Kampf der Titanen auf Bulgariens politischer Bühne.
Meteorologisch erlebt Bulgarien gegenwärtig das, was man früher einen schönen Sommer genannt hätte, Tag für Tag blauer Himmel und Temperaturen hoch in den Dreißigern. Rund einer halben Million Bulgaren und Bulgarinnen macht dies das Leben schwer, sie wohnen in hunderten Ortschaften mit Wasserrationierung. Die anhaltende Hitze mag dem Klimawandel zuzuschreiben sein, die Ursache des Wassermangels ist eher Politikversagen. Lokale und nationale Volksvertreter erweisen sich als unwillig oder unfähig, die Probleme ihrer Wähler zu lösen, Lecks maroder Wassernetze zu flicken und die Wasserversorgung zu modernisieren.
Stattdessen führen sie wie Politikdarsteller auf politischer Bühne dramatische Spektakel shakespearscher Dimensionen auf, ein unaufhörliches verbales Hauen und Stechen ohne erkennbaren Sinn und Verstand. Ihr Publikum flieht das absurde Theater inzwischen mehrheitlich; bei den sechsten Parlamentswahlen in nur drei Jahren gab im Juni 2024 nurmehr jeder dritte Wahlberechtigte noch seine Stimme ab. Bei den für den 27. Oktober 2024 angesetzten nächsten Neuwahlen könnte es nur noch jeder Vierte sein.
Versuchter Vater- oder Königsmord in der Partei der bulgarischen Türken DPS
Seit Anfang Juli 2024 spielt sich vor den Augen der Bürger und Bürgerinnen ein selbst für bulgarische Verhältnisse außergewöhnliches Politdrama ab. Ob es sich bei ihm um eine Tragödie handelt oder um eine Tragikomödie, wird erst zu bestimmen sein, wenn in seinem Schlussakt alle Schicksale besiegelt sind. Es geht in ihm um eine Art versuchten Vater- oder auch Königsmord in der Partei der bulgarischen Türken „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ (DPS).
Der seit Februar 2024 amtierende DPS-Ko-Vorsitzende Deljan Peevski trachtet nach dem politischen Erbe seines Mentors, des übermächtigen DPS-Ehrenvorsitzenden Dr. Ahmed Dogan. Der erwehrt sich, indem er seinen unbotmäßigen Zögling aus der Partei zu verstoßen sucht, bisher vergeblich.
Seinen Ausgang nahm der „Krieg in der DPS“ am 3. Juli 2024 in der Bulgarischen Volksversammlung. Ex-Regierungschef Boiko Borissov stellte dort den Abgeordneten das Minderheitenkabinett seiner rechtsgerichteten Partei „Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens“ (GERB) zur Abstimmung. Dass Borissovs Regierungsvorschlag keine Mehrheit fand, machte siebte Parlamentswahlen in dreieinhalb Jahren unausweichlich. Zusammen mit seinen Gefolgsleuten stimmte DPS-Fraktionsführer Peevski indes für den GERB-Kabinettsvorschlag, obwohl Ehrenvorsitzender Dogan diesen zuvor kategorisch verworfen hatte.
Bulgariens Türkenpartei DPS galt stets als stabilste Partei der bulgarischen Transformation seit dem Ende des Kommunismus überhaupt, nun ist sie gespalten in eine DPS-Dogan und eine DPS-Peevski. In welcher Gestalt sie an den bevorstehenden Parlamentswahlen teilnehmen kann, ist völlig ungewiss, dies macht die Entwicklung der bulgarischen Politik noch unvorhersehbarer.
Seit ihrer Gründung durch Ahmed Dogan im Jahr 1990 kamen der DPS zwei Schlüsselfunktionen für Bulgariens Politik zu. Als traditionell drittstärkste politische Kraft war sie oft das Zünglein an der Waage, das den Ausschlag gab für die Bildung einer Regierung oder ihr Scheitern. Darin ähnelt sie den deutschen Freidemokraten, mit denen sie in der „Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa“ (ALDE) paktiert.
Ihrem Selbstverständnis nach rühmt sich die DPS als „Hüterin des ethnischen Friedens im Land“, da sie sich der Wahrung der Interessen der bulgarischen Türken verschrieben hat, aber auch die Minderheiten der Pomaken und Roma zu ihrem Elektorat zählt.
Ihre nationalistischen Gegner schimpfen die DPS dagegen eine „ethnische Partei“, die es gemäß der bulgarischen Verfassung gar nicht geben dürfte. Kritiker aus dem zivilgesellschaftlichen Spektrum sehen in ihr weniger eine originär politische Partei als einen Lobbyverein zur Verfolgung wirtschaftlicher Interessen, der sich seine parlamentarische Präsenz auch durch unlautere Mittel sichert wie den Kauf von Wählerstimmen vor allem in Romavierteln.
Dogan genießt den Nimbus eines Widerstandskämpfers
Sowohl der 70-jährige Ahmed Dogan als auch sein 44-jähriger Ziehsohn Deljan Peevski gehören zu den schillerndsten und umstrittensten Personen des öffentlichen Lebens in Bulgarien. Unter seinen Anhängern genießt Dogan den Nimbus des Widerstandskämpfers gegen den sogenannten Wiedergeburtsprozess der 1980er Jahre. Damals suchte das kommunistische Regime Todor Schivkovs die bulgarischen Türken durch Änderung ihrer Namen zwangsweise zu assimilieren. Rund dreihunderttausend von ihnen verließen im Zuge der „Großen Exkursion“ ihre Heimat und gingen in die Türkei.
Den Archiven der kommunistischen Staatssicherheit zufolge hat Dogan ihr seit 1974 unter verschiedenen Aliasnamen zugetragen, darunter „Agent Sava“. Wegen staatsfeindlicher Tätigkeit saß er von 1986 bis 1989 zwar im Gefängnis, soll dort in Verhören aber Namen und Taten von Aktivisten der „Türkischen Nationalen Befreiungsbewegung in Bulgarien“ preisgegeben haben.
Peevski im Fokus bizarrer Affären und Skandale
Sein Nachfolger Deljan Peevski befindet sich bereits mehr als die Hälfte seines Lebens im Fokus bizarrer Affären und Skandale. Für sein Lebenswerk hat ihn das US-amerikanischen Finanzministerium mit Magnitsky-Sanktionen belegt, für die es besonderer Verdienste in korrupten Angelegenheiten bedarf. In der Laudatio heißt es über ihn, er sei „ein Oligarch, der zuvor als bulgarischer Parlamentsabgeordneter und Medienmogul tätig war und sich regelmäßig der Korruption schuldig gemacht hat, indem er Einflussnahme und Bestechungsgelder nutzte, um sich vor öffentlicher Kontrolle zu schützen und die Kontrolle über wichtige Institutionen und Sektoren der bulgarischen Gesellschaft auszuüben“.
Im Jahr 2001 ernannte der aus dem spanischen Exil heimgekehrte Ex-Kinderzar Simeon Sakskoburgotski den erst Einundzwanzigjährigen zum parlamentarischen Staatssekretär im Transportministerium seiner Regierung. Ohne jegliche Berufsausbildung oblag Peevski damit die Kontrolle über Bulgariens größten Schwarzmeerhafen Varna. Vier Jahre später hatte er als stellvertretender Katastrophenminister die Staatsreserve unter sich.
Im Sommer 2007 begann Peevskis Mutter Irena Krasteva plötzlich und unerwartet, Tages- und Wochenzeitungen sowie Fernsehsender zusammenzukaufen. Innerhalb kürzester Zeit schuf die von jeglicher Medienerfahrung völlig unbeleckte einstige Chefin der Staatlichen Lottogesellschaft den mächtigsten Medienkonzern des Balkanlandes.
