Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Deutschland hat sich verschlechtert

Propalästinensische Demo in Kreuzberg
Berlin. Demonstration am 27.9.2025 unter dem Titel „United for Liberation – Fight Normalization“ in Kreuzberg. Bild: Montecruz Foto/ CC BY-SA-3.0

 

Obwohl gleich zwei zivilgesellschaftliche Initiativen vor einer Einschränkung der Meinungsfreiheit in Deutschland warnen, wird darüber in den hiesigen Medien kaum berichtet. Dafür stellen sich nicht wenige im Streit mit den USA verklärend auf die Seite der EU.

„Deutschlands Zivilgesellschaft kann nicht mehr frei arbeiten.“ Mit dieser alarmistischen Schlagzeile fasste die Nichtregierungsorganisation Venro die Ergebnisse des Civicus-Monitors  zusammen.  Dabei handelt es sich um einen regelmäßig aktualisierten globalen Bericht, der den Zustand der bürgerlichen Freiheiten (Meinungs-, Versammlungs-, Vereinigungsfreiheit) und den Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft in 198 Ländern bewertet. Er teilt die Freiheitsgrade in die Kategorien „offen“, „beeinträchtigt“, „beschränkt“, „unterdrückt“ oder „geschlossen“ ein.

Der Civicus-Report gab kürzlich in seinem neuesten Bericht bekannt, dass er den zivilgesellschaftlichen Raum in Deutschland in seinem jährlichen Ranking auf „beschränkt“ herabgestuft hat. Die dort aufgelisteten Beispiele für die Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten rekurrieren vor allem auf das Vorgehen von Polizei und Justiz gegen Klimaaktivisten und propalästinensische Proteste. Aber auch die Wahlerfolge rechter Parteien und außerparlamentarische rechte Aktivitäten werden in dem Civicus-Monitor aufgeführt.

In einem eigenen Bericht wird die Behinderung von Pressevertretern bei der Räumung des Protestortes Lützerath in NRW benannt. Ausführlich wird auch auf die Versuche der Justiz in Deutschland eingegangen, die Klimaorganisation „Die letzte Generation“ als kriminelle Organisation zu verfolgen. Die Klimaaktivistin Carla Hinrichs wird mit dem Statement zitiert: „Die Ermittlungen der kriminellen Organisation öffnet den Behörden die Türen, um uns zu überwachen und genau diese Möglichkeiten sind auch das Ziel.“  Damit bezieht sich Hinrichs auf Erfahrungen von Juristinnen und Juristen, die darauf hinweisen, dass bei Ermittlungen wegen einer kriminellen oder gar terroristischen Organisation nur in wenigen Fällen Anklage erhoben wird und die Zahl der Verurteilungen noch geringer ist. Aber während der Ermittlungen können Abhörmaßnahmen gegen die vermeintlichen Mitglieder und Unterstützer erfolgen. So geht es hauptsächlich darum, Organisationen zu auszuforschen und ihre Arbeit zu behindern. Tatsächlich müssen viele Organisationen ihre Arbeit einschränken oder ganz einstellen, wenn sie mit solchen Verfahren konfrontiert sind. Auch nach einer Einstellung können sie ihre Arbeit oft nicht mehr wieder in alten Rahmen aufnehmen.

 Auch Repression gegen linken Radiosender aufgelistet

 Auch die Durchsuchung des Linken Freien Senders Radio Dreyeckland im Jahr 2023 ist im Civicus-Report ausgeführt. Diese Maßnahme gegen ein Radio hat auch bundesweit für Proteste gesorgt. Schließlich wurde dem Sender vorgeworfen, das vom Innenminister verbotene linke Onlineportal Indymedia linksunten zu unterstützen, weil ein Redakteur unter einen Bericht einen Link zum Archiv des Portals gesetzt hatte. Erst vor wenigen Wochen hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die Hausdurchsuchung bei einem Rdl-Redakteur gegen die Verfassung verstoßen habe.

