Morde an Mercedes-Gewerkschafter vor dem Obersten Gerichtshof Argentiniens

Merces-Benz-Fabrik in Virrey del Pino. Bild: gemeinfrei

Nachdem der US Supreme Court den Fall wegen wirtschaftlicher Interessen nicht verhandeln ließ, ging es um ihn am Mittwoch vor der Corte Suprema in Buenos Aires.

 

Der Saal im ersten Stockwerk des Strafgerichts Comodoro Py war halbleer. Dort erörterten die Obersten Richter des Landes den Antrag der Anwälte des früheren Mercedes-Produktionschef, Juan Tasselkraut. Er wird beschuldigt, während der Militärdiktatur aktiv an der Ermordung von Betriebsaktivisten beteiligt gewesen zu sein. Er hatte seine Anwälte geschickt: Valerga Aráoz, Vater und Sohn. Obwohl alles über YouTube live verfolgt werden konnte, wollten diese beiden sich nicht fotografieren lassen. Der Senior hatte einst Ruhm und Ehre erlangt, als er als Richter die Junta-Kommandanten verurteilt hatte, und jetzt verteidigt er die Gegenseite, den Ex-Manager von Mercedes-Benz Argentina (MBA) wegen Beteiligung an den systematischen Morden.

Valerga im Gericht. YouTube-Screenshot

Vor 21 Jahren hatten die Hinterbliebenen der 14 ermordeten MBA-Gewerkschafter im selben Gebäude Strafanzeige erstattet. Seitdem denken argentinische Juristen darüber nach, ob man das Verfahren eröffnen soll, das heißt, ob man Tasselkraut vor ein Gericht stellen soll. Am Mittwoch ging es also nicht um den materiellen Sachverhalt an sich, sondern nur um juristische Fragen, nämlich darum, ob die Aussage eines Opfers – in diesem Fall ein nachweislich gefolterter Häftling – der Aussage eines Beschuldigten gleich zu setzen sei, also Aussage gegen Aussage steht. „Das Prinzip Aussage gegen Aussage bedeutet Straflosigkeit“, so der Vertreter der Kläger, Rechtsanwalt Fernando Almejud vom Menschenrechts-Sekretariat. „Die Repression geschah im Geheimen, ohne richterliches Zutun. Sie war illegal. Daher muss die Aussage des Opfers höher bewertet werden als die des Täters.“

Oder, um einen historischen Vergleich zu verwenden, der zwar hinkt, aber die Thematik anschaulich macht: Wenn ein KZ-Überlebender, der nachweislich zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem bestimmten Lager war, den dort tätigen SS-Offizier der konkreten Mittäterschaft beschuldigt, muss diese Aussage glaubwürdiger sein als die des SS-Mannes, der alles abstreitet.

Kläger, Rechtsanwalt Fernando Almejud

46 Jahre nach den Morden

 

Der Fall der 14 verschwundenen MBA-Betriebsräte ist detailliert in meinem Film „Wunder gibt es nicht“ dargestellt. Im August 1977, da waren die Militärs schon über ein Jahr an der Macht, kam es im Lastwagen-Werk wiederholt zu Sabotage. Jeden Tag verschwanden Gewerkschafter, sie tauchten nie mehr auf. In Zivil gekleidete Soldaten wollten den Arbeiter Héctor Ratto im Betrieb abgreifen und Produktionschef Tasselkraut bestellte ihn in sein Büro. Dort wurde er Zeuge, als der Manager die Adresse seines Kollegen Diego Núnez an die Militärs weitergab. Núnez wurde wenige Stunden später verschleppt. Ratto sah ihn später im geheimen Haftzentrum der Armee, seine Leiche tauchte nie auf. Nur Ratto überlebte.

