Neue Regierung schaltet den öffentlich-rechtlichen Nachrichtenkanal „TVP Info“ ab und entlässt die Führung von TVP, PiS-Poitiker und Anhänger protestieren im Sendegäude.
„Na, freuen Sie sich nun über die weißrussischen Verhältnisse“, fragt die TVP-Redakteurin einen Mann mit Kapuze und Smartphone am Stil. Der kontert: „Ihr seid es, die für weißrussische Verhältnisse sorgen, ich habe TVP Info verfolgt.“
Eine Szene vor dem Zentralgebäude des öffentlich-rechtlichen Senders TVP in Warschau am Mittwoch Mittag.
Polens Kulturminister Bartolomej Sienkiewicz hatte kurz zuvor erklärt, dass die Präsidenten von TVP, dem „Polskie Radio“ sowie der Nachrichtenagentur PAP abgesetzt sind. Darauf wurde der Nachrichtenkanal „TVP Info“, der noch am Mittwoch früh seine Fans zur Verteidigung des zentralen Sendegebäudes aufgefordert hatte, abgeschaltet, auch die Website ist nicht mehr zugänglich.
Denn dieser Kanal hat jeglichen Gegner der acht Jahre lang regierenden Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) mittels Propaganda schwer angegriffen. Allen voran den frisch gebackenen Premierminister Donald Tusk, der als Agent Berlins, Brüssels und Moskaus geschmäht wurde. Die in der vergangenen Woche vereidigte Regierung will nun nicht mehr den Attacken der nationalkonservativen Journalisten ausgesetzt sein.
Im Sejm wurde spät am Dienstag ein Beschluss mit dem Ziel verabschiedet, die „rechtliche Ordnung, die Unparteilichkeit und die Redlichkeit“ der öffentlich-rechtlichen Medien wieder herzustellen.
Diesen Beschluss sehen die PiS-Politiker jedoch nicht als bindend an. Denn es fehlt die Einbindung der beiden Medienräte, die auf Seiten der vorigen Regierung sind, zudem müsste ein neues Mediengesetz durch eine Unterschrift des Staatspräsidenten abgesegnet werden – auch Andrzej Duda entstammt der PiS und hat sich fast immer an die Linie dieser Partei gehalten.
Die Emotionen im Foyer des TVP am Mittwoch Vormittag sind entsprechend aufgeheizt.
„Weißrussische Verhältnisse!“ „Kriegszustand wie 1981!“ „Staatstreich!“ rufen die Gegner des Umbruchs und schreien die wenigen Befürworter der neuen Regierung als „Kommunisten“ an. „Das ist ein unrechtlicher Akt, einfach den Kanal einzustellen, ich will Pluralismus“, so die Rentnerin Barbara gegenüber dem Autor dieser Zeilen etwas differenzierter.
Politiker der PiS erscheinen und werden von den Journalisten aller Couleur abgefangen, ihr Vorwurf ist immer der gleiche – die Regierung Tusk begehe Unrecht, es sei ein „Putsch“, der Beschluss sei nicht rechtskräftig. „Unser Protest ist die Verteidigung der Demokratie“, erklärte PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski, der ebenfalls den Sender betritt. Zweimal marschieren Polizeikohorten in das Sendegebäude, der abgesetzte TVP-Präsident Mateusz Matyszkowicz soll sich in seinem Büro verbarrikadiert haben.
Ein junger Mann namens Viktor schreit immer wieder den PiS-Politikern zu, was sie zu dem 15-jährigen Mikolaj meinen. Mikolaj war der Sohn der damals oppositionellen Abgeordneten des Parteienbündnis „Bürgerkoalition“ (KO) Magdalena Filiks, der sich Anfang diesen Jahres aufgrund eines Beitrags des staatlichen “Radio Szczecin” das Leben nahm. Der Sender enthüllte, dass er von einem Parteikollegin der Mutter sexuell missbraucht wurde.
TVP Info erhielt die Unterlagen anscheinend illegalerweise von der Staatsanwaltschaft und gestaltete den Beitrag so, dass die Identität des Jungen offenbart wurde. „Es gab hierfür keine Strafe, und wenn diese Leute hier meinen, den Sender verteidigen zu müssen, dann muss ich etwas dagegen sagen“, sagte der 27-Jährige auf Anfrage, der Mikolaj persönlich gut gekannt hat.