Es könnten natürlich noch viele weitere Beispiele für Einschränkungen von Versammlungs- und Meinungsfreiheit in Deutschland aufgelistet werden. Dazu gehören Maßnahmen gegen antimilitaristische Aktionen ebenso wie der Versuch,  das Verbot von roten Dreiecken, die der islamistischen Hamas zugeschrieben werden, so weit auszudehnen, dass auch der rote Winkel der politischen Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus darunterfällt. Die einst von diesen Widerstandskämpfern gegründete Organisation VVN-BdA hat dazu klar Stellung genommen. Trotzdem kam es auch kürzlich noch vor, dass jemand einen Strafbefehl bekommt, weil er einen solchen roten Winkel fotografiert. Auch das Verbot zum Jahrestag der Zerschlagung von Nazideutschland sowjetische Symbole auf Demonstrationen zu zeigen, die nichts mit dem heutigen Putin-Regime zu tun haben, ist eine Einschränkung des Versammlungsrechts. Doch auch die vom Civicus-Bericht aufgelisteten Beispiele für Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit geben schon einen Überblick. In den meisten Medien in Deutschland  wurde der Civicus-Report einfach ignoriert. In den wenigen Medien, wo es meist kurze Berichte gab, wurde der Eindruck erweckt, die Herabstufung sei nur wegen des Vorgehens von Polizei und Justiz gegen propalästiensische Proteste erfolgt. Gerade an diesem Punkt gibt es auch innerhalb der Kritiker der deutschen Staatsapparate unterschiedliche Auffassungen, weil das Nahost-Thema bekanntlich ein innerlinker Zankapfel ist.

Aufstieg und Fall der BRD

Es gab Anfang Dezember 2025 noch eine Internationale Konferenz in Zürich, die sich mit Demokratie in Deutschland in einem akademischen Rahmen befasste. Sie fand an der Züricher Universität und im Kunsthaus Zürich statt und hatte den Titel „Der große Kanton“.  Auch hier wird Deutschland ein schlechtes Zeugnis ausgestellt.

„Das Bekenntnis zur eigenen Gewaltgeschichte als Voraussetzung für ein offenes, dem Nationalismus endgültig abschwörendes und einwanderungsfreundliches Deutschland verschmilzt mit einer zunehmenden Ressentimentproduktion gegen Zuwander:innen – ihnen wird nun die Schuld an allem zugeschoben, was dem Selbstbild einer geläuterten Nation widerspricht. Gesellschaftlichem Dissens wird mit zunehmend autoritären Mitteln begegnet, als ließe sich eine liberale Demokratie auf illiberale Weise schützen und verteidigen. Das Völker- und das Menschenrecht, das aus den Ruinen des Weltkriegs, als Lehre von Auschwitz sowie der Entkolonisierung entstand, wird politischem Kalkül unterworfen.“

Das stand in der Einladung zu dem Kongress, an dem linksliberale und linke Künstler und Wissenschaftler teilnahmen. Yossi Bartal, einer der Besucher, schrieb darüber in der Tageszeitung Neues Deutschland: „Letzte Woche war auch ich in der Alpenrepublik zu einer teils geschlossenen, teils öffentlichen Konferenz, die sich mit dem allmählichen Verschwinden rechtsstaatlicher Standards und universalistischer Legitimationsdiskurse im heutigen Deutschland befasste, und zwar unter dem leicht provokanten Titel ‚Der große Kanton – Aufstieg und Fall der BRD‘. Angesichts des darauf folgenden Aufruhrs im deutschen Feuilleton über das Zusammentreffen mehrerer schwer assimilierbarer Intellektueller könnte ich mir fast anmaßen zu sagen: ‚In Zürich haben wir die Bundesrepublik Deutschland zu Grabe getragen.‘“

Hier wird auch eine in linksliberalen Kreisen nicht nur in Deutschland verbreitete Verklärung  der Zustände in der BRD vor 40 Jahren erkennbar. Das ist Folge einer vor allem im akademischen Milieu schwer verständlichen geschichtlichen Amnesie. Da wird einer BRD hinterher geweint, die mit Berufsverboten und Verfolgung linker Aktivitäten in den 1970er Jahren in ganz Westeuropa zum demokratiefeindlichen Verdachtsfall geworden war.

