Sibirische Kälte

Nacht der europäischen Literatur. Bild: Ukrainisches Institut

Ein bisschen ist die Luft schon raus aus dem Krieg. Viele Amerikaner fühlen sich wie die Gäste im Ukrainischen Institut am Central Park, wo der Wind der Geschichte fröstelnd weht, aber nur draußen vor der Tür. Drinnen ist es geheizt.

 

Am Mittwoch war ich im Ukrainian Institute of America, bei einer Nacht der europäischen Literatur. Das Institut sitzt in einem Prachtbau am Central Park, schräg gegenüber vom Metropolitan Museum of Art; mit seinen Parkettfluren, Spiegeln und Stuck verströmt es gediegenen KuK-Flair mitten in Manhattan.

Auch die europäischen Literaten waren ein bisschen altes KuK; Schriftsteller aus Rumänien, Polen, dem Baltikum, der Tschechischen Republik und Ungarn, und natürlich Deutschland und Österreich. Nur Askold Melnyczuk, der ukrainische Autor, stellte sich als Amerikaner mit ukrainischen Eltern heraus; Nachkriegsflüchtlinge.

Es ging viel um Krieg, Schuld und Düsternis, Geister und Alkohol. Ilmar Taska aus Estland erzählte, wie er als Kind mit seinen Eltern nach Sibirien deportiert wurde und in verlausten Baracken und Kälte aufwuchs. Davon wissen Amerikaner kaum etwas. Vor ein paar Tagen sah ich einen Beitrag auf 60 Minutes, ein Politikmagazin auf CBS, wo berichtet wurde, das Baltikum sei 1945 von der Sowjetunion befreit worden.

Auch Deutschland ist hier weit weg. Meine Freunde in Berlin sorgen sich alle um ihre Heizkosten. Ich las erst heute von einer Bekannten, die tapfer und solidarisch die Heizung nicht anstellt und ihre Artikel mit Handschuhen tippt.

Hier in New York fährt die Hausverwaltung den Kessel hoch, bis es kracht, Ventile an den Heizungen gibt’s hier nicht, und wenn es zu heiß ist, machen wir einfach die Fenster auf, wie in der DDR. Das schadet aber nichts, denn im preisgebundenen New Yorker Altbau dürfen die Heizkosten nicht auf die Miete umgelegt werden.

Die Benzinpreise sind in New York nun wieder bei unter vier Dollar pro Gallone angelangt, das sind knapp vier Liter. Wenn die Heizkosten so explodieren würden wie in Deutschland, das ginge hier gar nicht, sagt mein Freund Kurt, mit dem ich einmal pro Woche bei Kaffee und Burger die politische Lage bespreche. Dann würden die Amerikaner auf die Barrikaden gehen und die Regierung zum Teufel jagen.

Apropos Regierung zum Teufel jagen; das Senatsrennen in Georgia und ein paar Sitze im Repräsentantenhaus sind noch nicht ausgezählt; gemach, die Wahl ist ja erst zehn Tage her. Aber die Demokraten haben bloß eine kleine Delle erlitten. Eine Delle, die sie im Haus unter fünfzig Prozent bringt, aber den Senat konnten sie halten.

Die Delle, erfahre ich aus der New York Times, ist unsere Schuld, also die von New York, insbesondere der Demokraten. Die haben die Wahlkreise zu ihren eigenen Gunsten zugeschnitten, das so genannte Gerrymandering, Das tut hier jeder, aber die waren so dreist, dass ihnen ein Gericht auf die Pfoten gehauen hat. Schwerer aber wog, dass die Demokraten in New York die vielen Wählerbeschwerden wegen der wachsenden Kriminalität nicht ernst genommen haben.

Ich lebe zwischen Times Square und Hell’s Kitchen, traditionell ein eher raues Viertel, und da passiert jede Woche etwas. Gestern etwa ist der Bruder von Ariane Grande überfallen und seines Louis-Vuitton-Bags und seines iPhones beraubt worden. Ausgerechnet vor der Tür unseres letzten Sexshops, der nicht mehr so richtig beleuchtet wird. Ist das die Krise? Die Täter waren 13 und 17 Jahre alt. Sie wurden geschnappt, als sie versuchten, mit seinen Kreditkarten zu bezahlen.

Fast um die Ecke wurde während der Corona-Krise eine ältere koreanische Frau von einem Obdachlosen zusammengetreten und schwer verletzt. Die Stadt reagierte darauf, indem sie überall bunte Plakate aufhängte, auf denen wir aufgefordert wurden, unsere asiatischen Mitbürger mehr zu achten und zu respektieren. Vielleicht konnten ja der 13-Jährige und der 17-Jährige nicht lesen.

Es beschweren sich also viele, aber die Demokraten reagieren darauf merkwürdig. Sie rechnen uns vor, dass das Problem nicht existiert. Oder wenn es existierte, dann sei es nicht wichtig. Das ist eine klassische Strategie der Demokraten. Sie glauben, wenn sie einander erklärt haben, dass etwas unwichtig sei, oder wenn ihnen eine witzige Retourkutsche eingefallen ist, dann hat das Relevanz und interessiert die Wähler.

