhobenen Anklagepunkte seien „äußerst schwerwiegend“. Der Anwalt soll sich der Geldwäsche und der Urkundenfälschung schuldig gemacht haben. „Es droht ihm eine Haftstrafe von fast zehn Jahren.“ Natürlich ist Kaleck der politische Kontext bekannt, in dem das Verfahren angestrengt wurde. Er verweist sogleich auf die „juristischen Angriffe auf die katalanische Unabhängigkeitsbewegung“, die es seit vielen Jahren gibt, weil die Katalanen ihr Selbstbestimmungsrecht ausüben wollen.

Unter anderem hat Boye den Exilpräsidenten Puigdemont erfolgreich verteidigt, dem Rebellion, Aufruhr und zuletzt sogar „Terrorismus“ vorgeworfen wurde. Für die ersten Anklagepunkte konnte Spanien keine Beweise liefern. Deshalb haben weder Deutschland, Belgien, Großbritannien oder die Schweiz Katalanen an Spanien ausgeliefert. Belgien zweifelte sogar am spanischen Rechtsstaat und ging davon aus, dass Katalanen dort keinen fairen Prozess zu erwarten hätten. Der absurde Terrorismusvorwurf musste sogar in Spanien eingestellt werden, weshalb einige Exilanten in ihre Heimat zurückkehren konnten. Im Fall Puigdemont ist das weiter unmöglich, da ein Lawfare-Richter noch einen Hochverrat über eine angebliche Verschwörung mit Russland herbeifabuliert hat,

Dass Boye „viele juristische Erfolge vor europäischen Gerichten“ erzielt hat, würde die spanische Regierung nachhaltig schmerzen. „Es ist kein Zufall, dass er nun selbst in den Fokus der Staatsanwaltschaft geraten ist“, meint Kaleck. Er ist einigermaßen entsetzt über das Vorgehen der spanischen Justiz. „Dieser Prozess wäre in Deutschland undenkbar“, hatte der Menschenrechtsanwalt der katalanischen Onlinezeitung „Vilaweb“ erklärt. „Hier würde man unterschiedliche Tatkomplexe, wie sie hier vorliegen, getrennt behandelt werden, damit der Prozess nicht unnötig kompliziert und langwierig wird.“

Gerade einen Anwalt wie Boye, der bestenfalls mit einem zeitlich sehr späten Ausschnitt des Geschehens zu tun gehabt habe, würde man nicht mit mutmaßlichen Haupttätern anklagen. Denn eines ist für die Vorwürfe wichtig: „Zuerst müsste geklärt werden, ob die Hauptangeklagten überhaupt des Drogenhandels schuldig sind.“ Doch Boye soll mit diesen 50 Leuten auf der Anklagebank sitzen. Genau dieses Bild ist wichtig für die Ankläger, die sein Renommee vernichten wollen.

„Die Ermittlungen gegen ihn waren in vielerlei Hinsicht überzogen und unrechtmäßig“, meint auch Kaleck. Er verweist darauf, dass er nicht nur per Pegasus ausgespäht wurde, sondern auch „sensible berufliche Daten“ bei einer Durchsuchung beschlagnahmt wurden, ohne dass ein rechtlicher Grund dafür vorgelegen habe. „Ein derartiger Eingriff in die Kommunikation eines Anwalts ist nicht nur unzulässig, sondern gefährdet auch das Recht auf ein faires Verfahren.“

Atmosphäre der Einschüchterung

Er fragt sich, wie so etwas überhaupt stattfinden konnte. „Wenn Anwälte ihre Arbeit nicht mehr ungestört machen können, ohne dass ihre eigenen Rechte auf dem Spiel stehen, ist das ein sehr ernstes Problem für die gesamte Justiz.“ Über die Hintergründe haben er und viele Kollegen keinen Zweifel: „Dass solche Verfahren politisch motiviert sind, ist für uns, die wir die Situation aus der Ferne beobachten, sehr offensichtlich.“

