Thomas Carl Schwoerer, 1995-2015 Chef des Campus-Verlags und seit 2006 im Vorstand der Deutschen Friedensgesellschaft e.V., hat in seinem Beitrag „Friedenspolitik?“ im Overton-Magazin vom 30.10.24 erste sinnvolle Schritte weg von unserer blinden Haudrauf-Politik zur Deeskalation gezeigt. Für ihn geht es darum, sich im „strategischen Wettbewerb“ Vorteile zu verschaffen – nicht mit Gewalt, sondern etwa durch die „Einbindung Chinas“ – mit „gegenseitigem Respekt“, was aber „offene Kritik und Druck nicht ausschließt“.
Ach, wenn die Welt sich doch um den erhobenen Zeigefinger des distinguierten deutschen Bildungsbürgers drehte. Aber oh Schreck, oh weh! Der Rest der Welt zieht es vor, sich zu verbünden, anstatt sich „einbinden“ zu lassen. Der Iran, die Türkei und die arabischen Staaten sind keine Freunde, aber man versucht jetzt, sich zu arrangieren. Das gleiche gilt für Indien und China, alles Länder mit ständig wachsender technologischer Stärke, Millionen gut ausgebildeter Leute und mit dem daraus erwachsenen Selbstbewusstsein. Ist dort alles in Butter? Natürlich nicht. Aber Menschenrechtsverletzungen werden in den westlichen Moraltempeln nur thematisiert, wenn es uns in den Kram passt. Die Rechte von Frauen, Arbeitsmigranten und Homosexuellen in den Golfstaaten sind uns komplett egal, ebenso wie die Afrikaner, die auf spanischen Plantagen fürn‘ Appel und en Ei Tomaten ernten, damit wir weiter billig Spagetti Bolognese essen können.
Schwoerer meint, der Ukraine-Konflikt kenne nur Verlierer. Das stimmt nicht. Russland wird diesen Konflikt gewinnen und dann werden die milliardenschweren Eliten des globalen Südens den USA ganz sacht den Stecker ziehen und den aufgeblasenen Dollar implodieren lassen. Spätestens nachdem die USA die Nord Stream-Leitungen gesprengt hatten, war den Scheichs klar, dass sie sich um einen anderen Partner bemühen müssen.
Auch Deutschland hätte das tun sollen, wird aber von seinen Eliten in transatlantischem Masochismus gefangen gehalten. Das Ergebnis ist eine seltsame Stimmung aus Nibelungentreue und Nihilismus. Der Westen wird alles verlieren, nicht bloß den Donbass und milliardenschwere Investments der US-Vermögensverwalter in fruchtbare Schwarzerde. Er wird seine über 80 Jahre aufgebaute finanzielle Hegemonie verlieren und vor allem sein Narrativ. Der Sieger bestimmt die Moral. Nur so hatten die USA die Chuzpe, die Nazis in Nürnberg vor Gericht zu stellen und gleichzeitig Hunderttausende in Hiroshima und Nagasaki atomar zu pulverisieren.
Was immer wir hier in Deutschland schreiben oder nicht schreiben hat für die Entwicklung der Welt keine Bedeutung. Wir sollten uns nicht länger um Geostrategie kümmern. Seit Hunderten von Jahren haben wir Kriege geführt und haben viel Leid über andere und uns gebracht. Den dritten Weltkrieg schwänzen wir lieber und werden neutral, so wie bisher die Schweiz. Die Voraussetzungen dafür sind nicht schlecht und das liegt nicht nur an der technischen Kompetenz, die wir bislang zum Glück noch nicht völlig verloren haben. Guangru, unser chinesischer Mitbewohner, sagte mir nach seinem Besuch des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände in Nürnberg voller Anerkennung: „Die Japaner haben sich bei uns für ihre Verbrechen nie entschuldigt.“
Wir haben schon immer beste Beziehungen zu den meisten BRICS-Staaten gehabt, besonders zu Russland. So schreibt Werner von Siemens: „Das Jahr 1852 bildete einen entscheidenden Wendepunkt in meinem persönlichen sowohl wie in meinem geschäftlichen Leben. Mit Beginn dieses Jahres trat ich meine erste Reise nach Russland an.“ [1] Spannend erzählt er, wie seine damals erst fünf Jahre alte Firma vom Zaren nach und nach mit dem Aufbau des gesamten russischen Telegraphennetzes beauftragt wurde. Daran sollten wir anknüpfen.
