
Der ukrainische Präsident Selenskij konnte vier Jahre lang im Krieg die nationale Einheit der Ukraine auch mit vermehrter Repression und Zensur aufrechterhalten. Im Westen wurde er als Held und Lichtgestalt gefeiert. Mit seiner Nation hat er entschlossen gegen das Böse aus dem Osten und für die westlichen Werte gekämpft. Die Politiker reisten – im Übrigen ungefährdet – in Scharen nach Kiew, um Beistandsverpflichtungen abzugeben und sich mit Selenskij zu adeln, um den sich auch im Ausland alle drängelten und Geld und Waffen versprachen.
Seit Juli ist der Heiligenschein abgefallen, als der Präsident die von Bankova unabhängigen Antikorruptionsbehörden auszuschalten versucht, nachdem bekannt geworden war, dass deren Untersuchungen im Umkreis von Selenskijs Geldgeber und Freund Mindich immer näher an die Umgebung des Präsidenten heranrückten. Plötzlich wurden Politiker und Medien etwas kritischer, obgleich Selenskij noch einmal schnell umschaltete, weil auch im Land die Opposition ihre Chance witterte.
Als dann tatsächlich sein Stabschef Yermak, in den abgehörten Telefongesprächen Ali Baba, in Verdacht geriet, zentral an der Korruption beteiligt zu sein scheint, versuchte er, diesen und den ebenfalls verdächtigten Seketretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats Umerov, zuvor Verteidigungsminister, zu retten, indem er sie zu den Leitern des Verhandlungsteams machte. Auch wenn er Yermak nun entließ, der ankündigte, an die Front zu gehen, ist offensichtlich, dass er tief im Korruptionssumpf steckt und nicht mehr lange zu halten sein wird. Auch dass er noch Umerov hält, bestätigt dies. Nur 25% der Ukrainer wollen nach einer Umfrage noch Selenskij als Präsident nach dem Krieg. Das Problem für die europäischen Unterstützerstaaten ist, dass es derzeit keine Alternative zu geben scheint. Poroschenko, Timoschenko, Budanow oder gar Asow-Kommandeur Biletsky kommen wohl nicht in Frage.
Allerdings ist da der ehemalige Oberkommandierende und Bandera-Fan Saluschnyj, den Selenskij nach der gescheiterten Sommeroffensive 2023 im Februar 2024 abgesetzt und nach Großbritannien als Botschafter abgeschoben hat. Saluschnyj hatte von einer militärischen Pattsituation gesprochen, was Selenskij nicht passte, der weiterhin dem Volk und dem Westen Offensiven und Siege versprach und auch die Truppen nicht bei aussichtlosen Kämpfen wie in Bachmut oder jetzt in Pokrowsk. Nach Umfragen ist er beliebt und gilt als möglicher Präsidentschaftskandidat. Neben Uneinigkeit in militärischen Fragen, wollte Selenskij ihn vor allem als politischen Konkurrenten für die nach dem Krieg anstehenden Wahlen ausschalten. Jetzt freilich ist die Frage, ob sich Selenskij noch so lange als Präsident halten kann, möglicherweise dringen auch Washington und Moskau darauf, dass eine andere Person einen Friedensvertrag abschließen müsste. Andererseits ist Selenskij so geschwächt, dass er sich unter Druck setzen lassen könnte, zur Beendigung des Krieges auch gegen Widerstand der EU größere Zugeständnisse zu machen.
Saluschnyi hat bereits den ersten Band seiner Autobiographie mit dem Titel „Mein Krieg“ (2024) veröffebtlicht und jetzt einen längeren Artikel mit dem Titel „Politik und Krieg. Realität vs. Erwartungen“ auf Liga.net, der anzeigen könnte, dass er nun die politische Bühne betreten will. Natürlich vertritt Saluschnyi als Militär, der die Politik für sich entdeckt hat, die Realität, Selenskij die unerfüllbaren Erwartungen. Dmitri Jarosch, Gründer des Rechten Sektors und Kommandeur der Ukrainischen Freiwilligenarmee (Dmitri Jarosch oder die ukrainischen Freunde des Westens), begrüßte den Text, wenn auch verhalten.
