Leichter als Luft, Folge 52 — Eine Frage der Ehre

Berliner Mauer, Graffiti
Quelle: Pixabay

Auf dem Schloss des Tädeus von Tadelshofen kommt es zu einer bemerkenswerten Zusammenkunft. Auch Jonathan Rischke trifft ein und will seine Ehre wiederherstellen.

 

Faunas Stimmung verdüsterte sich minütlich, während sie neben dem Quex auf dem Beifahrersitz hockte. Der Kanarienquex mit dem Knick in der Optik hatte sich das Auto seiner Mutter ausgeliehen und saß mit einer dicken Brille hinterm Steuer.

»Wirst sehen, der Tädeus ist total okay. Ganz anders als Du meinst.«, gab er Fauna hin.

Die grunzte nur verächtlich. Sie scrollte gerade durch ein kleines Potpourri aus Facebook-Posts des Freiherrn, welches Germaine Gamma zusammengestellt hatte.

Fauna überflog es und war voller Wut. So echauffierte sich dieser ach so liberale Tadelshofen etwa über neue Praktiken Berliner Bettler – mit einer Verächtlichkeit, die Fauna schaudern machte. Er hetzte ohne Unterlass gegen die Linkspartei – die bei ihm ausnahmslos »SED« hieß. Er verdammte die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle Bürger und nannte das Vorhaben einen »nachgerade grotesken Exzess der Volksverhätschelung«.

Volksverhätschelung.

Selber mit einem goldenen Löffel im Maul zur Welt gekommen, hatte dieser Typ augenscheinlich jeden Bezug zur sozialen Realität der Normalbevölkerung verloren. Aber dann, selbstredend, wie konnte es anders sein: Dann kamen Posts, die des Freiherrn gutes Herz beweisen sollten. Aus Tansania zum Beispiel, wo sich der noble Herr als Retter der Ärmsten der Armen präsentierte. Denn natürlich war Tadelshofen Gründer und Vorsitzender einer »Hilfsorganisation«. Die nannte sich »Un monde meilleur« und war nur ein geschicktes Steuersparmodell, das dem Freiherrn Urlaubsreisen in Dritte-Welt-Länder mit eingebautem Prestigegewinn ermöglichte, wie Fauna argwöhnte.

Sie hatte genug gelesen und steckte das Smartphone wieder ein. Damit verpasste sie allerdings jenen Teil von Germaine Gammas Recherche, der mit dem Satz begonnen hätte: »Es gibt da aber noch eine andere Seite dieses Herrn. Die ist deutlich weniger unsympathisch …«

Der Vormittag auf Schloss Montgolfière verlief ganz anders, als irgendeiner der Beteiligten erwartet hatte. Donna Faunas Vorsatz, ihre Feindseligkeit unter keinen Umständen aufweichen zu lassen, war bereits ins Wanken geraten, als sie den Ginkgo im Rondell der Schlossauffahrt erblickt hatte. Fauna liebte die asiatischen Lebensbäume und war hin und weg von diesem prachtvollen Exemplar.

Tädeus von Tadelshofen gegenüber vermochte sie immerhin noch bei der Begrüßung eine schnippische Distanz zu wahren. Auf dessen »Sehr erfreut, Sie hier begrüßen zu dürfen, Gnädigste!«, antwortete Fauna, dass man wohl erst noch abzuwarten haben werde, wie groß ihrerseits die Gnade und seinerseits die Freude ausfallen werde.

Als Isolde, die Hauswirtschafterin, Donna Fauna zu ihrem Gästezimmer geleitet hatte, war ihr Widerstand jedoch kollabiert. Es trage den Namen »Prinzessinnenzimmer«, berichtete Isolde. Hier sei nämlich in den Zwanzigerjahren eine Prinzessin aus dem französischen Hochadel wohnhaft gewesen. Die habe mit dem damaligen Hausherrn, Carl Clemens Jungbeeker, wie man munkle, eine ausführliche Affäre unterhalten. Auf ihren Wunsch hin seien die Räumlichkeiten in altfranzösischem Stil eingerichtet worden. Von den Originalmöbeln habe zwar nichts die DDR überstanden, aber der Freiherr habe die Idee erneut aufgegriffen, wie man sehe.

Und Fauna sah: ein opulentes Louis-Philippe-Sofa! Eine Chaiselongue! Ein kleiner Schminktisch mit Perlmutt-Intarsien christlicher Motive! Ein Himmelbett mit einem Sternenzelt aus goldenen, französischen Lilien im Baldachin! Ein Wandteppich zeigte Jeanne d’Arc in der Schlacht! Eine Büste das Konterfei der Marie Antoinette! Und, natürlich durfte auch das nicht fehlen, in einem französischen Zimmer auf diesem Schloss: die Gebrüder Montgolfier, als bronzene Statuetten.

