Polit-Homunkulus Deljan Peevski berserkert durch Bulgariens parlamentarische Demokratie

Protestkundgebung von Deljan Peevskis DPS-NN am 11. November gegen Vorwürfe von Wahlmanipulation: “Meine Stimme ist richtig”. Bild: Frank Stier

Versteht man unter einem Homunkulus ein mit alchemistischen Methoden künstlich geschaffenes Menschlein, so legen aktuelle Entwicklungen der bulgarischen Politik die Erweiterung des Homunkulus-Konzepts um die politische Beserker-Variante Deljan Peevski nahe. Der vierundvierzigjährige voluminöse Zwei-Meter-Mann ist eine Koproduktion zweier Polit-Ingenieure. Bulgariens einstiger Kinderzar Simeon von Sachsen-Coburg-Gotha und Ahmed Dogan, Ex-Agent Sava der kommunistischen Staatssicherheit und Gründer der Partei der bulgarischen Türken „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ (DPS), haben ihn zu dem gemacht, was er heute ist, der gnadenlose Wüterich in Bulgariens politischer Landschaft.

Zuletzt las Deljan Peevski der politischen Elite des Balkanlandes am 11. November anlässlich der konstituierenden Sitzung der 51. Bulgarischen Volksversammlung die Leviten. „Wenn sie nicht aufhören, sich über uns lustig zu machen, werden wir mit ihnen allen schmusen, so wie sie auf meinem Schoß gesessen sind!”, schrie er hysterisch und kryptisch ins Mikrophon zu einer rund eintausendköpfigen Protestmasse.

Busse hatten Peevskis Anhänger aus dem ganzen Land herangekarrt. Nun schwenkten sie in Sofias Dreieck der Macht zwischen Ministerrat, Bulgarischer Volksversammlung und Staatspräsidium blaue Fähnchen mit dem Logo seiner Splitterpartei DPS-Neuanfang (DPS-NN) und hielten Schilder in die Höhe, auf denen geschrieben stand: „Wir sind keine Phantome!“

Damit wollten sie zum Ausdruck bringen, dass die gut elf Prozent, die die DPS-NN bei den Parlamentswahlen am 27. Oktober 2024 auf sich vereinigt hat, von lebenden Stimmbürgern und Stimmbürgerinnen stammen und nicht etwa von gekauften Stimmen oder manipulierten Wahlprotokollen. „So friedlich wird es nicht bleiben“, rief Peevski seinen Sympathisanten von der extra für ihn errichteten Bühne zu und drohte seinem Intimfeind Staatspräsident Rumen Radev: „Das nächste Mal kommen wir ins Präsidium!“

Deljan Peevski auf der Kundgebung. Screenshot von BTA-YouTube-Video

„Wie ist es möglich, dass die sich häufenden Signale und Beispiele für gekaufte und manipulierte Stimmen für alle sichtbar sind, aber von den zuständigen Institutionen nicht wahrgenommen werden?“, hatte Präsident Radev zuvor die Ergebnisse der Parlamentswahl vom Ende Oktober 2024 kommentiert.

Von Radevs Worten fühlte sich Peevski offenbar angesprochen. Sein maßloser Zorn rührte aber auch daher, dass Boiko Borissov, Führer der rechtsgerichteten Partei „Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens“ (GERB), im Parlament eine Koalition mit Peevskis DPS-NN ausgeschlossen hatte.

Damit materialisierte sich der „Cordon Sanitaire“ um Peevski und seine Partei, den das Parteienbündnis aus „Wir setzen den Wandel fort” (PP) und „Demokratisches Bulgarien” (DB) zuvor gefordert hatte. Seit vielen Jahren wird Peevski großer Einfluss auf Bulgariens Rechtswesen und intime Nähe zu den Schalthebeln und Tröpfen der Macht zugeschrieben, doch jetzt scheint ihm die Abschiebung ins politische Abseits zu drohen.

