Scholz in China

Am Verhältnis Russland-China scheint sich seit dem Treffen im Februar wenig verändert zu haben. China unterstütze Deutschland und Europa dabei, Friedensgespräche zu ermöglichen. Bild: Kreml

Außenpolitisch kaum ein Erfolg, Xi Jinping warnte nur vor dem Einsatz von Atomwaffen und übte indirekt Kritik an der EU.

Die kürzliche China-Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz war zweifellos groß angelegt und sollte angesichts der innenpolitischen Probleme in Deutschland zumindest dessen Stellung auf der Weltbühne stärken. Begleitet von einer Delegation mit mehr als 60 Mitarbeitern, Unternehmern und Journalisten hat der deutsche Regierungschef am vergangenen Freitag Gespräche mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping und dem Premierminister Li Keqiang geführt.

Im Vorfeld des eintägigen Besuchs von Scholz hat die chinesische Führung die positiven Aspekte der Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern hervorgehoben, die seit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen vor 50 Jahren geführt wird. Der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Zhao Lijian, teilte dem Handelsblatt zufolge mit, dass China und Deutschland strategische Partner und nicht Rivalen seien. „Unsere Kooperation und der Austausch in dem vergangenen halben Jahrhundert hat gezeigt, dass das gegenseitige Verständnis bei weitem die Differenzen übersteigt und die Kooperation bei weitem den Wettbewerb aufwiegt“, sagte Zhao.

Im Hinblick auf die deutschen Wirtschaftsinteressen war es deshalb wichtig, dass Scholz mehrere Top-Manager und andere Vertreter der deutschen Wirtschaft zu dem Kurztrip nach Peking mitnahm. Zu den Delegierten zählten zum Beispiel Vertreter von Siemens, BASF, BMW und Volkswagen.

Ukraine-Krieg und Beziehungen zu Russland

Neben den bilateralen Wirtschaftsbeziehungen ging es bei dem Treffen auch um den Krieg in der Ukraine und die Beziehungen zu Russland. Die Verhandlungsergebnisse in diesen Fragen werden von diversen Medien und Beobachtern als Berlins Erfolg verkauft, da der Standpunkt Chinas im Hinblick auf die russische Intervention in der Ukraine sich geändert haben könnte.

Das Portal von RTL etwa schreibt, dass die Volksrepublik „sehr deutliche Kritik“ an Russland geübt habe, und zwar „sehr viel deutlicher als sonst“. Dabei verweist man auf den scheidenden Regierungschef Li Keqiang, der erklärt hat, dass „wir uns keine weitere Eskalation leisten können“ und dass Moskau und Kiew zu Friedensgesprächen bewegt werden sollten. Zudem wird Kanzler Scholz zitiert: „Staatspräsident Xi und ich sind uns einig: Atomare Drohgebärden sind unverantwortlich und brandgefährlich. Mit dem Einsatz von Atomwaffen würde Russland eine Linie überschreiten, die die Staatengemeinschaft gemeinsam gezogen hat.“

Allerdings ist zumindest von einer direkten Kritik seitens Xi gegen die russische Führung bislang nichts bekannt. Laut übereinstimmenden Medienberichten warnte der chinesische Präsident lediglich vor dem Einsatz von Atomwaffen oder Drohungen damit, und sagte diesbezüglich auch, dass die internationale Gemeinschaft sich dafür einsetzen solle, „dass Atomwaffen nicht eingesetzt werden können und nukleare Kriege nicht gekämpft werden dürfen“.

Entgegen den zahlreichen Aufrufen von europäischen und US-amerikanischen Spitzenpolitikern zur Weiterführung des Ukraine-Krieges forderte Xi Zurückhaltung und die Schaffung von Bedingungen für eine Wiederaufnahme von Verhandlungen zwischen den beiden Konfliktparteien. Sein Land unterstütze Deutschland und Europa dabei, Friedensgespräche zu ermöglichen und eine nachhaltige Sicherheitsarchitektur in Europa aufzubauen, so das chinesische Staatsoberhaupt.

