Die Nationalkonservativen versuchen die Regierung unter Donald Tusk zu blockieren. Diese wehrt sich mit brachialen Methoden.
„Wir müssen die große Schlacht um ein unabhängiges und souveränes Polen gewinnen“, erklärte Jaroslaw Kaczynski, der Chef der nun oppositionellen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) vor einem Menge mit rotweißen Fahnen. Die Demonstranten werden von den Veranstaltern des „Protests der freien Polen“ auf 300.000 geschätzt, die Stadt Warschau spricht von 35.000.
Hier beginnt schon die Teilung zwischen den beiden Lagern. Die PiS, welche bei den Wahlen am 15. Oktober nach acht Jahren Regierung keine Mehrheit bilden konnte, sieht die Rechtsstaatlichkeit in Polen in Gefahr. Ihre Gegner argumentieren, dass die PiS ihrerseits mehrfach die Verfassung gebrochen habe. Gegen Polen laufen darum mehrere Rechtsstaatlichkeitsverfahren von der EU-Kommission.
Der Protest vom Donnerstagabend richtet sich gegen die Übernahme der öffentlich-rechtlichen Medien durch das Kulturministerium und die Inhaftierung von zwei rechten Politikern.
Vor allem der Nachrichtenkanal TVP Info war ein Instrument der PiS-Regierung, der knapp acht Jahre lang mit Hetze und Herabwürdigung gegen die Gegner der Nationalkonservativen vorging. Bereits am 20. Dezember, eine Woche nach der Vereidigung der neuen Regierung, entließ der Kulturminister die Führung von Fernsehen, Radio und Agentur. TVP Info wurde das Sendesignal abgestellt.
Dies führte zu Protesten. Als dann der PiS-nahe Staatspräsident Andrzej Duda als „Revanche“ den Haushaltsvorschlag für die Medien nicht unterschrieb, wurden diese in ihrer Rechtsform aufgelöst. Dies bedeutet, dass das Kulturministerium über das Personal entscheiden kann, ohne den „Nationalen Medienrat“ beachten zu müssen, der von der PiS aufgestellt worden war.
Als „Gegenkanal“ bleibt noch „TV Republika“, ein Sender, in dem das nationalkonservative Lager weiterhin vor Tusk als Agent Deutschlands, der EU und des Kremls warnt.
Eine entscheidende Figur ist Andrzej Duda. Er amtiert noch bis August 2025 und kann die Gesetzesentwürfe der Regierung blockieren. Auf Seiten der PiS ist auch das Verfassungsgericht, ein Teil des Obersten Gerichts, der Landesrichterrat sowie weitere Institutionen.
Somit droht ein rechtliches Chaos. Die Regierung kann nun Richtersprüche ignorieren, wenn Juristen unrechtmäßig gewählt wurden oder wenn diese sich auf Gesetze berufen, welche nach Meinung von Experten gegen die Verfassung oder gegen andere Gesetze verstoßen.
Dolumentenfälscher oder politische Gefangene?
Ein komplexer Fall ist derjenige um Mariusz Kaminski und Maciej Wasik, zwei Politiker (ob sie noch Abgeordnete sind, gilt als umstritten), welche sich seit Dienstag Abend in Haft befinden und von dem gesamten nationalkonservativen Lager als „politische Gefangene“ tituliert werden.
Kaminski und Wasik verantworteten an der Spitze des Inlandgeheimdiensts CBA eine Falle, die sie 2007 wohl im Auftrag der damals regierenden „Recht und Gerechtigkeit“ dem unbequemen Koalitionspartner Andrzej Lepper von der Partei „Selbstverteidigung“ stellten. Dessen enge Mitarbeiter wurde von Agenten, getarnt als Schweizer Geschäftsleute, mit fingierten Dokumenten Bestechungsgelder angeboten. Die Sache flog auf, die PiS verlor die Neuwahlen und Kaminski wie Wasik wurden nach langem Hin und Her 2015 zu einer Gefängnisstrafe wegen Dokumentenfälschung verurteilt. Noch bevor die Urteile rechtskräftig wurden, begnadete sie der im selben Jahr der frisch zum Präsidenten gewählte Andrzej Duda.
Vor allem Kaminski ist eine wichtige Person des nationalkonservativen Polens und ein Vertrauter von PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski. Zuletzt bekleidete er das Amt des Innenministers wie des Ministers für Geheimdienstkooperation – eine gewaltige Machtfülle, nach der ein starker Absturz folgte.
Nach Amtsantritt der liberaleren Koalition unter Donald Tusk kam die Sache Ende Dezember erneut vor Gericht – zwei Jahre sollten sie weggesperrt werden. Die Begnadigung wurde von dem Gericht nicht anerkannt, da sie vor dem rechtskräftigen Urteil ausgesprochen wurde.
Laut Parlamentspräsident Szymon Holowania sei somit das Abgeordneten-Mandat erloschen. Duda wie das Verfassungsgericht waren anderer Meinung, ein Gericht bestätigte das Erlöschen der Immunität jedoch am 8. Januar und übergab der Polizei die Haftbefehle.
Dies führte am folgenden zu grotesken Szenen. Als die Polizei Maciej Wasik und Mariusz Kaminski von zu Hause abholen wollte, waren diese im Präsidentenpalast zu einer Feier eingeladen und lächelten neben Duda vor einem patriotischen Schlachtengemälde in die Fernsehkameras.
Die Polizisten, welche den Präsidentenpalast belagerten, warteten ab, bis Andrzej Duda sich im zweiten Präsidentenpalast „Belvedere“ mit weißrussischen Oppositionellen traf und führten die beiden Politiker in Handschellen vor einem großen Medienaufkommen aus dem Palast. Als Duda davon Wind bekam, wollte er zurückfahren, jedoch wurde die Ausfahrt von einem Stadtbus blockiert, der vorgeblich eine Panne hatte.
Somit wird klar, dass die Regierungskoalition aus dem liberal-konservativen Parteienbündnis „Bürgerkoalition“ (KO) dem christlich-agrarischen „Dritten Weg“ sowie der „Neuen Linken“ auch vor robusten Methoden nicht zurück schreckt. Auch das Motiv „Vergeltung“ kann durchaus eine Rolle spielen, nicht jeder ehemalige Oppositionelle, welcher die Hetze aushalten musste, ist frei davon. Wohl auch nicht Donald Tusk.
Nun ist das nationalkonservative Lager und vor allem Duda maximal gedemütigt.
Störpotential der PiS
Der Präsident strengt ein Begnadigungsverfahren an, das jedoch lange dauern kann. Erwähnt sei zudem, dass ehemalige CBA-Agenten zu „singen“ beginnen, so dass weitere Urteile gegen das Duo folgen können, welches sich gerade im Hungerstreik befindet.
Sollte sich der Konflikt zuspitzen, so hat der 51-jährige Duda im Verbund mit dem nationalkonservativen Lager zwei Optionen, Neuwahlen zu bewirken. Die PiS könnte die verhafteten Ex-Parlamentarier nicht ersetzen, so dass der Sejm als unvollständig gilt, dies gebe dem Staatsoberhaupt die Handhabe, das Parlament aufzulösen. Der promovierte Jurist Duda kann auch den Haushaltsbeschluss der Regierung zur Überprüfung an das PiS-nahe Verfassungsgericht weiterreichen, wenn dieses eine Frist verstreichen lässt, müssen ebenfalls Neuwahlen ausgerufen werden.
Vermutlich würde die PiS jedoch durch das verursachte Chaos keine neuen Wählerstimmen gewinnen, zumal nun das Propaganda-Instrument „öffentlich-rechtliche Medien“ fehlt.
Doch auch die Politiker der „Bürgerplattform“ (fusioniert mit dem „Modernen Polen“ zur „Bürgerkoalition“) muss aufpassen. Denn zu Fall brachte sie unter anderem die „Arroganz der Macht“ und die Sozialversprechen der PiS.
Angst vor dem Abstieg
Bei der Protestveranstaltung waren vor allem ältere Menschen dabei, welche neben der Wut über die Deklassierung ihrer „PiS-Welt“ auch Ängste auf die Straße treibt. Eine ältere Dame mit einer kleinen polnischen Fahne in der Hand, will den Autor dieser Zeilen über die Auflösung des Rentenfonds OFE unterrichten. Während der zweiten Amtszeit von Tusk 2013 seien damals Gelder veruntreut worden. Geld, das ihr schmerzlich fehle. Sie selbst hatte eine gute Position im Druckereigewerbe, wäre jedoch wegen der kranken Tochter auf Heimarbeit angewiesen gewesen. Dabei seien Rentengelder nicht eingezahlt worden, noch im Sozialismus. Später sei ähnliches bei einer Arbeitsstelle einer Botschaft geschehen. Umgerechnet bleiben ihr zweihundert Euro im Monat.