Man muss kein Pazifist sein, um einem Krieg aus dem Weg zu gehen, es reicht der gesunde Menschenverstand. Wir sollten aufhören Panzer und immer neue Waffen herzustellen. Statt dessen sollten wir mit aller Welt friedlich Handel treiben und uns ansonsten um unsren eigenen Kram kümmern. Da haben wir genug zu tun. Das Streben nach Einfluss auf der Weltbühne führt nur zu Problemen.
„Die Geistesfürsten der deutschen Klassik wie Schiller oder Goethe lebten in Pumpernickel-Fürstentümern, wie Thackeray [2] und später Churchill [3] Kleinstaaten wie das Herzogtum Sachsen-Weimar nannten. Die Wiege der Demokratie, der Philosophie, der erhabenen Bauwerke der Antike, war Athen, ein kleiner griechischer Stadtstaat. Mit Athen verbinden wir die Akropolis, mit Amerika die Atombombe.“ [4] Lassen wir Pathos und Übermenschentum hinter uns und erkennen Charme und Lebensfreude des „Small is beautiful“ [5], denn im Grunde haben alle Menschen dieser Erde, ob in West oder Ost, Nord oder Süd, den einen, gleichen Traum:
„Ach, das könnte schön sein
Als friedlicher Bürger
Sein ehrbares Leben
So ganz auszukosten
Ach, das könnte schön sein
Ein friedlicher Bürger
Bei dem die Pistolen
Und Pateronen verrosten“ [6]
Dieses Bewusstsein wird uns helfen, fernab aller stolzen Strategien einen Weg des friedlichen Miteinanders zu finden. „The importance of living“ – Von der Wichtigkeit zu leben. [7] Dieses Buch hat der chinesisch-amerikanische Philosoph Lin Yutang 1937, am Vorabend des Zweiten Weltkriegs geschrieben. Wer im Angesicht eines drohenden nuklearen Zusammenstoßes der Supermächte immer weiter eskaliert, scheint diese elementare Botschaft vergessen zu haben.
[1] Siemens, Werner von (1916). Lebenserinnerungen, 10. Auflage S. 100. Verlag Julius Springer: Berlin.
[2] Thackeray, William (1848) Vanity Fair, Kapitel 62, S. 721 ff und Fußnote S. 812. Verwendete Ausgabe: Penguin Books: Hammondsworth: Middlesex.
[3] Borup-Nielson, Grå (2000) Sir Winston‘s speeches. Collected Essays. University Press of America: Lanham: Maryland, zitiert nach [6] S. 47.
[4] Nold, Stefan (2012) Small is beautiful in der Politik. Aus: Beerdigung Reifenwechsel Hochzeit, S. 144 -145. Justus von Liebig Verlag: Darmstadt.
[5] Schumacher, Ernst Friedrich (1973) Small is beautiful. A Study of Economics as if People Mattered. Blond & Briggs. Neue Ausgabe: 2011. Vintage: London.
[6] Neuss, Wolfgang und Wolfgang Müller (1958) Ach das könnte schön sein. Text: Willy Dehmel, Melodie: Franz Grothe. Lied aus dem Film: Das Wirtshaus im Spessart. Regie: Klaus Hoffmann, Drehbuch: Heinz Pauck, Liselotte Enderle. Produktion: Georg Witt. https://www.youtube.com/watch?v=J7s3z4PzY7o
[7] Yutang, Lin (1937) The importance of living. William Morrow: New York. Neuausgabe 1998 Quill: New York.
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Ohne Panzer, kein Komissbrot.
