Im polnischen Außenministerium wurde ein lukrativer Handel mit Arbeitsvisa betrieben, die Regierung versucht nun, den Fall kleinzureden und geht im großen Stil zum Angriff auf die Opposition über.
Die Affäre kann der Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) die Wahl am 15. Oktober kosten. Nach tagelangem Schweigen trat Außenminister Zbigniew Rau am Montag endlich vor die Mikrophone. Er entschied sich für die arrogante Tour. „Eine Kaskade an Fake-News“ seien die Berichte über die Visa-Affäre, sagte er scheinbar selbstsicher am Montag gegenüber den Medien. Es seien nur 200 solcher Fälle gewesen.
Michal Szerba und Dariusz Jonski, zwei Oppositionspolitiker des Parteienbündnisses „Bürger-Koalition“ (KO), welche Einsichten in Unterlagen haben, behaupten, dass Außenminister Zbigniew Rau über die Praktiken informiert gewesen sei. Ein entsprechendes Dokument wurde von ihnen publiziert.
Sie gehen von 350.000 solcher Fälle aus. Bis zu 5000 Dollar pro Kopf gezahlt sollen verlangt worden sein, so Recherchen der Zeitung „Gazeta Wyborcza“, welche die Praktiken aufgedeckt hat.
Als Hauptakteur gilt der ehemalige Vize-Außenminister Piotr Wawrzyk, den die Regierung Ende August geräuschlos, ohne Angaben konkreter Gründe, feuerte und ihn auch von der Wahlliste strich. Er soll sich seit Freitag im Krankenhaus im kritischen Zustand befinden. Der 55-Jährige habe einen Abschiedsbrief hinterlassen, wonach er unter dem Vorwurf als „bestechlicher Mensch“ nicht weiterleben wolle, er habe niemanden geschmiert und wollte nur dem Vaterland dienen. Nach Angaben der Opposition habe der Nationalkonservative jedoch Druck auf Diplomaten in Asien ausgeübt, die Visa auszustellen.
Einer der Strippenzieher des Visa-Business, ein Mittzwanziger, sitzt derzeit in Haft. Es ist bislang jedoch unklar, wer alles in der Regierung von dem Treiben profitiert hat, wer davon wusste und wer letztlich der Initiator war.
„Das ist die größte Affäre Polens im 21. Jahrhundert“, meint jedenfalls Oppositionschef Donald Tusk.
PiS stellte sich als Bollwerk gegen die illegale Migration dar
Das Prekäre – die nationalkonservative Regierung unter Mateusz Morawiecki verkaufte sich im Wahlkampf und auch Jahre zuvor als Bollwerk gegen die illegale Migration.
Darum wird auch die Führung in Warschau gegen das EU-Migrationspaket zeitgleich zum Urnengang abstimmen lassen. Die PiS lehnt es sowohl ab, Asylsuchende aus den überlasteten Ländern Italien und Griechenland aufzunehmen, als auch zum Ersatz eine Gebühr an diese EU-Mitglieder zu entrichten.
Bei der Flüchtlingskrise im Herbst 2021 errichtete Polen einen über 400 Kilometer langen Zaun, der gegen Migranten aus Nahost und Afrika schützen sollte, welche von Belarus die grüne Grenze überschreiten wollten. Der belarussische Präsident Aleksander Lukaschenko hatte diese mit dem Versprechen eines Transfers in den Westen in sein Land gelockt. Durch Kälte, Ertrinken und andere Umstände sollen seitdem 50 Menschen an der Grenze gestorben sein.
Medien zeigen Aufnahmen von langen Wartereihen junger Männer vor der polnischen Botschaft in Nigeria – Menschen also, gegen welche der lange Zaun eigentlich errichtet worden ist.
Das Visa-Geschäft sei nach polnischen Medienberichten innerhalb des Außenministeriums „außer Kontrolle“ geraten. Die Vielzahl der Visa sollen schließlich die Dienste aus Deutschland und Schweden alarmiert haben, die sich mit Beschwerden an die polnischen Behörden wandten. Dies sind die Länder, in die viele Migranten einreisen wollen.