„Und da Sie aus Deutschland sind, also, wir wollen nicht, dass …“ Sie lässt den Satz unvollendet und beschwert sich über die Dominanz der EU – für die PiS stecken Berlin und Brüssel unter einer Decke.
Im Allgemeinen sind die Menschen freundlich, wenn man sie als deutscher Reporter anspricht. „Das ist ein Putsch“, meint ein Mann mit dem Vornamen Andrzej, 62 Jahre alt, der das Transparent „Schluss mit der Tyrannei“ hält. „Ich schäme mich, dass so etwas in meinem Land passiert.“ Auch der Busfahrer, der extra aus Lodz gekommen war, glaubt an bösen Einfluss von außen. „Jemand will uns entzweien.“ Es brauche eine wirkliche Dekommunisierung.
Die EU sei eine Kolchose. Schlimm sei, dass die vielen älteren Menschen, die den Krieg noch erlebt haben, bei Kälte und Schnee auf die Straße müssten.
Viele Aussagen mögen verdreht und weltfremd erscheinen, doch die kommenden wirtschaftlichen Probleme, welche zu der Staatskrise hinzukommen und die Älteren trifft, sind konkret. Immerhin erzielte die PiS die meisten Stimmen. Mit ihren Wählern muss das Regierungslager ins Gespräch kommen.
Nicht, das ich Wert darauf lege, als großer Prophet zu gelten. Wenn ich ehrlich bin, tauge ich als Wahrsager so überhaupt nichts. Aber, dass es zu früh ist, die PiS abzuschreiben, war mir klar und ich habe es wohl auch schon unter einem Text des Autoren gepostet.
Ich vermute, dass der Autor eher der Bürgerplattform zugetan ist, als den rechtskonservativen Irren der PiS. Ich denke eher an Pest und Cholera.
Wo ich ihm aber vollständig zustimmen, ist sein Fazit, wodurch Tusk und die seinen den Weg für die Monddiebe ebneten: Arroganz der Macht. Ohne die und die neoliberale Verwüstung, bei der die zurecht fast untergegange polnische Linke – zeitweilig auch in der Regierung – mitmachte, wäre es wahrscheinlich nicht zur Regierung der PiS gekommen.
Ich weiß nicht, ob die Bürgerplattform tatsächlich mit den Verlierern der Modernisierung ins Gespräch kommen wird. Ich glaube nicht mal, dass sie es will. So wie ich den vorliegenden Text verstehe, will sie Pflöcke einschlagen.
Ach so, in unseren offiziell lizenzierten Wahrheitsmedien stand seit fast einem Jahrzehnt, dass Tusk der Gute ist. Man mag es mir glauben oder nicht – er ist es nicht. Überhaupt nicht.
Oh Radio Maryja,
daß treue Volk hat Entzugserscheinungen erhöht die Opium abgaben!
Kommt noch die Auflösung dessen , was du zum Ausdruck bringen willst?
Ich vermag es nicht mal zu ahnen.
Hallo 1211
Die Polen und die Ungarn haben sich immer gestritten wer die Lustigste Barracke in Kommunismus hatte.
Heute haben wir in den Ländern nur noch Neokonservative, Neoliberale oder Marktradikale die ihre Seelen an den nächst besten PONTUS verkaufen.
Der Ungarische Volksaufstand oder die Solidarność die letzten Endes, zur Auflösung des gesamten Warschauerpakt geführt haben. Wo sind die alle abgeblieben, die Mal für die Freiheit und gegen die Kommunistische Tyrannei standen?
Wo nur?
Ja, die Einschätzung teile ich.
“Wo sind die alle abgeblieben, die Mal für die Freiheit und gegen die Kommunistische Tyrannei standen?”
Die haben sich der Freiheit der individualistischen Tyrannei ergeben, dem Kapitalismus.
👍
“Viele Aussagen mögen verdreht und weltfremd erscheinen, doch die kommenden wirtschaftlichen Probleme, welche zu der Staatskrise hinzukommen und die Älteren trifft, sind konkret. ”
Da schau her, die Polen sehen sich “kommenden wirtschaftlichen Probleme(n)” gegenüber. Wo kommen die bloß her. Haben diese ihren Ursprung etwa in den polnischen Sanktionen Russlands und der Ukrainepolitik der EU?
Dann wäre es egal, wer in Polen regiert. Sanktionen möchten Tusk und sein wunderbarer Aussenminister Sikorski mindestens genauso gerne wie die PIS und bestimmt auch den Rüstungshaushalt für eine 300.00 Mann Armee. Wenn man es hat……
ich würde eher die Schlagzeile bevorzugen…
“EU vor der Staatskrise” und zwar weil die EU von der NATO “gekapert” wurde… es geht in allen Entscheidungen nur um die Interessen der USA/NATO und nicht um die Interessen der EU Bürger… es fehlt nur noch die Schengen für die NATO, damit auch die CIA zum zuge kommen kann…
einziger der es bisher verinnerlicht hat ist der ungarische Ministerpräsident Orban und der slowakische Ministerpräsident Fico… weil
https://www.youtube.com/watch?v=bDmSg1MZ_co
der Rest der nicht mitmachen möchte ist erpressbar… das ganze Gebilde beruht nicht auf Vertrauen sondern auf Misstrauen- und das sind katastrophale Zustände wie im 18-19. JH in den Kolonien, haben mit der “angeblichen” Demokratie überhaupt nichts zu tun… es reichen kleine Hinwise…
https://de.everand.com/book/550683801/Die-CIA-und-das-Heroin-Weltpolitik-durch-Drogenhandel
Das lässt nichts Gutes für Polen erahnen. Es muss ja nicht unbedingt zum Bürgerkrieg kommen, aber wenn ein Land auf Jahre mit Kämpfen untereinander beschäftigt ist, kann das nur zum Abstieg führen (siehe USA) und evtl. eine Einigung versucht werden durch Kriege in anderen Ländern.
Deutschland scheint mir zwar noch nicht ganz so gespalten wie Polen oder die USA zu sein, aber auch hier nehme ich immer verfestigtere Filterblasen wahr, die jeweils glauben im Besitz der Wahrheit zu sein.
Den Mainstream gibt es schon länger als Filterblase. Seit dem Ukraine-Krieg und dem Gaza-Krieg verfestigt sich aber auch eine weitere hermetisch abgeschlossene Filterblase bei den transatlantisch-konservativen: Hierzu würde ich Welt, NZZ, Kontrafunk, Tichy Einblick und Achgut zählen. Immer wenn ich mal in eines der Medien in den letzten Monaten schaue, kommt es mir wie ein Blick in ein Paralleluniversum vor.
Jetzt kann man nur hoffen, dass sich nicht auch auf linker Seite (Nachdenkseiten, Telepolis usw.) nicht ebenfalls eine Verhärtung bilden wird. Gefährlich sind aus meiner Sicht nicht die sehr unterschiedlichen Einschätzungen, Analysen und Lösungsideen, sondern die hermetische Abschottung in Filterblasen.
Falls die AfD zusammen mit der Werteunion irgendwann an die Regierungsmacht kommen sollte, kann ich mir eine ähnliche “Reinigungsaktion” wie in Polen hier ebenfalls vorstellen, in der die hermetisch abgeschottete aktuelle Mainstream-Sicht durch eine hermetisch abgeschottete rechtskonservative Sicht ersetzt würde, aber nichts besser wäre.
Tusk ist ein neoliberaler Globalist, und als solcher hat er die Interessen der großen Konzerne wie des großen Geldes im Auge. Von beiden mangelt es in Polen, sodass die Aussage “für die PiS stecken Berlin und Brüssel unter einer Decke” nicht falsch sein kann. Die PIS-Regierung hat zweifellos Polen wirtschaftlich vorangebracht, mit vielen öffentlichen Investitionen (auch dank EU-Transfers), auch die Wirtschaftsdaten sind relativ gut.
Das Problem der PIS, wie aller Rechtspopulisten: Sie betrachten die EU (und Deutschland) als Gegner weil sie von Deutschen dominiert wird, also aus nationalistischen Gründen, und nicht aus primär wirtschaftlichen Gründen, weil Deutschland und die EU über das Geld verfügen und deshalb bestimmen können. So ist das aber im Kapitalismus, Geld regiert die Welt. Und dagegen hilft in der Tat nationale Souveränität. Nur wird die PIS für Polen keine Souveränität erreichen können indem sie sich an die Angelsachsen hängt.