Xi übt indirekt Kritik an der EU

Ausgehend von der aktuellen Russland-Politik der westlichen Staaten sind Pekings Forderungen nach Friedensverhandlungen und einer europäischen „Sicherheitsarchitektur“ nicht unbedingt als Erfolg von Scholz’ China-Reise zu werten. Insofern ist es verständlich, dass viele Medien deutlich hart mit ihm in Gericht gingen. Das Portal der Bild-Zeitung etwa titelte: „23 Flugstunden für 2 Stunden mit dem China-Diktator“. Und in einem Artikel des Handelsblatts ist von einer „ernüchternden Reise“ die Rede, und davon, dass sich das Verhältnis zu China verändert haben soll.

Hinsichtlich der Erfolgsaussichten der deutschen Diplomatie sowie grundsätzlich der europäisch-chinesischen Beziehungen sollte man sich aber vor allem mit der offiziellen Stellungnahme der Volksrepublik auseinandersetzen, die nach den Gesprächen mit der deutschen Delegation veröffentlicht wurde. Darin heißt es unter anderem: „Präsident Xi wies darauf hin, dass die Beziehungen zwischen China und Europa die globale Stabilität und den Wohlstand in Eurasien beeinflussen und mit Anstrengungen von beiden Seiten aufrechterhalten und weiterentwickelt werden sollten. China betrachtet Europa stets als einen umfassenden strategischen Partner. Es unterstützt die strategische Autonomie der Europäischen Union und wünscht Europa Stabilität und Wohlstand. China beteuert, dass seine Beziehungen zu Europa nicht auf Dritte ausgerichtet, von ihnen abhängig oder ihnen unterworfen sind. Je komplexer und schwieriger die Situation wird, desto wichtiger ist es für China und Europa, gegenseitigen Respekt, gegenseitigen Nutzen, Dialog und Zusammenarbeit aufrechtzuerhalten.“

Was die chinesische Diplomatie angeht, so sollte man sich darüber im Klaren sein, dass jeder Satz in jeder Stellungnahme (des chinesischen Staatschefs) sorgfältig gewählt ist und dass das Geschriebene darum auch sorgfältig gelesen und im dazugehörigen Kontext verstanden werden muss. Bei der angeführten Textpassage ist es wohl so, dass Xi die Wahrung der Handlungsfreiheit Europas und zugleich die Einflussnahme „Dritter“ in einem Satz hervorhebt und dadurch miteinander in Verbindung bringt. Damit könnte der Druck der Vereinigten Staaten auf die EU gemeint sein, die unlängst die Einführung von harten Sanktionen seitens der Europäer gegen die Chinesen verlangen.

Sehr subtil, in traditioneller chinesischer Art hat Peking Berlin und die anderen EU-Mitglieder damit aufgefordert, sich nicht den Interessen Washingtons unterzuordnen. Angesichts der Tatsache, dass die Bundesregierung bereits sehr viele fragwürdige Entscheidungen getroffen hat, obwohl sie enorme Probleme für die eigene Wirtschaft und Vorteile für Amerika bedeuten, erscheint die chinesisch Haltung durchaus logisch. Ob Deutschland und die EU in Bezug auf China eigenständig agieren werden, oder ob sie die gleichen Fehler wiederholen, wie zuvor bereits bei ihrer Russland-Politik, wird sich zeigen.

 

Der Artikel ist zuerst auf EuroBRICS erschienen.

Ähnliche Beiträge:

16 Kommentare

  1. Waren es nicht die USA, die sich in ihrer Sicherheitsstrategie die Option für einen Erstschlag vorbehält, wenn „vitale Interessen“ ihres Landes oder der NATO-Verbündeten verletzt werden?
    Und hat nicht Putin gerade bekräftigt, dass ein nuklearer Einsatz in der Ukraine keinen Sinn machen würde?
    Wenn Xi Jinping sich aktuell gegen atomare Drohgebärden wendet, dann meint er offenbar nicht denselben Adressaten wie Olaf Scholz.

