Nachspielzeit: Mia san brutal

BVB-Fans, Fankurve.
Quelle: Pixabay

Diese Meisterschaft wurde nicht am Samstag, dem 27. Mai entschieden. Drehen wir die Zeit kurz zurück: ein regnerischer Aprilabend in Bochum.

Der Tabellenführer Borussia Dortmund spielt im kleinen Derby beim abstiegsgefährdeten VfL Bochum. Das Spiel endet 1:1. Tags darauf gewinnt Bayern München glanzlos gegen Hertha BSC mit 2:0 und übernimmt wieder die Tabellenführung.

An diesem Abend in Bochum geschah Seltsames und war doch erklärbar. Gleich dreimal wurde der BVB krass benachteiligt. Beim 1:0 für Bochum gab es zuvor ein klares Foulspiel der Bochumer. Beim Stand von 1:1 wurde den Dortmundern ein klarer Elfmeter in der 65. Minute verweigert, der zudem zu einem Platzverweis des Bochumer Spielers geführt hätte. Am Ende gab es noch ein Handspiel im Strafraum, das zumindest schon in anderen Spielen gepfiffen wurde.

Schiri mit Bayern-Schal

Schiedsrichter war Sascha Stegemann, der in einer Art und Weise seine Arroganz demonstrierte, dass selbst der erklärte Bayern-Fan und Co-Moderator Sandro Wagner bei DAZN fassungslos war. Der VAR-Schiedsrichter Robert Hartmann griff nicht ein. Er stammt aus Kempten und bekam bei der Schiedsrichter-Tagung am 06. Juni 2022 von der bayerischen Schiedsrichter-Vereinigung für seinen Vortrag einen – raten Sie mal? – Bayern-Schal geschenkt.

Der BVB-Trainer Terzic, der nicht nur Trainer sondern auch „Fan seines Vereins“ ist, kommentiert die Entscheidungen in der Pressekonferenz: „Einige von uns, vielleicht auch ich, haben die einmalige Chance, die Meisterschaftsschale in die Hand zu nehmen“. Er ahnte in diesem Moment, dass diese Chance verloren ist. Trotzdem munterte er die Fankurve auf und zeigte vier Finger für die noch restlichen vier Spieltage, in denen es noch zu schaffen sein könnte. Aber er behielt Recht mit seiner fast schon tragischen Vorhersehung.

Am Samstag „gewann“ der FC Bayern dank des besseren Torverhältnisses durch ein Tor von Musiala in der 90. Minute beim FC Köln doch noch den Titel.

In Dortmund zeigt der DFB stilsicher seine Taktlosigkeit, in dem er als Schiedsrichter Marco Fritz ansetzt. Genau derjenige, der bereits dreimal die Dortmunder gegen die Bayern verpfiffen hat (vgl. „Links kickt besser“ S.117 ff). Zunächst „übersieht“ er einen klaren Elfer, der jedoch durch den VAR korrigiert wird. Haller verschießt. Ein paar Minuten später bei einer ähnlichen Situation im Strafraum pfeift er nicht. Es erfolgt kein Eingriff des VAR.

Zehn Titel in Folge: Ein Schmarrn?

Die FAZ titelt, „ein Schuss, ein Tor, die Bayern“, den Evergreen der Ultras aus der Bayern Südkurve. Natürlich wird jetzt wieder vom Bayern-Gen, der Last-Minute-Mentalität, der Unfähigkeit des BVB gegen Mainz zu gewinnen, geschrieben. Und natürlich wird in den Leitmedien Bochum höchstens im Nebensatz erwähnt. Nach dem Motto: im Laufe der Saison gleicht sich alles wieder aus. Das mag im Gefühl stimmen. Der Praxis hält es nicht stand. Schon ein einfacher Blick auf die Website „Wahre Tabelle“ belegt über Jahre das Gegenteil. Wissenschaftlich untersucht wurde die Bevorteilung des FC Bayern von der Frankfurt School of Finance & Management. Der Wissenschaftler Eberhard Fees hat dafür 4000! Spiele ausgewertet (vgl: „Links kickt besser“ S.118).

Wie die Mentalität „in guten, wie in schlechten Zeiten zusammenzustehen“ (Hymne Stern des Südens) der Münchner wirklich zu verstehen ist, bewiesen sie keine 60 Minuten nach dem Titelgewinn. Auf dem Kölner Rasen wurde noch unter gellendem Pfeifkonzert ausgelassen gefeiert. Da kam bereits die Meldung, dass Kahn und Salihamidzic bereits einen Tag zuvor entlassen wurden. Kahn sendete eine Twitter-Mitteilung, in der er der Mannschaft gratulierte und hinzufügte, dass ihm die Teilnahme am Spiel in Köln untersagt wurde.