😉
bei
…ist dort alles in Butter?
habe ich aufgehört zu lesen…
eine Gegenfrage
ist bei uns alles in Butter um sich zu erlauben andere zu kritisieren?
geht es primär um Demokratie? in den USA haben wir eine imperiale Oligarchie und in der EU eine Abart der Demokratie weil sonst die Kommissionspräsidentin nicht mit dieser Macht in den Hintertüren ausgestattet wäre,
geschweige gewählt worden wäre.. und außerdem, in der Demokratie können unfähige Politiker die dem Volk schaden abgewählt werden…
„ habe ich aufgehört zu lesen…“
Sollte man schon in Gänze lesen, sonst gibt es kein Pumpernickel mit Frischkäse.😉
Schwer verdaulich aber Lesenswert.
wenn Parteien grundsätzlich IMMER ihre Wahl besprechen brechen und dann das Gegenteil von dem vom Volk gewünschten tun, wenn es mehr Lobbyisten in den Regierungsgebäuden als Politiker gibt, dann würde ich auch in Europa nicht von Demokratie sprechen.
Eine repräsentative Demokratie ohne direkt Mitsprache des Volkes ist eine Scheindemokratie, mit Volksherrschaft hat das gar nichts zu tun.
Jepp, aber Off Topic. Der Artikel dreht sich um Krieg und Gewalt. Ob Scheindemokratie oder offene Diktatur die Form der Gesellschaft ist, ist hier nachrangig. Der Artikel richtet sich an das Individuum und dessen Gewaltbereitschaft.
@Gottfried
“und außerdem, in der Demokratie können unfähige Politiker die dem Volk schaden abgewählt werden…”
Ja, Du darfst den Merz nächstes Jahr zum Kanzler küren aber unfähige Politiker abwählen wird Dir damit nicht gelingen, für den einen Unfähigen kommt ein noch Unfähigerer.
Prost und schönen Sonntag, träum weiter.
Siehe
Die Nieten festnageln
https://www.manova.news/artikel/die-nieten-festnageln
Auch ein schöner Artikel.👍
Jep, Perle der Artikel. 👍Jetzt muss man sich nur noch überlegen wie solch seltenes Lesegut auch bei der Maße der Bevölkerung landet.
Vielleicht sollte man sich mit ein paar white heads zusammentun, die deinen PC oder Smart Phone verschlüsseln aber anstatt Geld von dir zu erpressen, verlangen diesen Artikel zu lesen. Danach wird die Festplatte wieder entschlüsselt und freigegeben. Why not? Es herrscht Ausnahmezustand und dieser kleiner Streich wäre immer noch besser als Atomkrieg.
das ist schwierig, aber man muss es versuchen. Lieber etwas vergeblich tun als nix tuen.
Sie hätten weiterlesen sollen, der Artikel ist eine gute Sicht auf die Dinge des Lebens.
Bekanntlich liegt Deutschland in der gefühlten Mitte von Europa und die USA auf dem Nordamerikanischen Kontinent. Wenn nun ein geeintes Europa das Ziel ist, gibt es keinen Zusammenhang mit den USA. Eine NATO braucht keine amerikanisches Oberkommando und keine amerikanische Armee.
So undenkbar ein Krieg zwischen Frankreich und Deutschland ist (lang hat es gedauert) muß dies auch gen Osten werden. Die jetzigen Politiker im Verbund mit dem Interessen amerikanischer Oligarchen sind fehl am Platz und für die Völker gefährlich.
Aus den Leeren des Krieges in der Ukraine, würden Militärs von vorn herein taktische Atomwaffen einsetzen.
Das weitere kann man sich vorstellen, da wie in jedem Krieg die Militärs sich überschätzen und verspekulieren.
@Herr Korf
“So undenkbar ein Krieg zwischen Frankreich und Deutschland ist (lang hat es gedauert) muß dies auch gen Osten werden”
Ich stimme Ihnen zu, das hätte in den letzten Jahrzehnten schon längst geschehen müssen, spätestens jedoch ab 1990/1991
Der Krieg gen Osten fand ab 1990 in „Der“ BRD gegen „Neufünfland“ statt und ist noch nicht fertig. Er ging dann natürlich weiter… So als Aminazizäpfchen ist man ja weiterhin Übermensch gegen die Unwerten, die sich beugen müssen um einen kleinbürgerlichen Arsch zu küssen
schöner Penäleraufsatz von jemandem, der die Glaskugel im Kleiderschrank zu haben scheint. Wäre da noch die Chaostheorie: wenn an einem Ende der Welt Einer einen Furz lässt, kann am anderen Ende ein Haus einstürzen.