Der ukrainischen Kriegsführung fehle ein politisches Ziel
Zunächst geht es um die militärische Strategie, die schon 2023 zu fehlen begann, nachdem die ersten Erfolge durch Rückeroberungen vorbei waren und der Krieg sich „dramatisch“ mit Drohnen und Satelliten verändert hatte. Ökonomie habe eine zunehmende Rolle gespielt, auch die Abhängigkeit von westlichen Waffen und die Probleme mit der Mobilisierung. Deutlich sei geworden, dass auch die politischen Ziele klar definiert werden müssten, um die Bevölkerung zu gewinnen:
„Das politische Ziel des Krieges ist es, das alle Fragen beantwortet. Und wenn laut Clausewitz der Krieg eine ‚Dreieinigkeit‘ ist: die Bevölkerung, die Streitkräfte und die Staatsverwaltung, dann sind diese Aspekte drei verschiedene Rechtsordnungen, und unter diesen Parteien ist es die Bevölkerung, die in Bezug auf die Unterstützung des Krieges die sensibelste Partei ist.“
Natürlich hat der Militär Saluschnyj, der im Krieg noch schnell – und korruptionsfrei? – seinen Doktor gemacht hat, Inhalt ist Staatsgeheimnis, nicht erst jetzt erkannt, dass ein politisches Ziel fehlt, früher hatte er halt nicht notwendigen Antrieb. Nebenbei erklärt er den Krieg in der Ukraine zum „globalen Krieg“. Die westlichen Politiker hätten mit ihren ukrainischen Kollegen in Illusionen gelebt, während die russischen Truppen weiter vorrückten.
Erst einmal will Saluschnyj erklären, dass das politische Ziel Russlands, das aber nicht ausgesprochen werde, nicht das Interesse an Donezk oder Lugansk ist, sondern die Ukraine „mit ihrer Subjektivität und Unabhängigkeit und ihrem ganzen Potenzial, das zum Tor nach Europa werden sollte“. Die Ukraine müsse, so stellt Saluschnyj das politische Ziel Russlands dar, „als unabhängiger Staat aufhören zu existieren“. Das müsse der ukrainischen Strategie, den Staat zu bewahren, zugrunde liegen. Es muss mithin ums Ganze gehen, um das Volk zu mobilisieren.
Belegt oder begründet wird das nicht weiter, Saluschnyi, der sich als Kriegswissenschaftler sieht, springt schnell zu seiner grandiosen Erkenntnis: „Krieg ist kein Selbstzweck, der nur vom Militär geführt wird, sondern wird geführt, um unter bestimmten günstigen Bedingungen Frieden zu schließen.“ Man kann schon ahnen, worauf es hinauslaufen wird, Saluschnyj will derjenige sein, der den Frieden herbeiführen wird, weil er die günstigen Bedingungen für Friedensverhandlungen kennt.
Russland habe sich länger auf einen Krieg vorbereitet und die Rüstungsausgaben ständig erhöht, während in der Ukraine die Ausgaben geringer worden seien und die Streitkräfte in einem schlechten Zustand gewesen seien. Militärisch sei die Ukraine völlig unterlegen gewesen. Dass sich auch die Ukraine auf einen Krieg vorbereitet haben und nach einem Dekret des Präsidenten die Krim zurückerobern wollten, vergisst Saluschnyj zu erwähnen. Da gab es nicht nur die Freiwilligenverbände, sondern auch umfangreiche Arbeiten, um die Städte vor allem in Donezk zu Festungen aufzurüsten, was zur Folge haben musste, dass sie bei Kämpfen zerstört werden.