Vermummte Polizisten sperren schließlich das gesamte Sendegebäude weiträumig ab und lassen niemanden mehr hinein.
„Wir wollen nicht die Methoden der PiS anwenden“, so Joanna Scheuring-Wielgus, die stellvertretende Kulturministerin im Sejm. Eine Anspielung auf die rasche Übernahme der öffentlich-rechtlichen Medien durch nationalkonservative Journalisten nach dem Wahlsieg im Jahr 2015.
Allerdings wirkten die rasche Übernahme von TVP, das Ausschalten ihres Nachrichtenkanals und das Polizeiaufgebot durchaus martialisch. Die Journalisten von TVP Info machen nun auf YouTube weiter.
Abends kommt es dann zum Gerangel zwischen Polizei und PiS-Abgeordneten, der ehemalige Regierungschef Mateusz Morawiecki spricht im Sender von einer „Vergewaltigung des Rechtsstaats“, was jedoch nicht mehr vom Staatsfunk, sondern den privaten Medien übertragen wird.
Die Nationalkonservativen stützen sich auf das (parteiische) Verfassungsgericht. Dieses hat in der vergangenen Woche auf Antrag der PiS eine Verlautbarung publiziert, die den Sender als Handelsgesellschaft vor Veränderungen schützen soll, um einer Auflösung vorzubeugen.
Die Regierung akzeptierte diese Verlautbarung nicht, in der Gruppe der fünf Juristen befinde sich eine Person, welche unrechtmäßig ins Verfassungsgericht berufen wurde, zudem sei der Status des Fernsehens nicht Angelegenheit dieses Gerichts.
Duda wirft der Regierung nun Rechts- und Verfassungsbruch vor. Tusk kontert kühl, es gebe eine „eiserne Entschlossenheit“, die Rechtsordnung wieder herzustellen.
Der PiS stehen weiterhin private Medien zur Seite, zudem ist von der Gründung eines neuen Senders mit den bald gefeuerten Journalisten von TVP die Rede.
Als nächstes Projekt für die Führung in Warschau wartet das Verfassungsgericht. Dort werden vermutlich bald drei Richter, die durch die PiS unrechtmäßig berufen wurden, sogenannte „Doubletten“, aus dem Gericht entfernt, doch die entscheidende Institution ist dann immer noch von nationalkonservativen Richterinnen und Richtern dominiert, welche ordnungsgemäß berufen worden sind. Eine weitere Herausforderung stellt der Landesrichterrat (KRS) dar, der die Richterinnen und Richter nominiert. Seine Besetzung wurde 2017, allein vom Parlament bestimmt, so dass dort ausschließlich nationalkonservative Kader sitzen. Dies gilt als ein Bruch der Verfassung.
Eine entscheidende Rolle spielt hier Staatspräsident Andrzej Duda, welcher Gesetzesänderungen mit seiner Unterschrift bestätigen muss. Die Regierungskoalition hat zwar eine Mehrheit im Sejm, diese reicht jedoch nicht aus, um das Veto des Staatspräsidenten zu überstimmen. Dabei wird der promovierte Jurist noch bis August 2025 im Amt sein. Und Duda hat seine Blockade bereits angekündigt.
„Jede fundamentale Veränderung braucht die Unterschrift des Präsidenten“, bekräftigt Adam Bodnar, Polens neuer Justizminister.
Donald Tusk kündigte eine „rasche und rücksichtslose“ Veränderung des Justizsystems an. Beides geht jedoch nicht.
Ob nun auch die rasche Übernahme der öffentlich-rechtlichen Medien rechtlich einwandfrei war, erschließt sich dem Autor dieser Zeilen nicht. Wird die neue Regierung, die aus dem Parteienbündnis „Bürgerkoalition“ (KO) unter Donald Tusk, dem christlich-agrarischen „Dritte Weg“ sowie der „Neuen Linke“ auf die resolute Pragmatik der Macht oder auf einen wirklich legitimierten Prozess setzen, der zurück zu mehr Rechtsstaatlichkeit führt?
