Schöne Bescherung – Kurz vor dem Zieleinlauf zur Eurozone stürzt Bulgariens Regierung 

Massenprotest am 11. Dezember führte zum Rücktritt der Regierung
Massenprotest am 11. Dezember führte zum Rücktritt der Regierung. Screenshot von Rferl.org-Video

Ihr Sturz wird die Einführung des Euro nicht verhindern, könnte aber das Machtgefüge erschüttern.

Als dreimaliger Ministerpräsident hörte sich Boiko Borissow häufig von Demonstranten als Mafioten beschimpft, ganz massiv während der großen Proteste von 2013 und 2020.  Noch nie aber wurde er aus so vielen Mündern geschmäht wie am vergangenen Mittwoch, dem 10. Dezember 2025. Über einhunderttausend Menschen forderten auf Sofias größter Protestkundgebung seit dem Beginn der 1990er-Jahre sein Ausscheiden aus der bulgarischen Politik und den Rücktritt der unter seiner Kuratel regierenden Rechts-Links-Koalition von Statthalter-Premier Rossen Scheljaskov. Viele tausend protestierten in weiteren bulgarischen Städten. Und sogar vor Bulgariens Botschaft in Berlin versammelten sich hunderte Exilbulgaren wie auch in anderen europäischen Metropolen.

Am Donnerstag zündete der Führer der rechtsgerichteten Partei „Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens“ (GERB) dann die Bombe. Persönlich habe er auf dem Rücktritt der Regierung bestanden, „um sicherzustellen, dass wir nicht ins Abseits geraten“, erklärte er nur drei Wochen vor dem zum Jahresbeginn anstehenden Beitritt des Balkanlandes zur Eurozone (Krawall mit Ansage).

Borissov ist berüchtigt für spontane Entscheidungen, dieser Zug aber kam unerwartet. Noch in seiner Stellungnahme zu den Massenprotesten vom 1. Dezember 2025 hatte er das Drohszenario entworfen, „wenn die Regierung jetzt stürzt, bedeutet dies Chaos für die nächsten drei bis vier Monaten. Die Preise in den Geschäften werden explodieren, und der Euro wird so stark gefährdet sein, dass Bulgarien vielleicht zum ersten Land wird, das die Eurozone wieder verlassen will.“

Im Januar 2025 hatte sich seine Partei GERB mit zwei Parteien zu einer Koalition zusammengetan, die eigentlich als ihre politischen Todfeinde galten; mit der post-kommunistischen „Bulgarischen Sozialistischen Partei“ (BSP) und der Kleinstpartei „So ein Volk gibt es“ (ITN) (Regierung des Möglichen oder Kabinett Frankenstein).  Erklärtes Ziel des rechts-linken Regierungsbündnisses war, die volle Legislaturperiode von vier Jahren abzuleisten, um Bulgarien aus seiner seit dem Frühjahr 2021 währenden politischen Instabilität zu führen.

Mit dem Sturz des Kabinetts Scheljaskov erweist die Bilanz seit damals drei reguläre Regierungen mit einer Gesamtdauer von nur neunundzwanzig Monaten sowie sechs Übergangsregierungen. Die voraussichtlich Ende März 2026 bevorstehenden vorgezogenen Parlamentswahlen werden dann die achten sein in knapp fünf Jahren.

Götterdämmerung für den „starken Mann der bulgarischen Politik“?

„Für GERB ist die Macht kein Selbstzweck“, rechtfertigte sich Borissov gegenüber seinen Parteianhängern. Man habe aber erkannt, „dass unsere Regierungsbeteiligung ihren Sinn verloren hat“. Die Regierung sei gebildet worden, „um eine Serie von sieben Wahlen zu beenden, die Bulgarien eine Milliarde Lewa (rund 500 Mio €) gekostet hat“. Einmal mehr habe GERB „staatsmännisches Verhalten bewiesen, um eine Brücke und nicht eine Bremse zu sein und unseren Kindern eine Perspektive zu geben. Wir treten auch deshalb zurück, weil der Krieg nur von demjenigen beendet werden kann, der Frieden schaffen kann.“

Abtreten, um wiederzukommen ist eine politische Strategie, die Borissov mehrfach erfolgreich angewandt hat, so bei seinen Rücktritten als Regierungschef in den Jahren 2013 und 2016. Dem unkaputtbaren „Starken Mann der bulgarischen Politik“ seine Götterdämmerung zu prophezeien, scheint daher gewagt.

