Regierungsbildung in Spanien steht, rechte Ultras toben wegen Amnestie für katalanische Politiker

Pedro Sánchez fordert auf dem PES-Kongress die PP auf, das Wahlergebnis und die Legitimität der neuen Regierung anzuerkennen. Bild: PSOE.es

Pedro Sánchez kann mit einer sozialdemokratischen Minderheitenkoalition weitermachen, doch er musste den Nationen im Staat vor allem auf Druck von Exilpräsident Carles Puigdemont große Zugeständnisse machen, die auch eine umfassende Amnestie und deren „nationale Anerkennung“ umfassen. Doch es gibt nicht nur eine faschistoide Aufwallung gegen die Abkommen mit Parteien aus Katalonien und dem Baskenland, sondern auch Kritik aus der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung.

Am Freitag war es schließlich nach vier Monaten soweit, als der geschäftsführende Ministerpräsident Spanien auch noch persönlich das Abkommen mit der Baskisch-Nationalistischen Partei (PNV) unterzeichnete. Nun steht seine noch buntere Patchwork-Minderheitsregierung fast. Die soll für die nächsten vier Jahre halten. Nun will sich Pedro Sánchez Ende der Woche erneut ins Amt wählen lassen und zwar schon mit absoluter Mehrheit im ersten Wahlgang. Den genauen Termin für die zweitägige Debatte und die Abstimmung wird die Parlamentspräsidentin Francina Armengol am Montag festlegen.

Gegenüber den vorhergehenden dreieinhalb Jahren, denn Pedro Sánchez hatte angesichts der aufstrebenden Rechten und Ultrarechten die Wahlen eilig vorgezogen, musste er nun auch noch die Partei des katalanischen Exilpräsidenten Carles Puigdemont ins Boot holen. Der und dessen „Gemeinsam für Katalonien“ (JxCat) hatten die Latte für eine Unterstützung stets sehr hoch für eine Unterstützung gelegt und schon bisher durchgesetzt, dass endlich auch Katalanisch, Baskisch und Galicisch im spanischen Parlament gesprochen werden kann.

Puigdemont hatte auch vor Augen, dass der politische Konkurrent in der katalanischen Heimat vier Jahre praktisch gratis die Sánchez-Regierung unterstützt hatte. Die Republikanische Linke (ERC) war dafür von den Katalanen bei den letzten Wahlen schwer abgestraft worden. Sie hatte in den letzten Wochen versucht, Aufwind darüber zu erhalten, dass sie praktisch alle Forderungen von Puigdemonts JxCat kopierte, die sie in vier Jahren nicht einmal auf die Tagesordnung gesetzt hatte. Im eigenen Abkommen mit den Sozialdemokraten (PSOE) wurden die zudem stark verwässert.

Sánchez wusste, dass er auf die ERC-Stimmen so oder so vertrauen konnte. Das galt auch für die der baskischen PNV. Die konnte allerdings für die Basken wichtige Forderungen im Endspurt im Windschatten von Puigdemont durchsetzen. So wurde die symbolische „nationale Anerkennung“ genauso in das Abkommen geschrieben, wie die Übertragung aller auch nach über 40 Jahren noch immer ausstehenden Kompetenzen an die baskische Autonomie.

Die PNV hat in vielen Jahren gelernt, dass den Sozialdemokraten nicht zu trauen ist, die immer wieder Vereinbarungen brechen. Deshalb wurde vereinbart, dass alles innerhalb „von zwei Jahren“ übertragen werden muss. Besonders nervt nicht nur rechte Ultras im Land, dass endlich auch die Sozialversicherung übertragen werden soll, wie es das verfassungsausführende Gesetz von 1979 (!) vorsieht. Seither wird Jahr um Jahr die Verfassung gebrochen, sei es von einer rechten Regierung der Volkspartei (PP) oder einer der PSOE. Die rechten Medien fragen nun: „Wenn das Baskenland eine `Nation` ist und eine eigene Sozialversicherung hat, wo bleibt dann der Staat?“ Dass bisher die Verfassung gebrochen wurde, auf die sie sonst mit Blick auf die Ansprüche von Basken und Katalanen stets pochen, ist ihnen dabei egal.

