Israels Propagandaministerin Galit Distel-Atbaryan möchte nicht so genannt werden. Warum nicht? Dazu hat sie sich letzte Woche geäußert.
Galit Distel-Atbaryan ist die von Netanjahu ernannte israelische Ministerin für Hasbara. Das Wort Hasbara ist prekär. Wörtlich könnte man es mit “Aufklärung” übersetzen. Aber diese emanzipativ anmutende Konnotation verliert ihren Sinn, wenn ein solches Ministerium von der Netanjahu-Regierung erschaffen wird. Hasbara meint schlicht und ergreifend Propaganda, und wenn es sich um Galit Distel-Atbaryan handelt, geht es um Propaganda im übelst verlogenen, demagogisch perfiden Sinne. Sie ist Schriftstellerin, der Sprache also zweifellos mächtig, benutzt aber ihr Talent vor allem zu polemischen Zwecken, die auch zuweilen nicht vor rabiater Gossensprache zurückschreckt, sich aber, um den Bedürfnissen ihrer Parteibasis zu willfahen, besonders gern des jovialen Slangs bedient, und zwar auch bei offiziellen Parlamentsreden.
Letzte Woche hielt sie eine solche Rede, zu der sie allerdings anmerkte: “Diese Rede kam mir als Überraschung, ich war heute gar nicht fürs Reden vorgesehen, habe nur so nebenbei einen anderen Minister im Plenum ersetzt. Als ich aufgerufen wurde, an seiner Stelle zu reden, hatte ich keine Ahnung, worüber ich reden werde. Aber dann, vor dem Mikrofon, platzte es einfach aus mir heraus.”
Und was da mit merklicher Verve rausplatzte, war ihre Echauffierung darüber, Propagandaministerin genannt zu werden: “Mich nennt ihr Propagandaministerin? Den ganzen Tag Goebbels hier, Goebbels dort, Nazis wie funkelnder Glitter, Hitler kiloweise… Sie sitzen in allen Medienstudios, lügen wie gedruckt, hetzen einen Bruder gegen den anderen auf. Und ich, die als Aufklärungsministerin, die aufklären will, die eine juristische Order erhalten hat, kein Wort über die Justizreform zu verlieren, die sieht, wie ihr Land den Bach runtergeht, die beruhigen will, Fakten vermitteln möchte – ich bin Goebbels! Bedenkt nur eines – ich bin so schlimm wie Goebbels, sei’s drum, aber Goebbels ist [dann] so schlimm wie ich. Das ist die andere Seite der Gleichung. Und was besagt es, dass Goebbels so schlimm ist wie ich? Dass die Shoah ein Printer ist, Balkon und zweimal Sapir-Preis – das ist es, was Goebbels gemacht hat. Das ist seine Sünde. Das ist die Sünde der Nazis, Galit Distel-Atbaryan ist dasselbe.”
Und dann kam die Ponite: “Seit Jahren habe ich die Shoah-Erinnerung gewahrt, seit Jahren hat mich ihre Banalisierung erschüttert. Ich bin nicht mehr erschüttert, und es sind eure Familien, die dort verbrannt sind.”
Für die deutschen Leser sei hier das ihnen vermutlich Unverständliche dekodiert: Im israelischen Politdiskurs ist der Vergleich mit den Nazis weit verbreitet und zugleich “verboten”. Als Nazis beschimpfen Linke Rechte, Rechte Linke; besonderer Beliebtheit erfreut sich der “Nazis!”-Ruf bei orthodoxen Juden, den sie bei ihren Demonstrationen Polizisten entgegenschleudern. Es ist bekannt, dass die Instrumentalisierung der Shoah-Erinnerung zu fremdbestimmten Zwecken in Israel seit Bestehen des Staates Urstände feiert. Man kann ohne Bedenken behaupten, dass die Banalisierung der Shoah in Israel so landläufig und gebräuchlich ist, wie in keinem anderen Land der Welt.
Als herausragender Urheber der politischen Instrumentalisierung der Shoah-Gedenkens darf Menachem Begin gelten, und in der Tat war diese ideologische Praxis über viele Jahre ein Erbrecht der israelischen Rechten; unter Linken nahm die polemische Verwendung des Vergleichs erst mit der zunehmenden Faschisierung des Landes zu. Galit Distel-Atbaryan gehört dem rechten bzw. rechtsradikalen Lager an, vor allem ist sie aber die wortgewandt streitsüchtige, ihrem korrupten Premier nachgerade hörig ergebene Polemikerin, die ihn, seine “Botschaften” und seine als “Justizreform” verbrämte Verfolgung persönlicher Interessen, wo immer es erforderlich wird, vertritt, verteidigt und lautstark verbreitet. Ihre Demagogie kennt dabei keine Grenzen.