Die jüngsten Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Market Links legen allerdings nahe, dass seine für Bulgarien beispiellose politische Karriere tatsächlich ihrem Ende entgehen könnte.  Ihre in der ersten Dezemberwoche ermittelten Daten ergaben für Borissov eine Zustimmungsrate von 20%. Es ist dies noch immer der dritthöchste Popularitätswert aller aktiven Politiker. Seine Ablehnungsrate von 68% zeigt aber, dass ihn inzwischen zwei von drei Bulgaren und Bulgarinnen zum Teufel wünschen.

Auch für seine in den vergangenen knapp zwei Jahrzehnten meist als Sieger aus Wahlen hervorgegangene Partei GERB hat Market Links starke Einbußen an Unterstützung ermittelt. Bei der Sonntagsfrage liegt sie mit einem zu erwartenden Stimmanteil von 17% nur noch knapp vor dem liberal-konservativen Parteienbündnis aus „Wir setzen den Wandel fort“ (PP) und „Demokratisches Bulgarien“ (DB) mit 14,7%. Danach folgen die Nationalisten von „Vazrazhdane“ (Wiedergeburt) mit 9,3% und die Absplitterung der Türkenpartei „DPS – Novo Natschalo“ (Neuanfang) mit 9,1% sowie die Kleinstpartei „Metsch“ (Schwert) mit 5,3%.  Die Sozialisten von der BSP würden mit 4,7% nur noch knapp die Vierprozenthürde überspringen. Die bisherigen Koalitionäre von ITN sowie der traurige Rest der traditionellen Türkenpartei „APS“ und die Patrioten von „Velitschie“ (Großartigkeit) würden an ihr scheitern.

Diese hypothetische Zusammensetzung der künftigen 52. Bulgarischen Volksversammlung eröffnet keine Perspektive auf eine parlamentarische Regierungsbildung, die den nachdrücklichen Forderungen der protestierenden Bürger und Bürgerinnen nach demokratisch legitimierter Politik anstatt des korrupten Klientelismus der vergangenen Jahrzehnte entsprechen könnte.

Nachfolger von Borissov: Staatspräsident Rumen Radev oder Wunderkind der bulgarischen Politik Deljan Peevski?

Bei Spekulationen, welcher Politiker Boiko Borissov als künftiger Dominator der bulgarischen Politik nachfolgen könnte, werden oft zwei Persönlichkeiten genannt; Staatspräsident Rumen Radev und das von den USA mit Magnitsky-Sanktionen belegte Wunderkind der bulgarischen Politik Deljan Peevski.

Nachdem Peevski im Sommer 2024 seinem Mentor Ahmed Dogan eiskalt den Dolch in den Rücken gestoßen hat, um die von ihm gegründete Türkenpartei DPS zu usurpieren (Mr. Magnitsky gegen Agent Nova), reklamiert Peevski seine Ambitionen auf das Amt des Regierungschefs immer unverhohlener. Bei der letzten Parlamentswahl im Oktober 2024 verzeichnete er erstaunliche Stimmengewinne in Regionen, in denen gar keine Türken leben.

Dies brachte ihm den unaufgeklärten Verdacht ein, seine Ziele auch mit unrechtmäßigen Mitteln wie Wahlmanipulation und Stimmenkauf zu verfolgen. Dass er aber tatsächlich die politische Macht im Staate ergreifen könnte, scheint unwahrscheinlich. Laut Market Links verfügt er mit einer Zustimmungsrate von gerade einmal 10% und einer Ablehnungsrate von 81% über die miserabelsten Popularitätswerte aller Figuren auf Bulgariens politischer Bühne.

