Spanien: „Justizputsch“ des Verfassungsgerichts

Verfassungsgericht in Madrid. Bild: Zarateman/CC0

Das spanische Verfassungsgericht stoppt eine Reform, um Richter, deren Mandat seit sechs Monaten abgelaufen ist, im Amt halten zu können. Darüber wird die Mehrheit der rechten Richter im höchsten Gericht gesichert. Zwei Richter haben verfassungswidrig kein Mandat mehr. Sie lehnten sowohl die Befangenheitsanträge gegen sie mit ab und sorgten schließlich für die knappste Mehrheit, um erstmals ein Gesetzgebungsvorgang im spanischen Parlament abzuwürgen.

Das Wort „golpe“ für Putsch oder Staatsstreich ist nun in Spanien in aller Munde. Auf Twitter ist der Hashtag #GolpeDeEstadoJudicial (Juristischer Staatsstreich) genauso Trending Topic wie „Tribunal Constitucional“ (Verfassungsgericht). So twitterte der Podemos-Sprecher Pablo Echenique nur das Wort „golpe“, nachdem das Verfassungsgericht in der Nacht vom Montag auf Dienstag entschieden hatte, erstmals ein Gesetzgebungsverfahren im spanischen Parlament zu verbieten.

Die Vorgänge im Verfassungsgericht nennt auch die Chefin der Linkspartei Podemos (Wir können es) einen „nie dagewesenen Staatsstreich“. Der rechte Flügel dort verhindere „eine demokratische Abstimmung“ im Parlament, wo die „Volkssouveränität“ liege. Der Professor für Verfassungsrecht an der Universität von Sevilla Joaquín Urias meint: „Wir wissen seit letzter Nacht, dass wir ein Organ haben, dass sich Verfassungsgericht nennt, aber wir wissen nicht, ob wir noch eine Verfassung haben.“ In einem ausführlichen Artikel führt er aus, dass es ausgerechnet das Verfassungsgericht ist, das einen „Angriff“ auf die Verfassung ausgeführt habe.

Der Kongress hatte schon am vergangenen Freitag mit großer Mehrheit verschiedenste Reformen mit klarer Mehrheit angenommen, darunter auch die offizielle Streichung des absurden Aufstands-Paragraphen, den es praktisch sonst nirgends in Europa gibt. Es sollte aber auch die Neubesetzung der Richter im Verfassungsgericht über veränderte Mehrheiten geregelt werden. Denn die postfaschistische Volkspartei (PP) blockiert die Erneuerung der Justiz seit Jahren, um ihre Vormachtstellung zu erhalten.

Um die Blockade aufzulösen, sah die Reform vor, die Richter fortan nicht mehr mit einer Drei-Fünftel-Mehrheit zu bestimmen, sondern mit einfacher Mehrheit, um einer Partei wie der PP die Blockademöglichkeit zu nehmen. Wie das politisierte Verfahren zur Ernennung der Richter in Spanien abläuft, in dem die beiden großen Parteien eigentlich stets die Verfassungsrichter ausdealen, hat Prof. Dr. Axel Schönberger hier für deutsche Leser klar aufgedröselt.

Schon seit einem halben Jahr haben zwei der Verfassungsrichter kein Mandat mehr, was verfassungswidrig ist. Sogar schon fast fünf Jahre ist der Kontrollrat für Justizgewalt (CGPJ) nur noch geschäftsführend im Amt, was in der Verfassung ebenfalls nicht vorgesehen ist, weil die PP auch dessen Erneuerung blockiert. Der von rechten Richtern dominierte Rat ernennt seither immer wieder höchste Richter, um die rechte Vormachtstellung in der Justiz für viele Jahre zu zementieren, was nach Ansicht von Experten ebenfalls verfassungswidrig ist. Das hat inzwischen sogar schon die EU-Kommission auf den Plan gerufen, die nun ebenfalls an der Rechtsstaatlichkeit in Spanien zweifelt und mit Sanktionen wie Ungarn und Polen wegen der völlig politisierten Justiz droht.

Doch zurück zum verfassungswidrigen Vorgehen derer, die eigentlich dafür da sind, die Verfassung zu schützen. Genau die beiden Richter, die kein Mandat mehr haben, haben mit ihren Stimmen dafür gesorgt, dass die Befangenheitsanträge gegen sie mit 6 zu 5 Stimmen abgelehnt wurden. Anträge hatten Podemos und die regierenden Sozialdemokraten (PSOE) gestellt.