Was für eine Demütigung, Schande und Charakterlosigkeit gegenüber einem Torsteher, dem der FC Bayern nicht nur einen Titel verdankt. „Brazzo“ durfte, weil er wohl brav war, mit nach Köln, war dabei, aber nicht mittendrin.

Als der ehemalige Sportchef der Sport Bild vor elf Jahren die steile These wagte, Bayern könne zehn Meistertitel in Folge holen, hielt man das für den üblichen Boulevard-Schmarrn. Heute ist es die Realität. Die Zeiten bis Anfang des Jahrtausends, in denen noch Kaiserslautern, Werder, der HSV, gar Braunschweig oder „Münchens wahre Liebe“, der TSV 1860, Meister werden konnten, scheinen unwiederbringlich vorbei zu sein.

Moderner Fußball: Langweiliger – aber von großem Interesse

Bis auf sehr seltene Ausnahmen findet sich diese Situation in allen europäischen Ligen wieder. Real, Barcelona, Atletico in Spanien, Manchester City (fünf Mal Meister in den letzten sechs Jahren), Paris Saint-Germain,: all das sind Vereine, die entweder mit Staatsfonds, Oligarchen oder Mäzenen ihre Titel erringen. Auch der BVB ist eine Aktiengesellschaft. Die europäischen Ligen spiegeln die gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse. Oligopole bestimmen die politische Ökonomie. Wie in der Wirtschaft mag es mal für Amazon, Alphabet, Shell usw. eine paar schlechte Quartale geben. Aber am Ende bleiben sie die Gewinner.

Das legt nahe, dass das Interesse abnimmt. Doch dem ist nicht so. das liegt auch an dem Wandel, der den Fußball durch die neoliberale Ideologie erfasst. Fußball ist kein Sport seiner Fans und Anhänger mehr. Er hat eine Metamorphose zum marktkonformen Konsumartikel vollzogen. Die Ultra-Bewegungen gegen den „Modernen Fußball“ sind (ungewollt) dessen narzisstischer Gegenpol. Sie verdoppeln, was sie kritisieren: Show, Überheblichkeit, totalen Machtanspruch. Zugleich findet sich bei ihnen auch ein progressives Potential, wie bei den Revolutionen und Revolten im Nahen Osten, der Türkei oder Lateinamerika. Umgekehrt auch rechtsextremes Gedankengut und Praxis, was auch an den autoritären Strukturen und Allmachtsphantasien begründet sein dürfte.

Die Frage, wie es mit dem Fußball weitergeht, ist noch nicht endgültig beantwortet. Er bleibt, trotz aller Kommerzialisierung und marktkonformer Regulierung, ein Spiel, das fasziniert und in dem im Unterschied zu den polit-ökonomischen Machtverhältnissen noch immer der Zufall eine Rolle spielt. Das zeigen die Abstiegsduelle, die Aufstiege der zweiten und dritten Ligen.

Geheime Abstimmung in Frankfurt

Die wichtigste Entscheidung zur Zukunft der deutschen Bundesliga wurde möglicherweise gar nicht auf dem grünen Rasen getroffen. Am vergangenen Mittwoch trafen sich die 36 Vertreter der DFL in einem (geheimen) Hotel am Flughafen. Dort sollte die Entscheidung gefällt werden, 12,5 Prozent Anteile an einen Private Equity Fonds für ca. 2 bis 3 Milliarden Euro zu verkaufen. Die erforderliche Zweidrittelmehrheit der 36 Profivereine in der DFL galt als sicher. Zumal etliche Vereine dringend Geld benötigen und die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den anderen europäischen Ligen beschworen wurde. Im Vorfeld äußerten sich lediglich St. Pauli und der 1. FC Köln öffentlich kritisch. Doch zur Überraschung aller votierten in einer geheimen Abstimmung 14 Vereine gegen den Verkauf. Vielleicht haben sie erkannt, dass das Fass voll ist und ein letzter Tropfen, es zum Überlaufen bringen kann.

Damit ist nichts gewonnen, aber wenigstens nicht alles verloren. Natürlich könnte man den Profifußball reformieren. Dazu genügen einfache Schritte. Ausgerechnet das kapitalistische Amerika weist einen Weg – den Salary Cap, der zumindest die Wahnsinnsgehälter der Profis regulieren könnte. Ein weiterer Schritt wäre die konsequente Anwendung und Durchsetzung der noch bestehenden 50+1-Regel. Das würde die Retortenclubs und Werksmannschaften treffen. Weder Bayer Leverkusen, VW Wolfsburg noch Red Bull Leipzig und SAP Hoffenheim wären in ihrer heutigen Form noch dabei. Ein Verlust für die Konzerne und Mäzene, aber ein Gewinn für die Fans und Traditionsvereine.

„Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“. Es wäre keine schlechte Idee, wenn der DFB und die DFL sich die Worte von Friedrich Schiller zu Herzen nehmen würden.

