„Solange russische Soldaten im Osten der Ukraine kämpfen, kämpfen sie nicht in Finnland oder Rumänien“

Pokrowsk
Pokrowsk. Screenshot von Video des Skelia-Regiments

Ein SZ-Journalist leistet der Bundesregierung mediale Hilfe, beim Herunterreden der angeblich unbedeutenden Korruption und dem Druck auf die Ukraine, den Krieg weiter „aus einem sehr klaren sicherheitspolitischen Eigeninteresse“ der EU zu führen.

Bundeskanzler Merz fordert den ukrainischen Präsidenten Selenskij auf, dafür zu sorgen, dass möglichst keine Männer, vor allem keine jungen, mehr nach Deutschland kommen. Sie müssten schließlich „Dienst“ leisten und würden gebraucht (Merz: Selenskiy soll dafür sorgen, dass die jungen Männer in der Ukraine bleiben). Das passt dazu, dass die Bundesregierung weiterhin mehr Geld in den Krieg in der Ukraine investieren und 2026 11,5 Milliarden Euro vor allem für Waffenlieferungen ausgeben will. Und die müssen schließlich bedient werden.

Das ist zum Problem geworden ist, weil zu viele der Soldaten getötet oder verwundet wurden oder Fahnenflucht begangen haben, während die Mobilisierung nicht ausreichend Männer nachliefern kann, auch wenn Jagd auf den Straßen gemacht wird und vermehrt Söldner eigestellt werden. Freiwillig scheint sich kaum noch jemand für den Dienst an der Front zu melden.

Der Druck auf Selenskij steigt, wegen der Personalnot und der Überalterung der Truppen die Wehrpflicht auf 18 Jahre herunterzusetzen, da sie bislang nur auf 25 Jahre gesenkt wurde. Der Präsident des bereits entvölkerten und vergreisenden Landes will vermutlich für die Zeit nach dem Krieg die junge Generation schonen und die Eltern nicht verschrecken und hat sogar den 18-22-jährigen Ukrainern erlaubt, legal die Ukraine verlassen zu können. Zwar haben Eltern schon länger ihre Söhne unter 18 Jahren ins Ausland geschickt, um sie vor der Mobilisierung zu schützen. Wer konnte und nicht zum Militär wollte, ist geflohen oder hat sich dank der verbreiteten Korruption freigekauft. Wie immer kann sich die reiche und gut vernetzte Schicht dem Krieg entziehen, während die Ärmeren wegen des Geldes oder aus Zwang in den Schützengräben dem Tod ausgesetzt sind.

Merz will also, dass Deutschland vor weiteren Flüchtlingen verschont bleibt und die Ukraine weiter verteidigt wird. Daher müssen wieder mehr Soldaten an die Front, obgleich die Situation für die Ukraine derzeit nicht gut aussieht. Aber was die jungen Männer erwartet, interessiert den Kanzler nicht, der sich auch nicht wirklich Gedanken darüber macht, wie man den Krieg beenden könnte. Die Ukraine darf ja nicht verlieren, sonst wären die Zigmilliarden an Unterstützung, die vielen Toten und die Zerstörung sinnlos gewesen, Russland darf nicht gewinnen, so die Losung von Anfang an.

Das hat sich aber mittlerweile verschoben, vor allem seit Trumps Präsidentschaft. Die europäischen Nato-Staaten müssen auf Druck aus Washington, aber auch um militärisch selbständiger zu werden, die Militärausgaben drastisch erhöhen. Seitdem wird verstärkt betont, dass es nicht nur um die Verteidigung der souveränen Ukraine geht, sondern dass dort ein Stellvertreterkrieg geführt wird: Die Nato bzw. EU wird in der Ukraine verteidigt.

Um die steigenden Militärausgaben zu rechtfertigen, wird die Bedrohung der Nato oder der EU durch Russland hochgefahren. Jetzt geht es nicht mehr primär darum, dass die Ukraine gewinnt, was auch völlig unrealistisch ist, sondern dass sie noch länger den Krieg fortführen muss, bis die Kriegstüchtigkeit im Wettrüsten gesichert ist. Die noch kampfeswilligen Ukrainer, meist rechtsnationalistische Bandera-Anhänger der Freiwilligenverbände, die wieder offen Nazi-Zeichen zeigen, werden aus dem Zweck und der Devise, dass der Feind meines Feindes mein Freund ist, gefördert oder geduldet, was die Amerikaner schon lange vorbereitet haben (Ukraine hat das amerikanische Resistance Operating Concept umgesetzt). Ein Kriegsende ist nicht wirklich erwünscht, die Ukrainer müssen weiter für andere Interessen sterben.

