Leichter als Luft, Folge 64 — Epilog am Indischen Ozean

Leichter als Luft
Cover, Leichter als Luft

Während die Freunde in Berlin tot sind oder schwer mitgenommen, taucht ein altbekanntes Wesen wieder auf. Der Roman Leichter als Luft endet in einem weit entfernten Erdteil.

 

Auf den Trümmern der menschlichen Zivilisation werde es fröhlich Yoga-Übungen machen! So hatte das Weazel prophezeit, in Mama Valentes »Bar zum Krokodil«, acht Tage nach dem Doppelturmsturz zu Babylon … der in Wirklichkeit ein dreifacher Turmsturz gewesen war.

Von jenem dritten Turm – World Trade Center 7 –, der an jenem sonnigen Septembertag im Jahre 2001 in New York City mit seinen 187 Metern ebenfalls in sich zusammengestürzt war, hatte aber auch Donna Fauna erst viel später gehört. In der unmittelbaren Terrorberichterstattung und im offiziellen Untersuchungsbericht war dieses Gebäude irgendwie vergessen worden.

Also gleich drei Wolkenkratzer im freien Fall? Das war eine Menge Stahl für lediglich zwei Flugzeuge. Dementsprechend beschäftigte das Jahrhundertverbrechen am Beginn des dritten Jahrtausends auch knapp zwei Jahrzehnte danach noch eine Heerschar von Wahrheitssuchern und Klickjägern, nicht nur in den unendlichen Weiten des Internets.

Eine viel kleinere Gruppe im deutschsprachigen Raum hatte sich an der Katastrophe am Platkowsee festgebissen. Sie forschte unermüdlich weiter und stapelte immer noch mehr Hinweise, Argumente, Gegenargumente und Hypothesen aufeinander.

Bis zum Weazeltier war die Kunde vom grauenvollen Tod des Kanarienquex – Segen des Unwissens! – allerdings nicht vorgedrungen. Und der 11. September war ihm längst von Herzen gleichgültig.

Viel lieber meditierte das Weazel vor sich hin, in Frieden, und machte seine Yoga-Übungen. Zwar tat es dies noch nicht auf den Trümmern der menschlichen Zivilisation, immerhin aber am Strand des indischen Ozeans – gut 8 000 Kilometer entfernt von jenen Breiten, in denen Neolin 2 endlich aufgegeben hatte, allabendlich nach Rischke und dem Kanarienquex zu funken, Lola Mercedes mit Germaine Gamma immer noch Belegen für ihre Mordtheorie und anderen Sensationsenthüllungen über die Machenschaften des Deep State nachjagte und Irinäus von Tadelshofen endgültig in seine neue Rolle als Gala-Adeliger und Jetset-Playboy hineingewachsen war.

Sogar Donna Fauna hatte irgendwann beschlossen, sich die Lektüre naturwissenschaftlicher Texte und ihre schon zwanghaft gewordene Dauerbeschäftigung mit der Ballonkatastrophe am Platkowsee künftig zu ersparen.

Sie nutzte die wiedergewonnene Freiheit, um nach und nach zu ihrem guten, alten Straßen-Aktivismus zurückzukehren. In ihre alte politische Heimat fand sie indes nicht mehr zurück.

Dafür war sie neuerdings Feuer und Flamme für die weltweit mit Wucht aufkommende Ökologiebewegung. Wie üblich fühlte sie sich zu deren militantem Arm hingezogen. Und so stürmte Fauna mit Tausenden, zumeist viel jüngeren Aktivisten die Abbruchkante eines Kohletagebaus hinab, kettete sich an das Tor eines Glyphosatwerks, besetzte Straßenkreuzungen und Brücken.

Sie half auch mit, bedrohte Wälder zu verteidigen. Im Hambacher Forst hatte sie eine neue Heimat gefunden, ohne allerdings selbst auf Bäume zu steigen oder in Baumhäusern zu leben. Denn die Höhenangst war ihr geblieben. Auch weilte sie, nicht mehr die allerjüngste Stute im Stall der Revolution, typischerweise nur des Sommers in diesem und in anderen besetzten Wäldern.

