Olaf Scholz und die Frage der Souveränität Deutschlands

Bild: lienyuan lee/CC BY-SA-3.0

Ohne die USA will Scholz keine Kampfpanzer an die Ukraine liefern. Zeigt sich hierin Deutschlands Folgsamkeit oder der Versuch einer Wahrung von eigenen Interessen?

Mein letzter Artikel endete mit der These, dass der Streit innerhalb der Regierungsparteien über die Lieferung von Leopard-2-Panzern nur simuliert, tatsächlich aber die Entscheidung hierzu bereits gefallen sei. Ich habe mittlerweile Zweifel. Die Entscheidung mag gefallen sein, der Streit aber ist nicht simuliert. Der enorme Druck, der außenpolitisch, innenpolitisch und medial gegen Bundeskanzler Olaf Scholz aufgebaut wird, spricht dagegen.

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht konnte dem Druck offensichtlich nicht standhalten und wirft das Handtuch. Dabei scheint es weniger um die Entscheidung zur Lieferung von Kampfpanzern selbst zu gehen, als vielmehr um die Frage, wer bei diesem gefährlichen Schritt, der Europa noch näher an eine direkte militärische Konfrontation mit Russland heranführt, die Führung, d.h. die Verantwortung tragen soll. Nicht nur Polen erhöht den Druck auf Deutschland, die Ukraine behauptet laut ntv, dass seit dem Sommer 2022 bereits hundert ukrainische Soldaten erfolgreich eine Ausbildung an den Leopard-Panzern in Deutschland absolviert hätten. Die Fraktion der Grünen plant für den 18. Januar eine Abstimmung im EU-Parlament, mit der Scholz explizit dazu aufgerufen werden soll, ein europäisches Konsortium zu bilden, bestehend aus Ländern, die bereit sind, unverzüglich Leopard-Panzer an die Ukraine zu liefern. (Bereits im Oktober letzten Jahres hatte das EU-Parlament für eine EU-Initiative zur „Lieferung fortschrittlicher Waffensysteme wie der Leopard-Panzer“ gestimmt.). Auch innenpolitisch wird der Druck, begleitet von anfeuernden Medien, verstärkt. „Nur Mut“, Herr Kanzler,“ schreibt etwa der Focus:

„Vor Russland brauchen Sie keine Angst zu haben…Was auch immer Deutschland liefert…, die Russen werden nicht ‚eskalieren‘ – nicht gegen Deutschland, nicht gegen Europa, nicht gegen die Nato. Und weshalb? Weil sie es nicht können, sie sind zu schwach dazu, wofür der bisherige Verlauf des Ukraine-Kriegs der schlagende Beweis ist. Vor diesen Russen braucht man keine Angst zu haben.“

In wessen Interesse liegt die Ausübung dieses Drucks auf Deutschland? Die USA liefern selbst  keine M1 Abrams, aus technischen Gründen, heißt es. Ein wichtiger Grund dürfte aber auch sein, dass man es Europa überlassen will, das Risiko und die Folgen einer Eskalation des Kriegsgeschehens zu tragen. Hinzu kommt ein Aspekt, auf den der Leser Russischer Hacker hinweist: „Eine großartige Gelegenheit für russische Armee und Luftwaffe NATO Technik im Gefecht zu testen und wertvolle Erfahrungen zu sammeln. Mit etwas Glück gelingt es vielleicht sogar, das eine oder andere Exemplar zu erbeuten um es ausgiebig zu studieren…“  Auch das könnte ein Grund sein, weshalb die USA bisher die Lieferung eigener MI Abrams ablehnen.

Man kann davon ausgehen, dass Scholz und seine Berater um die Gefahr, dass Deutschland auch durch einen solchen ungewollten Technologietransfer geschwächt würde, wissen. Ist das Jein zur Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine also beides? Ausdruck von Deutschlands Abhängigkeit von den USA und gleichzeitig – in dem Beharren darauf, dass die USA mit der Lieferung von Kampfpanzern vorangehen sollen, – Ausdruck des Bemühens, die eigenen Interessen zumindest nicht vollständig den US-Interessen unterzuordnen?

