Spanien: Nach dem Wahldebakel der Linken setzt Sánchez auf Neuwahlen

Der Schrei nach Wasser war wie andere wichtige Themen kaum ein Thema im Wahlkampf. Bild: Ralf Streck

In Spanien werden die Neuwahlen von dem Sozialdemokraten eilig auf Juli vorgezogen, da beim großen Stimmungstest die Rechte fast alle Regionen und Städte übernommen hat. Der einseitige und „selbstmörderische“ Schritt zu Neuwahlen des narzisstischen Hasardeurs Pedro Sánchez trifft vor allem die Linke, die sich gerade neu formiert. Hier sieht er den Gegner und nicht bei der Rechten-Ultrarechten, die am Sonntag abgesahnt haben.

Der spanische Ministerpräsident hat nach dem „Wahldebakel für die Linke“ am Sonntag, wie auch die Linke Onlinezeitung Público resümiert, die Konsequenzen gezogen und die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen für den 23. Juli angekündigt. Die Zeitung, die der „Linksregierung“ sehr nahesteht, hatte deutlich gemacht, dass sowohl „Aragón, Kantabrien, die Kanarischen Inseln, die Baleareninseln, Valencia, Extremadura und die Rioja“ verloren wurden. Dazu wurden rechte und ultrarechte Parteien in den Regionen gestärkt, in denen sie wie in Madrid oder Murcia schon regiert haben.

Das, was man hier „Linke“ nennt, hat bei den Wahlen praktisch alle wichtigen Regionen wie Valencia verloren. Das schmerzt die Sozialdemokraten (PSOE) genauso wie der Verlust der Balearen oder der Tatsache, dass in der Rioja keine „Linke“ mehr regiert, sondern nun die postfaschistische Volkspartei (PP) wieder, nun sogar mit absoluter Mehrheit. Besonders schmerzt die PSOE, dass sie nun auch die ehemalige Hochburg Extremadura und Aragon verloren hat. Besonders der Verlust der Extremadura kam unerwartet, zumal die PSOE-Regionalregierungen in der Extremadura oder Aragon einen Diskurs geführt haben, der sehr an den der PP erinnerte. Doch die Wähler wählen lieber das Original statt der Kopie. Nur in Kastilien-La Mancha ging die Strategie auf, eine der wenigen Regionen, welche die PSOE retten konnte.

„Ich habe diese Entscheidung angesichts der Ergebnisse der gestrigen Wahl getroffen, erklärte Pedro Sánchez.  Der Sozialdemokrat interpretierte die Ergebnisse bei den Kommunal- und Regionalwahlen als klare Watsche für seine Zentralregierung. Dafür will er angeblich die „Verantwortung“ übernehmen. Tatsächlich war der Wahlkampf war vor allem mit nationalen Themen geführt worden.

Das hat der narzisstische Hasardeur  – der gerne links blinkt und rechts überholt – wie üblich nicht aus Verantwortung getan, sondern eilig, geheim und ohne Absprache mit seinen Bündnispartner beschlossen. Das pfeifen längst die Spatzen von den Dächern der Hauptstadt Madrid. Er versucht sich erneut mit einem Befreiungsschlag als „Stehaufmännchen“, denn sogar in der eigenen Partei war er schon einmal putschartig abgesägt worden, um dann, mit gewagten politischen Manövern gegen den Apparat wie ein Phönix aus der Asche aufzusteigen.

Pedro Sánchez verkündet Neuwahlen. Bild: La Moncloa

Vor allem hat er denen vor den Kopf gestoßen und vermutlich dem rechten-ultrarechten Durchmarsch für die postfaschistische Volkspartei (PP) und deren militante ultrarechte Abspaltung VOX der Weg geebnet. Man darf vermuten, dass der Mann ohne eigene Ideen und Visionen – wieder einmal – aus Portugal abkupfert. Dort haben die Sozialisten (PS) vor gut einem Jahr einen Angstwahlkampf gegen rechte Ultras gewonnen, sogar mit absoluter Mehrheit. Antonio Costa erreichte zwei Ziele, die auch Sánchez hat. Er will vor allem die Parteien links der PSOE ausschalten oder schwächen. Die PS in Portugal hat in einem Lagerwahlkampf die linksradikalen Partner so geschwächt, dass sie diese nach den Wahlen nicht mehr als Bündnispartner brauchte.Deshalb konnten sie dann gegen die Sozialisten nicht weiterhin deutliche soziale Verbesserungen durchsetzen, wie in den Jahren der„Geringonça-Regierung“zuvor. Das Ergebnis ist, dass der soziale Frieden auch dort vorbei ist, Streiks und riesige Demonstrationen sind an der Tagesordnung gegen die neoliberale Politik der PS. Die hatte auch das einstige PS-Führungsmitglied Ana Gomes – eine streitbare Frau – die auch gegen ihren Parteichef kein Blatt vor den Mund nimmt, gegenüber Overton vorhergesagt.