Es droht ein Bürgerkrieg
Die Ukraine habe sich aufgrund von Heroismus, Innovationen und Gleichheit der Stärke mit der Hilfe der Verbündeten standhalten können. Russland habe dann, während man in der Ukraine auf Sieg setzte, auf den Stellungs- und Abnutzungskrieg umgeschaltet und damit Erfolg gehabt. Diese Feststellung war eine Ursache des Konflikts zwischen Saluschnyj und Selenskij gewesen. Hier würden militärische Aktionen weiter eine Rolle spielen, um politische Ziele zu erreichen. Das der Russen bestehe in der politischen Desintegration der Ukraine und der Schaffung von Bedingungen, um einen entscheidenden Schlag auszuführen, der das Land gleichzeitig wirtschaftlich und politisch kollabieren lässt. Es folgt wieder eine sehr durchsichtige Kritik an Selenskijs Strategie:
„Einfach ausgedrückt versucht der Feind, durch die heutigen Militäroperationen soziale Spannungen, Verluste an Arbeitskräften und übermäßige Ausgaben finanzieller Ressourcen zu verursachen. In einem solchen Fall ist es am vorteilhaftesten, um symbolträchtige geografische und kulturelle Objekte zu kämpfen und nicht um Landstriche. Diese Objekte in Festungen zu verwandeln, bestätigt und unterstützt nur die Strategie des Feindes.“
Die Folge der Desintegration sei letztlich ein Bürgerkrieg, der auch durch einen „gerechten Frieden“ ohne Sicherheitsgarantien und Finanzprogrammen entstehen würde.
Saluschnyj stimmt mit der Haltung der Amerikaner überein, dass die Bedingungen für die Ukraine immer schlechter werden und deswegen schnell ein Friedensplan umgesetzt werden müsste. Es sei auch klar, dass politisch Russland zur Legitimierung der hohen Verluste Konzessionen oder eine Niederlage der Ukraine erwartet würde. Er zweifelt, ob die Vermittler das wirklich verstehen. Wieder gegen Selenskij und seine Politik gerichtet, schreibt er:
„Bei der Festlegung des politischen Ziels eines Krieges muss man bedenken, dass ein Krieg nicht immer mit dem Sieg der einen Seite und der Niederlage der anderen endet. Dies war im Zweiten Weltkrieg der Fall, aber es handelt sich dabei um eine seltene Ausnahme, da dies in der Geschichte der Menschheit fast nie vorgekommen ist. Die überwiegende Mehrheit der Kriege endet mit einer gegenseitigen Niederlage oder damit, dass alle Beteiligten überzeugt sind, gewonnen zu haben, oder mit anderen Optionen. Wenn wir also von Sieg sprechen, müssen wir ehrlich sagen: Sieg ist der Zusammenbruch des Russischen Reiches, und Niederlage ist die vollständige Besetzung der Ukraine aufgrund ihres Zusammenbruchs. Alles andere ist nur eine Fortsetzung des Krieges.“
Warum ein Ende des Krieges auch ohne Sicherheitsgarantien von Vorteil wäre
Die Ukrainer würden eine Niederlage Russlands anstreben, müssten aber mit einem weiteren langen Krieg rechnen. Wirkliche Sicherheitsgarantien (Nato-Beitritt, Stationierung von Atomwaffen, Stationierung großer Truppenverbände) könnten nicht erwartet werden. Dagegen würde ein Frieden „selbst in Aussicht eines nächsten Krieges die Chance für politische Veränderungen, tiefe Reformen, eine völlige Erholung, Wirtschaftswachstum und Rückkehr der Bürger“ mit sich bringen. Wichtig sei das Setzen auf Innovation und Technik und die Formierung eines „gerechten Staats“ durch den Kampf gegen Korruption und die Bildung eines fairen Gerichts. Das sieht nach einem politischen Programm aus. Gleichzeitig propagiert Saluschnyj, es sei vielleicht das wichtigste politische Ziel, Russland der Möglichkeit zu berauben, wie die Ukraine anzugreifen. Dazu müsse technisch aufgerüstet werden, um die Kosten des Krieges zu senken, und mehr weitreichende Angriffsfähigkeiten vorhanden sein:
„Dies könnte zu einer Situation führen, in der Russland letztendlich dieselben Sicherheitsgarantien benötigen wird. So seltsam das auch klingen mag. Dann sollten vermutlich die Hauptstädte, die sich gegenseitig ihre Erhaltung garantieren können, die Grundlage für Sicherheitsgarantien bilden. Dies wiederum würde einen Zusammenbruch in den Nachkriegsjahren sowohl in der Ukraine als auch in Russland verhindern.“
Deutlich wird, dass sich Saluschnyj für eine Beendigung des Krieges mit größeren Konzessionen der Ukraine ausspricht, auch wenn er nicht konkret wird und sich windet. Er hatte schon öfter gesagt, dass die Ukraine die Grenzen von 1991 nicht wiederherstellen können wird. Und er sieht die Russen militärisch überlegen und auch die Strategie der Infiltration von kleinen Gruppen hinter die Front für erfolgreich. Die Ukraine müsste schon einen „technischen Durchbruch“ erzielen, um noch erfolgreich sein zu können. Jedenfalls scheint Saluschnyj wahrscheinlich mit Blick auf Wahlen eine pragmatische Position zu besetzen.