  2. „Das Portal von RTL etwa schreibt, dass die Volksrepublik „sehr deutliche Kritik“ an Russland geübt habe, und zwar „sehr viel deutlicher als sonst“.
    gibts auch einen Namen? WER hat hier deutliche Kritik geuebt?

    „Allerdings ist zumindest von einer direkten Kritik seitens Xi gegen die russische Führung bislang nichts bekannt“
    Na bitte, alles zurueck auf Anfang!
    „Staatspräsident Xi und ich sind uns einig: Atomare Drohgebärden sind unverantwortlich und brandgefährlich.“
    (Die USA haben ihr größtes Atom-Unterseeboot, die USS Rhode Island, in Richtung Schwarzes Meer in Marsch gesetzt. ) (lostineu.eu)
    Was wollen die Amerikaner mit ihrem Atom-U-Boot im Schwarzen Meer?
    „Ob Deutschland und die EU in Bezug auf China eigenständig agieren werden, oder ob sie die gleichen Fehler wiederholen, wie zuvor bereits bei ihrer Russland-Politik, wird sich zeigen. “
    Sie werden die gleichen Fehler machen, unsere“ Chefdiplomatin“ Baerbock und ihre gruenen Zwerge
    werden die Tu-do Liste der Amerikaner brav abarbeiten und die uebrigen Ampel-Maennchen und -Frauchen ueberzeugen, dass nur „Amerika first“ fuer Deutschland in Frage kommen kann.
    Weiss der Kuckuck warum!

  3. Wie ich vorgestern schon sagte, bewerte ich den Scholz-Besuch in China als ein – wenn auch noch zaghaftes – so doch positives Zeichen dafür, daß man sich in Europa allmählich lieber von den USA emanzipieren als wirtschaftlich zu Grunde gehen will. Das ist natürlich gar nicht so einfach – aber mittlerweile überlebensnotwendig. Schließlich möchte man ja auch gerne wiedergewählt werden und das ist schwierig, wenn man vorher die Wirtschaft des eigenen(!) Landes an die Wand fährt. Ausserdem wäre es auch ganz toll, wenn unser Ampelmännchen mal was Gescheites zustandebringt. Da mag unsere Annalena noch so schäumen und toben – fürs Volk wäre es das Beste. Hier (in deutscher Übersetzung) Pepe Escobars Sicht auf dieses Treffen. Lesenswert.

    https://www.hintergrund.de/politik/berlin-geht-nach-peking-der-wahre-deal/

    Schäumen und Toben tut man inzwischen schon auf der anderen Seite des Atlantiks. Ein ziemlich wüstes Bild für die Verkommenheit der westlichen MSM. Ungeheuerlich, was die sich mittlerweile herausnehmen.

    https://seniora.org/politik-wirtschaft/washingtonexaminer-der-deutsche-olaf-scholz-haelt-die-usa-beim-walzer-in-peking-zum-narren

    Aber was erwartet man schon noch von der West-Presse. Nach dem Ausfall bei der Tagesschau über die ‚aus den Löchern kriechenden Ratten‘ legte BILD-Röpcke noch einen nach und lobte die ukrainischen Soldaten dafür, daß sie ‚Hunderte von Russen zu Dünger gemacht haben‘. Kopfschütteln alleine hilft da nicht mehr. Das Gute daran: sie sehen langsam ihre Felle davonschwimmen und geraten in Panik.

    Ni hao, China sagt man da wohl. Scholz hat’s erkannt, scheint mir.