Linke Politik wurde nicht gemacht in der „fortschrittlichsten Regierung der spanischen Geschichte“

Nach vier Jahren, in denen seine PSOE bei fortschrittlichen Vorhaben, die vor allem vom Juniorpartner „Unidas Podemos“ (UP) angeschoben wurden, stets auf der Bremse stand, kam es am Sonntag wie es kommen musste, als neben den Kommunalwahlen auch Regionalwahlen in 12 von 17 autonomen Gemeinschaften stattfanden, die den deutschen Bundesländern ähneln. Es war nicht schwer vorhersagbar, dass die Sozialdemokraten und UP abstürzen würden. Obwohl Sánchez stets von der „fortschrittlichsten Regierung der spanischen Geschichte“ fabulierte, war davon in der Realität nichts zu spüren.

Linke Politik wurde weiterhin nicht gemacht, erst zuletzt und dann nur sehr wachsweich und zum Teil auch kontraproduktiv, wie beim angeblichen „Mietendeckel“. Sogar das fortschrittliche Sexualstrafrecht wurde zurückgeschraubt. Handwerkliche Fehler der UP-Ministerin Irene Montero waren die Steilvorlage, um das wichtige „Nur Ja heißt Ja“-Gesetz  zurückzudrehen. Dabei wurden die negativen Auswirkungen, dass Sexualstraftäter frühzeitig freikommen, mit der Reform gar nicht gelöst. Es war nur der Vorwand, womit die Widersprüche in dem Linksbündnis UP bis zur Zerreißprobe weiter zugespitzt wurden. Das ist Teil der gesamten Sánchez-Strategie nicht nur gegenüber der Podemos-Partei, die er als Konkurrent besonders im Zielfernrohr hat.

Die Partei oder auch das Bündnis UP bekam kaum Erfolge zugestanden, man ließ sie ganz in sozialdemokratischer Strategie am langen Arm verhungern, damit sich die inneren Widersprüche zuspitzen und sich UP selbst zerfleischt. Darin war Sánchez erfolgreich, auch was Katalonien angeht, wo die gleiche Strategie mit einem angeblichen „Dialog“ angewendet wurde, der nie begonnen hat. Derweil hat Sánchez gegen allgemeine Grundlagen einen Schwenk zur Westsahara in einem Schmusekurs mit Marokko eingeleitet und die Westsahara für die mörderische Flüchtlingsabwehr durch das autoritäre Königreich verkauft. Der „Progressive“ hat vorangetrieben, dass im neuen Nato-Strategiekonzept, das in Madrid beschlossen wurde, die illegale Einwanderung zur hybriden Bedrohung und Verteidigungsfall angesehen und in einem Atemzug mit Terrorismus gehandelt wird.

Das alles hat UP geschluckt, was für viele WählerInnen an einem oder am anderen Punkt eine rote Linie überschritten hat. Sie sind nun wieder heimatlos und bleiben den Wahlen fern, was rechten und ultrarechten Parteien nutzt. An der einseitigen Entscheidung von Sánchez, ob Waffen in die Ukraine geliefert werden, konnte er zudem den Spaltungskeil tiefer in das Linksbündnis treiben. Während Podemos das abgelehnt und auf diplomatische Initiativen zu einer Friedenslösung gedrängt hatte, war die neue UP-Chefin, Vize-Ministerpräsidentin und Arbeitsministerin Yolanda Díaz dafür. Die Frau, die zwar Mitglied der Kommunistischen Partei (PCE) ist, aus nostalgischen Gründen, wie sie sagt, bezeichnet sich selbst als „sozialdemokratisch“.

Zentrale Wahlversprechen wurden nicht eingelöst. Die Arbeitsmarktreform und das Maulkorbgesetz der rechten Vorgänger wurden nicht wie versprochen gestrichen. Díaz reformierte den Arbeitsmarkt leicht. Es sagt viel über die Reform einer „Kommunistin“, die mit Arbeitgebern ausgehandelt und nach der Abstimmung vor allem von diesen beklatscht wurde. Der Kern der vorhergehenden Reform blieb unangetastet, gaben die Arbeitgeberverbände unumwunden zu. Denn 95 Prozent der vorigen Reform blieben ihrer Ansicht nach erhalten.  Das Maulkorbgesetz wurde nicht einmal reformiert, es wurde sogar verschärft und auf das Internet ausgeweitet. Und nun wollen die Sozialdemokraten sogar die Privatsphäre in der EU aufheben und die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von Messenger-Diensten verbieten.

