Spanien: Finstere Zeiten

Oberster Gerichtshof in Madrid
Oberster Gerichtshof in Madrid. Bild: Javier Perez Montes/CC BY-SA-4.0

Keines der Probleme, die die politische Krise in Spanien seit langem dominieren, ist einer Lösung näher: sie haben sich in letzter Zeit allesamt verschärft, und die Zeichen stehen auf einen bevorstehenden Umbruch, mit bösen Folgen für Europa.

Der Generalstaatsanwalt auf der Anklagebank

Im Mittelpunkt stand die letzten Wochen der Großangriff der „Lawfare“-Anführer in der spanischen Judikative auf den Generalstaatsanwalt Álvaro Garcia Ortiz, gesteuert von Ángel Luis Hurtado, Richter am Obersten Gericht. Begleitet wurde das juristische Vorgehen von einer breiten Kampagne der rechten und rechtextremen Parteien und Medien mit dem klaren Ziel eines Sturzes der „linken“ Regierung unter Premierminister Pedro Sánchez. Dieser hatte den eher „fortschrittlichen“ Generalstaatsanwalt nach längeren Auseinandersetzungen mit der rechtslastigen Spitze des Justizapparats ernannt.

Die Schilderung des Vorgangs kann Schwindelattacken auslösen, denn sie führt in ein beispielloses politisches Gestrüpp hinein: Isabel Ayuso, Präsidentin der Regionalregierung von Madrid und Hoffnungsträgerin der spanischen Rechten, ist mit dem „Unternehmer“ González Amador liiert, der zu den zahlreichen Pandemie-Gewinnlern gehört. Er hatte durch Millionengeschäfte mit überteuerten Covid-Schutzmasken in kurzer Zeit Millionen verdient und dabei noch 350000 Euros an Steuern hinterzogen. Um einer mehrjährigen Haftstrafe zu entgehen, bemühte sich sein Anwalt um einen Deal mit der Justiz.

Die entsprechende Email, zu der Hunderte in der Justizverwaltung Zugang hatten, gelangte in die Medien. Von diesem Moment an traten die gestandenen Straftaten des Lebensgefährten von Isabel Ayuso in den Hintergrund und eine gewaltige Medienkampagne begann: Der Generalstaatsanwalt hätte das Geständnis von González Amador im Einvernehmen mit dem Regierungschef Pedro Sánchez in die Medien lanciert, um Isabel Ayuso zu schaden, konkret den Aufstieg der Milei- und Trumpfreundin zur Chefin einer zukünftigen Rechtsregierung zu sabotieren. Das alles ohne einen einzigen Beweis. Statt Amador den Prozess zu machen, wurde vom Obersten Gericht Anklage gegen den Generalstaatsanwalt erhoben, befeuert von einer ganzen Batterie von Nebenklägern, Vertretern der sogenannten „Popularanklage“, eine Besonderheit des spanischen Rechtssystems. Es waren durchweg Organisationen der extremen Rechten bis hin zur faschistischen Partei VOX oder ultrakatholische Vereinigungen. Begleitet wurde das Ganze von einer wilden Kampagne der rechten „Kloakenpresse“.

Fünf Tage Verhandlungen vor dem Obersten Gericht förderten diese Tage keinen einzigen Beweis zutage, wohl aber Zeugenaussagen vieler Journalisten seriöser Zeitungen wie „El País“, die übereinstimmend aussagten, die fragliche Mail des Anwalts von González Amador schon viele Stunden vor dem Zeitpunkt gekannt zu haben, zu dem die Mail nach Feststellung des Gerichts dem Generalstaatsanwalt zugegangen war. Sie beteuerten allesamt die Unschuld von Álvaro Garcia Ortiz und sprachen von ihrem moralischen Dilemma, an den durch die Verfassung garantierten Quellenschutz gebunden zu sein. Die Antwort des Vorsitzenden Richters Andrés Martínez Arrieta an die Zeugen: ob sie etwa dem Gericht drohen wollten. Im Turbo-Tempo hat das Oberste Gericht den Generalstaatsanwalt schuldig gesprochen: eine Geldstrafe von 7200 Euro und zwei Jahre Berufsverbot.

Jagd auf Pedro Sánchez

Im April letzten Jahres war die Topnachricht in allen spanischen Medien: Premierminister Pedro Sánchez kündigt seinen vorübergehenden Rückzug aus den Regierungsgeschäften an, nachdem der Ermittlungsrichter Juan Carlos Peinado Ermittlungen gegen seine Gattin Begoña Gómez eingeleitet hatte. Basis waren wie schon im Fall des Generalstaatsanwalts „Popularklagen“ rechtsextremer und ultrakatholischer Gruppen (Manos Limpias, Hazte Oír usw.) sowie der faschistischen Partei VOX. Die Anzeigen gründeten auf Zeitungsausschnitten, die über die Untaten der „First Lady“ Begoña Gómez herzogen. Ein Zeitungsausschnitt wurde später zurückgezogen, weil hinter dem Namen „Begoña Gómez“ eine andere Person gleichen Namens stand. Über Nacht war der bisher unbekannte Richter Peinado zum Feldherrn einer neuen „Lawfare“-Schlacht geworden: ein überraschender Aufstieg aus seiner eher grauen Richterexistenz, war er doch zu seinem Richteramt auf einem inzwischen abgeschafften Sonderweg von Empfehlungen und Beziehungen gekommen und nicht über den steinigen Weg von Prüfungen und Auswahlverfahren.