Ihre Rede enthält alle Codes der israelischen Polemik rechter Provenienz. Zunächst den der weitverbreiteten Selbstviktimisierung: Die Gegenseite verleumde sie massenweise als Goebbels, Hitler und ihr Umfeld als Nazis; und sie, die nur “aufklären” will, nur den Fakten verpflichtet sei, sieht sich den Angriffen der in “allen Medienstudios” sitzenden Feinden ausgesetzt. Sie, die sich den systematischen Propagandalügen, skrupelloser Faktenverdrehung und verleumderischen Hasstiraden im infamen Geiste Netanjahus de facto verschrieben hat, hat die Stirn, sich über die Lügen und die Hetzpraktiken der Kritiker Naetanjahus und der “Justizreform” zu entrüsten.
Wer sein Land den Bach runtergehen sieht, sind doch gerade die gegen den von Netanjahu initiierten Staatsstreich Demonstrierenden und nicht die Herrscher des Landes, die dabei sind, die letzten Reste der formalen Demokratie des Landes zu demolieren. Im Gegensatz zur Behauptung der Propagandaministerin hat der kritische Journalismus und die reflektierte Publizistik in den Jahren der Netanjahu-Regierungen tiefe Rückschläge erlitten, viele ihrer Protagonisten haben sich interessengeleitet Selbstzensur auferlegt, und die wenigen, die noch versuchen, ihrem Metier treu zu bleiben, haben sich auf wenige noch fungierende Bastionen zurückgezogen.
Zum anderen ist da der Code der skrupellosen Demagogie: Es wäre davon auszugehen, dass die Schriftstellerin Galit Distel-Atbaryan den Unterschied zwischen Metapher, Allegorie und Analogie kennt. Jedem Menschen mit Common Sense ist klar, dass Ausdrücke wie “blöder Hund” oder “dumme Kuh” nicht meinen, im jeweils Beschimpften einen wirklichen Hund bzw. eine Kuh vor sich zu haben, die man lediglich der Blödheit oder der Dummheit zeihen möchte. Die Fluchworte sollen beleidigen, verdammen, abschrecken; auf keinen Fall bedeuten sie einen Realitätsverlust, eine Sinnestäuschung und Verwechslung von Tatsachen.
Dass Galit Distel-Atbaryan als Goebbels bezeichnet wird, bezieht sich zum einen auf ihre reale Funktion als (in der Tat perfide) Propagandaministerin, soll aber zum anderen auf den Ernst der Lage verweisen: Es findet in Israel ein Staatstreich statt, das Land geht in den Augen jener, die Distel-Atbaryan als Goebbels bezeichnen, zugrunde, und die Ministerin spielt dabei, ob sie es nun will oder nicht, eine propagandistische Rolle. Das und nichts anderes meint die Verwendung des Namens von Goebbels.
Es gehört also eine gewichtige Portion schändlicher Demagogie dazu, den Vergleich mit Goebbels wörtlich zu nehmen. Aber das ist ja das Metier der Distel-Atbaryan: Sie legt die Beschimpfung nicht nur wörtlich aus, sondern philosophiert sich auch eine Gleichung zurecht – wenn sie wie Goebbels ist, ist Goebbels auch wie sie. Und was ist sie? Eine bescheiden auf dem Balkon ihrer Wohnung ihre Arbeit verrichtende, mithin ihren Printer benutzende Autorin. Und damit auch ja keinem entgeht, worum es bei ihrem Schreiben geht, erwähnt sie wie beiläufig “zweimal Sapir-Preis”. Der Sapir-Preis ist eine israelische Literaturauszeichnung. Galit Distel-Atbaryan war in der Vergangenheit zweimal für diesen Preis nominiert – und hat ihn nicht erhalten. Obwohl ihr schon mehrmals vorgehalten wurde, sie dürfe gar nicht beanspruchen, den Preis gewonnen zu haben, befleißigt sie sich immer wieder dieser Hochstapelei, die ihrer öffentlichen Aktivität Gewicht und Ansehen verleihen soll. Die propagierende Ministerin ist also eine Lügnerin. Und das ist nun keine Metapher.