Ich sage: „nicht vollständig“. Denn spätestens mit dem Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines stellt sich die Frage, wie groß Deutschlands politischer Handlungsspielraum (etwa auch für eine  diplomatische Initiative zur Beendigung des Krieges) angesichts der mit dem Anschlag einhergehenden energiepolitischen Abhängigkeit von den USA überhaupt noch ist. Treffend stellt  der Ökonom Hans-Werner Sinn unter Verweis auf den unmittelbar nach dem Anschlag verfassten Tweet des Europa-Abgeordneten und früheren polnischen Verteidigungs- und Außenministers Radoslaw Sikorski („Thank you, USA“) fest: „Hier geht es auch um die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland.“

Das zeigt auch die oben genannte EU-Resolution vom 06. Oktober, in der nur kurz nach dem Anschlag auf die Pipelines für die vollständige Stilllegung beider Nord-Stream-Pipelines („to be completely abandoned“) gestimmt wurde. Damit hat man Überlegungen, die Pipelines zu reparieren (wie es aktuell Sachsens Ministerpräsident Kretschmer für Nord Stream 1 fordert) oder die Gaslieferung durch den noch intakten Strang von Nord Stream 2 fortzusetzen, wie es Russland angeboten hatte, einen Riegel vorgeschoben. Dass das EU-Parlament hiermit in der Hauptsache über Deutschlands Energieversorgung bzw.-infrastruktur abgestimmt hat, ist schon ein bemerkenswerter Vorgang, auch wenn Nord Stream 1 nicht nur Deutschland mit Gas versorgte.

Zur Frage der Souveränität hat auch Wolfang Streeck, Soziologe und emeritierter Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln, eine interessante These vorgetragen. In einem unter dem Titel „The end of german empire“ auf YouTube veröffentlichten Interview sagte Streeck vor einigen Monaten, dass ein eigenständiges Europa ohne eine wie auch immer geartete Einigung mit Russland nicht denkbar sei. (Das ist inhaltlich also die Umkehrung der gegenwärtig weit verbreiteten Auffassung, wonach nur durch die komplette Loslösung von Russland Europa sich die politische Unabhängigkeit bewahre). Je länger der Ukraine-Krieg dauert, desto stärker werde die Abhängigkeit Europas von den USA.

Im Ergebnis laufe es laut Streeck sehr wahrscheinlich auf die Aufteilung des eurasischen Kontinents in zwei Einflusssphären hinaus, in eine US-amerikanische und eine chinesische, wobei Europa in Zukunft in seiner Bedeutung auf die Stufe einer bloßen US-Hilfstruppe in der großen Auseinandersetzung gegen China herabsinken werde. Streeck führt als Beispiel die erstmalige Teilnahme der deutschen Luftwaffe im letzten Jahr an einer Übung im Indo-Pazifik an:

„Ein seltsames Schauspiel, das darin bestand, dass fünf Eurofighter der deutschen Luftwaffe den ganzen Weg nach Australien fliegen, um ihre Gefolgschaft gegenüber den USA zu zeigen… Fünf Flugzeuge, was komplett symbolisch war…Und das ist für mich eine symbolische Demonstration, dass Deutschland und der westliche Teil des europäischen Subkontinents sich zu einer Hilfstruppe für die Vereinigten Staaten entwickeln für die bevorstehende Konfrontation mit China.“

Dass Scholz trotz erheblicher Kritik im November mit einer Wirtschaftsdelegation nach China gereist ist und sich überdies die Möglichkeit offen halten will, die Geschäftsbeziehungen mit Russland nach dem Krieg wieder aufzunehmen, könnte allerdings darauf hinweisen, dass er das von Streeck beschriebene Szenario noch abzuwenden versucht.

Scholz wirkt auf mich janusköpfig, sehr viel schwerer zu durchschauen als eine Baerbock oder ein Habeck, über dessen Angebot einer dienenden Führungsrolle Deutschlands („Je stärker Deutschland dient, umso größer ist seine Rolle“) man in den USA hocherfreut ist.

Das Ramstein-Treffen Ende der Woche wird zeigen, ob Scholz dem Druck standhalten kann oder ob er ihm nachgibt und nicht nur die Lieferung der Leopard-Panzer genehmigt, sondern sich dabei auch in die, nennen wir es ruhig so, dienende Führungsrolle drängen lässt.

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28 Kommentare

  1. Das ist das Dilemma: Was soll Scholz tun, falls er wirklich noch mehr Hemmungen hat als seine grünen Kriegstreiber-Koalitionäre? Wenn er den Grünen und Gelben (igitt!) kündigt und es stattdessen wieder mit den Schwarzen versucht, ist er in der gleichen Situation. Ein Merz versucht in Bezug auf Kriegstreiberei die Grünen noch zu überholen. Ausserdem wäre Scholz bald wieder nur Juniorpartner.
    Scholz hat die Hauptfehler vorher gemacht, er ist „hineingeschliddert“, worin die Deutschen so gut sind. Eine Partei wie seine Partei, die einen Ex-Schröder beinahe ausschließt, nur weil der für einen vernünftigen Umgang mit Russland ist (ebenso wie Pierre de Gaulle, der Enkel des Großen) gehört kaum noch in den Bundestag. Das hat sie mit fast allen übrigen Parteien gemein.

    1. Sie haben Recht, die Hauptfehler sind vorher passiert, ganz am Anfang. Er hat versäumt, eine eigenständige deutsche Position zu entwickeln und festzulegen: z.b.humanitaere Hilfe en masse, aber Waffenlieferungen ausgeschlossen. So kann er jetzt nur noch schliddern oder den punching ball spielen, und JETZT ist ein Ausscheren aus dem US-„Masterplan“ nicht mehr möglich.

      1. Ach was. Ausscheren ist immer möglich. Man muss es wollen, sich breit in den Wind stellen (der vermutlich Orkanstärke erreichte) und die eigne Position stark machen. Immerhin hätte er die halbe Bevölkerung auf seiner Seite.

        Oder man kann sich stets den herrschenden Winden anpassen, das kostet natürlich viel weniger Kraft…

        1. @zack: Aussscheren ist immer möglich.
          Sie und ich, wir würden es tun! Aber nicht die Regierenden, die haben nicht die Statur dazu.
          Außerdem sind die korrupt.

    2. Nein, Scholz ist nirgendwo hineingeschlittert. Als Vizekanzler unter Merkel war er an der aktiven Vorbereitung des Heute führend beteiligt. Nach dem völkererechtswidrigen wirtschaftlichen Krieg gegen Russland wollte er nun auch den militärischen. Sein Auftritt im Kreml im Februar 2022 war dann seine „Krönung“ zum Kriegskanzler.
      Ihm ist ebenso wenig zu trauen, wie allen anderen Kriegstreibern. Und in Rammstein wäre alles andere als eine völlige Kapitulation vor den USA eine Riesenüberraschung.

  2. „[…]Auch innenpolitisch wird der Druck, begleitet von anfeuernden Medien, verstärkt. „Nur Mut“, Herr Kanzler,“ schreibt etwa der Focus:

    „Vor Russland brauchen Sie keine Angst zu haben…Was auch immer Deutschland liefert…, die Russen werden nicht ‚eskalieren‘ – nicht gegen Deutschland, nicht gegen Europa, nicht gegen die Nato. Und weshalb? Weil sie es nicht können, sie sind zu schwach dazu, wofür der bisherige Verlauf des Ukraine-Kriegs der schlagende Beweis ist. Vor diesen Russen braucht man keine Angst zu haben.“[…]“

    1941 läßt grüßen – Hitlers Schreiber hätten es nicht treffender sagen können als der Focus-Schreiber – das deutsche Herrenmenschentum, dass spätestens vor 80 Jahren in Stalingrad (das heutige Wolgograd) sein Anfang vom Ende nahm ist wieder da.

    Ob Kanzler Scholz Janusköpfig ist wage ich zu bezweifeln, der Mann ist ein US-Vasall vom Feinsten. Die Entscheidung moderne Panzer an den anderen US-Vasallenstaat, Selenskys Ukraine, zu liefern fällt spätestens beim Treffen mit dem Chef-Verteidungsminister Deutschlands Herrn Austin, aus Gods Own Country, oder einem erneuten Telefonat mit dem Boss des Imperiums Herrn Biden.

    Sollte der berühmte „russische Winter“ erneut zuschlagen, wie damals bei Hitlers Invasionsarmee in der UDSSR, sind wir diesmal wenigstens auf der Seite der vermeintlich „Guten“ Verlierer aus den USA.

    Es gibt noch andere Meldungen aus der NATO-Ostfront, die deutschen Landsern bekannt vorkommen müßten, die ukrainischen Landser verlieren nämlich durch „Erfrierungen“ Gliedmaßen – „Die Sturmtruppen“ Hitlers lassen grüßen…..

    Zynische Grüße
    Bernie

    1. Ja, ein bisschen deja vu, deutsche Panzer in der Ukraine, wie auch damals von angloUSZionist Banken finanziert, nazideutschland als US Proxy gegen die Sowjets, nur es kam anders als geplant..könnte sein das Olafchen nicht ganz geschichtsvergessen ist, denn er sollte wissen, das, wenn er die rote Linie mit Waffenlieferungen überschreitet, USNato abgestimmt egal wie, und die heutige RF auf NATO deutsche Lande zurückschlägt, dann werden nicht RF Panzer gen Westen rollen, sondern ein paar unhaltbare Raketchen vom Feinsten der RF Kriegskunst werden NATO Basen wie Rammstein und Rüstungsbetriebe wie Rheinmetall in Minuten plätten , das war’s dann wohl..wer sich in Gefahr begibt, kommt darin meistes um, vielleicht weiß sogar das ansonsten dümmlich grinsend vergessliche Olafchen auch noch…

    1. Ein Artikel der Nachdenkseiten: es wird immer gruseliger.

      Der Jurist und Physiker Alexander Unzicker hatte kürzlich Verfassungsbeschwerde gegen die Ausbildung von ukrainischen Soldaten in Deutschland eingelegt, unter anderem, weil dieser Akt Deutschland (noch eindeutiger) zur Kriegspartei gegen Russland machen könnte. Nun hat das Verfassungsgericht diese Beschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Nachzulesen auf den Nachdenkseiten.

    2. Der verlinkte Artikel ist absolut lesenswert. Ich hatte immer schon das Gefühl, dass sich dieser Krieg zumindest auch gegen Deutschland richtet. Boris Johnson hat mit seinem 3-Meere-Bündnis einen Keil in die EU getrieben. Wahrscheinlich war der Brexit schon Teil der englischen Initiative gegen Deutschland.
      Deswegen muss ich auch lachen, wenn es heißt, Deutschland solle die Führung übernehmen. Unter Merkel war das vielleicht noch angebracht, aber jetzt? Deutschland hätte eher dem Westen den gestreckten Mittelfinger zeigen sollen. Da man mit so etwas gerechnet hat, haben die USA Nordstream gesprengt oder sprengen lassen. Und VdL begeht Landesverrat, ihr Ehrgeiz ist ihr wichtiger als alles andere. Scholz dagegen weiß, dass Deutschland sich in einer bescheidenen Lage befindet. Die Energieabhängigkeit von den USA wurde wiederhergestellt. Wenn Deutschland nicht mitspielt, wird der Hahn zugedreht.
      Ich gehe davon aus, dass man Deutschland morgen in Ramstein zur Lieferung von Leopard II zwingen wird, während die USA hinterm großen Teich sitzen, keinesfalls Abrams liefern und Europa und damit uns opfern. Das kommt davon, wenn man sich von denen abhängig macht. Wir müssen tatsächlich massiv aufrüsten – um selbständig zu werden. Dauert aber Jahrzehnte. Ob wir die noch haben?
      Ich hoffe nur, dass die Leopard II erst lieferbar sind, wenn dieser Krieg zu Ende ist.

  3. Nicht Europa, sondern Deutschland will man das Risiko und die Folgen einer Eskalation des Kriegsgeschehens überlassen, der Druck wird ganz explizit nur auf Deutschland ausgeübt, die ukrainischen Politdarsteller und ihre willigen Kriegstreiber-Freunde adressieren inzwischen nur noch Deutschland mit ihren erpresserischen Forderungen. Ich höre jedenfalls keine Forderungen an Belgien oder Portugal. Ich weiss nicht, ob die Bundesregierung oder Teile von ihr verstanden haben, dass Deutschland in einen heissen Krieg gepresst werden soll oder ob das Offensichtliche nur verdrängt wird oder ob inzwisches alles völlig egal ist. Die bisher recht zurückhaltende Rhetorik Russlands gegenüber Deutschland lässt jedoch darauf schließen, dass die Russen dieses Spiel von Anfang an durchschaut haben und zwischen Deutschland und Russland noch eine Art „Gentlemen’s agreement“ existiert. Nur das allein dürfte für die existentiellen Interessen eines Landes, Deutschlands, nicht ausreichend tragfähig sein.

  4. Am 20. Januar sind wir alle schlauer ob der Scholzomart die Cojones hat NEIN zu sagen. Oder vielleicht ist Er ja der Nächste der um seinen Rücktritt bittet. Und was die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland angeht; „Third Party Rule im Ernstfall der Nord Stream 1&2“ ist doch die Ehrlichste und die Wahrhaftigste Antwort auf die Frage der inneren/äußeren Souveränität.

    ¡¡ Souveräne Staaten können frei und unabhängig über die Art der Regierung, das Rechtssystem und die Gesellschaftsordnung innerhalb ihres Staatsgebietes bestimmen >innere Souveränität. Das Völkerrecht postuliert die Unabhängigkeit und Gleichheit aller Staaten in den internationalen Beziehungen als die >äußere Souveränität !!

  5. an dieser Stelle noch mal der Hinweis – zugegeben schon oft zitiert – denn es war bereits im April:

    Noam Chomsky vs. Bill Fletcher zur Frage der „Angst“ der Bündnispartner vor den USA aka „Souveränität“.

    ab TC 29:40
    https://www.youtube.com/watch?v=68Rh1tKx98k

    Bill Fletcher versteht nicht, warum Chomsky sagt, die USA steckten hinter dem ganze Mist, wenn doch FRA/BRD gegen einen NATO-Beitritt der Ukraine votiert hätten. Und also die Russen sich auf die Zusagen FRA/BRDs hätten verlassen können.

    Chomsky widerspricht dem und stellt die USA als Willkürmacht dar, die sich ggf. über diese Zusagen hinwegsetzen würde.

    (Diese Feststellung ist jetzt vielleicht nicht mehr so besonders, aber rückblickend interessant, weil danach die Pipeline-Affäre folgte, die z.B. die Souveränitätsabsprachen in eklatanter Weise falsifiziert hat. Und freilich manches mehr.)

    Streeck hat glaube ich, den obigen Gedanken auch bei New Left Review niedergelegt, schriftlich dort:
    ich glaube es war dieser Text:

    „Means of Destruction“
    by Wolfgang Streeck, 02 July 2022

    https://newleftreview.org/sidecar/posts/means-of-destruction

  6. Ich denke, die Skrupellosigkeit der USA wird von vielen noch immer unterschätzt. Dem Establishment dort sind Opfer in millionenfacher Zahl gleichgültig, das ist bereits bewiesen.

    Was, wenn es hier einen weit größeren Plan gibt, als Russland schwächen? Die USA unterhalten unzählige gut bestückte Militärbasen auch in Europa. Während die Europäer ihre Arsenale zügig leeren, landen große Mengen US Militärgerät in Europa an. Wenn die Gesellschaften Dank des wirtschaftlichen Harakiris kollabieren und die Arsenale der Europäer leer sind, weil sie in der Ukraine schneller vernichtet werden, als man produzieren kann, WER wird dann wohl für Ordnung sorgen? Und wer wird sich dagegen nicht wehren können mangels Material? 50.000 US Soldaten allein in Deutschland sind eine Besatzung, keine Schutztruppe.
    Was, wenn es den USA als verdecktes Ziel darum geht, Europa als Ganzes zu kolonisieren? Möglichst ohne größere Verluste an Infrastruktur und Industriekapazität? Erst destabilisieren und dann Ordnung schaffen.
    Gegen China und Russland können die USA alleine nicht bestehen. Ein unterworfenes und militärisch gegen jede Souveränitätsbestrebungen abgesichertes Europa würde die Möglichkeiten der USA gehen China und Russland deutlich verbessern.
    Die Führer der USA seit dem zweiten Weltkrieg haben mehrfach bewiesen, dass sie auch ihre eigene Bevölkerung skrupellos opfern oder für Experimente nutzen. Aktenkundig.
    Welche Hemmungen sollten sie haben, Europa und seine Bevölkerungen durch die Hölle zu schicken?
    Strategisch würde die Übernahme Europas durch die USA kurz bis mittelfristig Sinn ergeben, wenn das langfristige Ziel die Konfrontation von Russland und China ist.

    1. Warum wird Deutschland an die Front geschoben, warum soll Deutschland plötzlich eine „Führungsrolle“ spielen, warum gibt es eine Zeitenwende, warum ist Kriegsgeilheit wieder geil, weshalb soll gerade Deutschland die Panzerfrage entscheiden, warum sollen wir auf Wunsch der USA mehr Munitionsfabriken bauen, warum wichtige Sitzungen ausgerechnet auf deutschem Boden in Ramstein?

      Darüber mache ich mir schon länger Gedanken. Ich sehe hier die Absicht der USA, Deutschland quasi zum europäischen Brückenkopf des bevorstehenden großen militärischen Konfliktes mit China/Russland/Indien umzubauen. Eventuelle Gegenreaktionen sollen nach Deutschland kanalisiert werden, der „Feind“ soll sich auf Deutschland konzentrieren. Und dann können die USA dort helfend eingreifen, ohne ihr eigenes Land zu schaden.

      Manchmal habe ich auch das Gefühl, Putin soll bis zum Einsatz einer taktischen Atomwaffe provoziert werden, womit man ihn (und Russland) dann endgültig von der Landschaft zu tilgen gedenkt, denn dann sind sie die ultimativ Bösen, die jede Art von Gegenwehr rechtfertigt. Die Toten in Europa nimmt man in Kauf, wie auch bereits jetzt tausende Ukrainer und Russen sterben „dürfen“, während Schreibtischstrategen aus der Sicherheit heraus nach immer schwereren Waffen rufen und bei denen noch nicht einmal sehr sicher ist, ob sie den Krieg wirklich entscheiden können.

      Hierzu passende Gedanken auch von Sevim Dagdelen in der Berliner Zeitung:
      https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/ukraine-krieg-waffen-lieferung-leopard-gastbeitrag-bundestagsabgeordnete-sevim-dagdelen-die-linke-deutsche-panzer-gegen-russland-die-folge-waere-eine-eskalation-li.307422

      1. „Manchmal habe ich auch das Gefühl, Putin soll bis zum Einsatz einer taktischen Atomwaffe provoziert werden, womit man ihn (und Russland) dann endgültig von der Landschaft zu tilgen gedenkt, denn dann sind sie die ultimativ Bösen, die jede Art von Gegenwehr rechtfertigt.“

        Wenn Russland atomar angegriffen wird, stirbt die ganze Welt, nicht nur der, der die Rakete oder das Flugzeug auf die Reise schickte. Das wiederholte die russische Führung zig-Mal.

        1. Das sehe ich ja auch so, ich halte einen einen begrenzten atomaren Krieg für eine Fiktion.
          Es gibt allerdings nicht nur in Amiland Denkfabriken, die taktische atomare Kriege für führbar halten und bei denen begrenzte atomare Schläge als Optionen der Kriegsführung auftauchen. Atomare Verseuchungen und abertausend Tote werden in Kauf genommen werden, solange geglaubt wird, dass das alles den eigenen Interessen dient, das eigene Land verschont bleibt und sich der Schaden auf (vielleicht) kleine Teile Europas begrenzen lässt. Auf wichtige Panzerlieferanten beispielsweise. Amerika will übrigens keine Panzer liefern, die sind angeblich zu teuer und zu kompliziert…

  7. Der erwähnte FOKUS-Kommentar macht Angst ! Da hat sich offensichtlich ein potentieller Schreibtischtäter ausgekotzt, sinngemäß : „Immer feste drauf, der Russ ist schwach und kann sich nicht wehren !“
    Ich habe mir den Autor des erwähnten „Focus-Artikels“ – soweit mittels Internet möglich – mal genauer angeschaut : Er ist – so wie ich – „Enn Jung vom Niederrhein“, allerdings aus der Goebbels-Stadt Mönchengladbach und ca. 8 Jahre älter als ich.
    Haben ihm seine Eltern und Großeltern nicht vermitteln können, was „Krieg“ bedeutet ?
    Eitel scheint er zu sein, denn er präsentiert sein grinsendes Kriegstreiber-Konterfei im Netz.
    Und es scheint ihm wichtig zu sein, seine edlen Gene zu verstreuen : 5 Kinder hat er gezeugt !
    Es wäre interessant zu erfahren, wie viele Jungs dabei sind, und ob der Vater es begrüßen würde, wenn diese an der neuen Ostfront für FOKUS, Volk und Vaterland ihr Leben lassen würden.
    Schwarz-Braun ist nicht nur die Haselnuss, sondern auch meine Heimatregion !

  8. Premierminister der Niederlande Mark Rutte scheint die US-Amerikanische Sicherheit wichtiger zu sein, als die seines eigenen Landes bzw. Europas und verzapft krude Theorien:

    Atlantic Council´s Tweet fast es so zusammen:
    History teaches that if Putin could get Ukraine, it won’t end there, says @MinPres
    Mark Rutte.
    „I’m not going to say there are analogies between him and Hitler… But there is one analogy, and that is with Munich ‘38.”
    “For me, that analogy is absolutely there.”
    “If Russia would be able to get a control, a grip, a Finlandization of large parts of Europe, that would immediately impact to collective security and safety of the United States.”

    Twitter Tweet Atl. Council:
    https://twitter.com/AtlanticCouncil/status/1615471540115578906
    Das ganze Interview für die, die es sich antun möchten:
    https://www.atlanticcouncil.org/event/a-conversation-with-mark-rutte/

    Möchte er damit ausdrücken, dass es Zeit für einen WWIII sei um die Welt vor Russland zu beschützen?

  9. Das sind in der Tat krude Theorien. Es kann durchaus sein, dass der Westen versucht, Russland bis zum Äußersten zu provozieren. Russland wird sich hüten, ein NATO-Land anzugreifen, Grund genug hätte Russland längst gehabt, waren doch die Engländer am Angriff auf die Kertsch-Brücke beteiligt, werden Geheimdienstdaten geliefert, sind Militärangehörige in der Ukraine aktiv. Die Russen wollen keinen offenen Krieg mit der NATO, auch wenn sie wissen, dass sie sich im Krieg mit der NATO befinden. Was Rutte da von sich gibt, ist also Propaganda. Und auch Verrat am eigenen Volk, wenn er es in den Krieg ziehen will.

    1. „Es kann durchaus sein, dass der Westen versucht, Russland bis zum Äußersten zu provozieren. Russland wird sich hüten, ein NATO-Land anzugreifen..“.

      Allerdings wird sich Russland mit Sicherheit eine Welt wünschen, in der Russland enthalten ist. Sollten die Russlandvernichtungsfantasien der westlichen Politiker Ausmasse annehmen, dass Russland sich vor die Wahl gestellt sieht, eine Welt mit oder ohne Russland – ich glaube nicht, dass Russland aus Höflichkeit Selbstmord begehen wird, um die westliche Welt nicht weiter zu stören. Nüchtern betrachtet sind die Kräfteverhältnisse einfach mal so, dass wenn Russland untergeht, wir mituntergehen werden.
      Wenn ich mir das heutige Kriegsgegeifere anhöre und die eventuellen Krim-Rückeroberungspläne der USA überlege, rasen wir mit hoher Geschwindigkeit auf diesen Punkt zu. Das wäre dann Zeitenende statt Zeitenwende.

      1. „ … – ich glaube nicht, dass Russland aus Höflichkeit Selbstmord begehen wird, um die westliche Welt nicht weiter zu stören.“
        Das war wohl die schönste Formulierung die ich in Zusammenhang mit diesem grausamen Krieg gelesen habe. Mit Ihrer Sprachgewandtheit @Eyjafjallajökull könnten sie es ja glatt mit Puschkin aufnehmen.

        Zurück zum Ernst der Lage:
        Ich stimme Ihnen zu @Skeptiker @Eyjafjallajökull
        Die Provokationen haben die rote Linie mehrfach überschritten. Darauf wetten was Russland machen wird oder nicht ist ein gefährliches Spiel.

        Das eigene Land durch fahrlässige Provokationen und Propaganda in Gefahr zu bringen oder gar in einen Krieg hineinzuziehen, bezeichne ich definitiv als Verrat und da schließe ich unsere deutsche kriegstreiberische Politikerbande, UvdL & Co mit ein.

        Noch (Betonung auf noch) habe ich etwas Hoffnung in den neuen Verteidigungsminister. Ich hoffe er kann seine Landsleute etwas bremsen und zur Vernunft bringen. Welche Schiene er genau fährt wird sich wohl erst in den nächsten Tagen zeigen.

        Sollte der russische Geduldsfaden reißen, dann heißt es „Zeitenende statt Zeitenwende“, wie es der literarische Vulkan bereits treffend formuliert hatte.