Übrigens, bevor Sie was Falsches annehmen: Der Autor dieser Zeilen ist kein Anhänger von Borussia Dortmund, sondern Mitglied des 1. FC Nürnberg, dessen Anhänger die älteste Fanfreundschaft der Bundesliga mit dem FC Schalke 04 pflegen.

Ähnliche Beiträge:

5 Kommentare

  1. Laut Kicker wurden in der abgelaufenen Spielzeit der Liga 164,6 Millionen Gehälter an BERATER ausgegeben, also an McKinsey und solche Brüder. Dabei hat Bayern München die Poleposition mit 35,435 Millionen und ein Mc Kinseyer war Kahns interner Berater, der bei der Mannschaft weniger gut ankam.
    Wenn man bedenkt, dass zu diesen Beträgen noch die Spielergehälter, die Gehälter der Angestellten und viele weiter Kosten kommen, kann man ruhig sagen dass Fussball Big Business ist.
    Ein Trost war die Abstimmung der Erst-und-Zweitliga über mögliche „Investoren,“ die zum Glück erstmal scheiterte. Schauen wir nach England, dann finden wir in fernsehgerechte Tranchen zerschnittene Spieltage und absurde Anstosszeiten.
    Den Oliver Kahn mochte ich nie leiden und war zufrieden, als ihn Jens Lehmann als Nr.1 ablöste. Trotzdem war jetzt die Behandlung der ehemaligen Spieler bei Rauswurf vom Verein der „Grossen Familie“ FCB eher mittelalterlich als dem 21. Jahrhundert angemessen. Mir hat sogar Kahn etwas leidgetan.
    Mein erstes Spiel im Rheinstadium war 1966 Fortuna Düsseldorf gegen Bayern 2:2. Seitdem habe ich viel mit F95 gelitten.

  2. Nicht gegebene oder vergeben Elfmeter hin oder her, letztlich hatte es der BVB selbst in der Hand, mit einem gewonnenen Spiel Meister zu werden. Das hat er nicht geschafft. Letztlich geht mir der deutsche Fußball schon seit vielen Jahren gegen den Strich, am meisten beim Anblick von Länderspielen. Meistens halte ich es nicht länger als 30 min aus, bevor ich abschalte. Der mit sehr hohen Summen aufgeblähte Fußball hat nicht zu einer qualitativen Verbesserung geführt, und die schönsten Spiele waren meistens die von Mannschaften aus der 2. oder 3. Reihe. Die Selbstüberschätzung des Fußballs, den man nur noch auf kostenpflichtigen Kanälen „genießen“ kann tut ein Übriges. Die Probleme der Fußballer sind nicht meine Probleme, so kann mir dieser ganze Betrieb den Buckel runterrutschen.

  3. Diese Arenen Kämpfe gehen zurück bis anno dazumal.
    Die Spiele änderten sich, aber die Deutungshoheit lag Final beim Entscheider.
    Oder, wie war das mit Russland und den angeblichen Fairplay?

  4. Eigentlich ist es egal, wer in der langweiligsten Liga der Welt siegt.
    Der Münchener Kader ist doppelt so teuer wie der von Leipzig und Dortmund zusammen. Sie müssen also gewinnen. So sind die Regeln. Der FCB ist dabei in einer merkwürdigen Position. Seine Dominanz ist unverzichtbar für ihn. Schon wegen der investierten Summen. Auf der anderen Seite setzt er der internationalen Vermarktung zunehmend Grenzen. Die Engländer sind da unendlich weit weg. Die Welt will nun mal kein Spiel Bochum gehen Stuttgart sehen, will keine Mannschaften sehen, deren Spieler sie nicht kennt. Die anhaltende Erfolglosigkeit der Auswahl, deren Spieler meist in Deutschland arbeiten, verschärft das noch. Dadurch kommt nicht mehr Geld, um Spieler in der Liga zu halten, die überdurchschnittlich sind. Und auch nicht mehr Geld für die Bayern. Ob man auf dem deutschen Markt noch mehr rausholen kann? Keine Ahnung. Die Stadien sind voll, die Devotionalien verkaufen sich und wie viele Abos braucht man jetzt, um alle Spiele sehen zu können? Für mich zu viel und zu teuer. Von meinem Freunden, die regelmäßig zu Union gehen, hat keiner so was.

    Ich kann die Zukunft auch nicht vorhersehen. Aber wenn ich, ich kann einfach nicht anders, denke, dass die Kapitallogig sich durchsetzt, dann wird es zuletzt doch diese erst mal gescheiterte Intergalaktische Liga geben und der FCB wird mitmachen. Dortmund auch und eigentlich ist das auch ok. Sollen sie Goldbarren fressen und die Fans zwingen, Hypotheken aufzunehmen und die Seelen ihrer Erstgeborenen dem Teufel zu überschreiben.
    Dafür wieder ne richtige Meisterschaft in Deutschland wäre doch nett.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert