Moldawien: Sprachenstreit und Konflikt um “Rumänisierung”

Protest in Kischinau gegen die steigenden Preise am 12. März 2023. Bild: Veniamin Demidetsky/TASS/CC BY-NC-ND-4.0

Die Lage um Moldawien bleibt angesichts der Spannungen im Transnistrien-Konflikt sowie des Ukraine-Krieges weiter gefährlich. Aufgrund der Massenproteste in der Hauptstadt Kischinau (Chișinău) steht die Ex-Sowjetrepublik zudem vor enormen innenpolitischen Problemen, die nicht zuletzt in Folge der engen Beziehungen zum Nachbarland Rumänien entstanden sind.

Vor dem Hintergrund der sich dramatisch verschlechternden Wirtschaftssituation seiner Bevölkerung sowie der wachsenden Spannungen im Transnistrien-Konflikt steht Moldawien vor enormen innenpolitischen Herausforderungen, deren Lösung durch das Vorgehen der pro-europäischen Führung zusätzlich erschwert wird. Denn die Spitzenpolitiker Moldawiens – das seit dem Zerfall der Sowjetunion lange Zeit offiziell als ein neutraler Staat galt und weder ein militärisches Bündnis mit Russland noch mit einem anderen Staat anstrebte –, ziehen es mittlerweile vor, die bestehende sicherheitspolitische Strategie der Landes zu revidieren und einen neuen Kurs, der vollständig auf den Westen hin ausgerichtet ist, zu verfolgen.

Vor allem die westlich orientierte Präsidentin Maia Sandu, die seit dem November 2020 im Amt ist, spricht inzwischen offen darüber, dass man die Option erwäge, die Neutralität der “Republik Moldau” –, die in der Verfassung des Landes verankert ist –, aufzuheben. Anfang des Jahres sorgte die Staatschefin diesbezüglich für die ersten großen Spannungen, indem sie den Konflikt um die abtrünnige und unter dem russischen Schutz stehende moldawische Region Transnistrien mit dem neutralen Status ihres Landes und einem (verfassungswidrigen) Beitritt zur NATO in Zusammenhang brachte. Angesichts dessen wirft die Opposition Sandu und der Regierung vor, entgegen dem Willen der Bevölkerung, die einen NATO-Beitritt ablehnt, Moldawien in das nordatlantische Militärbündnis zu ziehen.

Die Rumänisierung Moldawiens

Ein wichtiger Aspekt, der zweifellos schon seit vielen Jahren die moldawische Außen- sowie Innenpolitik bestimmt, ist das Verhältnis zum Nachbarland Rumänien. Moldawien pflegt eine sogenannten “Strategische Partnerschaft” mit dem EU- und NATO-Mitglied, das seinerseits die kleine Republik als einen existentiellen Teil der eigenen Nation ansieht und bereits seit dem Ende der UdSSR Einfluss darauf ausübt. Um genau zu sein, hatte Bukarest bereits in der Zeit der Perestroika die “Bewegung zur Vereinigung von Rumänien und Moldau” ins Leben gerufen, und mittlerweile bestimmt es die Politik Kischinaus maßgeblich.

Diese Partnerschaft ist soweit fortgeschritten, dass zumindest ein Großteil der moldawischen Eliten die rumänische Staatsbürgerschaft besitzt. Unter anderem auch Präsidentin Sandu, Premierminister Dorin Recean und andere Spitzenpolitiker des Landes. Man ist also der Garant für die Interessen Moldawiens und zugleich Bürger eines anderen Staates – ein recht fragwürdiger und weltweit vermutlich einzigartiger Umstand.

Zahlreiche Vertreter der besagten Elite – wie zum Beispiel Sandu oder Recean – gelten zudem offenkundig als Befürworter der sogenannten “Unirea” (rum. Vereinigung) von Moldawien und Rumänien. Der ehemalige Parlamentspräsident Moldawiens, Mihai Ghimpu, hat in einem offenen Brief an die moldawische Staatschefin und ihren rumänischen Amtskollegen Klaus Johannis vom 2. Februar sogar erklärt: Die “Kriegsgefahr in Bessarabien” (eine historische Landschaft in Südosteuropa, die sich heute weitgehend mit dem westlich des Dnjestr liegenden Teil der Republik Moldau deckt – Anm. d. Verf.) sei “mehr als real”, und dass “die einzige Lösung, um die russische Besatzung zu verhindern, die Vereinigung mit Rumänien ist”.

Aufgrund dessen schlagen die oppositionellen Kräfte unlängst Alarm und beschuldigen die Regierung, Moldawien, in dem viele nationale Minderheiten leben, “rumänisieren” zu wollen. Dabei spielt die Meinung der moldawischen Bevölkerung, von der etwa die Hälfte gegen die Vereinigung mit dem Nachbarland ist, für die Eliten offenbar eher eine untergeordnete Rolle.

Sprachenstreit: Moldawisch oder Rumänisch?

Als ein weiterer Beleg für die “Rumänisierung Moldawiens” zu werten ist der sogenannte Sprachenstreit, der das Land schon seit 1989 spaltet, als das Parlament im Zuge der Perestroika Moldawisch zur Staatssprache erklärte und die bis dahin verwendete kyrillische Schrift durch die lateinische Schrift ersetzte.

Heute ist diese Kontroverse erneut aufgeflammt, nachdem das Parlament in der Hauptstadt Kischinau Anfang März dafür gestimmt hat, dass die Amtssprache im Land künftig offiziell nicht mehr als Moldawisch, sondern Rumänisch bezeichnet wird. Diese Entscheidung hat im Parlament zu Schlägereien zwischen den Abgeordneten von Regierung und Opposition geführt. Die Opposition hat zuvor versucht, das Votum mit einer Blockade zu verhindern.

Zuletzt war der Sprachenstreit im Jahr 2013 eskaliert, nachdem das Verfassungsgericht Moldawiens entschieden hatte, dass Rumänisch Moldawisch beziehungsweise die moldawische Sprache als offizielle Bezeichnung für die Landessprache ablösen sollte. Das Verfassungsgericht begründete die Entscheidung laut der Wiener Zeitung damit, dass der Ausdruck Rumänisch auch in Moldawiens Unabhängigkeitserklärung von 1991 als solche verwendet wird. Die Initiative ging damals auf mehrere Abgeordnete zurück, die darauf hingewiesen hatten, dass die sprachwissenschaftliche und historische Basis für die bisherige Bezeichnung völlig fehlte.

Die Tatsache, dass dieser Streit erneut die Staatspolitik Moldawiens bestimmt, zeigt, dass die pro-rumänischen Eliten des Landes nicht gewillt sind, von der Unirea abzurücken und etwa Moldawisch als Amtssprache “zu akzeptieren”. Damit sind nicht nur weitere Spannungen innerhalb Moldawiens vorprogammiert, sondern auch die zunehmende Spaltung der Gesellschaft.

Der Artikel ist zuerst auf EuroBRICS.de erschienen.

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7 Kommentare

  1. Tja, ob der Ukraine-Krieg zu einer Balkanisierung Osteuropas führen könnte? Mal eine Dystopie: Es gibt ja auch andere Staaten als Russland, die gerne ukrainische Gebiete hätten – und auch wir hätten dann wieder Ansprüche auf Ostpreußen und Königsberg…..und die ehemalige Großmacht Schweden fängt dann auch wieder ihre alte Großmachtpolitik von Gustav Adolf an….siehe Dreißigjähriger Krieg….schwedisches Ostsee-Imperium usw. usf….

    “Da kommen interessante Zeiten” auf Osteuropa – bzw. Deutschland – zu….wie ein altes chinesischer Fluch sagt, der da heißt “Mögest du in interessanten Zeiten leben”….

    Sarkastische Grüße
    Bernie

  2. Hat nicht unsere “Eitle” schon bei Ihrem ersten Besuch mit mehreren Millionen die bestehenden und zukünftigen Entscheidungen der dortigen “Demokraten” beeinflusst? Man könnte eine Bestechung vermuten 🙂 – aber wer denkt schon an sowas, pfui

  3. Soweit ich weiß, wurde Bessarabien von Rumänien abgetrennt durch Stalin. Bessarabien wurde dann in Moldawien, einen nördlichen ukrainischen Teil und den südlichen Teil, südlich von Odessa zerteilt. Tansnistrien ist ein langgezogenes Grenzstück zwischen dem Fluss Tyra und der ukrainischen Grenze in Moldawien.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Transnistrien

    Die Transnistrier wollen zu Russland, haben noch eine starke kommunistische Partei und sind russophil. Seit es zum gewaltsamen Konflikt kam 1992, sind dort ca. 380 russische Soldaten stationiert als Friedenstruppen, auch von der UN anerkannt. Auch in Moldawien wollen Viele unabhängig bleiben.