Aufhebung der Gewaltenteilung

Aber nicht nur in diesem Fall haben die befangenen Richter, welche von der PP eingesetzt wurden, darunter auch der Verfassungsschutzpräsident Pedro González‑Trevijano, über sich selbst entschieden. Die völlig befangenen Richter haben letztlich auch mit der knappsten Mehrheit dafür gesorgt, dass erstmals dem spanischen Parlament untersagt wird, ein Gesetz zu debattieren und es in der zweiten Lesung am Donnerstag im Senat zu beschließen. Sie haben sich also nicht nur selbst bestätigt, angeblich nicht befangen zu sein, sondern auch dafür gesorgt, dass sie ab Donnerstag nicht abgelöst werden, wie es die Verfassung will. Sie waren in beiden Fällen persönlich betroffen, hätten also nie darüber abstimmen dürfen.

Es war genau der Gerichtspräsident ohne Mandat, der auf Eilantrag der rechten Ultras schon am Montag eiligst ein Treffen des Verfassungsgerichts einberufen hatte. Schon am Freitag sollte die Abstimmung im Kongress unterbunden werden. Damit sollte die Gewaltenteilung ausgehebelt werden, die letztlich auch geschehen  ist. Denn ein Verfassungsgericht kann, sollte ein beschlossenes Gesetz verfassungswidrig sein, das auf Basis einer Klage im Nachhinein feststellen. Doch es wurde nun präventiv tätig, weil sonst die PP die Kontrolle über das höchste Gericht verloren hätte.

So kann man dem Präsidialamtsminister Félix Bolaños nur zustimmen, der noch in der Nacht erklärt hat: „Die PP will das Parlament kontrollieren, ob sie eine Mehrheit hat oder nicht.“ Es sei eine „Tür geöffnet“ worden „und wir wissen nicht, wohin sie uns führen wird“, warnte er. Doch auch er sprach fälschlicherweise von einem „Präzedenzfall“. Diesen Unsinn wiederholte schließlich  auch die PSOE-Parlamentssprecherin Eva Granados, wenn sie erklärte, dass angeblich „erstmals“ das Verfassungsgericht „einen Gesetzgebungsprozess lahmlegt“.

Vorgehen gegen Katalonien war die Steilvorlage für die Rechten

Hätte sie den Zusatz „im spanischen Parlament“ angefügt, würde das noch stimmen, doch genau das fehlt auch in fast allen Aussagen zu der Frage. Denn den gefährlichen Präzedenzfall hatte das gleiche Verfassungsgericht schon 2017 in Bezug auf Katalonien geschaffen, wo man versuchte, Debatten und Beschlüsse zu untersagen. Da die damalige katalanische Gerichtspräsidentin Carme Forcadell aber die Gewaltenteilung und die Souveränität des Parlaments verteidigte, die Debatten und Abstimmungen zuließ, wurde sie sogar wegen angeblichen Aufruhr zu 11,5 Jahren Haft verurteilt.

Immer wieder wurde das Verfassungsgericht auch mit Applaus der Sozialdemokraten von Pedro Sánchez präventiv gegen die Katalanen eingesetzt. Das Gericht blockiert auch die Bearbeitung etlicher Verfahren, um den Gang vor europäische Gerichte zu verhindern, wo Spanien mit großer Sicherheit, wie in anderen Verfahren zum Thema, vermutlich abgewiesen wird.

Vordergründig hatten die Rechten auch im Blick, die Reform des Aufruhr-Paragraphen zu verhindern, über die wird allerdings am Donnerstag abgestimmt, weil dagegen das Verfassungsgericht keinen Einspruch eingelegt hat. Die Reform wird dann, wenn sich die Mehrheiten nicht bald ändern, über eine ordentliche Klage wohl gekippt werden. Etliche wichtige Beschlüsse stehen vor dem höchsten Gericht bald an, wie zum Beispiel die Abtreibungsfrage oder die Aufarbeitung des Franquismus. Diese und andere Gesetze können die rechten Ultras über das von ihnen dominierte Gericht kippen, ohne dafür eine Mehrheit im Parlament zu benötigen.

Allerdings muss hier auch gesagt werden, dass die sogenannte Linksregierung aus PSOE und Podemos es eben seit drei Jahren verschlafen hat, die Justiz-Blockade aufzubrechen. Es ist nun wahrlich kein Ruhmesblatt, die Reform des Verfassungsgerichts über Änderungsanträge eilig in ein Gesetz einzufügen, statt ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren mit der entsprechenden Debatte auf den Weg zu bringen. Es war auch hochnotpeinlich, dass Pedro Sánchez am vergangenen Freitag nicht im Parlament war, um seine Reformen zu verteidigen. Nicht einmal der Parlamentssprecher Patxi López machte dies am Rednerpult.

Noch unwürdiger war allerdings das Schauspiel, von den Bänken der rechten bis ultrarechten Parteien und das Vorgehen der PP, außerhalb des Parlaments die Debatte über das Verfassungsgericht verbieten zu lassen. Hier sei gesagt, dass es eine postfaschistische Partei ist, die sich vom Putsch gegen die Republik 1936 und den Jahrzehnten der Franco-Diktatur nie distanziert hat. Die Partei wurde von Franco-Ministern gegründet und der ehemalige Diktator hat nach seinem Tod alles „gut festgezurrt“, wie er erklärt hatte. Das kann man an der Justiz deutlich sehen.

Man sieht aber, dass sich Sozialdemokraten selbst ins Knie geschossen haben, weil sie einen undemokratischen Vorgang in Katalonien mitgetragen haben. Jetzt beschweren sie sich, dass es sie trifft. Katalonien war die Steilvorlage für die Ultras. Der Bumerang eines undemokratischen Vorgehens kommt nun zurück. Die Sozialdemokraten hatten 2017 die Chance, sich als Demokraten zu zeigen und die Demokratie zu verteidigen. Sie haben aber aus nationalistischen Interessen zugelassen, dass ein gefährlicher undemokratischer Präzedenzfall geschaffen wird.

Deshalb erklärt Sánchez nun auch, dass er die verfassungswidrige Entscheidung anerkennen will, da er und seine Regierung sonst auch mit Gefängnisstrafen oder Exil konfrontiert sein könnten. „Die Regierung wird die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um der Blockade der Justiz und des Verfassungsgerichts ein Ende zu setzen“, erklärt Sánchez nun. Wie er das in der verbleibenden Legislaturperiode bis zum November 2023 schaffen will, weiß er selbst nicht, nachdem er drei wichtige Jahre ungenutzt verstreichen ließ.

Kommen wir nun noch Kurz zum Inhalt der übrigen Reformen, wie der offiziellen Streichung des Aufruhrs. Die Reform, von der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC9 gefordert, ist eigentlich unnötig. Es gab auch nach spanischem Recht keinen Aufruhr in Katalonien, wie auch in Deutschland im Auslieferungsverfahren gegen den Exilpräsidenten Carles Puigdemont festgestellt worden war Etwas anderes ist, dass auch hier die politisierte Justiz die Gesetze nach Gutdünken einsetzt.

Aufruhr wird ersetzt durch eine „schwere Störung der öffentlichen Ordnung“

Jetzt soll die Rechtslage über die Reform angeblich an die in der EU angepasst werden. Allerdings wird damit real eine Ausweitung der Repression einhergehen, da der schwammige Begriff „Einschüchterung von Personen oder Sachen“ in die Strafrechtsreform aufgenommen wurde, wie breit kritisiert wird. Für den neuen Straftatbestand der „schweren Störung der öffentlichen Ordnung“ drohen bis zu fünf Jahre Haft. Und es darf davon ausgegangen werden, dass die rechten Richter diese Reform auf Streikposten, Klimaaktivisten und Anhänger der Unabhängigkeitsbewegungen im Land anwenden werden. Reformiert werden soll auch „Veruntreuung“. Wenn es keine persönliche Bereicherung gibt, wie beim Referendum in Katalonien, sollen die Strafen nun nur noch höchstens vier Jahre betragen können.

Außer der Republikanischen Linken (ERC), dessen Stimmen sich die Sánchez-Regierung mit den Reformen auch für den Haushalt zu erkaufen versucht, sind alle übrigen katalanischen Parteien und auch die Zivilgesellschaft gegen diese Strafrechtsreform. Sie kritisieren auch, dass damit eine Anerkennung der Veruntreuung einhergehe, die es nicht gab. Spanien wolle über die offizielle Streichung des Aufruhrs versuchen, die Auslieferung von Puigdemont und anderen Exilanten zu erreichen. Die Regierung hat tatsächlich immer wieder erklärt, dass das Ziel der Strafrechtsänderung sei, Puigdemont „vor die spanische Justiz zu stellen“. So wies unter anderem die Vizepräsidentin Nadia Calviño auf die „Schwierigkeit bei der Auslieferung hin, da der Straftatbestand Aufruhr in anderen Länder nicht existiert“.

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