Als besonders bemerkenswertes Beispiel der Affäre gilt das angebliche Durchschleusen des Außenministeriums von Indern, die sich als „Bollywood“-Filmteam getarnt hätten und via Polen, Spanien und Mexiko über die grüne Grenze in die USA gelangten.
Doch nicht alle Migranten wollen weiter. In den letzten Jahren hat sich das Straßenbild polnischer Städte verändert. Es sind mehr Schwarzafrikaner und Inder zu sehen, die Jobs als Pizza-Auslieferer oder in der schnell wachsenden IT-Branche haben. Wer Uber nutzt, sollte Russisch können, da die Fahrer zumeist aus Georgien, Aserbaidschan oder Usbekistan kommen
Hinzu kommen die Ukrainer – doch hier gelten Sonderregeln, das Land hat sich Kriegsflüchtlingen geöffnet, über drei Millionen wohnen bereits in Polen, die Hälfte soll nach der russischen Invasion gekommen sein. Es sind die offiziell einzigen Migranten jenseits der EU, welche an der Weichsel wohlgelitten sind.
Skandal mitten im Wahlkampf
Das Regierungslager reagiert bislang mittels der These von allein 200 unerlaubten Visa mit Herunterspielen des Skandals, der auf Polnisch mit „Haracz“ beschrieben wird, was soviel wie „Wucher“ oder „Schutzgeld“ bedeutet. Gleichzeitig wird mit erhöhter Aggression die Opposition angegriffen.
Im jüngsten Wahlspot der PiS ist zu hören, dass die 2007 bis 2015 regierende Bürgerplattform (PO) in Kooperation mit Brüssel eine nicht limitierte Zwangszuweisung von Migranten gewollt habe. Richtig ist, dass die Vorgängerregierung unter Ewa Kopacz, der Nachfolgerin von Donald Tusk, 2015 eine Verpflichtung für das Aufnehmen von 7000 Flüchtlingen aus den Lagern in Griechenland und Italien abgegeben hatte, welche die PiS 2016 wieder rückgängig machte.
Doch es geht vor allem um Emotionen – der Staatsfunk vermittelt bereits, dass die Opposition aus Polen ein zweites Lampedusa machen wolle.
In den Umfragen führt die PiS weiterhin, wobei die Prognosen stark schwanken, das Parteienbündnis KO, das aus der Bürgerplattform (PO) und der liberaleren Partei „Modernes Polen“ (N) besteht, liegt manchmal um die Hälfte zurück, dann wieder nur um wenige Prozentpunkte.
Der Skandal hat durchaus europäische Tragweite. Sollten sich die hohen Zahlen bestätigen, hätte das polnische Außenministerium die EU-Außengrenze im Osten für Profit löchrig gemacht. Löcher, durch die rein theoretisch auch Terroristen schlüpfen können.
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Wenn Wolodymyr auf genau die gleiche Idee kommt, sind die Taurus Abstandswaffen bestimmt schon morgen ausgeliefert. Und die Trägerflugzeuge mit dem nötigen Personal gibt es noch als Zugabe.
Von der Anwendung der chinesischen Methode
hat man in deutschen Medien kaum etwas vernommen.
Es wäre noch interessant zu wissen, wo die Inhaber der Visa sich letztendlich aufhalten.
Schwieriges Fahrwasser für die Polen. Zu dem Getreidezoff mit der Ukrai kommt nun also noch diese Sache, natürlich rechtzeitig vor der Wahl, ist das aber auch ein Zufall. Auf jeden Fall kommt, selbst wenn man die mutmaßliche Anzahl halbiert und vom Maximalpreis die Hälfte nimmt, eine schöne Stange Geld zusammen. Interessant wäre noch der Zeitraum, in dem dieses Geschäft gelaufen ist.
Wahrscheinlich werden mit einem Teil des Schmiergelds doch nur der Zaun und die zurückprügelnden Grenzer bezahlt, die dafür sorgen sollen, dass jeder, der über Polen in die EU will, auch schön Schmiergeld zahlen muss!
+++Ja, die Regierung steht unter Druck. Vor allem aber, weil viele Polen die Unterstützung der Ukraine “satt” haben. Morawiecki kündigt jetzt sogar den kompletten Stop irgendwelcher Waffenlieferungen an die Ukraine an+++
Am 15.10. sind in Polen Sejm-Wahlen. Der PiS droht der Verlust der Mehrheit. Die Kiew-skeptische, nationalistische “Konföderation” könnte ihr Ergebnis von 2019 verdreifachen und bei 15% landen.
Die harte Haltung Warschaus in der Frage des Importverbots für ukrainisches Getreide ist nicht nur den unmittelbaren Interessen der polnischen Landwirte, sondern auch der allgemeinen Stimmung in der Bevölkerung geschuldet. Präsident Duda hat versucht diese aufzufangen als er erklärte, die Ukraine gleiche einem Ertrinkenden, der die Retter mit in den Abgrund reist. Der im EU-Massstab sensationelle Waffenlieferungs-Stop wird von Morawiecki zwar mit der Notwendigkeit, auf die eigene Verteidigungsfähigkeit zu achten, begründet. Aber auch in diesem Fall sind die wachsenden anti-ukrainischen Stimmungen in der Gesellschaft massgeblich.
@ Görlitzer
Der angebliche Sinneswandel der PISS dürfte schon der anstehenden Wahl geschuldet sein. Wenn der PISS-Wolf Kreide frisst bleibt abzuwarten ob das polnische Stimmvieh das derzeitige Bauerntheater honoriert. Ob die Pseudoalternativen es allerdings anders als die PISSoiren bisher machen würden/werden bleibt zweifelhaft. Die polnische Polit-Kriegs-Ampel steht auf olivgrün. Egal was die Wähler/ Kanonenfutter denken.
Die Polen haben traditionell ein kritisches Verhältnis zu ihrer Obrigkeit und sind auch heute weit weniger “Stimmvieh” als die Deutschen.
Aber “Polen stellt Waffenlieferung an Ukraine ein” ist natürlich eine Sensationsmeldung. Dass was Morawiecki exekutiert, darf in Deutschland nicht einmal ein Hinterbänkler fordern, ohne zugleich von der versammelten Medien-Meute als Putin-Freund diffamiert zu werden.
“Löcher, durch die rein theoretisch auch Terroristen schlüpfen können.”
Seltsamer Schlusssatz. Sind es nicht gerade die Leute mit Geld, die sich bspw. ein Visa kaufen können, jene, die am wenigsten Ärger darüber empfinden, dass man Beamte schmieren kann?
Bei Polen und Terrorismus fällt mir die S300-Rakete ein, die die Ukrainer nach Polen geschossen haben, um einen Nato-Bündnisfall nach Artikel 5 auszulösen.
https://www.n-tv.de/politik/Zwei-Tote-bei-mutmasslichen-Raketeneinschlaegen-in-Polen-article23720748.html
“Wer Uber nutzt, sollte Russisch können”.
Wer Uber nutzt, sorgt dafür, dass Teile unseres Landes in den Stand der Dritten Welt gestoßen werden- also dorthin, wo sich Teile der USA sich seit langem befinden.
Wer noch Kontakt zu Menschen des Billiglohnsektors hat, weiß, dass diese Aussage richtig ist. Wer solchen Kontakt nicht hat, möge schweigen.
Vor ein paar Monaten wurde Polen als der europäische Aufsteiger tituliert, wie schnell man fallen kann?!
350000 Fälle von manipulierten einreisen, na das hat was, vor allem für so eine stramme Partei.
Sollte dieses Ausmaß zutreffen, dann gehe ich von Kräften aus, die das inszeniert haben über die übliche Korruption.
Leider hat das in vielerlei Hinsicht ärgerliche Konsequenzen, denn Polen wäre tatsächlich dann Staat der die europäischen Werte zu tiefst missachtet hat, oder sind es diese selbst die die Verantwortung dafür tragen?
Hat man eigentlich EU-seitig die Daten der (angeblich) 350 000 Fälle von Polen verlangt?