Sie weisen also jegliche Mitverantwortung von sich. Ich war´s nicht, das waren die Anderen?
Naja, vielleicht sind ja noch Kleinkind…
😜
Ja, ja und wenn stattdessen keiner dort zu einer gewissen Zeit einen Furz lässt, könnte dafür ein anderes Haus einstürzen.
ps. Für die Bemerkung zur “Chaostheorie” haben Sie sich ein Leckerli verdient (genauso wie derjenige, welcher den Satz über den Schmetterling im Zusammenhang mit der Chaostheorie verbreitet hatte, womit dann auch eine größere Menge von Personen zumindest den Begriff Chaostheorie kennen und meinen etwas damit anfangen zu können).
😉
“Aber Menschenrechtsverletzungen werden in den westlichen Moraltempeln nur thematisiert, wenn es uns in den Kram passt.”
Und genauso ist bei allen anderen Themen. Heute steht die Stichwahl in Moldawien an und Maia Sandu hat schon mal vorgesorgt. Nachdem der erste Wahlgang nicht nach Plan klappte, hat sie ein paar Leute aus der Wahlbehörde rausgeschmissen. Mal gucken, ob es geklappt hat mit der “gesanduten” Wahl.
Moral gibt es leider nur im Doppelpack, dabei gehen Wissen und Gewissen leider unter.
Wissen und Verantwortlichkeit sind halt dünn gesät.
Immer wieder muss man betonen: Dieses “WIR” ist nichts als eine Schimäre, ein vorgestelltes, von praktischer Vernunft geleitetes Ideal. Aber leider. Unsere “Herrschenden”, ob in Politik, Militär, Medien und auch in “der Wirtschaft” ticken ganz anders. Sie dienen willentlich ihren atlantischen Herren und wollen “uns” mitziehen. Ganz wenige opponieren, die meisten scheinen desinteressiert oder mucken erkennbar nicht auf.
Ja, leider gibt es kein „WIR“ mehr. Es wird Jeder gegen Jeden aufgehetzt und man merkt es erst wenn man selber dran ist.
Atomisierung halt.
Das WIR gibt es nicht mehr, seit die Menschen nicht mehr in Horden oder Sippen, sondern in größeren Strukturen leben. In denen gibt es Eliten, die den Staat , den Stamm für ihre Zwecke mehr oder weniger stark instrumentalisieren. Da passt es an den Peter Scholl-Latour zu erinnern, der sagte es gibt keine Demokratie, die Politik wird immer von aktiven Minderheiten gemacht.
Das sind, um zu ergänzen, regelmäßig die , die Genug Geld, Zeit, Macht und Fitness haben, und die auch regelmäßig nicht von den (negativen) Folgen ihrer Entscheidungen betroffen sind.
Dieses WIR global wird es also nicht geben, ist genetisch nicht angelegt. Das WIR auf der Clan-Ebene hat gut funktioniert auf der leeren Erde, Angesichts von 8-9 Milliarden führt es zu ständigen Zusammenstößen im Kampf um die schwindenden Grundlagen für ständig wachsende Prasserei und Völlerei. letztlich ist auch der Ukraine Krieg bei allen ideologischen Differenzen nichts weiter als ein Verteilungskampf. Wobei man aber fairerweise sagen muss, das es der Westen ist, der hier ständig anderen in den Fressnapf greifen will.
👍
“Seit Hunderten von Jahren haben wir Kriege geführt …” . Lässt sich das untermauern für die Zeit bis 1900? Und auch durch Vergleich mit anderen Ländern, etwa USA, GB, Frankreich und Spanien. Schneidet Deutschland da schlechter ab?
Möchten Sie als Deutsche(r) mal wieder besser sein als die Anderen?
Ich frage für einen isländischen Freund.