Im Mai 1985 sagte Ratto im Prozess gegen die Junta-Kommandanten aus. Er war ein wichtiger Zeuge und berichtete schon damals von der Adressen-Weitergabe durch Tasselkraut. Die Generäle wurden verteilt, aber später begnadigt; es folgte eine Amnestie. Nichts geschah mehr, bis ich 1999 den Fall ausgrub, um die Komplizenschaft der Unternehmen darzustellen. Nach der Ausstrahlung im WDR erstattete der Republikanische Anwaltsverein Strafanzeige in Nürnberg, da in Argentinien noch die Amnestiegesetze herrschten. Das zog sich ein paar Jahre hin und wurde dann brav eingestellt.

Im Oktober 2002 erstatteten die Hinterbliebenen in Buenos Aires Strafanzeige gegen DaimlerChrysler und ihre Komplizen in Gewerkschaft und Militär. Vier Jahre später stellte die Staatsanwaltschaft gegen Daimler und Co ein, da die Firma zwar schuldig sei („culpable sin causa“), aber konkrete Täter nicht hätten ermittelt werden können. Das Verfahren wurde an das Provinzgericht nach San Martín abgegeben, wo es 15 Jahre lang schlummerte. Am Ende stellte die Richterin Alicia Vence die Ermittlungen ein, da der Zeugenaussage von Ratto die Aussage Tasselkrauts gegenüberstand und in ihren Augen Beweise fehlten. Doch Ende letzten Jahres hob das Berufungsgericht das Urteil auf. Der Manager rief den Obersten Gerichtshof an, um einen Prozess zu vermeiden. Darum ging es am Mittwoch.

Auf die Frage der verschiedenen Beurteilung einer Opfer-Aussage ging der Tasselkraut-Anwalt nicht weiter ein, meinte aber, dass in Wirklichkeit Tasselkraut dem Opfer das Leben retten wollte, eine solidarische Handlung also („acto de solidaridad“). Schließlich habe er darauf bestanden, dass der Arbeiter von Uniformierten abgeführt würde. Dass er die Adresse des Kollegen Núnez an die Militärs übergeben habe, sei auch nicht zu beanstanden. Schließlich sei der Arbeiter drei Tage vorher vorübergehend festgenommen worden, die Behörden hätten also seinen Aufenthaltsort gekannt. Das ist Unsinn, denn damals operierten die staatlichen Terrorkommandos unabhängig voneinander. Auf jeden Fall, so Valerga Aráoz, sei dies allenfalls eine „tentativa a participación atipica“, der Versuch einer untypischen Beteiligung, gewesen. Was immer der Herr unter „typisch“ versteht…

 

Der US-Supreme Court stellte wirtschaftliche Interessen über die Menschenrechte

 

Der Fall der 14 ermordeten MBA-Betriebsräte war bereits vor einem anderen Obersten Gerichtshof debattiert worden, nämlich in den USA. Auch dort hatten die Hinterbliebenen Gerechtigkeit gesucht. 2004 hatten sie in San Francisco Klage eingereicht und sich auf das Alien Tort Claims Act von 1789 bezogen, das Ausländern den Zugang zu US-Gerichten erlaubt. Doch es waren Zeiten des „Krieges gegen den Terror“ von George W. Bush, und „human rights“ waren in weiter Ferne. Wie zu erwarten, lehnte 2007 das Gericht in San Francisco die Eröffnung ab. Angela Merkel fuhr in die USA und traf sich mit ihrem frisch gebackenen Amtskollegen, Barack Obama. Sie war über das Verfahren unglücklich. Und im August 2009 bestätigte das Berufungsgericht die Ablehnung der Eröffnung. Doch, es geschah ein Wunder, denn dasselbe Gericht annullierte acht Monate später, ohne Begründung, die eigene Entscheidung. Man wolle nunmehr Zeugen hören und Gerechtigkeit walten lassen.

Daimler rief den Obersten Gerichtshof (SCOTUS) an. Und es entbrannte ein Amicus-Krieg. Amicus Briefs sind Eingaben von Nicht-Prozessbeteiligten. Vor dem Scotus plädierte die Crème des westlichen Kapitals (ebenso wie Obamas Justizministerium) für Daimler:

Allianz of Automobile Manufacturers Inc.