Das ist alles andere als demokratisch, aber dann braucht sie keine Pegasus- oder Candiru-Spionagesoftware mehr, um oppositionelle und sogar Bündnispartner illegal auszuspionieren, wie allseits bekannt ist. Der ausgespitzelte Madrid Anwalt Gonzalo Boye brachte es gegenüber Overton auf den Punkt. „Spanien sieht zwar so aus wie ein Demokratie, es ist aber keine echte Demokratie.“

Dass die PSOE-Sprecherin, die vor dem Wahlgang die PP noch zum „Verlierer“ erklärt hatte, hat sich nach den Wahlen plötzlich in Bescheidenheit versucht. Pilar Alegría erklärte dann: „Wir haben die Botschaft der Wähler verstanden.“ Man werde sich sofort an die Arbeit machen, um Fehler zu korrigieren. Natürlich hat sie keinen einzigen Fehler benannt. Ohnehin hätten die Sozialdemokraten zur Fehlerkorrektur lange Jahre Zeit gehabt, denn die Sánchez-Partei wurde in den beiden letzten Jahren schon unter anderem in Andalusien, Kastilien-León oder Madrid abgestraft. Passiert ist nichts. Man muss davon ausgehen, dass sie die Fehler nicht in ihrer erratischen rechten und neoliberalen Politik sehen.

Sánchez arbeitet vor allem weiter daran, seine Bündnispartner zu schwächen, statt seine Regierung zu stärken

Podemos hätte längst aus der Regierung aussteigen müssen. Ex-Podemos-Chef Pablo Iglesias, der wie seine Frau Montero zu keiner Selbstkritik fähig ist, hat das Debakel zentral mitzuverantworten. Er hat sich zwar offiziell aus der Politik zurückgezogen, zieht aber im Hintergrund noch die Strippen. Er hat per Fingerzeig die „Kommunistin“ Díaz auf den UP-Führungsposten gehoben. Die nutzte diese Position, um eine zweite sozialdemokratische Formation aufzubauen und Podemos auszugrenzen. Die Partei sollte nicht einmal feindlich übernommen, sondern ganz zerschlagen werden. Darin waren sich Sánchez und seine PSOE und die neue Díaz-Formation „Sumar“ (Summieren) einig, an der sie gerade strikt und vom Partner Sánchez beim Aufbau nun kalt erwischt wurde.

Aber Sánchez überrascht mit seinem Schritt vor allem die, die er bisher verhätschelt hatte. Für Díaz wird es nun besonders schwierig. Ihr bleiben aber nur noch zwei statt sechs Monaten zur Vorbereitung. Denn Sumar ist zu keiner der Regional- und Kommunalwahlen angetreten und hat deshalb kaum Strukturen. Díaz steht eine Herkulesaufgabe bevor. Sie muss nun auch schnell überlegen, ob sie Podemos nicht doch noch einbindet oder wieder getrennt wie in vielen Regionen antritt, was die rechten Kräfte weiter gestärkt hat. Alles spricht dafür, dass man versucht, sich irgendwie zusammenzuraufen, da getrennt die Aussichten auf ein gutes Wahlergebnis marginal sind. Getrennt angetreten flog Podemos nun auch aus den Regionalparlamenten in Valencia, Madrid und den Balearen ganz heraus.

In dieser Richtung zeichnet sich Bewegung ab. Bisher hatte Díaz die Podemos-Führungsfrauen komplett aus Sumar ausgegrenzt. Nun wird händeringend nach einer Lösung und Bündelung der Kräfte gesucht. Doch die Vereinte Linke (IU) und deren Chef Alberto Garzón, auch ein angeblicher Kommunist, wollen, dass die Sozialdemokratin Díaz unter dem Projekt Sumar führt. Eine weitere Fehlentscheidung von IU, die praktisch fast schon verstorben war, um stärkeren Einfluss zu haben.