Regierungsbildung schwierig

Aus den siebten Parlamentswahlen in dreieinhalb Jahren ging GERB erwartungsgemäß als stärkste politische Kraft hervor. Um achte Wahlen in  knapp vier Jahren für den März 2025 zu vermeiden, schlägt Boiko Borissov eine Viererkoalition vor aus GERB, den zweitplatzierten PP/DB, der „Bulgarischen Sozialistischen Partei” (BSP) und der populistischen Kleinstpartei „So ein Volk gibt es” (ITN).  Noch am Wahlabend schloss der GERB-Chef ein Bündnis mit den russophilen Nationalisten von „Vazrazhdane“ (dt. Wiedergeburt), der drittstärksten Parlamentsfraktion, aufgrund ideologischer Unvereinbarkeit aus. Mit acht Fraktionen ist das aktuelle Parlament fragmentiert wie noch nie. Mit dem offiziellen Wahlergebnis von 3,999% verfehlte die Partei „Velitschie“ (dt. Großartigkeit) den Wiedereinzug ins Parlament um einundzwanzig Stimmen.

Rechnerisch hätte Borissovs Viererkoalition eine bequeme Mehrheit; dass sie zustande kommt, ist dennoch zweifelhaft. In den ersten drei Sitzungstagen der ersten Parlamentswoche konnten sich die Abgeordneten nicht einmal auf einen Parlamentsvorsitz verständigen. Eine eventuelle Mehrheit für die Wahl eines Parlamentspräsidiums galt aber als Hinweis auf die Möglichkeit einer Regierungsbildung.

Boiko Borissov am Wahlabend in der GERB-Zentrale. Bild: Frank Stier

Wahlmanipulation durch Stimmenkauf oder kontrollierte Stimmabgabe

Seinen Beitrag zur fortschreitenden Fragmentierung des bulgarischen Parlamentarismus hat auch Deljan Peevski geleistet. Indem er sich Anfang Juli 2024 der Weisung des DPS-Ehrenvorsitzenden Ahmed Dogan widersetzte und für Boiko Borissovs Vorschlag eines GERB-Minderheitenkabinetts stimmte, spaltete er die DPS nach knapp fünfunddreißig Jahren. So warben mit Peevskis DPS-NN und Dogans „Allianz für Rechte und Freiheiten“ (APS) zwei DPS-Spaltprodukte um die Gunst der traditionellen DPS-Wahlklientel der bulgarischen Türken, Pomaken und Roma.

In einem programmatisch substanzlosen und müden Wahlkampf war die erbitterte Feindschaft zwischen APS und DPS-NN die einzige Intrige. Dass schließlich der im bulgarischen Volk unpopuläre Deljan Peevski mit seiner DPS-NN über vier Prozent mehr Stimmen holte als der unter den bulgarischen Türken verehrte Ahmed Dogan, musste den Verdacht wecken, manipulative Mittel könnten ein Wahlergebnis geschaffen haben, das zu gut ist, um wahr zu sein.

Wahlprotokolle zahlreicher Wahllokale in Roma-Vierteln weisen Stimmanteile für DPS-NN von hoch in den 90er-Prozentbereichen aus. Zudem dokumentieren Videoaufnahmen aus Wahllokalen handschriftliche Modifikationen von Wahlprotokollen.

Wahlmanipulation durch Stimmenkauf oder kontrollierte Stimmabgabe bspw. durch große oder institutionelle Arbeitgeber ist seit vielen Jahren eine vertraute Begleiterscheinung bulgarischer Wahlen. Dieses Mal scheint das übliche Maß aber derart überschritten, dass die Authentizität des Wahlergebnisses in Frage steht und damit die Legitimität 51. Bulgarischen Volksversammlung.

