Österreich: Scheitert der Alpen-Trump?

Am 6. Januar erteilte Bundespräsident Van der Bellen Herbert Kickl mit der Regierungsbildung. Bild: Peter Lechner/HBF

Die Koalitionsverhandlungen zwischen der konservativen ÖVP und der rechtspopulistischen FPÖ wurden zwischenzeitlich unterbrochen, nachdem FPÖ-Chef Kickl seine Wunschaufteilung der Ministerien in sozialen Medien veröffentlicht hat.

„Sie reden wieder“, hieß es Donnerstagabend und keine der Verhandlungsparteien versuchte dies noch als nennenswerten Erfolg zu verkaufen. Die Stimmung scheint bei FPÖ und ÖVP im Keller zu sein, nachdem man sich nicht einmal mehr einigen konnte, ob es überhaupt noch Verhandlungen gibt und über was verhandelt wird.

 

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass die beiden Parteien angetreten waren, um schnelle, erfolgreiche und transparente Verhandlungen zu führen. Man wollte den zähen, monatelangen Streit der gescheiterten „Zuckerlkoalition“ (aus den Parteien ÖVP, SPÖ und den neoliberalen NEOS) überwinden und schnell zu harmonischen Ergebnissen kommen. Worte wie Ehrlichkeit und Anstand flatterten damals durch den Raum.

 

Jetzt ist man einen Monat weiter und die hehren Ansprüche haben sich in Rauch aufgelöst. Man darf sagen, das Vögelchen „Transparenz“ bekam eins mit der Pumpgun übergebraten. Zwar konnte man sich zu Beginn schnell auf einen Sparkurs einigen. Der war auch nötig, weil ein Defizitverfahren abgewendet werden musste und der EU Einsparungen angekündigt werden mussten.

 

Dieser früher Erfolg war bereits getrübt, da man erstens nicht zugab, dass dieser nur dank der inhaltlichen Vorarbeit und dem Kassa-Sturz der Zuckerlkoalition möglich war. (Die Parteifarben der Beinahe-Dreierkoalition sind türkis, rot und pink, deswegen der Ausdruck „Zuckerl“.) Zweitens rückten ÖVP und FPÖ nicht damit raus, wo genau und was gespart werden würde.

 

Die FPÖ schien an dieser Stelle bereits zu merken, wie schwierig der Fachwechsel von dem allesversprechenden jugendlichen Helden der Opposition hin zum alten Regierungs-Griesgram werden würde, der grausame Sparmaßnahmen verkünden muss. Also hielt man sich bedeckt und vertröstete auf den baldigen Abschluss der Koalitionsverhandlungen.

 

Kurz vor dem Platzen?

Der kam aber nicht. Soweit sich dies von außen rekonstruieren lässt, muss Dienstagabend FPÖ-Chef Herbert Kickl seinem Gegenüber von der ÖVP, Christian Stocker, eine Liste der Ministerien vorgelegt haben. Kickl fand die Aufteilung fair, denn schließlich bekam die ÖVP sogar ein Ministerium mehr. Stocker hingegen griff empört zum Telefonhörer und wollte den Parteivorstand informieren.

Man trennte sich ergebnislos und im Unfrieden. Unklar ist, inwieweit dies von den beiden Seiten bereits als Verhandlungspause gewertet wurde. Warum war die ÖVP so empört? Herbert Kickl beanspruchte sowohl das Finanz- als auch das Innenressort und wollte die Europaagenden in sein Kanzleramt verlegen.

Laut österreichsicher Verfassung kann jede Regierung recht frei darüber bestimmen, wie viele Ministerien es gibt. Unbedingt vorgesehen sind nur Kanzler, Vizekanzler, Innen- und Finanzministerium. Aus dieser Logik hat sich also Kickl drei von vier genommen. Außerdem kann das Finanzministerium jedes ministerielle Vorhaben der anderen blockieren, indem man kurzerhand sagt, dafür sei kein Geld im Staatsbudget.

Streitpunkt EU

Nicht ohne Grund will die ÖVP immer das Finanzministerium. Aber noch wichtiger scheint die EU-Frage zu sein. Die ÖVP lässt über ihren ehemaligen Klubobmann Andreas Khol, dem „Architekten“ der Regierungskoalition von ÖVP und FPÖ im Jahr 2000, im ORF-Fernsehen verkünden, die Konservativen seien mit der Voraussetzung in die Verhandlungen gegangen, dass die EU-Agenden bei der ÖVP bleiben würden, damit man internationalen Partnern Verlässlichkeit signalisieren könne.

Aus Sicht der ÖVP müsse auf europäischer Bühne Österreich von der gesamten österreichischen Regierung repräsentiert werden und es darf zu keinen Alleingängen profilierungslustiger Minister oder des Bundeskanzlers kommen. Hierbei denkt Khol durchaus auch an die Grünen, den alten Koalitionspartner der ÖVP, dessen grüne Umweltministerin Gewessler gegen den Willen der Volkspartei dem europäischen Renaturierungsgesetz zugestimmt hatte.

Alleingänge diese Art stünden Tür und Tor offen, wenn Herbert Kickl als Kanzler für die EU zuständig wäre. Er könnte mit seinem Veto die EU geradezu lahmlegen. Genau das würde den Freiheitlichen allerdings gut ins Konzept passen, denn der Kampf gegen überbordende EU-Gesetzgebung ist bekanntlich ein Wahlkampfschlager der Partei.

Wie weit rechts von der Mitte?

Ein wenig scheint es so, als würde in Österreich gerade neu ausgehandelt, was es bedeutet „rechts“ zu sein. FPÖ und ÖVP stehen beide fraglos rechts der Mitte, aber wie viel Mitte gehört da noch mit hinein? Die Volkspartei rief zu Beginn der Verhandlungen den Koalitionspartner in spe dazu auf, mehr in die Mitte zu rücken, was den Konservativen selbstverständlich nützen würde.

Sie können so auf ihre alte Machtbasis im etablierten Räderwerk der Republik und in Europa aufbauen und sich als der vernünftige Teil der Regierung inszenieren. Wenn alles so liefe, wie in den letzten vierzig Jahren, dann ist und bleibt die ÖVP der entscheidende Faktor in der österreichischen Politik. Die Partei, die letztlich die Linie der Regierung vorgibt – auch wenn sie als Juniorpartner weniger Sitze im Nationalrat hat als die FPÖ.

Die Freiheitlichen hingegen surfen gerade viel im Internet und sehen dort wohl, wie die eigenen Sehnsüchte Wirklichkeit werden. Das Agieren von Donald Trump in den USA darf füglich als „disruptiv“ bezeichnet werden. Usancen, Normen, Gesetze, Institutionen und letztlich auch die Verfassung der Vereinigten Staaten sind für Trump kaum mehr Orientierungspunkte. Der Mann testet einfach aus, was geht.

Die Frage für den Freiheitlichen Herbert Kickl, der sich anschickt der erste FPÖ-Kanzler Österreichs zu werden, ist, ob ihm dies nützt und er auf der disruptiven Trump-Welle mitreiten kann oder aber, ob er damit seine Kräfte überdehnt. Denn als Bundeskanzler braucht er – anders als ein US-Präsident – einen Koalitionspartner.

Wahlversprechen jetzt umsetzen

Ein bisschen wirkt es so, als würde in Österreich die Zukunft Europas mitentschieden. Die einen warnen vor der illiberalen Demokratie Victor Orbans, die anderen liebäugeln genau damit. Setzt sich die FPÖ gegen die ÖVP durch, dann könnte bald der Punkt erreicht sein, ab dem die europa-skeptischen Kräfte die Oberhand gewinnen. Orban selbst hat seine politischen Gegner in Europa vor Trump und den mit ihm einkehrenden Änderungen gewarnt.

Die Freiheitlichen setzen jetzt alles auf eine Karte. Wenn es ihnen gelingt, die ÖVP nun so weit medial zu demütigen und die Konservativen doch noch in die Regierung einwilligen, dann ist dies ein beachtlicher Sieg. Bezeichnender Weise hat die FPÖ ihre Forderungen für die Besetzung der Ministerien auf Facebook veröffentlicht.

Dadurch ist nun ein Kampf mit offenem Visier entstanden. Die ÖVP macht wiederum aus ihrer Empörung keinen Hehl und fragt nicht ganz unberechtigt, wenn man zu Beginn bereits so weit ist, sich über die Medien Forderungen hinzuwerfen, wie soll dann noch eine gemeinsame Vertrauensbasis aufgebaut werden?

Daran scheint die FPÖ nicht mehr sonderlich interessiert zu sein. Sie will jetzt zeigen, wie gut sie ihre Wahlverspechen umsetzen kann. Dies mag bei der „Ausländerfrage“, also sichere Grenzen („Festung Österreich“), Asylverschärfung etc. leicht gelingen, denn hier ist die ÖVP inhaltlich nicht weit weg.

Bei gesellschaftspolitischen Fragen, die die Freiheitlichen der eigenen Klientel über Jahre eingehämmert haben, wie die „Genderfragen“ (vom Binnen-I bis zu den Transrechten) hat die ÖVP auch schon weitgehend klein beigegeben. Weltoffenheit und Toleranz werden schließlich überbewertet und bringen an der Wahlurne nicht viel.

Bei anderen Fragen könnte es sich hingegen auch spießen. Die Freiheitlichen wollen über Förderungen in den wackeligen, österreichischen Medienmarkt hineinregieren und beispielsweise unliebsame Zeitungen schwächen. Die FPÖ will auch das Corona-Thema am Köcheln halten und Strafen zurückerstatten. Die Pferdeentwurmungsmittel-Fraktion bei den Freiheitlichen ist einigen ÖVPlern schon allein intellektuell ein wenig unheimlich. Die Volkspartei ist nicht Anti-Wissenschaft.

Wer gewinnt das Blame Game?

Problem für die FPÖ: Die Volkspartei weiß nun allzu gut, worauf der angehende Koalitionspartner abzielt. Die Rolle der ÖVP als kleiner Partner ist immer kleiner geworden und für die Partei könnte es – trotz schlechter Umfragewerte – nun doch wieder attraktiv sein, Neuwahlen auszurufen.

Man könnte sich dann bis zum Frühsommer oder gar Herbst (im Sommer wird traditionell in Österreich nicht gewählt) personell neu aufstellen (Kommt am Ende doch wieder Sebastian Kurz aus der Versenkung hervor?), und man könnte bis dahin klar die Unfähigkeit Herbert Kickls herausarbeiten, eine Regierung zu bilden.

Das Blame Game wird entscheidend sein. Die Menschen in Österreich mögen keine kompromisslosen Akteure, man wünscht sich letztlich Harmonie und Miteinander. Der Wirbel, den Donald Trump gerade auf internationaler Bühne veranstaltet, mag inspirierend für Hard-Core-Fans der FPÖ sein, die sich ähnliches für Österreich wünschen, für viele Österreicher ist dies aber eher nicht so.

Die Freiheitlichen imitieren Trump geradezu, wenn sie beispielsweise den Vorschlag lancieren, die Steuerbefreiung für Spenden an gemeinnützige Organisationen einzuschränken. Damit könnte der „Gutmenschenfraktion“ aus Caritas und Co., die immer auf Mitmenschlichkeit pocht, das Wasser abgegraben werden. Aber gibt es dafür gesellschaftliche Mehrheiten oder bringt die FPÖ damit die Menschen gegen sich auf? Die ÖVP hat bereits verkündet, bei diesem Vorschlag nicht mitzugehen.

Die Frage wäre somit, ob bei Neuwahlen Herbert Kickl als Alpen-Trump einen noch überragenderen Wahlsieg einfährt und damit ein Mandat zum illiberalen Umbau Österreichs erhält und die dann endgültig geschwächte Volkspartei zu Kreuze kriecht. Oder ob die Freiheitlichen sich in ihrem Machtrausch verpokert haben. Die nächsten Wochen werden es zeigen.

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8 Kommentare

  1. ist dem Autor irgendwie zu helfen ? – Man vergleiche einen Auftritt des austro Kini (dt: König) mit einem Auftritt von König Donald II. (© Mathias Broeckers) Das austro Zniachtl kann Donald J. T. kein Wasser reichen !

      1. @ Otto Motto:
        Das letzte Mal war George W. Bush 2006 in Österreich, aber nur weil dort ein Gipfeltreffen zwischen den USA und der Europäischen Union stattfand. Davor war der Letzte wohl erst Jimmy Carter 1979 😀

  2. Es geht nicht um Machtrausch, sondern darum, dass wie in anderen Ländern auch in Österreich Ukrainehilfe, Russlandsanktionen, Migration und EU-Diktate die Hauptprobleme sind. Und wenn die FPÖ nichts gegen die Hass- und Hetzkampagne des ORF unternehmen würde, stünde sie als ihr eigenes Opfer da. Die ÖVP kann ja den linksgrünen Syph probieren, um eine Neuwahl zu vermeiden. Aber der Karren wäre schnell an der Wand, und für Kickl gäbe es einen noch größeren Triumph.

  3. wenn der Autor meint, ein “ Sparkurs“ sei nötig, also Sparen bei den Ausgaben des Staates, wird es schon stimmen, weillll es ja alle Wichtigen sagen, ned wahr ?

  4. Wieder mal geballtes Jödecke-Unverständnis. Die Grundlage der 2. Austrorepublik war die Großkoalition SPÖ (hieß anfangs noch sozialistisch) und ÖVP, also rotschwarz bis in die sozialen Poren der Gesellschaft. Wenn das jetzt als blauschwarz fortgesetzt wird, das wissen die Kickelianer, zumal die, auch Kickl selbst, in Bundesregierungen waren, wäre das das Ende der blauen B e w e g u n g. Die strategische Option kann nur sein: Neuwahlen zur Stärkung der FPÖ: eine so geführte Minderheitsregierung o h n e SPÖVP wäre eine parlamentarische Option. – Diese Sicht ist das Gegenteil des Jödecke-FPÖ-Bashings. Warum sammelt Herr J. nicht Pilze im Wienerwald und läßt das Publizieren?

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