Plötzlich will aber Sumar doch noch addieren, statt weiter zu spalten, und Podemos dürfte nach dem Debakel auch zu Kompromissen bereit sein. „Man muss die Sachen in einer anderen Form machen”, twitterte Díaz nun angesichts der einseitige Entscheidung von Sánchez zu schnellen Neuwahlen. Bisher hat sie weitgehend eher eine Politik wie Sánchez gemacht. Von ihr, die ohnehin keinerlei Chancen auf einen Wahlsieg hat, wäre bei einem Sieg kaum etwas zu erwarten. Sie versucht sich selbst Mut zu machen: „Ich nehme die Herausforderung an“, twitterte sie. „Von nun an arbeiten wir daran, am 23. Juli zu gewinnen.”

Das ist ein Witz, solange sie nicht zur PSOE wechselt, die eigentlich längst die Politik macht, die sie anstrebt. Ansonsten ist es aussichtslos für sie, die erste Regierungschefin Spaniens zu werden. Sie hatte ohnehin längst verkündet, dass ihr reales Ziel ist, eine Koalition mit der PSOE für „lange Zeit“ als Mehrheitsbeschafferin zu schmieden, wie sie kürzlich schon im Parlament erklärt hatte.

Beobachter bezeichnen Sánchez erneut als „unvorhersehbar“. Der Politologe Paco Camas sprach im Fernsehen davon, dass der Schachzug „selbstmörderisch“ sei. Sánchez setze alles auf eine Karte und wolle eine weitere Abnutzung verhindern. Wie die Sumar-Chefin Díaz setzt er auf eine Mobilisierung linker Wähler wie in Portugal mit der Warnung vor dem Wolf, um angeblich eine rechte-rechtsradikale Zentralregierung für das ganze Land zu verhindern, wie sie nun in vielen Regionen ansteht. Die Wähler müssten entscheiden, ob sie in Spanien eine Regierung der rechtskonservativen Volkspartei (PP) mit der rechtsradikalen VOX wollen, sagte Sánchez. Im Sinn dürfte Sánchez als Plan B auch haben, sollte er mit einem Lagerwahlkampf gegen alle bisherigen Prognosen doch stärkste Kraft werden, eine große Koalition anzuführen. Eigentlich ist dem Narzissten egal, mit wem er regiert, solange er regieren kann.

Trend zur absoluten PP-Mehrheit

Aber was ist, wenn die postfaschistische Volkspartei wie in der Vergangenheit eine absolute Sitzmehrheit erhält? Ausgeschlossen ist das nicht und die PP dürfte diese Karte wie in Madrid spielen, womit die rechten VOX-Ultras nicht dabei wären. Denn die PP konnte ihre Positionen ausweiten. Sie kann nun nicht mehr nur Andalusien allein regieren, sondern auch die wichtige Hauptstadtregion Madrid und andere Regionen mit absoluter Sitzmehrheit. Das Wahlgesetz belohnt große Parteien und bestraft Zersplitterung sehr. Mit gut 40 Prozent kann man unter bestimmten Umständen eine absolute Mehrheit im Parlament erhalten.

Der Trend zur absoluten PP-Mehrheit hat sich aus dem bevölkerungsreichsten Andalusien nun auch im bevölkerungsstarken Madrid bestätigt. Die PP-Präsidentin Isabel Díaz Ayuso, die auch als „Trump von Kastilien“ bezeichnet wird, hat zwar wegen der geringeren Wahlbeteiligung etwa 50.000 Stimmen gegenüber den vorgezogenen Neuwahlen vor zwei Jahren verloren, doch nun kommt sie mit weniger Stimmen nun sogar auf  47 Prozent.

Auch der bisherige PP-Bürgermeister José Luis Martínez-Almeida kann in Madrid weitermachen, ebenfalls mit absoluter Mehrheit. Der Rechtspopulist hat wie Ayuso kein Problem damit, wenn man die PP als „Faschisten“ bezeichnet. Almeida kann nun ohne die ultranationalistische „Ciudadanos“ (Cs) regieren, die praktisch im ganzen Land aus den Parlamenten verbannt wurde. Die hat nun entschieden, im Juli nicht anzutreten, um die rechte Wählerschaft nicht zu zersplittern. Eine Phase scheint abgeschlossen, als Cs von rechts und Podemos von links das Zweiparteiensystem in Frage gestellt hatten.

Ayuso kann nun die Hauptstadtregion ohne die bisherige Unterstützung ihrer ultrarechten Abspaltung regieren. Die Strategie von Ayuso ist aufgegangen, sie hat VOX nicht nur in den Schranken gehalten. Die Rechtsradikalen kamen statt auf neun nur noch auf sieben Prozent und die Stimmen der Cs gingen kehrten komplett zur PP zurück. Die Beschränkung von VOX geschah allerdings zu dem Preis, dass der radikale Diskurs von VOX fast vollständig von Leuten wie Ayuso übernommen und damit weiter normalisiert wurde. Ideologisch liegen die Ultrakatholiken und Antilinken ohnehin auf demselben Kurs.

Die Wahlen haben auf allen Ebenen gezeigt, dass es Sánchez gelungen ist, die Rechte und die Ultrarechte zu stärken, während er praktisch alle Unterstützer geschwächt hat. Die Ausnahme ist EH-Bildu (Baskenland Vereinen). Mit den linksnationalistischen Unterstützern kann die PSOE vermutlich Navarra, wo die PSOE stagnierte, verteidigen.

Doch die PP wird das voll ausnutzen. Denn angeblich handele es sich nach deren Ansicht bei der Koalition aus drei Parteien um Nachfahren der Untergrundorganisation ETA, die aber ohnehin seit vielen Jahren aufgelöst und abgewickelt ist. Besonders die „heimliche Oppositionsführerin in Spanien“, Isabel Díaz Ayuso, hat diese Karte gespielt, obwohl die ETA seit Jahren aufgelöst und entwaffnet ist, sich sogar bei den Opfern entschuldigt hat. Richtig hatte Ayuso gesehen, dass dieses Thema auch gegen  Unterstützung durch die „Separatisten“ der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) zieht, schließlich greift die Minderheitsregierung von Sánchez immer wieder auf Stimmen der Linkskoalition EH Bildu und ERC zurückgreift.

Bildu hat von der Eta-Gewalt distanziert, während sich die PP auch 50 Jahre danach nie vom Franquismus und der Diktatur distanziert hat. Diese Partei wurde von Ministern der Diktatur gegründet, während die rechte Abspaltung VOX sogar offen als Franco-Freunde auftritt. Der Bildu-Chef Arnaldo Otegi hatte an der Abwicklung der ETA gearbeitet und saß deshalb illegal sechs Jahr als angebliches ETA-Mitglied im Knast, wie der Straßburger Menschenrechtsgerichtshof Spanien dafür verurteilt hat, dass er keinen fairen Prozess erhielt. Es ist klar, dass PP und VOX diesen Joker bei den Parlamentswahlen im Juli erneut gegen Sánchez ausspielen, vor allem wenn es erneut zum Bündnis in Navarra kommt.

Ganz anders als Bildu erging es aber deren strategischen Partner in Katalonien. Die ERC, die Katalonien noch in einer sehr schwachen Minderheitsregierung regiert, wurde massiv für ihren Schmusekurs zu Sánchez und der PSOE abgewatscht. Der versprochene Dialog zur Konfliktlösung fand nie statt und hat nur einen Spaltungskeil in die Bewegung getrieben. Zunächst kündigte die antikapitalistische CUP die Zusammenarbeit mit der ERC auf, dann stieg auch Gemeinsam für Katalonien (JxCat) aus der Koalition aus. Die sehr schwache Minderheitsregierung von Pere Aragonès ist am Ende, die ERC als Mehrheitsbeschaffer von Sánchez steht vor einem Scherbenhaufen. Es riecht hier in Katalonien ebenfalls nun nach vorgezogenen Neuwahlen, da die ERC den letzten Rest an demokratischer Legitimation verloren hat.

Katalonien und Basenland scheren aus

Allerdings ist auch festzustellen, dass sich bei den Kommunalwahlen Katalonien und das Baskenland anders als der Rest des spanischen Staates verhielten. In Spanien werden fortan alle großen Städte von der PP oder in Koalition mit den Ultras nicht. Nur in Barcelona und Bilbao ist das anders. Doch statt in Barcelona Wahlsieger wie vor vier Jahren zu werden, wurde die ERC sogar nur noch viertstärkste Kraft. Statt 21 kam sie nur noch auf 11 Prozent. Ganz ähnlich sieht die ERC-Katastrophe in ganz Katalonien aus.

Dass die plötzlich kurz vor dem Wahlkampfende die Unabhängigkeit und die „Republik als Zukunft“ auspackte, gegen die sie real seit Jahren gearbeitet hat, hat kaum jemanden an der Nase herumführen können. Viele ehemalige ERC-Wähler blieben den Wahlen fern, sogar Mitglieder und ehemalige KandidatInnen verweigerten der Partei am Sonntag die Gefolgschaft, wie gegenüber Overton auch persönlich bestätigt wurde. Den Dialog der ERC mit Madrid hat Sánchez nie real gestartet, er sollte nur dazu dienen, die Bewegung zu spalten. Da Aragonès das katalanische Spiegelbild von Sánchez ist, ging das Spiel auf, da er vor allem eins will: regieren.