Zum Glück, und nicht zuletzt dank eines erfolgreichen Mietervolksbegehrens, hatte sie ja noch ihr WG-Zimmer in Berlin, Prenzlauer Berg.

Geblieben war Fauna auch der unbedingte Wille, sich in Theorie und Praxis jederzeit auf dem äußersten Extrem der Bewegung zu positionieren. Das war aber gar nicht so einfach. Immer wieder musste sie sich eingestehen, dass sie vielen dieser blutjungen Öko-Früchtchen in Sachen Risikobereitschaft kaum mehr das Wasser reichen konnte. Der selbstvergessene Mut dieser neuen Generation an der Front war bewunderungswürdig, brachte Staats- und Konzernmacht schier zum Verzweifeln – und Fauna zum Weinen vor Freude.

Aber in der Theorie! Aber im Wissen! Da freilich lag die durch und durch in revolutionären Traditionen geschulte Geschichtsgranate Donna Fauna immer noch uneinholbar vorn.

Ihre anekdotenreichen Erzählungen von Bauernkrieg und Wiedertäufern, ihre Erläuterung der Grundwidersprüche der französischen oder russischen Revolution, ihre Stories aus dem spanischen Bürgerkrieg, über Paris 1968, Chile 1973 und Portugal 1975, von Zapatisten, Operaisten, Häuserkämpfen und wilden Streiks, sowie Faunas »Kleine Geschichte der Barrikadenbaukunst« … alles das, und sogar mancher analytische Monolog, wurde ihr Abends am Lagerfeuer zugestanden und gerne angehört.

Natürlich aber ließen ihr diese frischradikalisierten Baummenschen nichts einfach so durchgehen, ohne Widerspruch, Einwand, Nachfrage, Gegenargument.

Es war sogar dahin gekommen, dass diese wilde, unverschämte Bande vermocht hatte, den Radikalisierungsspieß glatt umzudrehen. Diese kaum halb so alten Fohlen hatten dem altgedienten Bewegungsschlachtross Donna Fauna eine neuerliche scharfe Wendung auf ihrem lebenslangen Ritt durch die Welt radikaler Theorien verpasst!

Denn die Krieger des Waldes identifizierten sich durch die Bank als Anarchisten. Von den Kommunisten hatten sie kein gutes Bild und wollten nichts wissen von Parteiaufbau, Kaderwesen und Demokratischem Zentralismus.

Ursprünglich um diese verbalradikalen Flausen besser bekämpfen zu können, hatte Fauna, die ewige Leninistin, erstmalig die Klassiker des Anarchismus gelesen. Sie fräste sich durch die Schriften von Michail Bakunin, Peter Kropotkin, Errico Malatesta, Emma Goldmann, Gustav Landauer und Rudolf Rocker. Und siehe da: Deren Entschlossenheit, nicht eine neue Macht zu gebären, sondern endlich das Zeitalter der Herrschaftslosigkeit einzuläuten, gefiel Fauna ausnehmend gut. Hatten Bakunin und Proudhon schon damals recht gehabt gegen Marx und Engels?

So weit wollte Fauna dann doch nicht gehen, aber dieser Strom neuen, alten revolutionären Denkens ließ ihre Säfte ansteigen wie seit frühesten Schülerbewegungszeiten nicht mehr.

Die wiedergefundene Militanz half ihre ungemein, über den Tod des Kanarienquex endgültig hinwegzukommen. Als sie dann zum ersten Mal nach langen Jahren wieder einen richtigen Wasserwerfer-Angriff miterlebte, wobei die Drecksbullen irgendeinen illegalen Kampfstoff ins Wasser gemischt hatten und damit die halbe Demo zum Kotzen brachten, da kotzte sich auch Donna Fauna erst einmal nach Leibeskräften aus.

Als sie damit fertig war, schickte sie KQ einen Kuss in die Wolken und war gesundet.

Nicht nur geographisch sehr weit von Donna Fauna entfernt, jagte das Weazel mittels einer speziellen Form des Aktivismus Erkenntnissen ganz anderer Art nach. Das Weazel war mit Nicht-Tun beschäftigt und es hoffte, den inneren Monolog ein für alle Mal ausschalten zu können.