    Moldawisch ist praktisch rumänisch, so wie ukrainisch praktisch ein russischer Akzent ist.

    Eine Vereinigung würde schon Sinn machen, allerdings wenn Minderheiten ihre Rechte verlieren oder NATO und Russland eine weitere Grenze in Transnistrien kriegen, steigt die Gefahr für einen weiten Konflikt.

    Maia Sandu wurde von westlichen NGOs und Soros an die Macht gebracht, ähnlich wie die finnische Präsidentin. Auch in Georgien herrschen praktisch westliche NGOs. Wenn Moldau Rumänien beitreten würde, wären sie automatisch in der NATO. Es herrscht jedenfalls Konfliktpotential und wird auch kräftig gezündet von Seiten der NATO und Ukraine, wohingegen Russland überhaupt kein Interesse hat, dass in Transnistrien eine weitere Kriegsfront aufgemacht würde.

    1. Was wir hier vor unseren Augen sehen, ist der finale Akt des postsowjetischen Auflösungsprozesses. Spätestens mit dem Tod der letzten Generation Sowjetbürger endet der imperiale Russki Mir und wird ein Moskowien ohne nennenswerte Einflußsphäre hinterlassen. Russland hat einfach nichts mehr anzubieten. Keine Lebensqualität, keine Vision, keine Zukunft.

      phz

      1. Da will wohl Einer die letzte verbliebene Panzerhaubitze auf dem Schlachtfeld werden! Erinnert mich irgendwie an das Bild des desillusionierten HJ-Flakhelfers vor seinem erledigten Geschütz, allerdings ist unser phz noch nicht ganz so weit…

  4. Wenn die allen Bekannten ethnischen Unterschiede in den betreffenden Ländern tatsächlich als postsowjetische Auflösungsprozess behandelt würde, im Sinne, dass jede Region dahin kann, wo sie möchte, wäre die Probleme nicht so überwältigend groß.

    Aber immer in dem Moment kommt eine (pro-westliche) Fraktion, die sich im Recht fühlt, das ganze Land samt mehr oder weniger großer Minderheiten mitzunehmen.

    Auf der Krim gab es schon 1991 ein Unabhängigkeitsreferendum, das – wie 2014 wieder – mit überwältigender Mehrheit für eine Unabhängigkeit votierte.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Referendum_%C3%BCber_die_Unabh%C3%A4ngigkeit_der_Ukraine
    “Am 1. Dezember 1991 fand in der Ukraine ein Referendum über die Unabhängigkeit statt. Eine deutliche Mehrheit von 90,3 % der Abstimmenden stimmte dabei für die Unabhängigkeit des Landes.”

    Schon damals ließ die Ukraine sie nicht gehen.

    Die beste Lösung wäre gewesen, wenn nach dem Putsch in Kiew, die ukrainischen Provinzen gefragt worden wären, ob sie sich von der Putschregierung trennen wollen. Stattdessen hat die Putschregierung die vehementen Proteste in den Süd- und Ostprovinzen mit einer Anti-Terroroperation überzogen, die bis heute anhält.

    Im Westen wurde der Putsch gegen einen demokratisch gewählten Präsidenten nie angemessen thematisiert, sondern als Revolution verbrämt. Es wurde aber auch nie zu Ende gedacht, wo ein Land das gegen einen demokratisch gewählten Präsidenten revoltiert, landet. Das ganze Unheil in der Ukraine kommt nicht von ungefähr, hätte aber mit verantwortungsbewusster internationaler Diplomatie verhindert werden können.

    Bei den Referenden, die (Ausnahme Krim) nie zu Friedenszeiten stattgefunden haben, weil sie das erlangbare Herrschaftsgebiet der Nato und der EU ziemlich sicher reduziert hätten, hätte sich womöglich ergeben, dass die Bevölkerung bis nach Transnistrien lieber nicht zur EU, sondern zu Russland will.

    BTW, Panzerhaubitze 2000: Wer bei Google nach dem Durchschnittseinkommen in Rumänien und Russland sucht, erkennt leicht, dass das ungefähr gleichauf liegt. Wobei Russland seit 2914 massiv mit Wirtschaftssanktionen traktiert wird.

    Völkerrecht/Völkerwunsch ist dem Westen immer so lange wichtig, wie es ins eigene Herrschaftserklärungsmodell passt.

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