Und dann geht’s ans Eingemachte. “Seit Jahren habe ich die Shoah-Erinnerung gewahrt, seit Jahren hat mich ihre Banalisierung erschüttert. Ich bin nicht mehr erschüttert, und es sind eure Familien, die dort verbrannt sind”, sagt Galit Distel-Atbaryan und suggeriert, dass ihr Vergleich mit Goebbels eine Banalisierung der Shoah darstelle. Es ist nicht ganz klar, welche honorige Leistung sie meint, erbracht zu haben, indem sie “die Shoah-Erinnerung gewahrt” habe und von ihrer Banalisierung “erschüttert” gewesen sei (was auch eher eine Lüge sein dürfte, gemessen an ihrer Parteizugehörigkeit und der gerade in dieser Partei gängigen Instrumentalisierung der Shoah zu fremdbestimmten Zwecken). Dass aber das ihr mit dem Goebbels-Vergleich Angetane sie dazu bringen, “nicht mehr erschüttert” sein zu sollen, indiziert den ideologischen Tauschwert, den die Shoah-Erinnerung und deren Banalisierung für sie haben: Man hat mich persönlich beleidigt, also wird mir die Shoah-Banalisierung zur hinzunehmenden Selbstverständlichkeit.
Und als würde diese widersinnige Schlussfolgerung nicht ausreichen, um ihre ideologische Grundhaltung zu entlarven, legt die Ministerin die Karten auf den Tisch: “Es sind eure Familien, die dort verbrannt sind.” Die Dekodierung für den deutschen Leser: Ich, die israelische Jüdin orientalischer Provenienz, habe mit den in der Shoah verbrannten aschkenasischen Familien nichts (mehr) zu schaffen, es sind ja “eure Familien”, nicht meine; ich bin nicht mehr erschüttert; so weit habt ihr es gebracht, indem ihr mich mit Goebbels verglichen und Propagandaministerin genannt habt.
Es würde den hier gegebenen Rahmen sprengen, das diese Äußerung beseelende ethnische Ressentiment in angemessener Tiefe zu erörtern. Gesagt sei nur, dass sich in diesem offenen “Bekenntnis” der israelischen Ministerin nur die Spitze des Eisbergs der die israelische Gesellschaft und politische Kultur durchwirkenden ethnischen Spannungen zeigt, Aversionen, in welchen auch die “aschkenasische Shoah” eine prominente Rolle spielt. Die Empörung der Galit Distel-Atbaryan ist letztlich nur ideologische Maske, sie ist eben doch eine von Netanjahu mit Vorbedacht eingesetzte Propagandaministerin.
Danke für den aufschlußreichen Text – als jemand der “Die Vernichtung der europäischen Juden” von Raul Hilberg gelesen hat weis ich, dass noch viel über die Shoah aufgeklärt gehört – was das Menschheitsverbrechen nicht schmälern würde, sondern die absolute, und alles übergreifende Perfidie, der NS-Täter zeigen würde.
So wurden ja. lt. Raul Hilberg, auch sogenannte “Judenräte” in den Ghettos geduldet, die mit besten Absichten ihre eigenen Mitmenschen den Häschern von Auschwitz auslieferten, in der Hoffnung dann zu überleben – so Raul Hilberg in seinem Buch – und ja, es soll auch jüdische Kollaborateure in allen besetzten Ländern gegeben haben….wahrscheinlich auch weil die den Krieg überleben wollten usw. usf.
Eine andere perfide Boshaftigkeit der NS-Täter war, dass die Taten keineswegs in Abgeschiedenheit, sondern in Nähe von schon immer bewohnten Orten (Oswiezm ist heute noch bewohnt, das ehemalige Auschwitz damals schon ein polnischer Ort namens Oswieczm) geschahen, um die dort lebende Bevölkerung in die massenmörderischen Taten miteinzubeziehen…..
Nach 1945 log man dies einfach weg, obwohl diese Orte bis heute auch Wohnorte für die Normalbevölkerung der dort lebenden Mitmenschen waren – im deutsch besetzten Europa, und im Dritten Reich selber.
Hier mal ein Link zu einem Film aus dem Jahr 2007 der sich mit der Thematik am Beispiel von Auschwitz beschäftigt:
“[…]Am Ende kommen Touristen[…]”
https://www.youtube.com/watch?v=eXCuXKVyT4g
Diese Tatsachen gehören endlich auch einmal aufgeklärt, denn es würde das Verbrechen der Shoa in allen Dimensionen aufzeigen, die bis heute unaufgeklärt sind – aus diversen Motiven der angeblichen “Aufklärer”.
