Mit epigenetischen Tests länger leben?

Bild: Canadian Blood Services/CC BY-NC-2.0

Geschäft mit der Lebensangst: Ein Mundabstrich soll reichen, um das biologische Alter zu bestimmen und veränderbare Lebensstilfaktoren zur Langlebigkeits-Optimierung zu erkennen.

Will man mit der Hilfe von Gentests erfahren, welche möglichen gesundheitlichen Risiken einen erwarten, ist das sicher Neugier, die auch damit zu hat, die Kontrolle über seinen Körper zu erweitern und diesen zu optimieren. Kann man gegen genetisch bedingte Risiken nichts tun, kann das Wissen darum fatal sein. Jetzt soll ein Gentest auf den Markt kommen, der vorhersagen will, wann ungefähr derjenige, der den Test an sich durchführen lässt, sterben wird, wenn nicht Unvorhergesehenes passiert.

Ob man wissen will, wie lange man noch zu leben hat, ist wahrscheinlich eine Frage der Lebenseinstellung. Es gehört jedenfalls Stoizismus oder Fatalismus dazu, möglicherweise schon Jahrzehnte voraus zu wissen, dass die Uhr abläuft. Natürlich weiß jeder, dass die Lebenszeit endlich ist und dass trotz möglicherweise weiter steigender Lebenserwartung, was allerdings umstritten ist, für die meisten noch vor dem Alter von 100 Jahren Schluss ist. Aber wir wissen nicht, wann wir sterben werden, weswegen sich die Endlichkeit im Alltag, falls man nicht beruflich oder durch Schicksalsschläge mit ihr konfrontiert ist, mehr oder weniger gut verdrängen oder mitunter durch das bewusste Eingehen von Risiken herausfordern lässt. Ansonsten beruhigen wird uns, wenn wir in Computerspielen, Filmen, Krimis oder Nachrichten dem massenhaften Tod aus der Ferne an uns vorüberziehen lassen.

Epigenetische Uhr

Wissenschaftler des Gesundheitsunternehmens Tally Health haben nun in einer Studie, die in Frontiers in Aging erschienen ist, vorgestellt, wie sich anhand von Zellen, die mit einem Stäbchen im Mund gesammelt werden, die Lebenserwartung abschätzen lässt. Dabei spielen nicht nur vererbte genetische Faktoren eine Rolle, sondern auch auf das Altern einwirkende Faktoren des Verhaltens und Lebensstils der Menschen (Alkoholkonsum, Zigaretten, Ernährung, Stress, Bewegung, Umwelteinflüssen etc.), die sich epigenetisch im Genom niederschlagen und aus denen sich eine epigenetische Uhr mit Durchschnittswerten ableiten lässt.

Das ist nicht neu. Bislang konnte man die epigenetische Uhr durch Blutentnahme anhand der DNA-Methylierung der Blutzellen feststellen. Tally Health hat mit CheekAge ein Verfahren entwickelt, die Methylierung auch mit Zellen aus Mundabstrichen nachzuweisen, was, wenn das Interesse an der eigenen Sterbezeit groß genug sein sollte, weniger eingriffig und daher schnell profitabel werden könnte. Fieserweise ließe sich auch feststellen, wann eine Person wahrscheinlich sterben wird, wenn diese nicht zustimmt. Das könnte für Krankenkassen, Versicherungen, Rententräger, Arbeitgeber oder auch Erben interessant sein. Natürlich gibt es auch andere Speicheltests, die mit ähnlichen angeblich wissenschaftlich fundierten Versprechungen Kunden einfangen wollen.

Das Verfahren basiert auf der Methylisierung von 200.000 Genorten, die als besonders aussagekräftig für altersbedingte Mortalität gelten, also beispielsweise Gene, die bei der Entwicklung von Krebs, Osteoporosis oder dem metabolischen Syndrom (viel Bauchfett, hohe Blutzucker- und Blutfett-Werte und Bluthochdruck) zu tun haben.

Die Wissenschaftler haben bei 1513 Frauen und Männern, die zwischen 1921 und 1936 geboren und vom Programm Lothian Birth Cohorts lebenslang beobachtet  wurden, die Vorhersagekraft ihrer Methode überprüft. Bei dem Programm geht es darum, kognitives Altern mit Lebensstil- und genetischen Faktoren zu verbinden. Alle drei Jahre wurden Blutproben zur Messung des Methyloms anhand von 450.000 Methylisierungsorten genommen. Dazu wurden die Mortalitätsdaten ausgewertet.