Die Ermittlungen von Peinado umfassten nicht weniger als fünf Straftaten:

  • Ausnutzung ihrer Rolle als „First Lady“ zu verbotener Einflussnahme;
  • Ausnutzung ihrer Arbeit als Dozentin der Madrider Complutense-Universität für korrupte Geschäfte;
  • Anmaßung des Titels „außerplanmäßige Professorin“;
  • „Aneignung“ einer (kostenlosen!) Software für Bewerbungen;
  • Veruntreuung öffentlicher Gelder.

Für keine dieser Straftaten wurden in 18 Monaten Ermittlungen gerichtsverwertbare Beweise gefunden. Peinado hat daraufhin die Ermittlungen bis April nächsten Jahres verlängert.

Parallel dazu muss Pedro Sánchez noch ein Verfahren gegen seinen Bruder David Sánchez ertragen. Dieser ist international anerkannter Dirigent und Komponist, mit Ausbildung und Auftritten in Sankt Petersburg, Mailand, Madrid und den USA. Im Jahr 2017, also vor der Ernennung seines Bruders zum Premierminister im Jahr 2018, trat er eine Stelle als Chef des Büros für szenische Künste in der Provinzregierung von Badajoz an. Auch gegen ihn wird wegen Ausnutzung unzulässiger Einflussnahme (als Bruder des Premierministers) und Veruntreuung öffentlicher Gelder ermittelt, gekrönt von dem Vorwurf, die Stelle wäre für ihn als Bruder von Pedro Sánchez geschaffen worden (und das ein Jahr vor dessen Amtsantritt). Auch der unverzügliche Verzicht auf seine Stelle wird ihn nicht vor einer Anklage retten.

Versuche, Pedro Sánchez direkt vor Gericht zu stellen, haben allerdings bisher nicht funktioniert.

Die Basis der Regierung bröckelt

Die Regierung von Pedro Sánchez trat vor über zwei Jahren als Koalition zwischen der sozialistischen Partei PSOE und dem Linksbündnis SUMAR an, geführt von der Vize-Premierministerin Yolanda Díaz. Bald darauf verließ Podemos, unter Pablo Iglesias einige Jahre zuvor noch fast gleichauf mit dem PSOE, das Linksbündnis und hat sich in eine der schärfsten Kritikerinnen der Regierung verwandelt. In den Umfragen sind seitdem sowohl SUMAR als auch Podemos massiv in der Wählergunst geschrumpft. Die sozialistische Partei PSOE tritt in den Umfragen ebenso wie die Rechtspartei auf der Stelle, während die faschistische Partei VOX wächst und wächst.

Kurz gesagt: Wären jetzt Wahlen, wäre die aktuelle Regierung weit von einer parlamentarischen Mehrheit entfernt. Diese hat sie zwar auch zurzeit nicht. Pedro Sánchez ist vielmehr mit den Stimmen kleiner regionaler bzw. nationalistischer Parteien zum Regierungschef gewählt worden. Entscheidend waren seinerzeit die sieben Stimmen der von Puigdemont aus dem belgischen Exil „ferngesteuerten“ Partei Junts. Und diese hat gerade ihren endgültigen Bruch mit der gegenwärtigen Regierung verkündet. Ein Grund war die immer noch von der Justiz blockierte Amnestie Puigdemonts, Voraussetzung für seine Rückkehr nach Katalonien, ein anderer die immer stärkere ideologische Orientierung von Junts nach rechts in Fragen wie Immigration, Atomkraft und Nähe zum katalanischen Unternehmertum.

Anders ausgedrückt: Die Schnittmenge zwischen Junts und der Rechtspartei PP wird immer größer. Das hat auch der PP schon registriert und man hört von dort verhaltene Vorschläge, die Uhr im Umgang mit dem „Separatisten“ und „Vaterlandsfeind“ Puigdemont „auf Null zurückzusetzen“. Ein Deal der Rechtspartei mit Junts würde neue Optionen für einen Sturz von Pedro Sánchez oder für Neuwahlen öffnen und die Position der Rechtspartei bei Verhandlungen mit den Faschisten stärken – ohne einen Deal mit VOX wird es keine Rechtsregierung geben.

Pedro Sánchez, der seit über zwei Jahren ohne Haushalt regiert, scheint jedenfalls zu spüren, dass die Tage seiner Regierung gezählt sind. Eine der wenigen Hoffnungen ist, dass der unbeliebte Spitzenkandidat der Rechtspartei, Alberto Núñez Feijóo, die Wähler eher abschreckt. Aber für diesen Fall steht ja schon Isabel Ayuso, die Retterin des Vaterlands, in den Startlöchern…

Eckart Leiser

Eckart Leiser, Prof. Dr., ist Privatdozent an der Freien Universität Berlin und arbeitet als Psychotherapeut in eigener Praxis in Saragossa (Spanien). Seine Arbeitsschwerpunkte sind die epistemologischen Grundlagen der Psychologie sowie strukturale Anthropologie und Psychoanalyse. Lehrtätigkeit in Frankfurt, Berlin, Mexiko-Stadt, Wien, Madrid, Saragossa und Buenos Aires.
http://userpage.fu-berlin.de/~leiser/
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Ein Kommentar

  1. Ein Phänomen geht in der EU um, alle Mitglieder leiden am ihren selbst deklarierten demokratischen Status, deshalb versucht ‚man‘ ständig die Wähler, oder Schafe, an die Urne zu rufen…
    Die EU und ihre Mitglieder und Bürger, sind am Grad der intellektuellen Grenze angekommen.
    Die Frage der politischen Entwicklung besteht darin, Realitäten zu erkennen und nicht irgendeinen ideologischen Geschwätz zu folgen.
    Wer im glorreichen Europa besitzt diese Fähigkeit?

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