Rechte stört die Amnestie für katalanische Politiker

Das alles treibt die Rechte natürlich weiter auf die Barrikaden, die sich aber vor allem offiziell darüber aufregen, dass mit Puigdemont eine umfassende Amnestie vereinbart wurde. Die umfasst nicht nur die Vorgänge um das Unabhängigkeitsreferendum von 2017 und die Proteste gegen die harten Strafen gegen Politiker und Aktivisten, sondern sie umfasst alle Vorgänge auch vor und nach Volksbefragung 2014 und dem Referendum 2017 bis heute.

Dass in dem Dokument von „lawfare“ – einem juristischen Krieg – gesprochen wird, dessen Folgen auch in die Amnestie einbezogen werden sollen, treibt ebenfalls Richtervereinigungen auf die Barrikaden. Die stört, dass die PSOE den „lawfare“ anerkennt und dass die Vorgänge auch in  „parlamentarischen Untersuchungsausschüssen“ untersucht werden sollen. Daraus könnten sich nämlich auch strafrechtliche Konsequenzen ableiten lassen.

Dabei ist das offenkundig, was hochrangige spanische Juristen bisweilen sogar „Justizputsch“ oder Schauprozesse genannt haben. Nicht zuletzt haben willkürliche Inhaftierungen nicht nur Menschenrechtsorganisationen, der Europarat, die UNO und sogar das US-Außenministerium kritisiert.

Vom juristischen Krieg waren auch Personen wie der Puigdemont-Anwalt Gonzalo Boye, der mit absurden Anschuldigungen vor Gericht gezogen wird und sogar mit der Spionagesoftware Pegasus ausgespäht wurde. Darunter dürfte auch der Puigdemont-Büroleiter Josep Lluís Alay fallen, der mit hanebüchenen Anschuldigungen sogar zum russischen Spion gemacht werden sollte. Vielen gefällt natürlich auch nicht, dass auch die Katalanen demnächst wie die Basken die Steuern einziehen sollen, da die Katalanen unter einer massiven Unterfinanzierung leiden. Jährlich fließen mehr als 20 Milliarden Euro nach Madrid ab und kommen nie wieder zurück.

Dass Junts auch noch ein weiteres Referendum auf die Tagesordnung setzt, treibt dann definitiv den Hass der Rechten und Ultrarechten an. Sie gehen, wie hier schon berichtet wird, schon seit Tagen gewaltsam auf die Straße, greifen PSOE-Politiker an, belagern Parteibüros und liefern sich zum Teil Straßenschlachten mit einer Polizei, die sehr zurückhaltend gegen den gewalttätigen Mob vorgeht. Mit Blick auf die Justiz, Puigdemont und andere wurden sogar wegen Rebellion verurteilt, wird per „X“ gefragt, „ob die spanische Justiz jetzt auch diese Leute wegen Rebellion und Terrorismus anklagt“. Zu sehen ist ein Video, wie der gewalttätige rechte Mob mit massiver Gewalt die Polizei angreift.

Allerdings ist der Aufruhr, von dem auch Bundeskanzler Olaf Scholz am späten Freitag in Malaga betroffen war, wo er mit Sánchez zusammentraf, wieder abgeflaut. Einen Termin musste Scholz aber absagen, weil eine ultranationalistische „aufgebrachte Menge“ den Tagungsort belagerte. Erst mit einstündiger Verspätung konnten Scholz und Sánchez das Gebäude verlassen. So bekam Scholz mit, wie sich der spanische Nationalismus gebärdet.

Bereit, „auch den letzten Tropfen unseres Bluts für Spanien zu vergießen“

Die Frage ist, wie sich die Lage weiterentwickelt. Nach neuen heftigen Straßenschlachten und 24 Festnahmen am Donnerstag, ging die Zahl der Protestierer vor dem zentralen Parteibüro der Sozialdemokraten am Freitag in Madrid wieder stark zurück. Auch am Samstag war ein weiteres Abflauen der Proteste zu beobachten. Es bleibt aber abzuwarten, ob das nur die relative Ruhe vor dem Sturm ist und was aus den Protesten wird, welche die rechte PP in allen 52 Provinzhauptstädten für Sonntag angekündigt hat.

Der Aufruf wird auch von deren Rechtsabspaltung VOX unterstützt. Beide Parteien heizen die Stimmung derweil weiter an, da sie nicht verkraften können, dass die PP zwar die Wahlen gewonnen hat, aber auch mit Unterstützung der offenen Anhänger der Franco-Diktatur nicht wie in einigen spanischen Regionen im ganzen Land regieren kann.

Die PP wirft Sánchez inzwischen „Verrat“ und „Erniedrigung“ vor, weil er eine Mehrheit erreicht hat. Das Abkommen mit Puigdemont im belgischen Exil nennen PP und VOX sogar „Hochverrat“. Die heimliche PP-Chefin Isabel Díaz Ayuso, die als Präsidentin der Hauptstadtregion Madrid nur darauf wartet, den PP-Chef Alberto Núñez Feijóo wegen dessen Scheitern abzuschießen, erklärt sogar: „Sie haben uns eine Diktatur gebracht, sie haben sie durch die Hintertür gebracht, und wir stehen am Anfang davon“. Das ist die merkwürdige Auffassung von Demokratie, die Leute wie Ayuso haben, die kein Problem damit haben, wenn man sie „Faschisten“ nennt,

Wie schon berichtet, kursieren in Kasernen des Militärs und der paramilitärischen Guardia Civil sowie in der Nationalpolizei auch schon Putsch-Aufrufe. Nun ist auch noch ein Aufruf von einer Vereinigung innerhalb der Guardia Civil aufgetaucht. Darin unterstreichen die Mitglieder der Aprogc, bereit zu sein, „auch den letzten Tropfen unseres Bluts für Spanien zu vergießen“.  Dass sie damit ausgerechnet die „Souveränität und Unabhängigkeit Spaniens“ zudem seine „verfassungsmäßigen Ordnung“ verteidigen wollen, ist leider keine Realsatire, sondern zeigt den geistigen Zustand von Menschen in bewaffneten Sicherheitskräften an, die mit einem Putsch eine verfassungsmäßige Ordnung gegen eine demokratische Entscheidung der Bevölkerung „verteidigen“ wollen. Man kennt die kranke Logik vom Putsch der Generäle 1936 gegen die Republik, der Spanien einen Bürgerkrieg und Jahrzehnte einer brutalen Diktatur gebracht hat.

Kritik in Katalonien an Puigdemonts Verhandlungsergebnissen

In der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung ist das Vorgehen von Puigdemont aber auch nicht unumstritten. Denn er hatte sogar schon für die Aufnahme von Verhandlungen nicht nur eine Amnestie versprochen, sondern auch ein abgestimmtes Referendum gefordert. Darüber soll nun aber sogar erst im Laufe der Legislaturperiode verhandelt werden. Ohnehin wollten viele kein neues Referendum, da das 2017 eine deutliche Mehrheit für die Unabhängigkeit gebracht hatte. Dass ein mögliches neues Referendum nun zudem sogar auf die lange Verhandlungsbank geschoben wird, welches die PSOE weiter ablehnt, stößt auf einiges Unverständnis.

Die Kritik versucht Puigdemont, der nach Verabschiedung der Amnestie nach sechs Jahren in seine Heimat zurückkehren kann, über eine Urabstimmung in seiner JxCat zu überspielen. Die Parteibasis soll das Abkommen ratifizieren, das er mit der PSOE geschlossen hat. Alles spricht dafür, dass das auch geschieht. Eine Überraschung bei der Abstimmung bis Sonntag um 18 Uhr ist aber nicht völlig ausgeschlossen. Das Problem Puigdemonts ist, dass sich der von ihm gegründete „Republikrat“ mit großer Mehrheit (75%) auf Antrag eines Mitglieds dafür ausgesprochen hatte, Sánchez nicht zu unterstützen und seine Amtseinführung zu blockieren.

Heftige Kritik kommt von der ebenfalls Exilierten Clara Ponsatí, die wie Puigdemont für JxCat im Europaparlament sitzt. Tatsächlich bleibt, wie festgestellt wird, das Abkommen in den zentralen Fragen reichlich vage. Die ehemalige Bildungsministerin der Puigdemont-Regierung erklärt nach dem Abkommen das „Ende der Vorstellung“. Es sei eine „Demütigung“ für Katalonien, die „nur schwer zu überwinden sein wird“. Dass Puigdemont gesagt habe, „dass er nichts mit Spanien zu tun haben will, nun zustimmt, den PSOE-Chef zum Ministerpräsidenten Spaniens zu machen, ist eine Verachtung für die Menschen, die ihm vertraut und ihn geschützt haben“, erklärt sie enttäuscht.

Es bleibt abzuwarten, was nun tatsächlich, auch gegenüber den Basken, von den blumigen Sánchez-Versprechen umgesetzt wird und ob die PNV tatsächlich nach zwei Jahren die Regierung stürzt, wenn die Kompetenzen nicht vollständig übertragen sind. Wer die PNV kennt, weiß, dass das Sánchez nichts zu befürchten hat. Das gilt vor allem auch gegenüber der ERC und der linksnationalistischen baskischen EH-Bildu (Baskenland vereinen). Der hatte er unter anderem sogar schriftlich eine vollständige Streichung der Arbeitsmarktreform versprochen, real kam eine Konsolidierung von 95 Prozent, ohne dass Bildu der PSOE die Unterstützung aufgekündigt hätte.

Ob sich Puigdemont auf die übliche sozialdemokratische Strategie einlässt, alles in Kommissionen zu verschieben, um Zeit zu schinden und real nichts oder kaum etwas umzusetzen, wird sich zeigen. Die Frage ist, ob Beobachter nun Recht behalten, dass vor allem die Amnestie das Tauschgeschäft ausgemacht hat und es ansonsten wie schon in den vergangenen vier Jahren laufen wird, es also praktisch keine Fortschritte in Richtung Unabhängigkeit Kataloniens geben wird.

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8 Kommentare

  1. hört sich perspektivisch ausgesprochen ‘finster’ an! Das sozaldemokratische ‘herumgeeiere’ zeigt sich als internationale ‘Qualität’! Ich beneide die Spanier allerdings auch nicht um die vielfältigen ungelösten Konflikte mit ethnischem Hintergrund.

  2. Mithin ist jetzt ein völlig offensichtliches Unrecht nach sechs Jahren zu Ende gebracht worden. Das nämlich war die Inhaftierung dieser Demonstranten. Sanchez musste endlich mal entschieden handeln, weil er sonst die Koalition nicht zusammen gebracht hätte. Und schon flauen die Demonstrationen ab.

    Aber das heißt auch, dass die Rechten sechs Jahre lang das Recht außer Kraft setzen konnten. Gerade die Durchsetzung eines Unrechts ist für sie eine Machtdemonstration. So tickt der Nazi.

    Wenn nun dieses unverschämte Verhalten Wirkung zeigt, dann wird er noch unverschämter. Wenn man ihn aber abblitzen lässt, wie jetzt geschehen, zieht er den Schwanz ein.

    Genau das, was dieser Sanchez so lange nicht begriffen hat. Vielleicht jetzt.

  3. Ist es nicht herrlich, wenn ein Land zur Urne geht?
    Innerhalb der EU gibt es den Konsens, EU Recht/Richtlinien brechen das nationale Recht. Also was kann diese Wahl wirklich ändern?
    Ihr möchtet antworten zum Wählersurteil?
    Schaut euch die italienische Prinzessin ‘Melone’ an, dort kann jeder sehen was Versprechen und Realitäten sind.
    Jegliche Wahlen ist ein Spiel der Emotionen, Hauptsache gut agiert und am Tag X sieht man nix.

  4. Hat Spanien eigentlich keine neutrale Gerichtsbarkeit? Die Klagen der verurteilten Katalanen scheiterten alle, auch vor den höchsten Gerichten.
    Und ausgerechtet die postfaschistischen Rechten protestieren jetzt sehr öffentlichkeitewirksam gegen die versteckte Rechtsbeugung mittels Amnestie.
    Wenn Spanien heute EU-Beitrittskandidat wäre könnte es nicht aufgenommen werden – ähnlich wie Ungarn, Polen etc..

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