Schweigend im Lotus sitzend, sah es die warmen Wellen des Weltmeeres an den Strand laufen. Es sah die Wasser vor- und wieder zurückfluten. Das war ein Kommen und ein Gehen, ein ewiges Pulsieren. So würde auch die Erinnerung an ein Tier namens »Mensch« einstmals verschwinden, wie ein Gesicht im Sand.

Für die Bewahrheitung seiner elfseptemberlichen Prophezeiung rechnete sich das Weazel derweil die besten Chancen aus. Mit Siebenmeilenstiefeln bewegte sich jene Spezies, die sich selbst so hochtrabend »Homo Sapiens Sapiens« betitelt hatte (und für diesen Ehrennamen weder schwul noch weise genug war) auf das Ende zu.

Wer hatte Schuld daran? Die Eliten? Der Mainstream? Die Reichen? Die Superreichen? Die Bösen? Die NATO? Die Russen? Der Westen? Die Amis? Die Militärschädel? Die Spekulanten? Die Geheimdienste? Die Medien?

Das Weazel hatte nicht die geringste Lust, diese Debatten zu führen. Es war nicht mehr bereit, die Schuld für den kommenden Untergang irgendwo anders zu suchen als bei den nunmehr 7,6 Milliarden Passagieren der globalen Titanic. 7,6 Milliarden Exemplare dieser seltsamen Spezies, die sich aktuell auf der Landmasse des Planeten tummelten, trugen täglich dazu bei, ihre einzige Existenzgrundlage zu vernichten. 7,6 Milliarden Erdenbewohner zeigten sich täglich unfähig, den Weltenkahn, der offensichtlich auf die Katastrophe zusteuerte, in eine bessere, segensreiche Richtung umzulenken.

Deshalb: Mutation.

Das Weazel hatte es ja immer gewusst: Mutation!

Nicht die Erweckung der Spezies, sondern deren Spaltung sollte das bedeuten. Nicht Revolution durch die Mehrheit, sondern die Mutation einer Minderheit, während die Mehrheit ihren eigenen Untergang besorgte!

Zuschauen, wie sich die Feindmehrheit gegenseitig dezimierte, und Inseln der Verwandlung schaffen, die als Operationsbasen für einen Neuanfang dienen konnten, inmitten der unausbleiblichen Sintflut! Das war nach der Auffassung des Weazels der einzige Ausweg aus der Misere einer Menschheit, die eine Weltgeschichte lang bewiesen hatte, dass fundamentale Lerneffekte von ihr nicht zu erwarten waren.

Brot und Spiele, Teile und Herrsche, falsche Flaggen und Nationalfarben, Pogromhetze, Kriegstreiberei und Spektakel: Die Gebrauchsanweisung für den Machterhalt der Mörder, für Kriege, Not und Elend, horrenden Reichtum und groteske Machtkonzentration war doch von alters her identisch. Es gab technische Upgrades und kulturelle Modifikationen. Im Grunde waren die Mechanismen der Macht von Rom bis Washington und von Babylon bis Peking immer die Gleichen geblieben.

Und trotzdem fiel die Mehrheit der Leute jedes Mal wieder darauf herein.

Es war nicht zu fassen.

Das Weazel hatte dieses Unfassbare erfasst und angenommen.

Es hatte seine Konsequenzen und Leine gezogen.

Des Weazels Flucht ins Off der Spezies musste nunmehr eineinhalb Jahrzehnte zurückliegen. Es hatte dabei eine polnische Verabschiedung hingelegt. Keine Abschiedsrituale, keine letzte Nachricht, keine geheimnisvollen Botschaften von unterwegs: einfach auf, weg und davon!

Den Freunden gegenüber hatte dieses plötzliche Verschwinden freilich eine große Grausamkeit dargestellt, dessen war sich das Weazel bewusst. Gleichzeitig hatte nur dieser Radikalrückzug die kosmische Freiheit der totalen Verinnerlichung ermöglicht, in der das Weazel seither schwelgte.

Und das Weazel schwieg. Am Anfang hatte das wenig geholfen, denn der Verstand hatte im Kopf noch ewig weitergelabert. Das quasselnde Gehirn hatte keine Ruhe gegeben.