Anders verhält es sich mit Staatspräsident Rumen Radev. Er behauptet sich nachhaltig als beliebtester Politiker und genießt laut Market Links als einziger eine höhere Zustimmung (45%) als Ablehnung (31%). Von seinen politischen Gegnern der euro-atlantischen Parteien GERB, PP/DB und DPS-NN wird der einstige Starfighter-Pilot Radev aufgrund seiner kritischen Haltung zu militärischer Unterstützung der Ukraine und seiner beharrlichen Forderung nach diplomatischen Bemühungen zur Beilegung des Krieges gerne in Kremlnähe gerückt (Russentümpel oder Nato-Teich?). Seine Position zum Ukraine-Krieg korrespondiert aber offenbar mit den Einstellungen weiter Teile der bulgarischen Bevölkerung.

In seiner Amtszeit seit 2016 wurde Präsident Radev mehrfach dafür gescholten, dass er sich nicht mit der repräsentativen Rolle des Staatsoberhaupts begnügt, sondern zuweilen mit scharfer Rhetorik in die tagespolitische Diskussion eingreift. So erklärte er nach dem Massenprotest vom 1. Dezember 2025 in seiner Rede an die Nation, die Regierung sei „in Ungnade gefallen“, ihr Rücktritt „unausweichlich“. Neuwahlen seien „der einzige Ausweg!“.

Die „lange unterdrückte Unzufriedenheit der Bulgaren“ sei „auf den Stadtplätzen herausgebrochen“, so Radev, es gebe nun „die Erwartung von Gerechtigkeit“. Die Bulgaren hätten „ihre Stimme erhoben gegen Korruption, Gesetzlosigkeit und die Weigerung der politischen Klasse, ihnen zuzuhören“.

Seit langem wird dem ursprünglich von den Sozialisten ins höchste Amt des Staates gehievten Radev unterstellt, den Plan eines „eigenen politischen Projekts“ bzw. einer Parteigründung zu verfolgen. Er strebe noch vor dem Ende seiner bis zum Herbst 2026 andauernden Amtszeit als Staatspräsident die exekutive Macht im Staate an, heißt es.

Als Präsident muss er nun zunächst aber die verfassungsrechtliche Prozedur einhalten und den Parlamentsfraktionen die Möglichkeit gewähren, eine neue Regierung im Rahmen der bestehenden Volksversammlung zu bilden. Dass dies geschieht, kann als ausgeschlossen gelten.

Wenn die von ihm dann zu berufende Übergangsregierung vorgezogene Neuwahlen voraussichtlich für den kommenden März ansetzt, könnte er eventuell sein Amt des Staatsoberhaupts vorzeitig aufgeben und sich als Spitzenkandidat seiner eigenen Partei um den Einzug ins Parlament bemühen.

Je nach Mehrheitsverhältnissen könnte der jetzige Staatspräsident dann zum neuen Ministerpräsidenten werden. Ob dies geschehen wird, lässt sich noch kaum prognostizieren. Es wäre die erste disruptive Zäsur in Bulgariens Politik nach einer langen und turbulenten Ära Boiko Borissov.

Frank Stier

Frank Stier lebt seit 2006 in Sofia. Er hat 1994 in Berlin sein Studium der Geschichte und Soziologie abgeschlossen und war dort als Historiker und Stadtführer tätig. Seit 2002 veröffentlicht Stier als freier Korrespondent für Südosteuropa überwiegend in Print- und Onlinemedien wie „Tagesspiegel“, „Cicero“ und „Telepolis“.
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7 Kommentare

    1. Nur noch aufm Papier.
      Geld ist schon keins mehr da. Dafür muss man auf die Einlagen anderer Länder zugreifen, wo viele Rechtsexperten sagen völkerrechtswidrig.

  1. Hätte ich den Bulgaren gar nicht zugetraut. Als ich vor ein paar Jahren da war war man noch sehr EU angetan. Seitdem ist aber in Brüssel auch einiges passiert, man kommt ja kaum noch hinterher.

    1. Wenn die EU ein Land wäre, würde es mit der heutigen Politik unter Frau v.d. Leyen nicht aufgenommen werden, da sie in keinster Weise den EU Kriterien entsprechen würde.
      Frei nach Glenn Diesen und dem kann ich 100% zustimmen.

  2. Bulgarien sagt NEIN zum geplanten Raub von russischem Vermögen.
    Italien will sich auch nicht daran beteiligen.

    Da kommen die Proteste in Bulgarien vermutlich gerade zur rechten Zeit.

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