Association of Global Automakers

New England Legal Foundation

Associated Industries of Massachusetts

US Chamber of Commerce

National Foreign Trade Council

Federation of German Industries

Association of German Chambers of Industry and Commerce

Organization for International Investment

Economiesuisse

Swiss Bankers Association

ICC Switzerland

Association of German Banks

European Banking Federation

Atlantic Legal Foundation

 

Ihre Argumentation: Die Bereitschaft der kalifornischen Richter führe zu einem gefährlichen Präzedenzfall, da dadurch die Zuständigkeit für ALLE Ereignisse irgendwo auf der Welt bejaht werde. Daraus entstehe das Risiko, dass ausländische Gerichte künftig US-Firmen untersuchen und verurteilen könnten. Sie rechneten vor: In ausländischen Niederlassungen seien in den USA 5,6 Millionen Arbeitnehmer tätig, die im Durchschnitt 77.409 Dollar verdienen, 36 % mehr als in der restlichen US-Wirtschaft. Sie erzielen 649,3 Mrd. Umsatz und zahlen 14 % der Einkommensteuer. Die Obersten Richter sahen dies ein und lehnten die Eröffnung des Verfahrens ab, da die Richter in Kalifornien die Wirkung, die so ein Verfahren auf ausländische Investoren haben könnte, falsch eingeschätzt habe. Eine der infamsten Entscheidungen der US-Justizgeschichte.

Die argentinische Corte Suprema wird ihre Entscheidung in den nächsten Wochen verkünden. Man hat es nicht eilig, es sind ja erst 46 Jahre seit den Morden passiert. Ob Tasselkraut jemals auf der Anklagebank sitzen wird, ist fraglich. Er besitzt die doppelte Staatsbürgerschaft, und Berlin liefert Deutsche nicht aus. Die deutsche Justiz hat in dieser Sache bereits ihre Ermittlungen gegen ihn eingestellt. Und Untertürkheim stellt seinem tatkräftigen Produktionschef sicher ein lauschiges Plätzchen zur Verfügung. Daimler hat sich bis heute nicht entschuldigt.

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6 Kommentare

    1. Ich bewundere, und das schreibe ich nicht zum ersten Mal, die Geduld, mit der Frau Weber immer wieder versucht, der Justiz verschiedener Länder Entscheidungen abzuringen, um berichten zu können.
      Aber irgend wie werde ich auf meine alten Tage wieder zum Leninisten. Jedenfalls was Lenins Beurteilung des bürgerlichen Staates, seiner Justiz, seiner Institutionen betrifft – Instrumente der herrschenden Klasse. Nicht derart, wie es in der blanken Diktatur per Weisung erfolgt, aber durch Auswahl des Personals, gesetzliche Regelungen , die bei Bedarf -siehe Israel oder Polen- geändert werden.

      Wir haben in Deutschland in übrigen in historisch sehr kurzer Zeit erlebt, wie geschmeidig Juristen dem Kaiser dienten, in der Republik und gegen sie tätig waren, in der faschistischen Diktatur weiter machten und unbeschadet Dienst in der zweiten Republik versahen.

      Aber vielleicht kann man das auch kürzer beschreiben. So wie du mit einen Wort….

  1. Wie immer sehr verdienstvoll von Gaby Weber, über so lange Zeit mit so langem Atem immer wieder mit einem Skalpell ins Geschwür zu schneiden, bis der ganze Eiter sichtbar wird. Ausgeheilt wird es dadurch nicht, dazu ist es zu groß, aber es hilft.

    Bei „Doch, es geschah ein Wunder, denn dasselbe Gericht annullierte acht Monate später, ohne Begründung, die eigene Entscheidung. “ möchte ich allerdings anmerken, daß es Wunder nicht gibt. Es dürften Interessen gewesen sein, die das bewirkten. Wollte jemand MB zu einer Gefälligkeit oder sonst etwas „überreden“? Das wäre mal interessant, zu schauen, welche das gewesen sein könnten.
    Und tatsächlich waren es ja dann auch wieder Interessen, die die Obersten Richter dann das Verfahren doch schließen ließen. Große Politik hat NICHTS mit Gerechtigkeit am Hut. Garnichts.

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