Kaum noch bekannt ist, dass in den Jahren 1978/79 das Internationale Russell-Tribunal, ein Kreis von linksliberalen und linken Intellektuellen, Wissenschaftlern und Künstlern, auch über die Gefährdung der Demokratie in der BRD beriet. Die Juroren waren massiven Anfeindungen von konservativen Parteien und Medien ausgesetzt.  Es ist schade, dass solche emanzipatorischen Initiativen wie die Untersuchung der Menschenrechtssituation in der BRD durch das Russell-Tribunal heute weitgehend vergessen wurden. So lässt sich erklären, dass manche heute den Zuständen in der BRD, die vom Russell-Tribunal untersucht und kritisiert wurden, nachtrauern.

Wenn Reagan nachgetrauert wird

 Dieses Schönreden vergangener kapitalistischer Geschichte ist auch in den USA zu beobachten. Es ist natürlich verständlich, dass transatlantische Hardliner wie der CDU-Politiker und  Rüstungslobbyist Roderich Kiesewetter als Gast beim Streitgespräch der Deutschlandfunk-Sendung Kontrovers die Ära Ronald Reagan beschwor, als EU und USA noch im Gleichklang gegen das  „Reich des Bösen“, d.h. die  Sowjetunion, agierten. Doch man muss sich doch fragen, warum der Bundestagsabgeordneter der Linken, Ulrich Thoden, der auch am Streitgespräch teilnahm, ohne wirklich eigene Akzente zu setzen, nicht einfiel, dass die Reagan-Ära eine Zeit des militanten Antikommunismus und der Verfolgung von Gewerkschaften und demokratischen Bewegungen in den USA war.

Schon kurz nach Reagans Amtsantritt wurden streikende Fluglotsen verhaftet und in Handschellen dem US-Fernsehpublikum vorgeführt. Die ganze Amtszeit von Reagan ist gefüllt von der ultrarechten Agenda eines Mannes, dem  auf dem Woodstock-Konzert im Jahr 1969 eine Band den Song „Drugstore Truck Driving Man“ gewidmet haben.

„He’s a drug store truck drivin‘ man
He’s the head of the Ku Klux Klan
When summer rolls around
He’ll be lucky if he’s not in town“

Diese Zeilen würden sicher heute auch viele Trump-Gegner dem gegenwärtigen Präsidenten widmen.

Peinliches Anbiedern an die EU und ihre Werte

Das macht deutlich, wie unsinnig es ist, den Zeiten nachzutrauern, als es um die Freiheitsrechte in der BRD oder in den USA angeblich so viel besser als heute bestellt gewesen sein soll. Noch peinlicher ist es, wenn Linksliberale und sogar manche Linke zu den Verteidigern der real existierenden Verhältnisse in der EU und besonders in Deutschland werden, weil in der neuen Sicherheitsstrategie der USA ein Verlust der Meinungsfreiheit in der EU festgestellt wird.

Nun ist klar, dass es hierbei um das Gegenteil von der Kritik geht, wie sie im Civicus-Report und auf dem Züricher Kongress geäußert wurde. Die Rechten in den USA und anderen Ländern wollen die Repression gegen Klimaaktivisten, gegen Kritiker des rechten Aufschwungs, gegen NGOs noch verschärfen und sind sich damit einig mit vielen Konservativen in allen EU-Ländern. Das ganze Geschrei über eine Spaltung der EU durch die USA ist besonders verlogen. Alle US-Regierungen haben nach 1945 die Linke in verschiedenen EU-Staaten bekämpft.  Noch Mitte der 1970er Jahre war sich der sozialdemokratische BRD-Kanzler Helmut Schmidt mit dem US-Präsidenten einig, dass in keinen EU-Staaten  kommunistische Parteien an die Regierung kommen dürfen, auch wenn sie sich wie in Italien schon sozialdemokratisiert hatten und viele Wählerstimmen auf sich vereinigen konnten. Zur Not standen in allen Ländern faschistische Kräfte bereit, die mit ihrer Strategie der Spannung die Linke klein halten konnten.