Blut gegen Geld

Pressesprecher von Merz ist der ehemalige Politik-Ressortleiter Stefan Kornelius von der Süddeutschen Zeitung, der stramm transatlantisch war und seine Redakteure streng auf Linie hielt. Das ist anscheinend weiterhin so, zumindest entsteht der Eindruck so, wenn man den Kommentar des Redakteurs Hubert Wetzel liest, der meint, dass die Regierung bzw. Merz mediale Hilfe benötigen. Schon der Titel „Die Europäer sollten nicht vergessen: Solange die Front im Donbass verläuft, verläuft sie nicht im Baltikum“ ruft dazu auf, weiter die Ukraine im Krieg mit Waffen und Geld trotz aller Korruption, wie sie wieder durch „Mindychgate“ deutlich wurde, zu unterstützen, um sich angeblich selbst zu schützen. Wenn die Ukraine bzw. die Ukrainer nicht freiwillig oder gezwungen Widerstand leisten würden, würden die Russen sofort ins Baltikum einmarschieren, wird suggeriert.

Selenskij steht ja nicht über dem Korruptionssumpf, sondern mitten drin. Das zeigte schon der Versuch im Sommer, die von der Regierung unabhängigen Antikorruptionsbehörden in seinen Griff zu bekommen, als klar wurde, dass sie auch gegen seinen Freund und Geschäftspartner Tymur Minditsch ermittelten. Die Korruption im Energiebereich ist nur die Spitze des Eisbergs, gerade im Militärbereich wurden bereits mehrere Korruptionsfälle aufgedeckt.

Für den SZ-Journalisten ist zwar die Empörung gerechtfertigt, dass Steuergelder aus Deutschland und anderen Unterstützerländern in auch von Ministern betriebenen Korruptionskanälen versickern. Aber er rechnet schon mal die Zahlen runter, wie das auch ein Betroffener in der Ukraine machen könnte. Er geht nämlich nur von der jetzt bekannt gewordenen Schätzung von 100 Millionen Euro im Energiebereich aus. Das dürften insgesamt auch viel mehr gewesen sein, zumal in dem bekannt korrupten Land sich auch in anderen Bereichen Menschen bereichert haben. Wetzel präsentiert dann allen Ernstes die Rechnung, dass die Ukraine doch mindestens 300 Milliarden Euro in den vergangenen Jahren erhalten habe, was die 100 Millionen doch zu Peanuts mache: „Abgebrühte Fachleute würden eine durch Korruption verursachte Schwundrate von 0,03 Prozent womöglich sogar für eher gering halten.“ Aber nur, wenn abgebrühte Journalisten die Menschen, die Fachleute inklusive, angesichts der Ausgangszahlen für blöd verkaufen wollen.

Das Argument soll bestärken, dass man unbesehen weiter massiv Gelder in die Ukraine aus Selbstinteresse heraus überweisen müsse, was nebenbei den Krieg eben zu einem Stellvertreterkrieg macht, den der Westen mit Geld und Waffen und die Ukraine mit Menschenleben bezahlt. Und so soll es auch sein: „Egal, wie korrupt es in der Ukraine zugeht – das Land ist momentan das strategisch-militärische Bollwerk Europas gegen ein aggressives, imperialistisches Russland. Die EU unterstützt die Ukraine nicht – oder zumindest nicht nur – aus humanitären oder moralischen Gründen. Sondern vor allem aus einem sehr klaren sicherheitspolitischen Eigeninteresse: Solange die Front im Donbass verläuft, verläuft sie nicht im Baltikum oder in Polen. Solange russische Soldaten im Osten der Ukraine kämpfen, kämpfen sie nicht in Finnland oder Rumänien. Jeder Euro, der an die Ukraine geht, ist damit ein Euro, der in die Verteidigung Europas investiert wird.“

Zur Not könne man auch Selenskij austauschen, wenn er nicht mehr haltbar ist. Und man soll nicht sagen, der SZ-Journalist würde nicht an die Ukrainer denken, die freiwillig oder unter Zwang an der Front für das „sicherheitspolitischen Eigeninteresse“ der EU kämpfen und sterben. Das hört sich so an und ist an Scheinheiligkeit nicht zu überbieten: „Europa ist – zum Glück noch – in einer Situation, in der es seine Sicherheit mit Geld kaufen kann. Die Ukrainer bezahlen für ihre mit Blut. Ein Euro, der von einem Konto aufs andere wandert, ist etwas völlig anderes als ein Mensch, der vom Leben in den Tod befördert wird. Das sollte man bei aller gerechtfertigten Empörung nicht vergessen.“

Das Sterben der Ukrainer ist also schon okay, auch wenn es im Interesse anderer Länder geschieht. Da können schon mal Millionen der Steuergelder in dunklen Kanälen verschwinden, wenn nur weiter gekämpft und gestorben wird. Die kriegen im Normalfall auch die abgezweigten Gelder nicht ab, sondern diejenigen, die einigermaßen sicher an den Schalthebeln der Macht sitzen. Kein Wort dazu, dass mit dem Geld und den Waffen aus Deutschland und der EU die Fortsetzung des Krieges gewährleistet werden soll und deswegen weiter Ukrainer vom Leben in den Tod befördert werden, um die Sicherheit der EU zu schützen. Und werden die Ukrainer weiter für die Bereicherung der Oligarchen und Eliten im eigenen Land und die Interessen anderer Länder sterben wollen?

Florian Rötzer

Florian Rötzer, geboren 1953, hat nach dem Studium der Philosophie als freier Autor und Publizist mit dem Schwerpunkt Medientheorie und -ästhetik in München und als Organisator zahlreicher internationaler Symposien gearbeitet. Von 1996 bis 2020 war er Chefredakteur des Online-Magazins Telepolis. Von ihm erschienen sind u.a. „Denken, das an der Zeit ist“ (Suhrkamp 1988), „Die Telepolis“ (1995), „Vom Wildwerden der Städte“ (Birkhäuser 2006), „Smart Cities im Cyberwar“ (Westend 2015), „Sein und Wohnen“ (Westend 2020) oder „Lesen im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz“ (Bielefeld 2023)
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11 Kommentare

  1. Naja, der Herrschaftsbereich einer Frau Kallas ist nun mal HDI-mäßig höher einzustufen und zu schützen als die Einwohner des Donbass, da sprechen eh noch zu viele russisch und gemäß Demokratie geht sowas ja bekanntlich gar nicht. Und mit dem beabsichtigten Verheizen von unter 18-Jährigen, das geht schon klar, schließlich haben wir ja auch mit dafür gesorgt, dass woanders wesentlich jüngere und unschuldige Menschen gezielt und massenweise getötet wurden, also sind die ukrainischen Jugendlichen so eine Art Kollateralschaden, die Ukraine braucht keine Jugend.
    Dumm ist nur, dass dem gesamten Wertewesten das Geld ausgeht, welches umso mehr gebraucht würde, je mehr die Ukraine zerstört wird. Aber immer schon Eines nach dem Anderen. Erst muss Russland in die Knie gezwungen werden, dann findet sich sicher irgendo noch Geld und Humankapital, oder auch nicht. Ironie aus.

  2. Nun ja, für die „Alpenprawda“ sind Slawen eh nur Untermenschen. Egal ob „Ukrainer“ oder „Russen“…
    Ich erinnere mich an einen Artikel in dieser Gazette aus dem Jahre 2019. Der 75. Jahrestag des Durchbruchs der fast 900tägigen Belagerung der Stadt Leningrad(heute St.Petersburg) war Anlass für einen der unsäglichsten Hetzartikel. Das die Bewohner der Stadt den Sieg des Lebens über den Tod begingen, war für die geistigen Erben Julius Streichers Anlass für bösartige, rassistische Hetze übelster Sorte.
    Böse Zungen behaupten, die „Alpenprawda“ sei das Sprachrohr für die „Organisation Gehlen“…das würde auf eine bezahlte Arbeit für die Regierung hinweisen…

  3. Vielleicht ist alle Aufregung über ein Weiterso mit der Millitärhilfe bald schneller
    vorbei, als wir denken können. Die Russen ziehen jetzt die Stellschrauben heftig
    an. Es werden massiv die Energieanlagen, Transportwege und Rüstungsbetriebe
    ins Visier der Angriffe genommen. Auch weit im Westen der Ukraine. Ab und an
    bekommt dann auch schon einmal eine Westliche Botschaft etwas ab. Da kann man
    dann den Gastgebern danken, dass sie ihre Drohnenfabriken direkt nebe den Botschaften
    betreiben. Da soll es ja auch sicherer sein.

  4. Faschisten dürfen sie sein, korrupt dürfen sie sein… Hauptsache sie lassen sich von europäischen Revanchisten und Imperialisten auf die Schlachtbank führen.

  5. Nun, das ist ja rein physikalisch durchaus korrekt, was der transatlantische Presstitude-Wetzel da erkannt hat: wer im Donbass anwesend ist, kann nicht gleichzeitig im Baltikum sein. Außer man würde es quantenmechanisch betrachten mit diversen Quantenverschränkungen usw. usf……..
    Ebenso ist wohl auch korrekt, so lange dieser Wetzel seinen geistigen Tiefflug in der SZ absondert, bleibt er relativ unbemerkt, denn wer nicht gerade total von allen guten Geistern verlassen ist, wird weder SZ, noch Spiegel, noch FR, noch die Hofschranzen aus den ÖRR lesen, schauen und wenn, dann bestenfalls als Satire sehen.

    1. Tja, das Problem sind die mittlerweile recht vielen Wetzels in deutschen und deutschsprachigen (siehe NZZ) Schreibstuben. Auch wenn jede für sich genommen recht wenige Leser erreichen mag, in Summe sind es viele. Zu viele.

  6. Der Autor stellt fest: „Die noch kampfeswilligen Ukrainer, meist rechtsnationalistische Bandera-Anhänger der Freiwilligenverbände …“. Diese Aussage entbehrt jeder sachlichen Grundlage und spiegelt die ideologische Voreingenommenheit des Autors wider.

    1. Die Tatsache, dass tausende junge männliche Ukrainer vor der Einberufung geflüchtet sind oder sich freigekauft haben, sind Anlass genug, um unsere Demokraten dazu zu bewegen, diese zurückzuschicken an die Front. Dass solche Meldungen im Mainstream auftauchen, entbehrt natürlich jeder jourjalistischen Grundlage.
      Warum gehen Sie nicht für Ihr geliebtes, banderaheroisierendes Land an die Front? Ein erforderliches Hakenkreuz- oder Wolfsangeltattoo lässt sich sicher organisieren.

  7. Apropos Baltikum, habe heute einen Artikel in RT gelesen ueber “ Russophobie zerstoert baltische Wirtschaft“…..*
    so was liest man ja leider nicht bei den deutschen „Laufstallmedien“ fand diesen Artikel sehr informativ, habe aehnliches auch schon ueber Finnland gelesen, die Grenzregionen an Russland verarmen, Firmen gehen pleite, Investoren bleiben weg und die Menschen ziehen weg……das ist fuer manchen Finnen schwere Kost, vielleicht mal bei Frau Marin anklopfen, wo ist die eigentlich abgeblieben, sie hat das vollbracht was man ihr aufgetragen hat und dann nix wie wech!

  8. Jetzt bin ich hier wieder ein bisschen überfordert. Herr Rötzer, der Schaffer von Overton macht sich Gedanken darüber, dass der Black Rocker Com.Merz sich keine Gedanken darüber machen würde, wie der Krieg zu beenden wäre.
    Oh mein Gott, lass es Vernunft regnen, auf dass die ehrlich und aufrichtige deutsche Opposition endlich ihren Opportunismus aufgibt und zu einer echten Aufklärung schreitet. Der deutsche Michel ist gefragt sich endlich seiner selbstbewussten Eigenverantwortung zu stellen und mit einer wahrhaften und vom deutschen Volk tatsächlich in Kraft gesetzten Verfassung den Krieg zu beenden. Aber solang das bei Herrn Rötzer und anderen deutschen Oppositionellen nicht Fuß fasst, ist es keine Aufklärung, sondern Verklärung, das Schreiben um des Schreibens Willen.

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