Mehrere Parlamentsparteien und die an der Vier-Prozenthürde gescheiterte „Velitschie“ haben das Verfassungsgericht angerufen, um die völlige oder teilweise Annullierung der Wahl zu erreichen oder zumindest eine Neuauszählung der Stimmen. Ein erneuter Wahlgang ist damit in Kürze möglich, unabhängig davon, ob das Parlament eine Mehrheit für eine Regierungsbildung findet. Doch selbst wenn es nur zu einer erneuten Überprüfung der Wahlprotokolle buw- Neuauszählung Stimmen käme, könnte sich die Mandatsverteilung verändern und die Zahl der Parlamentsfraktionen auf neun erhöhen.

Würde aber Deljan Peevskis DPS-NN Wahlmanipulation nachgewiesen, müsste dies seine politische Statur erschüttern. Mit seiner Drohung, er werde mit denjenigen „schmusen”, die ihm zuvor “auf dem Schoss gesessen”, hätten, spielte Peevski auf die Periode des letzten regulären Regierungsbündnisses aus PP/DB und GERB an. Bis zu ihrem Auseinanderbrechen im Frühjahr 2024 bemühte sich ihre erklärtermaßen euro-atlantisch orientierte Koalition um Reformen des Wahlrechts und des Justizwesens, für die es einer parlamentarischen Zwei-Drittel-Mehrheit bedurfte.

Um Peevski und seine Fraktion zur Zustimmung zu dafür notwendigen Gesetzesnovellen zu gewinnen, kamen Vertreter von GERB und PP/DB mehrfach in dessen Parlamentskabinett bei türkischem Kaffee und Whisky zusammen. Von einem „Cordon Sanitaire“ war damals keine Rede. Stattdessen schien Peevski so sehr in die politischen Vorhaben der Koalition involviert, dass er zuweilen wie ihr Regierungssprecher auftrat.

Politik sei ein „dynamisches Geschäft“, in dem sich die Positionen der Parteien und ihrer Führer änderten, rechtfertigte damals der PP/DB-Abgeordnete Daniel Lorer die Kooperation mit Peevski. Er gestand ihm eine Art „Katharsis“ zu, , so sei der DPS-Politiker „zu einem Wortführer für europäische Werte geworden, sowohl für seine Partei als auch für Bulgarien. Die Positionen, die er jetzt vertritt, sind dieselben, die auch wir verteidigen“, so Lorer damals.

Massenproteste gegen Peevski und die korrupte Oligarchie

Diese Einschätzung musste viele Anhänger der erklärten Anti-Korruptionspartei PP/DB schockieren. Immer wieder waren sie gegen Deljan Peevski auf die Straße gegangen, weil sie ihn zusammen mit GERB-Chef Borissov und dem inzwischen geschassten Generalstaatsanwalt Ivan Geschev zum Triumvirat des mafiösen Status Quo zählten (Bulgarischer Sommer). Peevskis sagenhafte professionelle Laufbahn schien ihnen der Beweis, dass eine korrupte Oligarchie den bulgarischen Staat gekapert habe.

Bereits im zarten Alter von einundzwanzig Jahren wird er von dem zum Ministerpräsidenten mutierten Ex-Zaren Simeon Sakskoburggotski zum parlamentarischen Staatssekretär berufen und bekommt damit die Aufsicht über Bulgariens größten Schwarzmeerhafen Varna. Mit dreiunddreißig wird der nach eigener Einschätzung „erfolgreiche junge Mann“ Direktor des wichtigsten Geheimdienstes „Staatliche Agentur für Nationale Sicherheit“ (DANS). Diesen Posten hält er indes nur für drei Tage, denn seine Ernennung löste die größten und andauerndsten Massenproteste seit dem Sturz des kommunistischen Regimes 1989 aus.

In den folgenden Jahren lässt er sich zwar stets für die DPS ins Parlament wählen, nimmt an Plenar- und Kommissionssitzungen aber nicht teil. Stattdessen kümmert er sich von Dubai aus um seinen Mischkonzern aus Medien, Handels- und Produktionsunternehmen. Im Jahr 2021 wird er für sein Lebenswerk vom US-amerikanischen Finanzamt mit Magnitsky-Sanktionen gewürdigt. Insbesondere darin sehen manche Beobachter den  Grund dafür, dass sich Peevski zuletzt von der Wirtschaft ab- und verstärkt der Politik zugewandt hat. Er hoffe, durch politischen Einfluss sich seiner Magnitsky-Sanktionen zu entledigen, heißt es.