Er kritisiert auch, dass sich Anwälte in Spanien, außerhalb Kataloniens, nicht mit Boye solidarisieren. Das sei „nicht nur enttäuschend, sondern auch besorgniserregend“. Für dieses Schweigen macht er mehrere Gründe aus. „Viele Anwälte in Spanien befürchten, dass sie selbst ins Visier der Behörden geraten könnten, wenn sie sich offen für Boye einsetzen.“ Diese Atmosphäre der Einschüchterung sei „symptomatisch für ein System, in dem die Unabhängigkeit der Justiz zunehmend untergraben wird.“

„Ich bin einer Anklage auf Basis von Spekulationen von Polizei und Staatsanwaltschaft ausgesetzt“, erklärt Boye selbst zu den Vorgängen gegenüber Overton. Wir hatten schon über den verstörenden Vorgang berichtet, dass für die Anschuldigungen gegen ihn ein von Kolumbien wegen Mordes gesuchter Drogenhändler in Spanien freigelassen wurde und seither abgetaucht ist. Der hatte nach einem Besuch von Polizisten im Gefängnis plötzlich die Anschuldigungen gegen Boye erhoben. Ein angebliches Treffen in dessen Büro konnte aber nicht stattfinden. Das konnte Boye mit Handydaten widerlegen. Die Drogenbosse, die daran teilgenommen haben sollen, hielten sich in Brasilien oder Andalusien auf.

Die Vorwürfe lösen sich auch von Seiten der Angeschuldigten inzwischen in Luft auf. Einer der Angeklagten hat schon erklärt, dass das Geld, das Boye angeblich für den Drogenbosse José Ramón Prado Bugallo alias Sito Miñanco gewaschen haben soll, gar nicht von diesem stammte. „Wir haben eine solide Verteidigung aufgebaut“, ist Boye überzeugt. Er verweist darauf, wo tatsächlich Verbindungen zum Drogenhandel bestehen. Der Chef der Polizeieinheit, die mit „gefälschten Beweisen und Berichten“ gegen ihn und gegen Katalanen vorgegangen ist, wurde kürzlich festgenommen. „In seiner Wohnung wurden Millionen Euro aus dem Drogenhandel gefunden«, fügt Boye an.

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21 Kommentare

  1. Was sagt denn die menschenfreundliche, demokratisch-freiheitliche EU-Kommisssion dazu. Oder die beste Bundesregierung aller Zeiten?
    Nichts?!
    Miese, verlogene Heuchler. Weg mit denen!

    1. Wir Machens denen nach indem wir, z.B. einen Scholz nicht zur Steuerhinterziehung befragen, weil dieser gerade Bundeskanzler ist und das ganze Verfahren solange hinauszögern, bis die beinahe entlassene, nur wegen Protesten behalten Staatsanwältin am Ende aufgibt und kündigt.

      Oder wir inhaftierten einfach den Querdenker-Gründer anhand von erfundenen Vorwürfen, enteignen ihn seines Hauses, seines Kontos und verlangen von ihm Steuerunterlagen, die er nicht liefern kann, weil er untechtmäig eingesperrt ist und hängen ihm das auch noch an.
      Oder führen einen Majestätsbeleidigungsparagraphen ein, der dann 5 Staatsanwälte allein nur für die knapp 2000 Anzeigen von Frau Strack-Rheinmetall beschäftigt und sie von echten Verbrechen, wie echte Steuerhinterziehung gewisser Hamburger Bürgermeister abhält.

      Da versteht sich dann auch ganz leicht, wieso wir unsere Werte in der Ukraine verteidigen.

  2. Und der europäische Durchschnitssbürger glaubt immer noch dass “so etwas in Europa nicht passieren kann”.

    Denn das wäre ein Skandal. Wo kämen wir da hin. Und so was können die nicht machen, weil dann die Presse ja durchdreht und die Leute protestieren gegen solche Willkürprozesse….

    Das Erwachen wird für viele Träumer sehr hart werden, wenn sie irgendwann massiv ungerecht gewillkürt werden und niemand, absolut niemand daran Anstoß nimmt…. weil… siehe oben, so was kann nicht passieren.

  3. “…weil die Katalanen ihr Selbstbestimmungsrecht ausüben wollen”.

    Achwas.

    Nein, es sind die Separatisten, die die Unabhängigkeit von Spanien wollen, die sind aber in der Minderheit, was sich auch in den letzten Wahlen zeigte. Die Eliten lieben solche Spaltungslinien in einem europäischen Staat, kann man ja immer mal gebrauchen. Zum Beispiel wenn Madrid sich mal weigern sollte, Waffen in die Ukraine zu liefern, dann könnte man im Extremfall ja auch mal eine Farbrevolution in Barcelona veranstalten.

    Die separatistischen und die unionistischen Parteien von links nach rechts, werden nur durch die Frage der Unabhängigkeit getrennt. Alle sind NATO-freundlich, ich habe nicht gehört, dass eine Partei sagt:; “Keine Waffen nach Kiew, deshalb Unabhängigkeit!”. Ich höre auch nicht, dass die EU reformiert oder in der jetzigen Form abgeschafft werden muss. In den großen Fragen, z.B. Wirtschaft, Corona etc., sind sich alle einig. Rechts und links oder Spanische PP wie Puigdemont’s Junts und die PSOE wie die ERC.

    Und ja, Spanien muss man als eine Art Restdemokratie oder Fassadendemokratie betrachten, das wird in diesem Artikel richtigerweise angezeigt. Das sind ja Zustände wie in Deutschland, wo Ballweg vor Gericht, Füllmich im Terrorknast sitzt und die Kriegstreiber Rentnern die Polizei ins Haus schicken.

    Aber am schlimmsten sind die katalanischen Separatisten, deren Sprachzwang gegen die Mehrheit der muttersprachlichen Spanischsprecher in Katalonien europaweit wohl nur noch durch den Sprachterror der Kiewer Regierung übertroffen wird.

    1. Artikel 1 UN Sozialpakt ist Leuten wie dir unbekannt. Hat auch Spanien ratifiziert. Selbstbestimmungsrecht ist Menschenrecht Herr Spanien -Troll

      1. Ja , das typische spanische Nationalistengelaber von denen, die Leute wue Boyevam liebsten den Todesschwadronen zuführen würden, wie einst die Spezialdemokraten unter González

      2. Ich bin kein Jurist. Aber, wenn man diesen Artikel 1 des UN-Sozialpaktes so alleine ohne die übrigen Rechtsbestimmungen so alleine stehen läßt, dann bitte ich um Erklärung auf folgenden Umstand: Viele Katalanen aus Tabarnia, also der Region Barcelona und Tarragona haben erklärt, dass sie sich unabhängig von einem unabhängigen Katalonien erklären würden. Da ist aber Schluß mit Selbstbestimmung seitens der Separatisten. Das lehnen sie strikt ab,

    2. Also wir als Schweizer verstehen die Katalanen gut und was du Separatismus nennst, nenne ich antikolonialen Befreiungskampf. Die wurden erst 1714 unter das Borbonenregime gezwungen, viel später als die Kolonien in Amerika.

  4. Unter anderem zeigt das auch, dass in Spanien keine freie Presse mehr existiert. Wenn dieser Riesenskandal nicht thematisiert wird, was dann?
    Es könnte durchaus sein, dass wir hier bei Overton die Einzigen sind, die objektiv informiert werden. Herr Streck wird nicht verhaftet, weil er Deutscher ist (schätze ich). Das riskieren sie dann doch nicht.

    Um es zeitgemäß zu formulieren: wir sitzen hier auf dem Feldherrenhügel. Dank an vorgeschobenen Beobachter Ralf Streck.

    1. Das darf ja auch im neoliberalen Mainstream Telepolis unter Stalin -Neuber nicht mehr kommen. Wer solche “Linke” hat, braucht keine Rechte mehr.

  5. Spanien hat das System doppelter Standards des neoliberal versifften Wertewestens zur Perfektion verfeinert. Ultrarechte Hetzgruppen wie Manos Limpias oder diese “Christlichen Anwälte” geniessen bei der spanischen Justiz Narrenfreiheit. Passt aber gut zur von-der-Leyen-EU.

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