Das dürfte ihn allerdings Unterstützung vom rechten nationalistischen Rand und den auf Krieg eingestellten Freiwilligenverbänden kosten. Auf welche Seite sich Saluschnyj im prophezeiten Bürgerkrieg stellen würde, teilte er auch nicht.
Der Kommandeur der Unabhängigen Freiwilligenarmee Jarosch beispielsweise, den Saluschnyi kurzzeitig als Berater nominierte, um ihn gleich wieder offiziell fallen zu lassen, hält nichts von Verhandlungen und Konzessionen (Jarosch und der Rechte Sektor: Worüber man im Westen nicht mehr sprechen will). Auch wenn ein Kriegsende eintritt, wird nach ihm weiter gegen den ewigen Feind gekämpft werden, um nicht nur die Grenzen von 1991 wiederherzustellen, sondern eine Großukraine mit russischen Regionen. Gestern schrieb er:
„Ich bin mir bewusst, dass wir Ukrainer, wenn es uns bis zum Ende der aktiven Phase der Kampfhandlungen nicht gelingt, das russische Subimperium zu zerstören, in eine Situation geraten werden, in der wir einen Teil unseres Territoriums und unserer Bevölkerung verlieren werden… Das ist die objektive Realität.
Gleichzeitig bin ich überzeugt, dass der aktive Teil der ukrainischen Nation in der ersten Stunde nach der Unterzeichnung des ‚Waffenstillstands‘ oder eines anderen internationalen Miststücks Strukturen schaffen wird, deren Hauptaufgabe darin bestehen wird, das Nicht-Imperium zu zerstören und alle besetzten Gebiete der Ukraine zurückzugewinnen, einschließlich Kuban, Woronesch, Belgorod, Starodub usw. Und die Ukrainer werden diese Mission erfolgreich umsetzen. Und schließlich wird die Ukraine nach einiger Zeit ein unabhängiger und geeinter, prosperierender Staat werden, das Zentrum neuer geopolitischer Allianzen, ein Orientierungspunkt für viele europäische Völker… Und den Panzern wird es schlecht ergehen.“
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auf die Briten ist verlass, die werden bis zum letzten Ukrainer gegen Russland kämpfen… ist nur die Frage wofür…
die Demokratie ist in der EU entgültig begraben worden, Freiheit wird nur dem Geldadel gewährt, und den Rest des Humankapitals wird sowieso nicht mehr benötigt da es durch die KI ersetzt wird…
So eine Doktorarbeit ist was Feines – da sie doch wohl irgendwann veröffentlicht werden MUSS.
Da hat er tatsächlich einmal recht – der Ausgang dieses Krieges wird globale Auswirkungen haben bzw die hat der Krieg schon jetzt, die vor allem den Status und das Gewicht des sogenannten ‚Westens‘ betreffen. Der Rest, vor allem gegen Ende hin, ein reichlicher Schmarrn.
Ist es zu viel verlangt, einen Artikel
lesen zu können, der nicht vor Tepfelern
strotzt, in dem sogar halbe Sätze fehlen ?
ja…genau……..Tepfelern ? ( 🤣🤣=🤮)
++++
@ Floran Rötzer:
Herrschaftszeiten, Florian – such Dir endlich einen Lektor oder eine Lektorin! Gut gemeint ist noch nicht gut gemacht und Autor/Autorin wird auch nach derlei Unsauberkeiten beurteilt.
Irgendwann nimmt das mal keiner mehr ernst und das wäre doch schade.
bg
Frank