Ich finde es schon mehr als bedenklich, dass die einstigen “Täter” nicht darüber sprechen wollen, dass die ein ganzes “Volk” auslöschen wollten – und die Rivalitäten innerhalb der jüdischen Gemeinden, die es damals auch gab, ebenso wie auch echte vorbestrafte Kriminelle Opfer der Shoa wurden, durchaus für sich zu nutzen….
Eine Perfidie, die zum Massemördertum der Bestien des Nazitums – bis heute – gehört, davon bin ich fest überzeugt, und darüber aufzuklären würde die Opfer der Shoa nicht herabwürdigen, sondern das Verbrechen – gegenüber allen jüdischen Mitmenschen – in all seiner Bestialität zeigen…..wie schon gesagt man wollte ein ganzes “Volk” – vom Baby bis zum Greis – vernichten…..ein unsägliches Verbrechen…..wo noch viel aufgeklärt gehört…..auch heute noch 2023….
Gruß
Bernie
“Ich finde es schon mehr als bedenklich, dass die einstigen „Täter“ nicht darüber sprechen wollen”
Die einstigen Täter sind so langsam alle verschieden. Gehlen und Filbinger sind lange nicht die einzigen, die in der Bundesrepublik ziemlich nahtlos ihre Karrieren fortsetzten. Nur herausragende Nazis wurden wirklich verfolgt.
Dies und der Artikel (und vieles andere) zeigen aber eben auch, dass dieses rechte Potential überall schlummert und dass sich die Bevölkerung bei zielgerichteter Bespielung immer wieder mitreisen lässt – gerade in Demokratien. Die meisten Wähler habe nur eine sehr oberflächliche Vorstellung, was Politik tun soll und in welche Richtung es zu ihrem Vorteil wäre. Die einfachen Parolen der Rechten haben da leichtes Spiel. Linke Ideen waren schon immer ein bisschen komplizierter.
Die Rechten haben gelernt, dass Vereinzelung, Prekarisierung und Entsolidarisierung einer ihrer Hauptaufgaben ist. Wenn die Menschen alleine sind, sind sie beliebig formbar. Es werden dann für rechte Ideologie ungefährliche Ersatzthemen geschaffen wie die Nation oder die Weiße Vorherrschaft.
Passend: ‘Je suis Karl’ aktuell in der Arte-Mediathek
Und natürlich: https://www.google.com/search?q=Araber+Semiten
@Heise-Vertriebener
Hast Recht. Übrigens auch unter den nichtjüdischen Nazi-Opfern waren durchaus keine “Heiligen” – bin drauf zufällig gestoßen als ich mich mit der Geschichte von Serienmördern in Deutschland beschäftigt habe – das schmälert die Aufklärung über NS-Verbrechen keineswegs sondern sollte auch hier Teil der Aufklärung sein . …
Gruß Bernie
Wenn ein krimineller immer wieder sich an die Macht bringen kann, ja dann steht doch fest welche Art von
Mitarbeitern um ihn stehen.
Ja, wenn Opfer zu Tätern werden. Um ein vielfaches schlimmer.
„Addameer and Al-Haq Address Israel’s Torture of Palestinian Prisoners in a Joint Intervention at the Human Rights Council“ 24. Mar 2023
https://www.alhaq.org/advocacy/21351.html
„The intervention highlighted Israel’s use of torture and cruel treatment against Palestinian prisoners and detainees, as part of its settler-colonial and apartheid regime against the Palestinian people. Specifically, the statement underlined how Israeli state institutions attempt to conceal crimes of torture, as Israeli military courts extend detainment for further interrogation, disregarding the clear markings of torture on Palestinian detainees’ bodies. The statement also addressed Israel’s use of administrative detention, causing psychological distress and helplessness, with 967 administrative detainees, including five children, being currently held indefinitely without trial. The intervention further underlined the Israeli government’s introduction of draft bills on the death penalty and limitations on medical treatment, brutal prison raids, and only four minutes of shower time. Finally, the statement the Council and its Member States to take immediate action to hold Israel accountable for these human rights violations.”
“Israelische Desinformation gegen Israel” von Shir Hever / 28. März 2023
https://www.nachdenkseiten.de/?p=95567