    =

    Etwas Off-topic aber mir ein Bedürfnis:

    die NachDenkSeiten wünschen sich, daß dieser Beitrag unter die Leute kommt. Trag ich gerne meinen Teil dazu bei.

    https://www.nachdenkseiten.de/?p=90078

  4. Der Staatsbesuch des BK in der Volksrepublik China war angesichts der internationalen Spannungen gerechtfertigt. Andererseits war erst kürzlich der Volkskongress zu Ende gegangen. Die neue chinesische Regierung kommt erst März 2023 ins Amt. Von der Stellung her steht der BK zwischen Präsidenten und Premierminister.

    Am Rande der UNGA 2022 fand ein Treffen zwischen chinesischem Außenminister Wang Li und der deutschen Außenministerin statt, das, wie man vernehmen konnte, nicht sehr harmonisch verlaufen ist. Die Besetzung des deutschen Außenamtes ist insgesamt nicht besonders glücklich aus mindestens drei Gründen. Erstens war die AMin erst um die 10 Jahre alt, als sich die Sowjetunion auflöste. Zweitens ist ein Schnellstudium der Grundlagen des Völkerrechts keine besondere Kompetenz. Und drittens ist das außenpolitische Grundkonzept der hinter der AMin stehenden Partei nicht akzeptabel. Außenpolitik hat interessengeleitet und nicht irgendwie moralisch, feministisch und was sonst noch zu sein.

    Aus der fatalen Schlinge der fehlerhaften Besetzung wichtiger Ministerposten kann sich der BK nur befreien, wenn er die Beziehungen zu einem wenn nicht dem wichtigsten Wirtschaftspartner zur Chefsache macht, wie dies lange Jahre unter BKin Merkel war.

    Ergebnisse des Staatsbesuchs:
    – Der Partner Russland rangiert vor dem Partner Deutschland.
    – Die VRC verhält sich zur SMO in der Ukraine neutral, leichte Variationen in der Ausdrucksweise hin oder her.
    – Es besteht eine Vereinbarung der ersten fünf Atommächte, in der Einigkeit besteht, dass eine atomare Auseinandersetzung nicht führbar ist. BK und Präsident Xi wiederholten dies.
    – Die VRC wünscht sich eine Verhandlungslösung und fordert D und EU dazu auf, Bedingungen dafür zu schaffen.
    – Wirtschaftlich sieht die VRC eine strategische Partnerschaft und keine Konkurrenz. Die BRI ist im Ruhrgebiet bereits stark verankert.

    Normalerweise sollte ein solcher Staatsbesuch penibel analysiert und ausgewertet werden. Kritiken sollten vorher gehört und nachher bewertet werden.
    Dass die DGAP „nicht zum Zuge kam“ und auch eine zarte Abkopplung von der als vasallenhaft zu bezeichnenden Haltung zur EU, NATO, US-NeoCons zu bemerken ist, kann man als Positivum aufnehmen.

  5. Ergänzen möchte ich gerne noch, dass Scholz für seine Reise erheblichen Widerstand aus seiner vermaledeiten Patchwork-Koalition bekommt, vor allem von den olivfarbenen Patches:

    Die Frau Bundesministerin des Äußersten hält es für angemessen, den Bundeskanzler öffentlich für seine Reise zu kritisieren – ein „ungewöhnlicher“ Vorgang, wie es heißt. Ungewöhnlich jedenfalls dann, wenn man nicht bündnisneunziggrün (also oliv), sondern tatsächlich ministrabel wäre.

    Die vereinsamenden Staaten von Nordamerika sind selbstredend auch dabei, Druck gegen jegliche Verständigung mit China auszuüben.

    Siehe German Foreign Policy.

    Disclaimer: Ich halte nichts von Olaf Scholz. Gar nichts. Aber in seinem politischen Umfeld ist der Mann der letzte Einäugige unter all den Blinden. Das ist kein Kompliment, sondern die Benennung eines buchstäblich Furcht erregenden Defizits an politischem Verstand in der deutschen Regierung.

  6. Soeben entdeckt:

    „Diese Ukraine-Krise, in der wir uns gerade befinden, ist nur das Aufwärmen“, sagte Navy Adm. Charles A. Richard, Kommandeur von Stratcom. „Die große Krise kommt noch. Und es wird nicht mehr lange dauern, bis wir auf eine Weise getestet werden, wie wir es schon lange nicht mehr erlebt haben.“

    https://www.defense.gov/News/News-Stories/Article/Article/3209416/stratcom-commander-says-us-should-look-to-1950s-to-regain-competitive-edge/

    Es gibt ganz offensichtlich hohe Militärs in Gottes eigenem Land, die noch Großes vorhaben.

    1. Vielen Dank für Ihren empfehlenswerten Blog-Eintrag!

      Zu „Läßt das an Deutlichkeit zu wünschen übrig, gegen wen diese Botschaften gerichtet sind, zumindest in (buchstäblich) erster Instanz? Nein. Scholz hat sich eine krachende Abfuhr geholt, als er sich bemühte, Xi Jinping ein Zeichen, vielleicht gar Signal einer Distanzierung von Moskau zu entlocken.“:
      Stimmt.
      Allerdings sind Mitteilungen des chinesischen Außenministeriums zu Xi Jinpings Gesprächen mit westlichen Kollegen schon seit Längerem recht einseitig dominant formuliert worden (s. Macron)

      Zu „Der chinesische Präsident hat Putin bereits am 8. März eine gelbrote Karte gezeigt: „Chinese President Xi Jinping urged joint support for the peace talks between Russia and Ukraine, and stressed the need to encourage the two sides to keep the momentum of negotiations, overcome difficulties, keep the talks going and bring about peaceful outcomes“ (Xinhua)“:
      Das kann auch daran liegen, dass China im Ukraine-Krieg unbedingt einen (pseudo-)„neutralen“ Status anstrebt.
      Gründe dazu, die chinesische Wissenschaftler geäußert haben:
      – Die Ukraine ist für das chinesische Seidenstraßenprojekt wichtig
      – Laut Umfragewerten war die chinesische Bevölkerung nach Putins Entscheidung gespalten zwischen Unterstützung der Ukraine, Unterstützung Russlands und Ratlosigkeit.
      – China will „neutral“ bleiben, um rechtzeitig Vermittler sein zu können
      – Wegen Taiwan muss China Gebietsabtretungen „verurteilen“.
      – China braucht aufgrund seiner extremen Umzingelung durch US-Militär u. a. im südchinesischen Meer noch etwas Zeit, um militärisch nachgerüstet klare Aussagen zu machen.

      Fakt ist, dass China Russland schon 1997 Zusammenarbeit zur Entwicklung einer multipolaren Weltordnung gegen die US-Hegemonie anbot:
      CHINA-RUSSIA: JOINT DECLARATION ON A MULTIPOLAR WORLD AND THE ESTABLISHMENT OF A NEW INTERNATIONAL ORDER
      https://www.jstor.org/stable/20698707

      1. Vielen Dank für den Link. Ich wußte, daß es das Papier gibt, hatte aber fortgesetzt vertagt, es zur Kenntnis zu nehmen.

        Ein Grund dafür hat allerdings aktuell mehr denn je Bestand, und den möchte ich kurz hinsagen.
        Es ist den Titeln der Präambel und des Schlußkapitels bereits unzweideutig zu entnehmen, was der allgemeine Inhalt ist:
        – „To develop a partnership (?) for the purpose (!) of strategic interaction in (!) the 21st -century“
        – „Calling upon other countries to engage in a dialoge on the establishment of a new international order“

        1) Es ist eine bilaterale Gewaltverzichtserklärung.
        Auf die Basis des militärischen Gewichtes, das ein strategischer Gewaltverzicht zwischen den nuklearen Großmächten Russland und China hat, wird
        2) Eine Einladung an die Staatenwelt formuliert, sich dem Projekt eines gemeinsamen chinesisch-russischen Weltordnungsprogramm anzuschließen, das eines Anschlusses weiterer bedeutender Staaten bedürfe, um eine Wirkung auf der internationalen Bühne zu entfalten. Deshalb heißt das Ziel nicht “ new world order“ (die Variante die Bush sen. zwecks politischer Einbettung des bestialischen Gewaltüberschusses des 2. Golfkrieges 1991 ausgerufen hat) sondern „new international order“. Was:
        3) nichts anderes heißt, als daß Russland und China sich da vornehmen, ihr militärisches Droh- und Aufbaupotential gemeinsam neben ihr wachsendes jeweiliges ökonomisches Gewicht in die Waagschale zu werfen, die Illusion einer friedlichen Ablösung der imperialen Weltordnung des 20st Jahrhunderts vermittels Aufbau einer Neuen praktisch ins Werk zu setzen.

        Die letzte Hervorhebung ist mir besonders wichtig.
        Es ist, allgemein und prinzipiell gesprochen, nicht notwendig, daß die Abdankung des sogenannten „Amerikanischen Imperiums“ (spielt hier keine Rolle, das dies auch eine handfest gemachte Illusion ist!) in Gestalt einer globalen Katastrophe statt hat. Zum Beispiel kann die Amerikanische Föderation zerlegen, worauf die militärisch unbedeutenderen Metropolen sich unweigerlich zusammen tun müßten, die unvermeidlich ausbrechenden militärischen Turfkämpfe in der Peripherie mit geringst möglichem Militäreinsatz zu deckeln. Oder „man“ wird einfach des Blutvergießens müde, die Krieger gehen „nach Hause“ und überlassen den Technokraten der Herrschaft das Feld, das ist die Davos-Vision, und sie entspricht, ganz grob gesprochen, der Phase 2 des Zusammenbruchs des römischen Imperiums.

        Aber dies „vermittels Aufbau einer Neuen (Weltordnung)“ – soweit man mein Urteil teilt – etabliert einen antagonistischen Widerspruch in dem Projekt, der einer militärischen Auflösung zwingend bedarf. Chinas Festhalten an der „Taiwan-Frage“, und die Art und Weise, wie das geschieht und vertreten wird, läßt daran keinen Zweifel, und das ist der Zweck der Taiwan-Politik.
        Nehmt das als argumentativen Zusatz für mein im Blogeintrag etwas unsauber vertretenes Urteil, der russische Imperiumskrieg in der Ukraine sei zur Hälfte gegen China gerichtet, sei Teil der Selbstbehauptung der russischen Föderationsregierung gegenüber China.

        1. Naja. Was Du als gelbrote Karte der Chinesen für Putin interpretierst, sieht auf der Rückseite eher wie eine Wiederholung der russischen Forderungen und Positionen VOR Beginn der „Sonderoperation“ aus, oder?
          Und „strategischer Gewaltverzicht“ zwischen China und Russland bedeutet ja nichts anderes, als daß man sich Rücken an Rücken aufstellen kann und sich den eigenen Problemen widmet, wobei man eben dem anderen den Rücken freihält. Die Chinesen werden doch die Ähnlichkeiten der strategischen Konzepte des Wertewestens bezüglich Taiwan und Ukraine (Aufbau einer direkten existentiellen militärischen Drohung direkt vor der Haustür des Gegners) kaum übersehen haben. Der ganze riesige militärisch Aufmarsch anläßlich des Pelosi-Besuches auf Taiwan war doch nichts weiter als ein nett gemeinter Denkanstoß an die taiwanesische Bevölkerung: „Guckt euch gut an, wie es der Ukraine ergeht, und überlegt euch genau, ob ihr die selben Fehler machen wollt!“

          Deine Beschreibung der Partnerschaft zwischen China und Russland mit einem „antagonistischen Widerspruch in dem Projekt, der einer militärischen Auflösung zwingend bedarf“ ist allerdings SO auch nur gültig und denkbar, wenn man in den Kategorien und im Wertesystem imperialistisch-kolonialistischer Politik verbleibt. Ob das auf China (und Russland) anwendbar ist, wage ich zu bezweifeln, das müsstest Du hart belegen.