In Europa ist dieser Prozess von besonderem Interesse, da viele westliche Regierungen und Medien Donald Tusk als das Gegenmittel zur Bedrohung des Rechtspopulismus feiern.
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Ganz nebenbei noch: auch die Führungen der polnischen Geheimdienste wurde quasi über Nacht ausgetauscht. Sicher ist sicher. Putin hört mit!
Es ist überall dasselbe: die liberale demokratie kann sich offenbar nur anti-demokratisch zur geltung verhelfen. Oder anders gesagt: der demokratie-kult offenbart seinen autokratischen ursprung je mehr er hochgehalten wird. Mensch rekapituliere nur die “Uhu”-Steinmeierreden der letzten jahre.
Fazit, eine EU der möchtegern autokraten ist demokratisch nicht herstellbar – weder bezüglich der medien noch wenn’s um milliardengeschäfte beim sogenannten C19-impfstoff geht, vom kriegswahn ganz zu schweigen…
“der demokratie-kult offenbart seinen autokratischen ursprung je mehr er hochgehalten wird.”
Ich rätsle seit Jahren, wieso die westlichen Gesellschaften so inniglich auseinander driften. Ich denke, dass einerseits das sichere Dasein der letzten Jahrzehnte ein Gefühl wachsen ließ, dass es nichts schadet, die eigene Haltung immer noch ein bisschen zu exaltieren, das aber in einem allgemeinen Klima des Gruppendenkens, das der Gegenseite zunehmend Daseinsberechtigung abspricht.
Bei den einen aus Langeweile geborene, bei den anderen aus vereinfachendem Denken entstandene emotionale Übersteigerung, ähnlich wie bei religiösen Fanatikern. Die Vernunft wird quasi bewusst unterdrückt, um einen gesellschaftlichen Unfall herbeizuführen, der als erlösender Durchbruch, als Eintritt ins nächste Existenzstadium angesehen wird, wie bei Religiösen das Himmelreich.
Individuen, die dem Schwarmdasein zuneigen, um sich von sehr ursprünglichen Gefühlen im Mob tragen zu lassen und alles weltlich und individuell Hinderliche damit zu überwinden hoffen.
Keine Ahnung, aber jedes Mal, wenn politische Personen, nachdem sie in eine herausgehobene Stellung gelangt sind, den Kameras als Siegespose mit ihren beiden Händen das Herz-Zeichen zeigen, sieht das für mich inzwischen aus wie der Radikale-Mitte-Edition-Hitlergruß und die nonverbale Ankündigung, dass man für Abweichendes keinen Platz lassen wird.
oder doch Ukrainische Verhältnisse auf beiden Seiten?
“Donald Tusk, der als Agent Berlins, Brüssels und Moskaus geschmäht wurde.” Was geht in den Gehirnen der Polen vor? Anscheinend kennen sie nur noch Feinde. Mir kommt das paranoid vor. Oder sind die einfach nur empört, dass keiner macht, was sie wollen? Eigentlich ist diese Position nur möglich, wenn sie aus EU- und NATO austreten, und trotzdem die Unterstützung der Ukraine und den Kampf gegen Russland fortsetzen, was wenig Erfolg versprechend wäre.
Ich bin beeindruckt, wie schnell die Bürgerplattform daran geht, sich zu revanchieren. Auch wenn ich mich nicht an alle Einzelheiten erinnere, so habe ich doch das Geschehen in Polen, der Heimat meiner Vorfahren, immer verfolgt und glaube mich zu erinnern, dass die PiS auch nicht zimperlich war, als sie die Medien gefügig machten. Es wird interessant sein, zu sehen wie das ausgeht. Die PiS ist noch nicht geschlagen und weil Tusk ein neoliberaler Irrer ist, darf man annehmen, dass unter seiner Regierung genau die Polen bluten werden, an denen ich sich diese Typen immer gütlich tuen. Das könnte angesichts der sich beschleunigenden Krise zur zweiten Chance für den überlebenden Monddieb werden.