Aber zurück zur Ukraine. Dort gebe es große Probleme, schreibt Rajan Menon, Verteidigungsstratege an der Columbia University in der New York Times. Zwar hält sich die Ukraine militärisch, aber der Krieg habe gewaltige ökonomische Einbrüche verursacht; Kältewellen, Hunger, Flüchtlinge, zerbombte Infrastruktur; Hunderte von Milliarden Dollar an Wirtschaftshilfe würden gebraucht. Einiges sei von den USA gekommen — mehr als 90 Milliarden  — , aber die EU hinke noch weit hinterher. Allerdings sei es gerade jetzt, wo Polen und Deutschland unter steigenden Preise und stagnierender Wirtschaft litten, fraglich, ob mehr Geld fließe.

Auch deshalb forderte die linke Kolumnistin Katrina vanden Heuvel in der Washington Post die Ukraine zu Verhandlungen auf, und zwar so schnell wie möglich. Die Unterstützung der USA und der NATO sei nicht grenzenlos. Die Sanktionen gegen Russland hätten zu einer grausamen Rezession in Europa geführt, und zu Demonstrationen empörter Bürger.

Kevin McCarthy, ein Republikaner, der als Sprecher des Repräsentantenhauses gehandelt wird, hat bereits angekündigt, mit ihm werde es keinen „Blankoscheck“ geben. Für Osteuropa fühlen sich die USA nicht verantwortlich.

Nicht alle teilen diese Ansicht. Die Neokonservative Anne Applebaum forderte in The Atlantic: The Russian Empire must die, das russische Imperium muss sterben. Aber ein bisschen ist die Luft schon raus aus dem Krieg. Viele Amerikaner fühlen sich wie die Gäste im Ukrainischen Institut am Central Park, wo der Wind der Geschichte fröstelnd weht, aber nur draußen vor der Tür. Drinnen ist es geheizt.

Um aber nicht auf einer negativen Note zu enden: Hier ist noch ein Stück aus der New York Post, das Murdoch-Boulevardblatt, das Donald Trump hochgeschrieben hat. „Florida Man Makes Announcement“. Florida Man, der unerschrockene floridianische Einwohner, der Bajuware Amerikas, kündigt an. Damit ist Donald Trump in Mar-A-Lago gemeint. Offenbar verlassen die Nagetiere das trudelnde Boot.

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6 Kommentare

  1. Amerikanische PR Agenturen schreiben/schrieben das sie wieder Gross sind, wenn man dies oder das wählt.
    Der herr scholz sagte, Deutschland ist ein Sozialstaat! Ja hier werden einige durch gefüttert auf sehr schäbigen Niveau, seis drum…
    Eine Wirtschaft kann nur so viel ernähren wie diese selbst produziert, alles darüber hinaus läuft Gefahr in den Irrsinn zu geraten…
    Wozu sind Kriege da? Diesen Irrsinn weiter am laufen zu halten…., des einen Freud ist das Leid für die Mehrheit….

  2. Es ist also wie immer, die USA zetteln einen Krieg an, von dem sie sich ordentliche Rendite erwarten. Die tritt nie ein. Bis dahin war das Volk desinteressiert. Jetzt aber drohen Rechnungen, die es zu begleichen hat und die Stimmung wird gereizt, es geht ans eigene Portemonnaie. Die Regierung schwenkt um 180° und lässt Trümmerhaufen zurück. Soll sich doch das geschundene Volk des betroffenen Landes darum kümmern, wir haben wichtigeres zu tun, den nächsten Coup vorbereiten.
    Die demokratische EU handelt genau so.

      1. Jene sog. Demokratie als feierliches Procedere rund um den Akt des obligatorischen malen eines X ins Kästchen (Nichts anderes und nicht daneben!) und damit Legitimierung dieses Scheines.
        Sowas geht bei unserem demokratischen Verständnis allen Ernstes als Mitbestimmung und Partizipation durch…

        1. Kreuzl-Zeichnen ist der (oft) alleinige individuelle Akt in einer parlamentarischen Demokratie.
          So drückt sich Volkssouveränität realiter aus!
          Das ist ähnlich einem „Herrn“, der einen „Knecht“ mit einer bestimmten Programmatik einstellt, diesen dann aber nicht mehr kontrollieren kann, weil ihm (im wesentlichen) die Interventionsmöglichkeiten fehlen.
          Bei einem (zumindest bedingt) imperativen Mandat wäre dies anders. Ich bin mir aber sicher, dass ein Großteil der Wähler die Funktion eines imperativen Mandat gar nicht versteht.
          Man bräuchte nur die Frage stellen, welche Folge ein solches Instrumentarium auf die Souveränität des angeblichen Souveräns hätte.

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