Ergebnis: CheekAge soll signifikant mit dem Sterberisiko verbunden sein: „Jede Erhöhung des CheekAge um eine Standardabweichung bedeutet einen Anstieg des Risikoverhältnisses für die Gesamtmortalität um 21 %.“

TallyHealth verkauft für 249 US-Dollar nicht nur bereits den epigenetischen Test zur Bestimmung des biologischen Alters, sondern auch Mittel zur Lebensverlängerung – alles natürlich irgendwie wissenschaftlich beglaubigt, wird den Kunden gesagt. So kosten Mittel für einen besseren Schlaf oder „Gehirngesundheit“ 79 bzw. 69 US-Dollar monatlich. Weil Faktoren des Lebensstils mit einberechnet werden, ließe sich, so das Versprechen, durch Verhaltensvänderungen das Altern verlangsamen oder hinausschieben: „Erschließen Sie sich gesündere Jahre mit wissenschaftlich untermauerten Werkzeugen, die Ihre Gesundheit und Langlebigkeit verbessern.“ Angeblich hätten 60 Prozent der TallyHealth-Mitglieder, die halbjährlich einen Test machen, ihr biologisches „TallyAlter“ schon um mehr als 2 Jahre gesenkt und 75 Prozent ihren Lebensstil-Score nach einem Jahr verbessert.

Reiche leben länger, Arme sterben früher

Diese Anti-Ageing-Welle von Menschen aus den reicheren Schichten, die sich solche Tests mitsamt Präparaten und einen „gesunden Lebensstil“ leisten können, ist andererseits der verzweifelte Versuch, das eigene Leben ein bisschen zu verlängern, möglicherweise auf Kosten der Lebensqualität, sicher aber, falls wirksam, auf Kosten wachsender gesellschaftlicher Ungleichheit.

Es geht nicht nur um den Lebensstil, der auch bedingt ist durch die gesellschaftlich bedingten Lebensverhältnisse. Grotesk ist es so, dass aufgrund der Schere zwischen Arm und Reich die Lebenserwartung etwa in den USA um mehr als 10 Jahre, bei Männern um 15 Jahre differiert. Im ärmsten Fünftel hat sich die Lebenserwartung zwischen 2001 und 2014 nach der Studie kaum erhöht, im reichsten Fünftel jedoch um 20 Prozent.

In Deutschland ist der Unterschied nicht ganz so krass, jedoch auch erheblich, was zuletzt eine Studie des DIW herausgearbeitet hat: „Das Sterberisiko in Deutschland unterscheidet sich deutlich nach Einkommen und Bildung. Der Zusammenhang ist besonders stark bei Männern, ist jedoch auch bei Frauen zu beobachten, wenn das Haushaltseinkommen betrachtet wird. Es wird deutlich, dass Einkommen nur eine Dimension von sozialer Ungleichheit erfasst. Weitere Ungleichheiten bestehen in der Lebenserwartung und der psychischen und physischen Gesundheit.“ Nach einer RKI-Studie aus dem Jahr 2019 beträgt die Differenz der mittleren Lebenserwartung bei Geburt zwischen der niedrigsten und höchsten Einkommensgruppe bei Frauen 4,4 Jahre und bei Männern 8,6 Jahre.

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10 Kommentare

    1. Richtig ! jammern und beschweren… wenn sich dieser Zustand mit den €1000 nicht ändern lässt, dann muss man halt anderweitig recherchieren wie man gesünder lebt, und sich auch klar machen: wer erst bei Renteneintritt damit anfängt sich um die selbst verursachte Verseuchung seines Körpers Gedanken zu machen, der ist ein wenig zu spät dran.
      Da würden nämlich auch €2000 keine Unterscheid machen. Alkohol, Nikotin, fettes statt gesundes Essen, vor der Glotze sitzen, statt den Arsch zu bewegen. DAS IST NÄMLICH ALLES, das nötig ist! Bzw “nötig gewesen wäre”!
      Aber halt nicht erst dann, wenn man plötzlich aus Angst vor dem Stenben in die Hose macht, sondern das ganz Leben lang.
      Mehr ist da nicht!

      Aber Ausreden sind ja viel einfacher. Zumal man ja von der grossen Mehrheit Gleichgesinnter umgeben ist, und gemeinsam jammert es sich leichter…

      1. Jammere nicht, dass die Reichen immer mehr auf Kosten der Armen reich werden. Diese Kämmerei, wie blöde doch die Armen sind, geht mir auf den Senkel. Kannst ja Deinen Reichtum auf dem Mond oder Mars ganz unbehelligt von Armut verprassen. Aber dazu bist Du ja zu feige.