Das dafür nötige Kapital streckte ihr kulanterweise die Korporativna Targovska Banka (KTB) vor. Die verhältnismäßig kleine Handelsbank verwaltete damals unverhältnismäßig große Anteile des finanziellen Staatsvermögens. Im Juni 2014 ging die KTB spektakulär bankrott oder aber wurde – wie der seitdem im Belgrader Exil weilende KTB-Banker Tsvetan Vassilev behauptet – von Peevski mit Hilfe der ihm hörigen Behörden schlichtweg liquidiert.
Bereits ein Jahr zuvor hatte der 33-jährige Deljan Peevski die größten und ausdauerndsten Massendemonstrationen seit dem Ende des Kommunismus in Bulgarien ausgelöst. Es erregte massiven Volkszorn, dass die Koalition aus „Bulgarischer Sozialistischer Partei“ (BSP) und DPS im Juni 2013 ausgerechnet Peevski zum Chef des wichtigsten Geheimdienstes des Landes „Staatliche Agentur für Nationale Sicherheit“ (DANS) ernannte. Zwar trat der eigener Einschätzung zufolge „erfolgreiche junge Mann“ binnen vierundzwanzig Stunden wieder von seinem Amt als Geheimdienstchef zurück. Die Proteste gingen aber noch viele Monate weiter und trugen schließlich zum Sturz des sozial-liberalen Regierungsbündnisses bei.
„Die Macht ist bei mir konzentriert“
Das gesellschaftliche und politische Umfeld, das Peevski so groß und mächtig werden ließ, dass ihn die Hybris packen konnte, seinem Ziehvater Dogan die Machtfrage zu stellen, geht am eindrücklichsten aus Dogans eigenen Worten hervor. Im Jahr 2005 erzählte der damals noch amtierende DPS-Vorsitzende freimütig in Slavi Trifonovs Show in bTV, dass die Finanzierung seiner DPS „wie die Finanzierung aller Parteien in Bulgarien durch einen Ring aus Firmen“ erfolge.
Vier Jahre später erklärte er im Wahlkampf seinen Anhängern in der Rhodopenstadt Kotschan die Machtverhältnisse in Bulgariens parlamentarischer Demokratie folgendermaßen: „Abgeordnete“, so sprach der promovierte Philosoph, „haben weder Macht noch Autorität, sondern lediglich die Aufgabe, Gesetze zu erlassen“. Es sei ihnen „unmöglich, die Probleme von Projekten zu lösen“. Die Macht aber liege in seinen Händen, beteuerte Dogan unter stürmischem Beifall seiner Sympathisanten. „Ich möchte, dass Ihr Euch darüber im Klaren seid, worum es geht… Ich bin das Instrument der Macht, das die Portionen der Finanzierung im Staat verteilt. Die Macht ist bei mir konzentriert, nicht bei Euren Abgeordneten, ich möchte, dass Ihr das wisst!“.
So aufregend wie seine Karriere vollzog sich Dogans Abgang von der politischen Bühne. Bei seiner Abschiedsrede zu seiner Partei attackierte ihn im Januar 2013 ein junger Mann mit gezogener Pistole. Da es sich um eine Gaspistole mit Ladehemmung handelte, kam der scheidende PDS-Führer glimpflicher davon als sein Attentäter. Seitdem lebt der Ehrenvorsitzende zurückgezogen in seinen Serails in Sofia und am Schwarzen Meer, widmet sich vorzüglich philosophischen Studien, unternimmt zuweilen aber auch skandalträchtige Geschäfte.
„Herr Dogan, wo sind die dreißig Millionen, die Sie der BBR (staatlichen Entwicklungsbank /A. d. A.) gestohlen haben?“, stellte Peevski jüngst öffentlich zur Diskussion. Er beschuldigt Dogan, mit einer illegal erhaltenen Kreditsumme in Höhe von 30 Mio BGN (15 Mio €) Schulden seines Heizkraftwerks Varna beglichen zu haben.