Das war überwunden. Es war stiller geworden und still, im Weazel selbst und um es herum, das auch am digitalen Datenverkehr nicht teilnahm, kein Mobiltelefon besaß, nicht sprach und nicht schrieb.

Die einzige irdische Beschäftigung war die Arbeit auf einer kleinen Gartenparzelle, die ihm ein Gönner überlassen hatte – und eine tägliche Bettelrunde bei den Einheimischen. Die hatten das Weazel zumindest im Verdacht, ein heiliges Wesen zu sein. Um vorsichtshalber mit kleinen Spenden auf dieses Karmakonto einzuzahlen, stellten sie seine tägliche Ernährung sicher.

Trotz allen beherzten Entzugs zwischenmenschlicher Kommunikation war es natürlich nicht möglich, alles Weltliche von sich fernzuhalten. Das Weazel mochte schweigen. Taub war es dadurch nicht geworden. So hörte es Touristen und Traveller in letzter Zeit immer wieder vom derzeitigen Präsidenten in den USA sprechen. Der sei ein ehemaliger Fernsehstar und wurde zumeist für die Verkörperung des totalen Unglücks gehalten, von einigen aber auch für den großen Retter.

Dem mochte sein, wie es wollte. Das Weazel, der Albtraumtänzereien müde, saß dabei, lächelte und schwieg.

Es hatte den zum Schweigen gebrachten Kopf längst herumgedreht. In einem spirituellen Manöver, das einige Übung erforderte, hatte es seine Aufmerksamkeit auf die Kraft der kosmischen Liebe ausgerichtet. Es weigerte sich, den nutzlosen Debatten über reiche, scheinbar mächtige, alte, geisteskranke Männer Bedeutung beizumessen.

Wann immer es einem solchen Gespräch beiwohnte und das Geschwätz trotz seines sehr energischen Schweigens und Lächelns partout nicht aufhörte, näherte sich das Weazel dem Sprechenden, legte erst den Zeigefinger an dessen Lippen und dann die flache Hand auf das Herzchakra des zum Schweigen gebrachten. Das sollte bedeuten: »Du bist die Kraft! Du bist die Welt! Tu etwas, oder lass es bleiben. Aber halt bitteschön die Fresse.

Und sei so gut und verschwende Deine Lebens- und Segenskraft nicht an ferne Präsidenten und andere Schimären!«

Das Weazel war insofern durchaus tätig, auf seine Weise. Es tat, indem es nahezu alles, was die Menschen gemeinhin beschäftigte, zu tun unterließ. Es beatmete das gemeinsame Herz und verteilte Kraftgeschenke. Es lächelte, schwieg, reparierte Atmosphären und unterstützte Heilungsprozesse, indem es die eigene Aufmerksamkeit und die seiner unvermeidlichen Besucher stur nach innen richtete.

Das Weazel war bei all dem militant wie eh und je. Es unterstützte beispielsweise nach Kräften den Gegenschlag der Natur, die auf allen Ebenen begonnen hatte, sich der Zumutungen der menschlichen Spezies zu erwehren. Ein Sturm fegte über das Land, eine Mückenplage, eine Regen- oder Dürrezeit brachte alles um das Weazel herum aus den Fugen und der Fassung. Das Weazel hielt alles stoisch aus, saß da und schwieg. War die Krise überstanden, gratulierte und dankte das Weazel den Naturgeistern mit einer Zeremonie für die gelungene Aktion.

Und bei alledem lächelte es. Es lächelte und schickte Wärme und Liebe hinaus in den Untergang der alten Welt. Mehr, so hatte es befunden, konnte es nicht tun für diese todkranke Spezies der Zauderer, der Ignoranten, der Pessimisten und Naivlinge.

Auch die »Yogaschüler«, zu denen sich immer wieder einmal einige Besucher ungebeten erklärten, nur weil sie dem Weazel bei dessen Übungen zusehen und mitmachen durften, bekamen von ihrem eigenartigen Guru nicht mehr als ein Lächeln und Schweigen. Die meisten blieben dann auch nur wenige Stunden, andere einige Tage.

Drohten diese selbsternannten Weazel-Schüler jedoch zu Dauergästen zu werden, verlegten sie sich ebenfalls aufs Lächeln und Schweigen und fingen an, sich in Weazelnähe häuslich einzurichten, wurde es dem wundersamen Wesen bald zu viel. Dieser Mangel an Selbständigkeit fing dann an, dem Weazel gewaltig auf den Keks zu gehen, und es entwickelte wortlos herausschmeißerische Tendenzen.

Das Weazel hatte nämlich keinerlei Interesse, eine Kirche, Sekte, Schule, Bewegung oder Partei zu begründen. Das mochte im Widerspruch zu der Idee stehen, »Inseln der Erneuerung« zu bilden, aber das Weazel scherte sich nicht um Widersprüche und war mit sich selbst als Ein-Personen-Insel vollauf zufrieden.

In letzter Zeit allerdings wurde dieses Leben in spiritueller Überlegenheit und »splendid isolation« häufiger auf harte Proben gestellt.

So erreichten die Hitzewellen in dieser Weltgegend immer öfter über fünfzig Grad Celsius. Die Dürre sorgte für Ernteausfälle. Und auch, wenn das Weazel diese Phasen allgemeinen Hungerns mit hartnäckigem Fasten konterte und dabei immer neue Rekorde aufstellte: Das gleichmütige Lächeln durchzuhalten, fiel dem schweigenden Weazel durchaus nicht leicht, bei all dem Elend um es herum und in seinem fürchterlichen Erschöpfungszustand.

Schwierig und zugleich schön war es mit den Kindern des kleinen Dorfes am Rande des Ozeans, vor dessen schäbigen Behausungen und einer eher mageren touristischen Infrastruktur das Weazel Quartier bezogen hatte, unter einem riesigen, eindeutig heiligen Baum.

Die Kinder aus dem Dorf hatten das komische Wesen vor einer Zeit entdeckt, und weil das komische Wesen immer lächelte und nie etwas zu tun schien, außer herumzusitzen oder komische Verrenkungen zu machen, hatten sie schnell jede Hemmung verloren. Sie kugelten sich vor Lachen, während sie das Weazel zu zehnt, zu zwanzigst belagerten und irgendwie zum Sprechen bringen wollten. Sie zupfen das Weazel am Bart und kletterten auf ihm herum. Sie schrien und tanzten und trieben jeden erdenklichen Blödsinn.

Was jedoch den blühenden Blödsinn anging, war das Weazel den kleinen Rackern mehr als ebenbürtig. Auch das Weazel tobte und alberte, wenn auch wortlos, herum, und die Kinder befanden bald, dass dieses komische Wesen ein Mittelding zwischen Kind und Tier sein müsse.

Einige von ihnen waren auch begierig, das Schweigen und diese ulkigen Verrenkungen nachzumachen, die das komische Wesen vollführte. Das freute das Weazel sehr.

Aber nahezu allen dieser Kinder aus dem Dorf war das Elend deutlich anzumerken. Einige waren von Krankheit und Unterernährung gezeichnet. Manchmal blieb eins der besonders geschwächten Kinder dann weg und manchmal wurde das Weazel von den Eltern geholt, um bei der Beerdigung anwesend zu sein.

Das betrübte das Weazel. Wenn es alleine war, lächelte es heimlich nicht mehr, sondern weinte bitterlich. Und der Wunsch, diesem Elend abzuhelfen, nagte am Weazelwillen, sich aus dem Hüh und Hott der Menschenspezies herauszuhalten.

Es wurde immer noch schwieriger, das ewige Schweigen und Lächeln und Nicht-Tun durchzuhalten. Mit den Zögerern und Zauderern, den studentischen Jammerlappen und den Guru-süchtigen Esoterikfreaks war das Weazel spielend fertig geworden. Was sollte es schon anfangen mit dieser Sorte Mensch, die in der Ersten Welt Flugzeuge bestieg, um in der Dritten Welt den Sinn des Lebens zu suchen?

Sicherlich, es waren auch ehrlich Suchende, Leidende, Verzweifelte und seitlich Umgeknickte darunter. Denen verpasste das Weazel halt einen zärtlichen Heilungsschub, mit dem sie einige Monate beschäftigt waren.

In letzter Zeit aber spülte es immer öfter Leute ganz anderen Schlages an den Weazelstrand. Der Kontrast zu den üblichen touristischen Frusthaufen konnte nicht größer sein.

Denn diese Traveller kamen nicht aus den moralisch verwahrlosten Hochburgen des Wohlstands im Westen. Diese hier waren aufgebrochen aus dem Elend, sie flohen vor Tod, Hunger und vor der sengenden Hitze. Aber gerade sie berichteten nicht tagein, tagaus nur von den Schrecklichkeiten der Welt. Gerade sie strömten im Gegenteil Zuversicht aus, Optimismus, Machbarkeitswillen, Neuerungsgeist, Draufgängertum, Tatkraft, Einsatzbereitschaft, kurz: Entschlossenheit.

Diese aus den Elendsquartieren und den verheerten Landstrichen emporgestiegene Entschlossenheit machte nach des Weazels Empfinden den alles entscheidenden Unterschied aus. Die Luschis aus dem Westen hätten die Welt gerne geändert. Die lebten ewig im Konjunktiv.

Die Entschlossenen waren dabei, genau das zu tun! Die Entschlossenen schmiedeten konkrete Pläne, räumten Hindernisse aus dem Weg, setzten sich in Bewegung und rissen immer mehr Leute mit sich fort. Die Entschlossenen organisierten auf ihrem Marsch den Gegenangriff! Setzte es Rückschläge und staatliche Angriffe, stießen sie auf neue Grenzanlagen, antworteten die Entschlossenen mit dem Mut der Verzweiflung und gingen mit erneuerter Angriffswut weiter vor.

Der Unterschied zu den bisherigen Durchreisenden, die an des Weazels Schweigelager am indischen Ozean gekommen waren, war monumental. Das waren auch keine Flüchtlinge im eigentlichen Sinn. Das waren Aufgebrochene. Die hatten eine Entscheidung getroffen, die hatten den Sprung ins Offene gewagt. Die reisten nicht als Touristen durch die Welt, sondern als Aufrührer. Sie kamen auch nicht mit Flugzeug oder Kreuzfahrtschiff daher, sondern zu Fuß, auf klapprigen Fahrrädern, auf abgemagerten Pferden oder Eseln.

Erreichten sie das nächtliche Feuer des Weazels, quatschten sie nicht sofort drauflos, sondern schwiegen respektvoll und ausdauernd mit dem Weazel. Auch dieses Schweigen jedoch atmete Entschlossenheit. Es war dem Weazel sogar, als stünden diese Anderen mit den Wellen des indischen Ozeans im Bunde. Schwieg jedenfalls ein Entschlossener mit dem Weazel mit, klang ihm das Rauschen des Weltmeeres lauter und mächtiger in den Ohren.

Genau darin, in dieser Entschlossenheit, liegt, so dachte das Weazel immer öfter, die natürliche Hoffnung der Welt.

Als eines Tages die ganze, zum Teil schon jugendlich gewordene Kinderbande aus dem Dorf den Weazelbaum aufsuchte, der aufgrund der ewigen Dürre schon halb eingegangen war, als sie dem Weazel dann gestenreich bedeuteten, man habe sich jetzt ebenfalls entschlossen, sie würden sogleich mit ihren Eltern und dem ganzen Dorf aufbrechen und wollten sich nunmehr verabschieden: Da hörte das komische Wesen urplötzlich auf zu lächeln.

Dann, nach drei tiefen, langen Atemzügen erhob sich das komische Wesen, und es geschah das Ungeheuerliche.

Das komische Wesen sprach!

»Bom Shiva!«, sagte das Weazel und griff nach seinem beschnitzten Pilgerstock:

»Let’s go!«

 

Ende.

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3 Kommentare

      1. Wo Wollnashorn und Mammut in der Weichsel-Kaltzeit an Unterkühlung und Nahrungsmangel verendet sind oder heute uralte Gebirgspässe durch die Gletscher Rückgänge auftauchen. Da muss es mal deutlich wärmer gewesen sein als in der der heutigen Zukunft.

        So oder so ich sterbe auch ohne Kinder aus, egal wie das Wetter danach wird oder auch nicht wird!

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