Ein ERC-Führungsmitglied, das nicht mit Namen genannt werden will, erklärte gegenüber Overton, dass in der Strategie der „Verbreiterung der Basis“ viele „Konvertiten“ aufgenommen wurden, „die inzwischen die Zügel“ übernommen hätten. „Das hat Konsequenzen.“ Diejenigen, die stets in der ERC waren, seien an den Rand gedrängt worden. Overton ist ein Fall bekannt, wo der neue ERC-Bürgermeister eigentlich für die Partei des Exilpräsidenten Carles Puigdemont antreten wollte. Doch die wollte den geforderten Preis nicht zahlen, weshalb er für die ERC kandidierte und nun Bürgermeister wird. Das kann man Korruption in einer Gemeinde nennen, in der mindestens Vetternwirtschaft schon bisher das tägliche Brot unter einer ERC-Bürgermeisterin war.

Die Wähler haben sich allerdings meist nicht hinters Licht führen lassen. Deshalb hat die Puigdemont-Partei die Metropole Barcelona gewonnen, die weiterhin klarer für die Unabhängigkeit und die Republik eintritt und in Madrid eine klare Opposition betrieben hat. Xavier Trias hat für JxCat erneut kandidiert, der einst mit einer Schmutzkampagne aus den spanischen „Kloaken“, die auch gegen Podemos eingesetzt wurden, aus dem Amt gejagt wurde. Allerdings hatte das ehemalige  Podemos-Anhängsel „En Comú“ und deren Führungsfigur Ada Colau die Schmutzkampagne für sich genutzt. Sie war vor vier Jahren nur mit rechten Stimmen der spanisch-ultranationalistischen Cs unter Manuel Valls Bürgermeisterin geworden. Sie hat damit viel Wähler schockiert und viel Sympathie eingebüßt. Natürlich auch mit ihrer Politik. Sie wurde nur noch drittstärkste Kraft hinter den Sozialdemokraten.

Mit den Wahlen und dem Absturz von Colau ist wie erwartet auch das Sumar angezählt, bevor es überhaupt an irgendwelchen Wahlen teilgenommen hat. Colau sollte eigentlich ein Stützpfeiler des feministischen Sumar-Projekts werden. Mit Monica Oltra ist ohnehin wegen eines Skandals schon zuvor ein Pfeiler eingestürzt. Sie wird zur eine Belastung für Díaz, die gut daran täte, die Blenderin herauszuhalten. Colau ist längst ebenfalls unglaubwürdig für eine linke und soziale Politik. Auch Mieterinnen-Aktivisten, aus der Ecke kommt Colau, haben sich längst von ihr distanziert.

Der Sánchez- und Sumar-Unterstützer „Más Madrid“ (Mehr Madrid) konnte sich in der Hauptstadt und der Region behaupten und legte sogar weiter leicht zu. Die Formation wurde erneut, nun mit gut 18 Prozent, zweitstärkste Kraft. Ansonsten haben aber praktisch alle Sánchez-Unterstützer außer Mas Madrid und Bildu mehr oder weniger stark Stimmen eingebüßt. Schon deshalb ist es unwahrscheinlich, dass die Sánchez-Strategie im Juli aufgehen kann, nachdem er vier Jahre alles getan hat, um seine Unterstützer zu schwächen.

Der Versuch, Portugal zu kopieren, wird in diesem Fall schiefgehen. Soziologisch und politisch ist Portugal völlig anders. In Spanien treten rechte Ultras seit dem Franquismus ohne Komplexe auf, es fand fast keinerlei Aufarbeitung der blutigen Diktatur statt. In Portugal wurde sie dagegen durch eine friedliche Revolution beseitigt. Dazu kommt, dass in den Nationen im Staat, wie im Baskenland oder Katalonien, die Wähler nach lokalen Bedingungen und nicht mit Blick auf den Zentralstaat wählen. Das ist in Portugal auch anders, wo es eine von allen geachtete Republik gibt. So kann man sich in Spanien auf eine PP-Regierung einstellen und darf man  gespannt sein, ob die dann den Tabubruch ausweitet und Faschisten auch in die Zentralregierung holt oder holen muss.