Spätestens seit 1989 befinden sich die EU und die USA in innerkapitalistischer Konkurrenz und seitdem werden die Töne gegeneinander schriller. Schon vor 22 Jahren unter Präsident Bush wurde von einem alten und einem neuen Europa gesprochen. Letzteres war dasjenige, das sich im Zweifel eher mit den USA  in den globalen Konflikten verbinden würde. Doch alle Fraktionen waren bereit, Kriege zu führen, nur für unterschiedliche wirtschaftliche Interessen.

Im Jahr 2025 haben sich die innerkapitalistischen Konflikte zwischen den USA und der EU und auch die Risse innerhalb der EU verstärkt. Das erklärt, warum auch die Polemik sich verschärft und immer häufiger die angeblich so heiligen europäischen Werte ins Spiel gebracht werden. Das ist natürlich ein Mittel, um die Bevölkerung notfalls in die Kriege zu führen. Denn kaum jemand würde für Aktienkurse in den Tod gehen. Peinlich ist es aber, wenn nicht nur Linksliberale, sondern auch manche, die sich einmal als Kritiker von Staat und Nation gerierten mit einstimmen und den Eindruck erwecken, als wäre die EU die letzte Festung der Freiheit gegen China, Russland und jetzt auch noch die USA. Ein Blick in den Civicus-Report könnte vielleicht helfen, die Debatte wieder aus den Wertehimmel auf die reale kapitalistische Realität zu lenken.

Peter Nowak

Peter Nowak ist freier Journalist für verschiedene Zeitungen und dokumentiert sie auf seiner Homepage. Mit Clemens Heni und Gerald Grüneklee gab er im Juni 2022 das Buch „Nie wieder Krieg ohne uns … Deutschland und die Ukraine“ im Critic Verlag heraus.
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6 Kommentare

  1. Meinungsfreiheit in Deutschland hat sich verschlechtert

    Nein, sie hat sich nicht verschlechtert. In Zeiten, in welchen man nunmehr vorsorglich mit der (Zensur) Schere im Kopf Meinungen äußert und mit dem Morgenmantel bewaffnet ins Bett hüpft, existiert keine Meinungsfreiheit mehr.

        1. gut das du bloedsidianisch verstehst und netterweise übersetzt .
          aber ist das wirklich seine Aussage? man weiß es nicht.

  2. Ich habe den Artikel überflogen, aber registriert, dass die Linke nun staatstragend agiert. Man hat es ja schon bei Parteinahme für Netanjahu (Ramelow) und für die Banderisten (van Aken) sowie den Kriegskrediten gesehen. Genau das macht es aus, dass sie ihren Namen genauso zu Unrecht trägt wie die CDU/CSU, die SPD, die F,D.P. und die Grünen. All diese Parteien machen genau das glatte Gegenteil von dem, was ihr Name suggeriert. Bei BSW kann man den Namen noch nicht in Zsammenhang mit der ausgeführten Politik bringen, die zukünftige Deutung von BSW ist aber bereits fraglich.
    Wie dem auch sei, nach dem Motto „leben und leben lassen“ konnte man sich 80 Jahre durchmogeln, nun ist es damit vorbei. Wer die Augen von der Glotze bekommt, sieht, was im Land los ist. Die fetten Jahre sind vorbei und es wird auf Krieg hingearbeitet. Eigentlich wäre das ein Grund, auch mit kleinerem Einfluss und kleinerer Leistungskraft den Zusammenhalt der Gesellschaft zu stärken, aber auch da findet das glatte Gegenteil statt. Vernunftbegabte Menschen und Leute, die rechnen können, werden an den Rand gedrückt und sanktioniert. Es gab eine selbstinitiierte Zeitenwende, das Ruhigstellen des Pöbel wird in absehbarer Zeit, wenn Sondervermögen und geklautes russisches Geld alle sind, nicht mehr funktionieren. Der allseits gewünschte Krieg gegen Russland wird genauso enden wie 1945, auch wenn nun die Alliierten hinter Deutschland stehen, deren goldene Zeit ist auch abgelaufen.

    1. ich vergleiche die Situation eher mit 1914.
      alle Seiten zuendeln, nicht nur 1 Aggressor.

      außerdem ist der Nazivergleich irgendwie, ich weiß nicht, langweilig, abgenutzt, sowas eben.

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