      2. @MichaelEyquem: Also, das liest sich doch wie ein perfektes Bewerbungsschreiben für die Sozialdarwinisten der FDP oder auch der AfD.

        Selbst entworfen oder KI?

        1. Also bitte. KIs sind (noch) zu “intelligent”, um permanent derartige Auswürfe zu produzieren.

          Allerdings sollte man auch persönlich in Klausur gehen.
          Denn im realen Leben/auf der Straße ignorierte man Kommentare dieser “Güte” und ginge weiter mit der freudigen Erkenntnis, dass man glücklicherweise kein (deutscher) Michel ist und das eigene Gehirn noch tut, wofür es konzipiert wurde – DENKEN.😉

    2. “Leben” und “existieren” sind ja unterschiedliche Begriffe. Heißt nicht umsonst “Existenzminimum”. Lass es Dir auf der Zunge zergehen… die Politiker haben sich schon was dabei gedacht – und werden trotzdem immer wieder gewählt – ungĺaublich…

  1. Also mich interessiert das Thema ja schon länger, aber hier in Deutschland wird es wohl nicht mehr lange gut laufen bezüglich steigender Lebenserwartung. Die Krankenkassen sind pleite, das Rentenwesen ist pleite und gutbezahlte Jobs verschwinden langsam aber sicher. Medikamente kosten immer mehr, ebenso gesunde Nahrung. Der Schnaps ist aber immer noch billig, ebenso das Bier.
    Ich würde keinem raten zu versuchen länger zu leben, wenn man nicht sicher ist, dass man es sich leisten kann. Denn ansonsten kann es passieren, dass man die letzten Jahre in einem Heim landet, wo nicht einmal die Bettpfanne regelmäßig geleert wird. Vermutlich ist die beste Rentenversicherung dieser Tage ein Strick von Baumarkt oder, wenn man etwas anarchistischer (und rachsüchtiger) drauf ist, verwendet das Rezept der Punkband Slime welches in “Bullenschweine” besungen wird, um vorher noch ein bisschen Stimmung zu machen.

  2. Geschäft mit der Lebensangst:

    ?

    …ein Gentest …, der vorhersagen will, …wann … derjenige, …sterben wird, …

    Und schon wieder kommen neue Glaskugelpropheten aus den Büschen gesprungen. Den Grundsatz ‚Zukunft existiert nicht‘ sollte man denen auf ihre Glaskugel pappen. Aber wenn das Geld lockt, gibt es keine Grundsätze mehr. Immerhin verkaufen sie ja noch eine Laboranalyse statt lauwarme Luft, mehr als unsere Großsekten, auch christliche Kirchen genannt.

    Aber ok, ich versuche auch mal eine Prognose: Die Geschäftsidee wird keine größeren Früchte tragen!
    Dafür gibt es mehrere Gründe. Der Mensch kann sich nicht den Zustand des Todes persönlich vorstellen. Menschen sehen und spüren die Konsequenzen, wenn ein Mensch gestorben ist, für sich selbst ist das unvorstellbar. Kein Mensch hat daher Angst vor dem Tod, Angst haben einige höchstens vor dem Sterben. Dazu kommt, wenn man tot ist, lässt es sich eben naturgemäß schwer über den Zustand plaudern.

    Ein weiterer Grund ist: wollen die Menschen das tatsächlich wissen?
    (geldgierige Erben klammern wir erst mal aus)
    Was macht es aus uns, wenn wir wüssten, der Sterbetermin steht wie ein Geburtstag fest? Beispielsweise am 17. April nächsten Jahres? Und das nicht nur für uns persönlich, sondern auch und gerade für die Liebsten, den nächsten Verwandten, Freunden, Kollegen etc. Was würde das aus uns machen?

    .

    Aber zum Glück ist das unmöglich. Wir können uns also weiterhin auf das Leben konzentrieren.

    .

    Die Wissenschaftler haben bei 1513 Frauen und Männern, die zwischen 1921 und 1936 geboren und vom Programm Lothian Birth Cohorts lebenslang beobachtet  wurden, die Vorhersagekraft ihrer Methode überprüft.

    Automatischen Übersetzungsprogrammen würde ich nicht trauen, die Überschrift stimmt auch nicht.

    In diesem Zusammenhang würde mich interessieren, warum Menschen mit dem eigenen Tod spielen, versuchen, auf die Schippe statt von ihr zu springen (freeclimbing beispielsweise). Für einen plausiblen Erklärungsansatz, jenseits der üblichen Erklärungsmuster wie psychopathische, Wahnsinns und Drogen -Ursachen würde ich mich, wie schon gesagt interessieren.

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