          Was Olaf Scholz anbelangt: wenn ihm jetzt auch noch der letzte Standpfeiler der deutschen Industrie wegknicken würde (bzw. besser „weggeknickt werden würde“: nach der billigen russischen Energie nun auch noch der chinesische Markt), könnte er im Kanzleramt gleich das Licht ausknipsen. Wenn man sich anschaut, welche Konzernvertreter mit im Flieger saßen, könnte man fast den Eindruck gewinnen, nicht OS hätte die zur Reise eingeladen, sondern DIE hätten ihn in den Flieger nach Peking getragen… oder geschubst… oder so…

          1. „Was Du als gelbrote Karte der Chinesen für Putin interpretierst, sieht auf der Rückseite eher wie eine Wiederholung der russischen Forderungen und Positionen VOR Beginn der „Sonderoperation“ aus, oder?“

            Danke für den Einwand, der mich auf ein Versäumnis aufmerksam macht.
            Erstmal: „Ja, genau!“ So geht halt Diplomatensprech, jedenfalls gemäß der Tradition, an der man in China festhält. Man sagt nicht auf amerikanisch „Geht garnich‘!“, sondern säuselt: „Geht das WIRKLICH so?“ Dafür ist natürlich das Datum entscheidend: Am 8. März standen die russischen Truppen noch vor Kiev, sie zogen sich erst nachher zurück, etwa bis zur ersten Aprilwoche.

            „Und „strategischer Gewaltverzicht“ zwischen China und Russland bedeutet ja nichts anderes, als daß man sich Rücken an Rücken aufstellen kann und sich den eigenen Problemen widmet, wobei man eben dem anderen den Rücken freihält.“

            Nee, Noname, das stellt die Sache auf den Kopf, indem Du in das Projekt Dein Vorurteil einsetzt, es handele sich „in Wahrheit“ um ein Bündnis „gegen Amerika“. Daß es genau dies nicht sein soll sagt die Präambel, und deshalb habe ich sie mit kommentierenden Satzzeichen versehen. Das gilt bis heute, denn China wie Russland haben vor der diplomatischen Offensive Russlands gegen NATO und USA 2021 einvernehmlich betont, kein (militär-)strategisches Bündnis eingegangen zu sein (Ort und Datum rauszupfriemeln kostet mich zuviel Zeit). Liefert China Waffen? Nein, tut es nicht. Haben China und Russland denselben oder auch nur einen gleichen Gegensatz zum Imperium? Nein, haben sie nicht. China ist komplett in den Weltmarkt eingebettet, mit Ausnahme der Bereiche, die es ihm mit souveränen Kalkülen entzieht. Russland blieb vom Weltmarkt weitgehend ausgeschlossen, mit Ausnahme der Abteilung Bergbau und agrarische Rohprodukte (der Domäne von Drittweltstaaten) und Rüstungsgüter für „Minderbemittelte“. Und die russisch-chinesische Konkurrenz um die Nutzung nicht nur Zentralasiens und des vorderen Orients, sondern des fernöstlichen russischen Territoriums selbst wäre ohne Gewaltverzicht eines der kriegsträchtigsten geopolitischen Momente auf dem Globus.

            “ … ist allerdings SO auch nur gültig und denkbar, wenn man in den Kategorien und im Wertesystem imperialistisch-kolonialistischer Politik verbleibt.“

            Es sind Kriterien und Kategorien der Warenproduktion auf einem vollendeten Weltmarkt, genannt „Imperialismus“. Dazu verweise ich Dich auf die ausführliche Erklärung von Renate Dillmann, die auch auf Einwände eingeht, zu denen der Deinige zählt:
            https://overton-magazin.de/krass-konkret//wirtschafts-und-militaermacht-china/

            Mit Deiner Erlaubnis übertrage ich diesen Wortwechsel auf meinen Blog, die Ergänzung ist notwendig.

            PS.: zu Scholz. Vielleicht magst Du dazu Jörg Kronauer lesen:
            https://www.jungewelt.de/artikel/438292.glokalisierung-stich-ins-managerherz.html

            1. Gute Argumente und Gedanken, wie immer.
              „es handele sich „in Wahrheit“ um ein Bündnis „gegen Amerika“ – selbstverständlich würden die Chinesen NIEMALS in irgendein Abkommen oder eine Interessenbekundung eine Redewendung wie „gegen Amerika“ einstreuen – denn das würden die USA sofort als eine direkte Kriegserklärung werten, und es wäre wohl auch eine.
              Aber die US-Strategen haben es sowieso genau so verstanden. Die Embargos bezüglich Halbleitertechnologien und Chips sind bereits eine wirtschaftliche Kriegserklärung.
              Und wie es so schön im Sprichwort heißt: „Niemand kann in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt“. Die chinesische Führung muss eben in einem Umfeld agieren, das schon mal die größte Anzahl von Kriegen und die größte Menge an kolonialer Erfahrung auf sich vereint (wieviel davon kann China vorweisen?). Kaum möglich, sich dem in bestimmten Prozeduren nicht anzupassen, sondern völlig konträr zu deklarieren „wir sind Pazifisten, wir fassen keine Waffe an, rüsten vollständig ab, Versorgung unserer Bevölkerung geht vor“ (um es mal in extremo zu formulieren).
              Renate Dillmann lese ich immer mit größtem Interesse, rede auch öfter mit Chinesen und Chinafahrern und frage sie aus. Auch in China geht es darum, ob „die Gier gewinnt“, ob die Kapitalfraktion letztendlich die Regierung übernehmen kann. Bislang ist das imho nicht passiert, es werden politökonomisch eben die sozialen Ziele als Primat betrachtet (im Rahmen des ökonomisch möglichen) und nicht wie im Westen die Profitziele einer Elite.

              Erlaubnis erteilt.

              PS: Achja, bezüglich der Reise von Scholz und seiner Entourage und dem Artikel des von mir sehr geschätzten J Kronauer: der Hund wackelt mit dem Schwanz – aber nicht immer sieht man vor lauter Fell so ganz deutlich, wo Hund und wo Schwanz ist…
              Munkelei über den Verkauf einer deutschen Halbleiterfabrik an die Chinesen – die Geheimdienste warnen – Deals wohin man schaut….

          2. „Wenn man sich anschaut, welche Konzernvertreter mit im Flieger saßen, könnte man fast den Eindruck gewinnen, nicht OS hätte die zur Reise eingeladen, sondern DIE hätten ihn in den Flieger nach Peking getragen… oder geschubst… oder so…“
            Nach meinen Informationen kann man bei Ihrem Zitat den Konjunktiv weglassen. Die deutsche Wirtschaft hat das nun bald einjährige „Gehampel“ um die Energieversorgung und die brüchigen Lieferketten vollkommen satt.
            Das im nachstehenden Beitrag von TG aufgeführte Zum nachstehenden Zitat:
            „PS.: zu Scholz. Vielleicht magst Du dazu Jörg Kronauer lesen:
            https://www.jungewelt.de/artikel/438292.glokalisierung-stich-ins-managerherz.html
            bringt nichts Zusätzliches. Natürlich kann es bei einer dynamischen Industrie keinen Stillstand geben.
            Was unterscheidet die RBIO und die LBIO?
            RBIO = Imperium USA und Vasallen
            LBIO = Souveräne Staaten; gewisse Leitfunktionen von Staaten wie China, Indien, Russland, usw. aus unterschiedlichen Gründen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert