Niederösterreichisches Politbeben

Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), hier im Wahlkampf, muss nun einen Koalitionspartner suchen. Bild: vpnoe.at

Seit dem Zweiten Weltkrieg regierte die ÖVP im zweitgrößten österreichischen Bundesland mit absoluter Mehrheit. Das ist mit dem Wahlabend vom 29.1.2023 nun Geschichte.

 

 

Die österreichische Volkspartei ist ein bemerkenswertes „Stehaufmännchen“. Sie ist vor eineinhalb Jahren über die Skandale in Verbindung mit Sebastian Kurz gestürzt. Seitdem liegt sie mit der Nase im Staub und reagiert einfach weiter. Möglich war dies, weil der kleine grüne Koalitionspartner im Bund keine Perspektive in Neuwahlen sah, sondern lieber versucht die eigene Agenda (mit durchwachsenem Erfolg) in den Gesetzgebungsprozess zu schmuggeln.

Ein zweiter wichtiger Faktor war das Glück, dass es keine entscheidenden Landtagswahlen gab. Dadurch konnte man die Länder ruhig halten. Diese Schonzeit ist nun vorbei. Die erste und wichtigste von insgesamt drei Landtagswahlen wurde geschlagen und ging krachend verloren. Die ÖVP verlor zehn Prozent und erreicht vermutlich nicht einmal mehr die 40%-Marke. Gleichzeitig stieg die niederösterreichische FPÖ, die für ihren teils schillernden Rechtsextremismus berüchtigt ist, auf nahezu 25 Prozent und überholte die Sozialdemokraten, die ebenso signifikante Stimmeneinbußen verbuchten.

Fingerzeig der Rechtsextremen

Die ÖVP braucht nun erstmals einen Koalitionspartner. Dies wird aller Voraussicht nach die SPÖ werden, denn in Niederösterreich herrscht neben dem Landesparlament ein Regierungs-Proporz. Die Landesregierung wird anteilig nach dem Wahlergebnis besetzt. Auch hier hat die ÖVP ihre absolute Mehrheit verloren. Die kleinen Parteien Grüne und NEOs, die im Landtag der Volkspartei Mehrheiten beschaffen können, sind in der Landesregierung, weil auf Proporzsystem basierend, sicher nicht vertreten. Für sie macht es also keinen Sinn der ÖVP-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner die entsprechenden Mehrheiten zu verschaffen.

Die FPÖ, die am Wahlabend mit sich selbst und der Welt hochzufrieden war, gab schon bekannt, die ÖVP allenfalls nur dann unterstützen zu wollen, wenn diese die ungeliebte Landeshauptfrau austauschen würde. Ein leicht durchschaubarer Trick der Blauen. Sie wissen genau, dass dies nicht auf Zuruf passieren wird. Außerdem wollen die Wähler der Partei dies auch gar nicht. Bei ihnen sind alle Koalitionen unbeliebt.

Der Impuls, FPÖ zu wählen, liegt für die Wähler traditionell darin aufzuzeigen, wie unzufrieden man mit allem ist, wohlwissend dass die FPÖ auch keine Lösungen hat. Die FPÖ ist einfach die Partei des ausgestreckten Mittelfingers und das finden ihre Sympathisanten auch gut so.

Der Parteivorsitzende Udo Landbauer konnte so mit dem Programm „Teuerung“, „Bevormundung durch Impfzwang“ und dem Evergreen „Ausländer“ zu seinem beachtlichen Sieg fahren. Er wird seine Wähler nun kaum enttäuschen, weil sie im Grunde nichts anderes von ihm erwarten als Sprachrohr der Ressentiments zu sein.

So kann die FPÖ auch, ohne in nervöses Lachen zu verfallen, der ÖVP deren „Korruption“ vorwerfen und darüber höhnen, dass mit einer Landeshauptfrau kein Staat zu machen sei, die erst ihre Gerichtstermine koordinieren müssen. Nun, Korruption und FPÖ – war da was? Wäre vielleicht unter dem Stichwort „Ibiza“ nachzulesen, aber das ist alles verziehen und vergessen.

Die offenkundigen Verfehlungen der FPÖ passen sogar gut in das vermeintlich oberschlaue Gefühl: „Alle Politiker sind korrupt“. Paradoxerweise dient dies als Grund die FPÖ zu wählen, weil man glaubt mit dieser Wahl den Schraubenschlüssel ins Getriebe zu werfen und „die da oben“ zumindest zu ärgern.

Mit dem Wahlerfolg der niederösterreichischen FPÖ wird eine Partei belohnt, die selbst für österreichische Verhältnisse einen sehr ungezwungenen Umgang mit ihrem  Rechtsextremismus pflegt. Der aufgrund des Proporzes in der Regierung Mikl-Leitner vertretene Landesrat Gottfried Waldhäusl wollte Moslems registrieren lassen, Asylwerbern den Schulbesuch verunmöglichen, Aufnahmeeinrichtungen für Geflüchtete mit Stacheldraht umkränzen und damit de facto in Gefängnisse verwandeln, was ihm eine Strafanzeige wegen Freiheitsentzug eingebracht hat.

Asylsuchende bräuchten einfach eine „Sonderbehandlung“, wie sich Waldhäusl im NS-Jargon ausdrückte. Sprachlich passend zur Parteilinie. Der Parteivorsitzender Landbauer war Mitglied einer Burschenschaft die gerne NS-Liedgut trällert. Er zeigte sich später „schockiert“ über Songs der Gattung „humorvolle Seiten des Holocausts“, die ihm zuvor nie aufgefallen waren und durfte in seinen Ämtern verblieben.

Ergebnis der Landtagswahl 2023. Bild: NÖ Landesregierung

Die Rechten geben die Richtung vor

Die ÖVP hat gegenüber den rechten Dammbrüchen und deren unaufhörlichem Stimmenzuwachs keine andere Strategie als nach einer einigermaßen passablen Sachpolitik zu suchen, die rechte Forderungen befriedigt. Die Bundespartei hat sich längst wieder das Thema Asyl auf die Fahnen geschrieben. Bundeskanzler Karl Nehammer träumt von Grenzzäunen rund um die EU und einem „robusteren“ Grenzschutz.

Er hofft hier zu punkten, spielt dabei aber nur der FPÖ in die Karten, die diese Positionen einfach „authentischer“ vertreten kann. Praktikable Lösungen sind kaum in Sicht, der Kampf gegen die „Fremden“ und die vermeintliche Sicherheit durch besseren Grenzschutz ist eben eine Gefühlsangelegenheit. Der ÖVP fliegen die Herzen hierbei nicht zu, ihre Umfragen im Bund bleiben schlecht, während die FPÖ emporsteigt wie ein Heißluftballon.

Die niederösterreichische Landeshauptfrau Mikl-Leitner versuchte deshalb den zarten Hinweis anzubringen „Asyl“ sei gar nicht Ländersache, womit sie fraglos Recht hat. Der jahrzehntelange Erfolg der ÖVP in Niederösterreich lag auch gerade darin, mit possierlichem Paternalismus die Menschen zu beonkeln.

Die Landehauptmänner waren Landesfürsten mit Allongeperücke, die wenig zu entscheiden hatten, aber viel zu verteilen. Sie leierten „den Wienern“ möglichst viel Geld fürs eigene Bundesland aus den Rippen und verteilten es an die braven Untertanen.

Die ÖVP spürt, dass diese gute alte Zeit nun zu ihrem Ende gekommen ist. Sie sieht ihre Wahlniederlage in „internationalen Krisen“ begründet. Pandemie, Krieg, Energie und Inflation. Es wird auch im beschaulichen Niederösterreich ungemütlich. Es wird sich zeigen wie die Partei damit umgehen kann, die durch die krachende Niederlage nun auch die Regierungsmehrheit im österreichischen Bundesrat verloren hat. Der ist zwar nicht so bedeutend wie der deutsche Bundesrat, kann aber Gesetze verzögern.

Durch die rechte Themensetzung wurde ein wichtiges Thema in Niederösterreich unter den Teppich gekehrt: Klimakrise. Zwar konnten die Grünen Stimmenzuwächse verbuchen, aber diese sind gering im Vergleich zu denen der FPÖ. Wenn Grünen nun behaupten, die Wahl habe einen Erfolg fürs Klima gebracht, dann verkennen sie, dass die Klimaleugner den größeren Stimmenzuwachs haben.

Dies liegt vermutlich in der besonderen Landesnatur Niederösterreichs begründet. Das Land ist im Wesentlichen ein riesiger Teppich aus Einfamilienhäusern rund um Wien. Das Glück vom eigenen Heim auf dem Lande ist das zentrale Versprechen der ÖVP und des für die Finanzierung zuständigen Raiffeisen-Konzerns.

Der Lebensstil des stundenlangen Pendels mit dem eigenen PKWs und der enorm ausgedehnten Eigenheimsiedlungen ist mit den Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels nicht mehr in Einklang zu verbringen. Die Gesetze der Physik machen hier nicht mit, denn ein Haus, das vier Wände in den kalten (oder im Sommer heißen) Kosmos hinausstreckt, ist einfach nicht energiearm zu erhalten, von den Kosten der Mobilität ganz zu schweigen.

Viel ahnen dies. Ein Baufehler der Demokratie in Zeiten der Klimakatastrophe liegt nun leider darin, dass die Parteien, die diese Probleme ansprechen, bestraft werden und die, die sie leugnen oder zumindest kleinreden, belohnt werden. Dies, obwohl längst der Klimawandel Dauerthema in den Medien ist.

Landehauptfrau Mikl-Leitner widmet sich der Problematik auf ihre eigene Art von ruchloser Symbolpolitik. Sie forderte Gesetzesverschärfungen gegen die Aktivisten der „Letzte Generation“, obwohl diese keinen ihre Proteste in Niederösterreich durchgeführt hatten und nach menschlichem Ermessen wohl auch nicht durchführen werden, denn Demos auf der Landstraße funktionieren einfach nicht.

Und die Sozialdemokraten?

Als letztes trauriges Kapitel bleibt in Österreich im Jahre 2023 der Zustand der SPÖ. Die Partei müsste als strahlender Sieger in spe unter der Decke schweben. Die Bundesregierung ist unbeliebt, die Konzepte der Sozialdemokratie sind brauchbarer und glaubwürdiger, von den Maßnahmen gegen die Teuerung bis hin zur Kinderbetreuung. Nützen tut es der Partei wenig.

Lieber beißt man sich am Thema Asyl fest und kultiviert die Flügelkämpfe in der eigenen Partei. Die Vorsitzende Rendi-Wagner sieht an dem Ergebnis „nichts schönzureden“ und wird sich bald neuerlicher Attacken vom rechten Rand ihrer Partei ausgesetzt sehen.

Es gibt hier nichts für die Partei zu gewinnen. Wandert sie mit mehr „Härte“ und „Anti-Ausländer“-Agenden weiter nach rechts, wird sie gegenüber dem „Original“ der FPÖ wenig hinzugewinnen, aber den eigenen linken Rand verlieren, der die humanistische Substanz der Sozialdemokratie nicht herschenken will.

Der niederösterreichische Parteivorsitzenden Franz Schnabl spricht davon, die SPÖ sei eine „solidarische Partei“, woraus er ableitet, es würden ihm keine Personaldebatten bevorstehen. Damit könnte er insofern Recht haben, weil starke Player in der SPÖ sich darauf freuen, Juniorpartner der ÖVP zu werden.

Bisher war die Sozialpartnerschaft zwischen roten Gewerkschaften und schwarzen Arbeitgebern immer ein bisschen eine mit Augenzwinkern, weil die ÖVP aufgrund der eigenen, absoluten Mehrheit am Ende ja doch alles allein entscheiden konnte. Aber jetzt braucht man die SPÖ wirklich.

Da wird sich in den Verteilungskämpfen manches rausschlagen lassen. Das Grundproblem, wie mit der in der österreichischen Politik wieder alles dominierenden Ausländerfrage umgegangen werden kann, löst dies nicht. Dabei keimt gerade in Niederösterreich ein zartes Pflänzchen der Hoffnung.

Im Kern ist die von der konservativen und rechten Politik geschürte Fremdenangst meist abstrakt. Die Leute fürchten sich vor Ausländern meist mehr, je weniger Umgang sie mit ihnen haben. Die kleine niederösterreichische Stadt Traiskirchen beheimatet ein Flüchtlingslager. Die Menschen dort kennen die „Fremden“ und leben mit ihnen.

Der umsichtige und geschickt agierende SPÖ-Bürgermeister Andreas Babler feierte zahlreiche Erfolge im Kampf für die Flüchtlinge und ist in der SPÖ zu einer Art Stimme des Gewissens geworden. Ihm gelingt es die Bevölkerung mitzuziehen. Am Wahlabend verzeichnete die SPÖ in Traiskirchen einen beachtlichen Stimmenzuwachs und liegt mit 46 Prozent – gegen den Landestrend – unangefochten auf dem ersten Platz.

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4 Kommentare

  1. Ich dachte immer daß, die Deutschen die Größte Gruppe der Ausländer in Kakanien sind. Daher ist Fremden Furcht auch angebracht und überlebenswichtig. Die Kärntner Slowenen können ein Leid davon singen.

  2. Was hat der Artikel mit Klimawandel (Schlagworte) zu tun?
    Ausser das es die Verschwörungstheorie des „Klimaleugner“, den es nie gab, aufwärmt.

    Dann ist das Schlusswort natürlich ein persönliches, aber zeigt genau das mediale Problem der Thematik.

    Ich glaube die allerwenigsten Menschen, selbst in Österreich, haben ein Problem mit Ausländern in der Nachbarschaft. Es leuchtet nur vielen nicht ein, warum sogenannte Flüchtlinge nach einer langen Reise als solche bezeichnet werden und dann mit mehr oder weniger Aufwand integriert werden müssen. Aber immer zunächst versorgt sein wollen.
    Warum die Politik aber nicht verhindert, dass diese Menschen aus ihrer Heimat vertrieben werden und wer am Ende die Kosten für diese Art der sogenannten Flüchtlingspolitik bezahlen soll?
    Sind die unbeantworteten Fragen mit denen die Menschen allein gelassen werden. Sowohl von der Politik und noch mehr von den Medien. Hier wird immer wieder suggeriert das Flucht was förderungswürdiges ist und z.t. durch begriffsänderungen in etwas positives gewandelt wird.

  3. Solange die „linken“ Parteien in Europa nichts besseres zu tun haben, als die „rechten“ rechts zu überholen (und das tun sie, indem sie die ertragbringende Masse immer weiter erniedrigen), wird sich an dem Trend nichts ändern. Die Unterstützung der Bandera-Ukraine, die Minderheiten schikaniert und Europa in den Abgrund zieht, fördert diese Entwicklung zusätzlich. Insbesondere der Sozialdemokratie muss, wieder einmal, vorgeworfen werden, ihre Ideale verraten zu haben. Vielleicht gibt es nur einen Ausweg, Gründung und Aufstieg von neuen, unbelasteten Parteien.

  4. Nicht umsonst sind die Landesfarben Niederösterreichs die selben, wie jene der Ukraine: Blau-Gelb. Wo Blau-Gelb draufsteht, ist Korruption drinnen.

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