  10. Man muss es mal wieder sagen: Ein beeindrückliches Stück sehr interessanter (und in vielerlei Hinsicht einleuchtender) Argumente und Analysen.
    Zum Stichwort Souveränität fällt mir noch ein, dass die europäischen Führungsmächte trotz erheblichen Anstrengungen hinsichtlich EU-Integration samt gemeinsamen Währungsraum die Rolle als Juniorpartner gegenüber der Weltführungsmacht USA noch längst nicht hinter sich gelassen haben. Die Nr. 1 sieht sich nach wie vor als eine rundum überlegene Supermacht mit uneingeschränkter Lizenz zum Geschäftemachen und dazu passender Oberaufsicht, dass alles – wirtschaftspolitisch bis militärisch – nach den selbstgeschaffenen Ordnungskriterien abläuft – und zwar weltweit. Das ist den Nationalstaaten bekannt und findet zumindest bei den Mitgliedern des sogenannten Wertewestens uneingeschränkte Anerkennung. Sogar der Rechtsnachfolger der Sowjetunion und das aufstrebende China zollen der westlichen Erfolgstruppe Respekt und sind keineswegs aufgrund eigener Interessen von vorneherein auf Feindschaft gegenüber Weltmarkt und globalem Kapitalismus aufgestellt.
    Spannungen zwischen den nationalen Souveränen hat die US-geregelte Weltordnung nie ausgeräumt. Im Gegenteil. Ein Blick auf das Weltgeschehen genügt, und das weiss auch jeder, entweder hält sich die Staatenwelt an die Regeln oder es gibt Ärger. Im Zweifelsfall zückt der Oberaufseher den Revolver und drückt im Namen eines ordentlichen und zivilen Staatenlebens ab. Wer da nicht mitmacht oder als unkommodes Staatsgebilde ausgeschlossen wurde, hat schlechte Karten oder muss zumindest einen gut geölten Colt parat haben.
    Um auf Juniorpartner Scholz zu sprechen zu kommen: Es sind die gewaltträchtigen Kollisionen, die als ständiger Begleiter der laufenden Weltgeschäfte den eigenen Staatsinteressen nicht nur in die Quere kommen, sondern auch die eigene Gewaltbereitschaft inklusive der dafür erforderlichen Kampfmittel erforderlich machen. Das hat Nato-Staat D in bescheidenem Umfang aber keineswegs zum Nachteil hinbekommen. Was aber in der Ukraine und perspektivisch Richtung China von der westlichen Führungsmacht in Gang gesetzt wurde erfordert den solidarischen Schulterschluss der Verbündeten und gemeinsames Handeln unter US-Oberkommando. Auch ein Scholz weiss: Im Alleingang sind die Russen nicht zu knacken.

    1. Kurzer Nachtrag Souveränität: Was es damit auf sich hat dafür liefert die aktuelle Debatte bezüglich Panzerlieferung einige Hinweise: Alles was die Nato-Verbündeten unternehmen geschieht in „enger Abstimmung mit den Partnern“ (Standardstatement Scholz). D.h. da muss ein Konsens mit der obersten Kriegsführung hergestellt werden, sprich, da gibts eine verbindliche Linie an die sich alle zu halten haben. Die Dienstanweisungen kommen aus dem Pentagon, bei Unstimmigkeiten geht auch mal das White House ans Telefon. Letzte Überzeugungsarbeit liefert dann ein Gipfeltreffen, aktuell in Rammstein.
      Zum Inhalt der Abstimmungen: Kein Geheimnis, der Bundeskanzler steht „erheblich unter Druck“. Da gehts nicht um ein Plauderstündchen vor dem Kamin sondern verbindliche Abmachungen sind gefordert, auch wenn die eigene Position wegen nationaler Vorbehalte (noch) nicht so ganz kompatibel ist. Was sich die Staatsvertreter diesbezüglich erlauben können, also welche Handlungsspielräume einem Souverän eingeräumt werden, hängt von inneren und äußeren Machtspielchen ab. Da braucht man „Nerven“, die zwar jedem Politiker schon aufgrund des Werdegangs zueigen sind, die aber in jedem Fall strapazierbar sein müssen.
      Allein diese zwei Punkte zeigen, dass man Souveränität nicht mit Unabhängigkeit verwechseln sollte. Im Gegenteil: Sie sind alle abhängig voneinander. Allerdings nicht im Sinn von „Gleichen unter Gleichen“ sondern gemäß ihres jeweiligen Gewichts und Bedeutung. Wer aus der Reihe tanzt, bekommt erst mal Abmahnungen, das skaliert bis zum Streit unter Androhung diverser Nachteile (Sanktionen) bis Bestrafung und Ausschluss, notfalls aus der Staatengemeinschaft mit Kündigung aller vertraglichen Beziehungen. Wenn das nicht reicht, rückt die Armee an. Also Souveränität ist demzufolge immer zweischneidig: Anerkannter Staatswille mit darin enthaltener Relativierung (kommt natürlich nur bei Unbotmäßigkeit zum Zug). Wer das nicht will kriegt eins auf die Mütze.

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