In ihrer Stellungnahme blieb die DPS-Dogan dem Renegaten Peevski nichts schuldig. Sie rief ihm seine KTB-Geschichte in Erinnerung. „Ist es hinnehmbar, dass Kredite in Höhe von 500 Millionen BGN (250 Mio €) nicht untersucht werden, insbesondere wenn es sich um öffentlich wichtige Persönlichkeiten wie Peevski handelt? Wird die Staatsanwaltschaft der Republik Bulgarien Maßnahmen ergreifen, um Anklage gegen Deljan Peevski zu erheben und die Aufhebung seiner Immunität zu beantragen?“
Von seinem politischen Habitus her ist Peevski ein Berserker
Agent Sava meldet sich nur noch zu tagespolitischen Fragen zu Wort, wenn er es für absolut notwendig erachtet, so wie zuletzt Anfang Juli 2024 bei seiner Ablehnung des Kabinettsvorschlags von Borissovs GERB. Dies eröffnete dem korpulenten Mr. Magnitsky allen Freiraum, sich in der Tradition seines Vorgängers als „Instrument der Macht“ zu entfalten. Er hat dies mit solcher Konsequenz und Fortune getan, dass ihm großer Einfluss in der bulgarischen Staatsverwaltung zugeschrieben wird, vor allem in der Staatsanwaltschaft.
Von seinem politischen Habitus her ist Peevski ein Berserker, der seine Gegner gerne hart anfasst. Im Fadenkreuz seiner wütenden Attacken steht vor allem auch Staatspräsident Rumen Radev. Der sei ein „falscher Präsident“, der Bulgarien abbringe vom euroatlantischen Weg und es Putins Russland ausliefere, behauptet er. Seit Wochen nennt Peevski Rumen Radev nur noch „Mr. Cash“, unterstellt ihm damit die korrupten Praktiken, deren er selber seit zwei Jahrzehnten bezichtigt wird.
Zuletzt revanchierte sich Präsident Radev mit dem ihm zur Verfügung stehenden Mittel, als er den ihm von der designierten Übergangsministerin Goritsa Grantscharova-Koscharova präsentierten Vorschlag eines Übergangskabinetts zurückwies, weil in ihm die Personalie Kalin Stojanov als Innenminister figurierte. Stojanov gilt als ein Mann Peevskis, so dass Radev bei dem Kabinettsvorschlag „die wichtigste Bedingung nicht erfüllt“ sah, „nämlich die aufgeheizte politische Situation zu beruhigen und die Durchführung fairer Wahlen zu gewährleisten“. Peevski konterte mit der Ankündigung, Kalin Stojanov zum Listenführer seiner Formation für die Teilnahme an den Wahlen im Herbst zu berufen.
„Es handelt sich um den moralischen Bankrott einer ganzen Nation, die sich in die Hände von sich gegenseitig erpressenden kriminellen Clans begeben hat, die das Recht an sich gerissen haben“, konstatiert der Psychiater und Schriftsteller Dr. Ljubomir Kanov in seinem Interview für die Tageszeitung Trud. So könne es nicht weitergehen, warnt Kanov, sonst stürze „Bulgarien irgendwann in den Abgrund der endgültigen Gesetzlosigkeit der Diktatur oder in völlig anarchisches Chaos“.
Ja die Verräter ihrer ursprünglichen Identität, werden ständig manipuliert.
Es wird einen Sieg geben, aber dieser Sieg hat dann andere Strukturen und wird für den allgemeinen geschundenen Menschen, noch härter.
Aus dieser Falle, aus der überdeminsionierten Simulation heraus zu kommen, benötigen die Menschen selbst, Ambitionen, Ideen und real zu konzipierten Umsetzung.
Das ist heute eine weitverbreitete Situation!
Heute existieren vorgegebene Narrative, aber keine Idealisten, die in der Lage sind alternativen zu kreieren.
Wo sind die Denker und Dichter und Lenker, für eine staatliche souveräne Verwirklichung?