NSU-Ausschuss unter Beschuss: Gute Zeugen, schlechte Zeugen, keine Zeugen

Von überall her wird Sand ins Getriebe dieses Aufklärungsgremiums des bayerischen Landtags geworfen

 

Nach dem Beschluss, die NSU-Verurteilte Beate Zschäpe als Zeugin vorzuladen, hat der bayerische Untersuchungsausschuss auch entschieden, frühere Kontaktpersonen des Neonazi-Trios Böhnhardt-Mundlos-Zschäpe ebenfalls als Zeugen zu vernehmen. Dabei handelt es sich unter anderem um Mandy Struck, die Zschäpe Ausweisdokumente für das Leben in der Illegalität zur Verfügung stellte; um Strucks Ex-Freund Kay Seidel; um Matthias Dienelt, der Wohnungen für das Trio angemietet hatte und zu denen er einen Schlüssel besaß; sowie um Max-Florian Burkhardt, dessen Namen und Ausweis Uwe Mundlos für seine falsche Identität nutzte.

Die Bundesanwaltschaft hatte im Herbst 2022 die Ermittlungsverfahren wegen Unterstützung des NSU unter anderem gegen Struck, Dienelt und Burkhardt eingestellt. Dadurch ist es ihnen jetzt schwerer, die Aussage zu verweigern. Gleichwohl bleibt die strafrechtliche Beendigung der Verfahren fragwürdig.

Beobachter fragten sich, warum sie nicht auch auf der Anklagebank saßen, da sie doch eine derartige Nähe zu den drei Tatbeschuldigten hatten. Neben Struck, Dienelt und Burkhardt hatte die Anklagebehörde in Karlsruhe auch die Verfahren gegen die Neonazis Thomas Starke (heute Müller) und Jan Werner eingestellt. Starke war nachgewiesener Weise V-Person des Landeskriminalamtes Berlin. Bei Werner existiert zumindest der Verdacht, ebenfalls Kontaktperson einer Behörde gewesen zu sein. Beide hat der U-Ausschuss – bislang – aber nicht als Zeugen benannt.

Die Arbeit dieses zweiten bayerischen NSU-Untersuchungsgremiums bleibt Stückwerk. Nur etwa die Hälfte der Mitglieder interessiert sich wirklich dafür, die andere Hälfte übt sich in Beharrung. Möglicherweise kommt das Ende der Sitzungen bereits im Mai. Im Herbst wird der Landtag neu gewählt, im Juli sollen die Parlamentsgeschäfte beendet werden. Damit ist jetzt schon klar, dass das Gremium es nicht schafft, den umfangreichen Untersuchungsauftrag abzuarbeiten.

Bisher unbekannte Sachverhalte

Bemerkenswert ist, dass die Engagierten unter den Abgeordneten bei ihren Recherchen immer wieder auf neue, bisher unbekannte Sachverhalte stoßen. So stellte das Bundeskriminalamt 2012 bei seinen NSU-Ermittlungen fest, dass es von potentieller Täterseite (Dienelt, Burkhardt, Wohlleben, André K.), aber auch von Opferseite Verbindungen ins Transport- und Speditionsgewerbe gegeben haben soll. Was, wo, wie? Mehr war bei der letzten Sitzung für Außenstehende nicht zu erfahren. Das entsprechende Dokument, ein 69 Seiten umfassender BKA-Vermerk mit der Nummer 470, auf den die Abgeordneten in den Unterlagen gestoßen sind, wurde vom BKA als Verschlusssache eingestuft. Der Antrag des Ausschusses, das Schriftstück auszustufen und freizugeben, wurde vom BKA ohne Begründung abgelehnt.

Mit der Ermittlungsspur hatte der Kriminalhauptkommissar Norbert Klima zu tun.

Von ihm war in den wenigen Minuten öffentlicher Sitzung nur zu erfahren, dass er damals in der zentralen Auswertung der Ermittlungskommission „BAO Trio“ eingesetzt war, dass er lediglich Zuarbeit („Hilfsdienste“) geleistet, aber keine eigenen Ermittlungen angestellt habe, sowie dass das fragliche Dokument eingestuft sei und er dementsprechend nur in nicht-öffentlicher Runde aussagen dürfe.

Die dauerte dann immerhin 45 Minuten. Daraus teilte der Ausschussvorsitzende Toni Schuberl (Grüne) hinterher lediglich allgemein mit, dass es nach den BKA-Ermittlungen umfangreiche Bezüge des NSU-Umfeldes ins Transportgewerbe gegeben habe, dass es sich zwar nicht um eine klassische Spur handle, dass die Zeugenbefragung aber „trotzdem sehr spannend“ gewesen sei und Ansätze für weitere Ermittlungen böte. Schließlich sagte Schuberl noch, dem Ermittler Klima sei damals von Vorgesetzten erklärt worden, er soll an der Sache nicht weiterarbeiten.

Der Ausschuss will jetzt vom BKA eine Begründung verlangen, warum das Dossier unter Verschluss ist.

Eine weitere schräge Geschichte hat sich im Zusammenhang mit der Paulchen-Panther-Propaganda-DVD zugetragen, auf der die NSU-Morde abgebildet sind  und die nach dem Tod von Böhnhardt und Mundlos von mehreren Personen an verschiedene Adressen verschickt worden sein müssen. Eine an die Haci Bayram-Moschee in München. Am Tag, als das Beweisstück ankam, am 8. November 2011, war eine Kontaktbeamtin der Münchner Polizei in der Moschee anwesend. Die Beamtin war Ansprechpartnerin verschiedener gesellschaftlicher Einrichtungen in der Stadt und besuchte diese auch regelmäßig. Vertreter der Moscheegemeinde zeigten ihr die ominöse DVD. Seit dem Vortag, dem 7. November, gingen bereits die ersten Exemplare der DVD bei verschiedenen Empfängern ein. Seit dem 4. November waren Polizei, Sicherheitsapparat und Öffentlichkeit in Sachen NSU in höchster Aufmerksamkeit. Dennoch stellte die Beamtin die DVD nicht sicher, sondern machte das glatte Gegenteil: Sie riet den Empfängern, die Scheibe zu entsorgen, was die auch taten.

Die Polizeihauptmeisterin, die sich zunächst überrascht zeigt, dass sie jetzt als Zeugin in den Ausschuss geladen wurde, („Ich bin das kleinste Licht in dem Laden“) räumt ein, ihre Entscheidung sei falsch gewesen und habe ihr schon „viele schlaflose Nächte“ bereitet. Für sie sei damals eben nicht ersichtlich gewesen, dass die DVD einen strafrechtlichen Bezug hatte. Es sei ihnen so vorkommen, als handle es sich um so etwas wie eine Scherz-DVD. Überzeugend hörte sich das nicht an.

Ein Sitzungstag mit einer halben Stunde öffentlicher Zeugenbefragung und einer Stunde ohne Öffentlichkeit. Drei Tage später, am 16. Februar, folgte gar ein kompletter Sitzungstag hinter verschlossenen Türen. Die Zeugen: zwei Beamte des bayerischen Verfassungsschutzes. Aufklärungsbemühungen im Interesse der Öffentlichkeit wie der Opferfamilien sehen anders aus.

„Wie kann man als Untersuchungsausschuss dieser Rechtsterroristin wieder eine Bühne geben?“

Eine Tochter des siebten Mordopfers Theodoros Boulgarides hat in einer Stellungnahme die Entscheidung kritisiert, Zschäpe als Zeugin vor den Landtagsausschuss zu zitieren. Für die Angehörigen sei das der blanke Hohn, denn Zschäpe habe jahrzehntelang zu den Taten geschwiegen, erklärt Mandy Boulgarides und fragt in ihrer Stellungnahme rhetorisch: „Wie kann man als Untersuchungsausschuss dieser Rechtsterroristin wieder eine Bühne geben? Diese Person dient nicht der Wahrheitsfindung und das wissen wir alle.“

Man kann das so sehen, zumindest teilweise und ohne Blick auf die verantwortlichen Behörden. Im Oberlandesgericht München konnte man allerdings den Eindruck gewinnen, dass Zschäpe auf die Prozessbühne eher verzichtet hätte, als sie zu nutzen. Im Gegenteil: Es gab eine Vielzahl von Momenten, die für die Angeklagte höchst unangenehm waren. Wenn sie von Angehörigen der Opfer direkt angesprochen wurde oder wenn Zeugen über sie sprachen, wie die Eltern von Mundlos und Böhnhardt.

Von Yvonne Boulgarides, der Ehefrau des ermordeten Theodoros Boulgarides und Mutter von Mandy Boulgarides, ist im Übrigen ihr kritisches und kluges Plädoyer vor dem OLG in Erinnerung geblieben. „Der Prozess“, sagte sie damals, „ähnelt für mich einem oberflächlichen Hausputz. Um der Gründlichkeit Genüge zu tun, hätte man die Teppiche aufheben müssen, unter welche so vieles gekehrt wurde.“

Als jetzt, im Oktober 2022, der NSU-Verurteilte Carsten Schultze sich den Fragen dieses Ausschusses stellen musste, versteckte er sich in einem Kapuzenpullover und mit dem Rücken zur Kamera, die die Vernehmung von einem Nebenraum in den Ausschuss-Saal übertrug. Selbstinszenierung sieht anders aus. Ob jemand eine Bühne bekommt, hängt wesentlich davon ab, wie er befragt wird, das heißt: wie kundig sich die Abgeordneten gemacht haben. Die Strategie Schultzes, bei seinen bisher bekannten Aussagen zu bleiben, ging jedenfalls nicht auf. Den Abgeordneten gelang es, sichtbar zu machen, dass Schultze zusammen mit Ralf Wohlleben eine besondere Rolle in der Neonazi-Szene spielte und ein Vertrauensverhältnis zum Trio hatte.

Die Gruppierung „NSU Watch“ hat die kritische Stellungnahme der Boulgarides-Tochter auf ihrer Homepage veröffentlicht.

Kann es sein, dass bei dem Namen Zschäpe irgendwo Alarmglocken geschrillt haben?

Ausgerechnet, könnte man sagen, denn bisher hat NSU-Watch so gut wie nicht über diesen zweiten bayerischen NSU-U-Ausschuss berichtet. Vor allem auch nicht über die wiederholte Sabotage diesem Gremium gegenüber, sprich: massive Datenlöschungen oder Aktenvernichtungen zum Beispiel zu maßgeblichen V-Leuten wie etwa Kai Dalek. Sand, der von Anfang an und von überall her in das Getriebe dieses Ausschusses geworfen wird. Im November 2022 musste Tino Brandt, V-Mann und Führungsfigur des nationalistischen Thüringer Heimatschutzes, vor dem Ausschuss aussagen.

NSU-Watch kritisiert, die Abgeordneten hätten Brandt befragt, als sei er ein Sachverständiger. Die Beobachtergruppe verschweigt aber, dass der Thüringer Verfassungsschutz, dem ein SPD-geführtes Innenministerium vorsteht, das wiederum zu einer von der Linkspartei-geführten Landesregierung gehört, dem Untersuchungsausschuss die wesentlichen Akten zu Brandt vorenthalten hatte. Damit war eine qualifizierte Vernehmung nicht möglich und deshalb geriet sie teilweise zur Märchenstunde. Einige engagierte Ausschussmitglieder würden Brandt gerne ein zweites Mal vernehmen. Dazu brauchen sie aber die Akten. Auch beim bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz muss es welche zu dem Thüringer geben. NSU-Watch verschweigt das und kehrt die Verantwortung um.

Kann es sein, dass bei dem Namen Zschäpe irgendwo Alarmglocken geschrillt haben?

Die Einwände gegen die Zeugenladung von Zschäpe müssten in der Konsequenz auch für die Personen Mandy Struck, Kay Seidel, Max-Florian Burkhardt oder Matthias Dienelt gelten. Also keine Zeugen mehr aus der Szene. Hinzu kommen Zeugen aus den Sicherheitsbehörden, die nur hinter verschlossenen Türen Auskünfte geben sowie Zeugen, die sich nicht mehr erinnern. Was wäre da noch öffentlich zu erfahren? Was bliebe von diesem Ausschuss, außer seiner Beerdigung auf kaltem Wege?

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2 Kommentare

  1. Man kann schon froh und dankbar sein, dass es überhaupt noch gute, schlechte und sonstige Zeugen gibt. 2016/17 herum gab es auch eine Menge tote Zeugen, wenn ich mich richtig erinnere. Erfreulich, dass wenigstens dieses Problem nicht mehr aufgetaucht ist.

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