Ich bin gewiss kein Leninist. Oder ich bin es nicht mehr. Aber angesichts dessen, wie Parlamentarische Demokratie weltweit erodiert, komme ich nicht umhin anzuerkennen, dass seine Analyse des bürgerlichen Parlamentarismus verdammt zutreffend war. Auch, wenn wir nichts besseres auf die Beine stellen konnten. Aber das ist ein anderes Thema.
In Polen können wir live miterleben, wie zwei zwei Richtungen bürgerlicher Herrschaftsansprüche um die Hegemonie kämpfen.
Nun ist es selbstverständlich Sache der Polen, darüber zu befinden, wer davon sie in Zukunft ausplündern darf. Mir sind die neoliberalen Asozialen der Bürgerplattform plus Anhängsel ebenso widerwärtig wie ihre Gegner. Wie der Machtkampf ausgehen wird, wage ich nicht zu prognostizieren. Meinen polnischen Freunden und Bekannten, eher akademisch gebildet, ist die PiS immer peinlich gewesen. Für sie galt, dass alles besser ist, als diese hinterwälderiche reaktionäre Brut. Aber das ist nicht Polen und Poznan ist nicht Mińsk Mazowiecki.
Man wird sehen.
Tusk und seine Bande waren aber auch kein Grund Stolz Pole zu sein als die das letzte Mal regiert haben. Die waren nur nicht so ungehobelt wir die PiS.
Aber in Polen gibt es wie auch anderswo nur Pest oder Cholera zur Auswahl. Tja. ¯\_(ツ)_/¯
Am Beispiel der polnischen “Systemumstellung” können unsere Spezialdemokraten sehen, wie die Vorarbeit der PIS jetzt den Nachfolgern zu Gute kommt. Die von der PIS durchgesetzten Verwerfungen im Staatsapparat werden übernommen – allerdings mit neuem Personal und in einer etwas anderen Ausrichtung. Warum sollten die bisherigen Maßnahmen auch alle Rückgängig gemacht werden? Das Regieren ist doch mit diesen “Verwerfungen” viel bequemer.
Warnung 🙂
Sollte es doch mal eine andere Fraktion in unserem Lande an die Regierung schaffen, bräuchten diese Leute auch nicht viel ändern, die gesetzlichen Grundlagen für alle “Spielarten” sind vorhanden. Personalwechsel, und schon geht alles ohne Mühe seinen gesetzlichen Gang.
Ja, ich finde es auch immer irgendwo zwischen faszinierend und beängstigend, wie fantasielos Politiket sein können. Die meisten können sich nicht vorstellen mal nicht mehr an der Macht zu sein. Wenn dann die von ihnen verabschiedeten Gesetze gegen sie eingesetzt werden, weil wer anders an der Macht ist, ist das Geheule wieder groß und das hat ja niemend gewollt. Tja.
Dass unsere Politiker die Vorarbeit leisten, sag ich ja auch schon ne ganze Weile.
Viele unserer internen Maßnahmen und Praktiken zur Bekämpfung der AfD ermöglichen es dieser, sobald sie an die Macht kommt, den Spiess umzudrehen. Und dazu braucht man nicht mal neues Personal, viele hängen ihr Mäntelchen ohnehin nach dem Wind.
Wie immer es kommen mag, weiß ich natürlich auch nicht. Aber das der Vorrat an schmierigen Opportunisten in Deutschland unerschöpflich ist, davon konnte ich mich 89/90 selbst überzeugen. Dabei hatten die, die sich damals ins Zeug warfen, um die neuen Herren zu überzeugen, dass es keine Überzeugung gab, auf die sie nicht bereitwillig verzichten würden, noch Pech. Es wurden von ihnen nicht so viele, und schon garnicht an wichtigen Stellen, gebraucht Man hatte im Westen genug eigene Opportunisten, auch die von der ganz schmierigen Sorte, die man exportieren konnte. Und Versager sowieso. Wer es nicht glaubt, kann mal überprüfen, wer den Polizeieinsatz in Lichtenhagen führte.
Und beim Übergang von der Republik zum Tausenjährigen Reich konnten die Nazis, vor allem in der Justiz, auf willige Helfer rechnen.
Das klappt beim nächsten Mal wieder. Das klappt immmer.