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15 Kommentare

  1. Interessant, aber zu lang, das kann man konziser beschreiben und damit einiges an Rezipientenzeit sparen.

    Und wie auch immer die Details – der Trend geht nicht nur in Spanien nach rechts. Die Juste milieu-Linken rutschen ab, haben gegen den militärischen Zeitgeist nichts einzuwenden, ja führen ihn teils sogar an. Und Politik wird zu politiquería, also zu dem Machtgeschacher, das Streck beschreibt und das mit formal-demokratischen Waffen ausgefochten wird. Irgendeine der Seilschaften ist jeweils oben, ohne zu wissen, was sie da will, ausser eben da zu sein und materielle Früchte zu geniessen.

    Man kann dieselben Sprüche anbringen, wie beim Fussball – nach den Wahlen ist vor den Wahlen, die Legislatur dauert vier Jahre, der Erdball ist rund. Unterdessen geht alles vor die Hunde. Aber demokratisch, in Freiheit und im Zeichen der edelsten Werte.

    1. Zumindest das Bild ist gut, es sagt mehr als tausend Worte und Wasser, tja, blöd, brauchen wir alle und auch ständig, über alle politischen Grenzen hinweg. In den 80ern hat man mich ausgelacht, als ich meinte, die nächsten Kriege werden um Wasser geführt, wie schon seit jeher, wenn man nur ein bisschen Geschichtswissen hat, dass über hundert Jahre hinausgeht, Und was „die Linke formiert sich gerade“ angeht, da fällt mir spontan Monty Python ein, Das Leben des Brian, als Maria in die Runde reinstürzt und verkündet, Brian wurde gefangengenommen und würde wahrscheinlich gekreuzigt werden. Lamentieren um jeden Preis. Es lebe die palästinensische Befreiungsfront oder war es die Befreiungsfront für Palästina?

      P.S..: Sorry für den unnötigen zusätzlichen Comment, aber Typos lassen sich bei mir leider nur so korrigieren. Und nein, ich erlaube Websites nur das Notwendige, nicht alles.

  2. Die gesamte westliche Linke bestätigt gerade die längst verworfene Sozialfaschismustheorie der alten KPD!
    Diese besagt, daß die Sozialdemokratie als Wegbereiter des Faschismus fungiert und wurde nach Kriegsende als Hinderungsgrund der Aktionseinheit der Arbeiterklasse gegen Hitler kritisiert. Diese kritisierte Theorie scheint doch einige wahre Elemente zu beinhalten, denn – wie oben gezeigt – tut die europäische Linke ihr Bestes die Rechtskräfte zu stärken! Durch den Verrat der Linkskräfte am sozialen Fortschritt und der widerlichen Unterstützung des US-Kriegskurses wenden sich im Westen die Menschen von den Linken ab und suchen ihr Heil bei den Rechten. Italien scheint hier ein Musterbeispiel zu sein. Aber auch in der BRD tut die Linkspartei durch ihre bedingungslose Unterstützung des imperialen Kriegskurses ihr Bestes, die AfD zu stärken. Dies ist ein objektiver Prozess, auch wenn linke Einzelpersönlichkeiten dies anders sehen.
    In Lateinamerika ist das anders. Aus historischen Gründen sind dort die Yankees in allen Volksschichten verhaßt. Selbst argentinische Börsianer freuen sich klammheimlich, aber aufrichtig, daß Putin in der Ukraine den Yankees mal so richtig den Arsch versohlt. Sozialdemokrat Scholz ist aber ein treuer Diener des Imperiums und dies kritisiert Sozialdemokrat Lula.
    Das zeigt erneut, die Mehrheit der Menschheit ist der westlichen menschlichen Minderheit Lichtjahre voraus!
    Die westliche Linke muß sich vom imperialen Denken ihrer politischen Eliten befreien um wieder glaubwürdig zu werden!

    1. @ Bella
      Vielen, vielen Dank für Ihren trefflichen Kommentar.
      Die Hauptironie ist doch, daß man sich in der Selbstwahrnehmung als eher links sah und sich — Zeitenwende — nun in der rechten Ecke eingeordnet wiederfindet.

  3. Er hat ja auch den wichtigsten Gaslieferanten von Spanien, Algerien zugunsten von Marokko vor den Kopf gestoßen.
    Das Rechte überall in Europa auf dem Vormarsch sind verwundert nicht.
    Man muss sich nur die allgemeine desolate Situation ansehen.
    Und, mal ehrlich wer wählt noch Leute, die aktiv eine Verarmungspolitik von großen Teilen der Bevölkerung betreiben.
    Da kann man das hundertmal als Fortschritt bezeichnen, eine Verschlechterung bleibt eine Verschlechterung und die Leute erkennen, das sie verarscht werden.
    Da zieht irgendwann auch die Nazikeule nicht mehr. Hinzu kommt, das nach woken Prinzipien leben eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit ist. Selbst wenn man das wollte. Egal wie versucht wir umzuerziehen und dabei Publikumsbeschimpfung betrieben wird.