DPS-Gründer Ahmed Dogan blickt inzwischen mit Bedauern und Sorge auf den von ihm geschaffenen Homunkulus Peevski und sagt: „Wir alle, auch ich, sind an diesem Phänomen schuldig. und wir müssen den Willen und die Kraft aufbringen, uns bei der Öffentlichkeit zu entschuldigen. Dieser Junge hat bereits sowohl die Demokratie im Land als auch die Staatlichkeit bedroht. Seit Jahren hat er sich im Namen der DPS en passent persönliche Positionen in der Justiz verschafft.“

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6 Kommentare

  1. Für mich sind das alles von der CIA geplante, finanzierte und von verblödeten Studenten (Auf den Unis lehrt man anscheinend nichts mehr anderes außer Ideologie) durchgeführte illegale Regierungsputsche an der Peripherie Russlands um Kanon Futter zur Zerschlagung Russlands zu requirieren, wehrend man zu Hause rührselig von “Russischer Wahleinmischung” schwadroniert.

    Das einzige das zerschlagen gehört ist der US depp state und sonst gar nix.

  2. Naja… wenn man es genau nimmt, dann ist das in DE auch nicht viel anders, oder?
    Mehrheitsbildung nach den nächsten Wahlen ??? Ein Drittel der Wählerstimmen sind von vornherien ausgeschlossen?

    Naja, wér weiss, vielleicht haben wir Glück und der mögliche grosse Krieg hat uns bis dahin schon erreicht und wir brauche eh keine Regierung mehr…

    PS Die für Demokratie zu blöden Bulgaren, werden übrigens bei dem Krieg nicht mitmachen…

    1. Nur ein Drittel? Angenommen, die nächste Wahl geht grob aus wie die Umfragen, dann fallen 15% unter den Tisch wegen 5%-Klausel, 8% wegen BSW und 19% wegen AfD. Das sind 42%, etwas mehr als ein Drittel.

      Stier schreibt seit fast 20 Jahren immer das Gleiche. Und solange keine stramme NATO-EU-Regierung stabil an die Töpfe kommt, wird sich das nicht ändern.

      1. “42%”

        Autsch.

        @Artikel: “Wahlmanipulation durch Stimmenkauf”

        Ähm – was ist das anderes, wie wenn die FDP als letztverbliebenen Programmpunkt noch Steuererleichterung für Reiche vertritt?

        Eben nur für Arme und vorab. Was für gewohnheitsmäßig betrogene Arme nicht ohne Fairness ist, solange die Wahlen weiterhin geheim sind.

  3. Antikorruptionsbehörde, ist ein Ableger damit noch mehr an der Korruption beteiligt werden.
    Und immer wieder wird der Staat als souverän hingestellt, diese Souveränität ist nicht existent, da der Wille aus Brüssel bestimmt wird und damit auch die Gelder.

  4. Soweit ich sehen kann, handelt es sich bei diesem ‘Polit-Homunkulus Deljan Peevski’ um einen auch hierzulande inzwischen völlig üblichen, rechtsradikalen Populisten, der zum Glück nur in Bulgarien wütet und hier dem Himmel sei Dank noch relativ unbekannt ist, sodenn er es nicht, wie Orban, in die EU schafft. Schafft er es in die EU, kann er dort maximalen Schaden anrichten und zu deren ohnehin geplanten Selbstauflösung beitragen. Schafft er das nicht, kann er immer noch der Blutinistischen Föderation beitreten und da könnte er als lokaler Warlord und Autokrat auch eine steile Verbrecherkarriere hinlegen, ohne sich von etwas wie dem hier davon abbringen zu lassen.

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