  4. Auf Druck durch die EU, hatte Frankreich sein Rentenentritt erhöht, will Frankreich einen Teil der staatlichen Bahn privatisieren…
    Serbien steht seit Monaten unter Druck der EU, jetzt wird NATO entsendet…
    D ist rotgrüngelb regiert und ist im Farben Zusammenspiel unpassend, daher ideologisch komplett verlogen.
    Nun in Spanien soll neu gewählt werden und Hilfe mit einer PP könnte diese gewinnen, als ob dann ein politischer Wechsel vollzogen werde, lach!
    Die Politik in der EU ist weiterhin durch die EU bestimmt, egal was für eine Ideologie gewählt wurde.
    Wer jetzt nun einwirft, aber Ungarn… Hat nicht auf dem Radar, in einer multipolaren Ordnung, kann Europa bzw. EU nur als eine Union überleben.
    Schauts auf die Ukraine, dort sieht man ganz genau wie Werte als Demokratie umgesetzt werden.
    In der besten EU aller Zeiten wurden in „3Jahren“ mindestens 1000Mrd umverteilt, d.h. von unten in den neoliberalen Sack und 800mio gucken zu.

    1. @ Pro1
      Also, falls die Farben der deutschen politischen Ampel ordentlich, wie seit der letzten Bundestagswahl geschehen, vermischt werden, ergibt es doch ein recht homogenes Braun. Auch das Wort sozial ist vorhanden. Bei dem Wort national und dessen Bedeutung gibt es zumindest Anzeichen einer gewissen Unklarheit bei der Deutungshoheit. Das wird schon….😵‍💫😵‍💫😵‍💫… irgendwie oder doch eher nicht. Die Berliner Repressiven arbeiten ja daran.

  5. „Anwalt Gonzalo Boye brachte es gegenüber Overton auf den Punkt. „Spanien sieht zwar so aus wie ein Demokratie, es ist aber keine echte Demokratie.““

    Da geht es den Spaniern wie den Deutschen…und btw, die Grünen in Deutschland sind weit mehr rechtsextrem und faschistisch, wie ihre Freunde bei der PP mMn….und natürlich genau so korrupt wie man gerade bestaunen darf.

    Dass die Spanier im Übrigen keine Lust auf diesen ganzen „woken“ Scheiß haben, zeigt sich eben auch in den aktuellen Wahlergebnissen.
    Grüße aus Murcia

  6. Katalonien und das Baskenland sollten zügig die Weichen für die Unabhängigkeit vom spanischen Krisenstaat stellen. Auch die militante Option sollte da nicht voreilig ausgeschlossen werden.

    1. Was soll das für einen Fortschritt bringen für weite Teile des Volkes in einem unabhängigen, kapitalistischen Katalonien/ Baskenland? Die selben korrupten Institutionen, machtgeilen Parteien, antidemokratischen Netzwerke, profitgeile Bonzen, etc. pp.

  7. Naja, die Grünen sind Schrott, aber sie mit Faschisten wie der PP zu vergleichen, ist nicht nur historisch der totale Blödsinn.

  8. Hauptsache immer drauf auf die Nicht-Regionalisten – während im Baskenland EH Bildu bei Gelegenheit auch mal mit der „postfaschistischen Volkspartei“ paktiert…
    Es spricht nun mal Vieles dafür, dass ohne eine Zusammenarbeit der SozialdemokratInnen mit der Mosaiklinken genau diese PP die Regierung in Madrid bilden wird, im Gleichschritt mit ihrer „militanten ultrarechten Abspaltung“ – die dann vielleicht nicht offiziell dabei ist, aber (wie in Schweden) faktisch ein Vetorecht hat. Ist halt mal so – leider oder nicht. Und ob Pablo S. sympathisch ist oder ein Narzisst, spielt nicht wirklich DIE Rolle.
    Zum Einen ist „Narzissmus“ in dem Zusammenhang nur ein Tritt vors Schienbein, aber keine fundierte Aussage. Zum Anderen geht parlamentarische Politik wohl nicht ganz ohne narzisstische Züge – was aber was anderes ist als ein klinischer Befund.

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