Als man wenig später in einem kleinen Salon zusammenkam, um ein spätes Frühstück einzunehmen, war Donna Fauna wie verwandelt. Sie sprach Tadelshofen unentwegt mit »Lieber Tädeus« und bald schon jovial mit »Mein verehrtes Freiherrchen« an. Sie tadelte augenzwinkernd den Kanarienquex, dass der dieses längst überfällige Kennenlernen – Fauna kramte in ihrem Restfranzösisch und riskierte, wenig treffsicher, von einer »Connaissance« zu sprechen – erst jetzt möglich gemacht habe.

Fauna steckte dabei den Joint, den sie soeben fabriziert hatte, in eine Zigarettenspitze aus Elfenbein, welche sie kürzlich für kleines Geld auf dem Flohmarkt am Berliner Mauerpark erstanden hatte. KQ kiffte natürlich mit. Der Hausherr lehnte dankend ab und erklärte, mit einer Schlossführung warten zu wollen, bis die weiteren Gäste eingetroffen seien, die hinzugebeten zu haben er nunmehr gestehen müsse. Fauna und KQs Einverständnis habe er unhöflicherweise vorausgesetzt.

Im Land Rover Defender, der den abgefackelten Bugatti ersetzt hatte, näherten sich Jonathan Rischke, Pavel Berger-Grün und der Yoga-Unternehmer Pedrillo Caldez den Zielkoordinaten. Von Templin aus ging es gute fünfundzwanzig Minuten über immer kleinere Straßen, Feld- und schließlich Waldwege. Als Jonathan gerade anfing, auf sein Navigationsgerät zu schimpfen, welches daraufhin mitteilte, das GPS-Signal verloren zu haben, tauchte plötzlich hinter einer scharfen Kurve Schloss Montgolfière auf, mit seinen beiden ausladenden Seitenflügeln und dem monumentalen, runden Mittelbau. »Hell and damnation!«, gab Berger-Grün seiner Bewunderung Ausdruck. Und kaum, dass sie vor dem Tor mit dem Engel der Geschichte zum Halten gekommen waren, öffnete sich dieses umgehend.

Sofort, als er im Teezimmer mit Donna Fauna zusammengetroffen war, hatte Jonathan Rischke sie um einen gemeinsamen Spaziergang gebeten. Fauna hatte zugestimmt und jetzt liefen sie zu zweit durch den mit zahlreichen Statuen bestückten Schlosspark.

»Das also ist meine Version der Geschichte«, beendete Jonathan gerade seine Erzählung: »Es tut mir leid, wenn ich Dir einige Illusionen rauben musste. Aber ich bin auch nicht dieses verräterische Arschloch gewesen, als das ich in Deinen Augen wahrscheinlich dastehe. Ich habe an Shivas Paradize geglaubt und darum gekämpft, wie ich nur konnte, bis zum bitteren Ende. Mir ist davon abgesehen total klar, dass ich in den vergangenen Jahren auf einem ziemlich schrägen Trip unterwegs gewesen bin. Ich war manchmal innerlich wie tot. Der Aufbau einer Kanzlei als junger Rechtsanwalt ist auch kein Picknick im Grünen. Der äußere Erfolg und das viele Geld nach dem Tod meines Vaters haben mich dann krass gepusht. Plötzlich erzählen Dir Hinz und Kunz, wie wichtig Du angeblich bist. Das macht was mit Dir. Dazu die weißen Pülverchen und der ganze Chemiedreck, den ich mir reingepfiffen habe. Mich hat das alles zwischendrin zu einer echten Drecksau gemacht, das weiß ich inzwischen selber, nur …«

Mit einem Ausdruck schmerzerfüllter Zärtlichkeit legte Fauna ihren Zeigefinger an Jonathans Lippen und bedeutete ihm zu schweigen. »Es ist gut, Nathan«, sagte sie dann: »Beziehungsweise weiß ich nicht mehr, was gut ist und was schlecht, was richtig oder falsch. Wenn ich ehrlich bin, weiß ich gar nichts mehr. Aber auf keinen Fall weiß ich genug, um Dir für Dein Leben irgendwelche Vorwürfe zu machen. Ich weiß ja nicht einmal mehr, was ich von meinem eigenen Leben halten soll.«

»Wieso das denn?«, fragte Jonathan zurück: »Du hast doch mit allem Recht behalten. Alles, was Du vorhergesagt hast, über die Krise des Systems und dass man sich wehren muss und sich organisieren, weil wir auf ein globales Desaster zurasen – ich denke in letzter Zeit ganz oft an Dich und dass Du so verdammt richtig gelegen hast mit Deiner ewigen Apokalyptik, die mir immer so auf den Zeiger gegangen ist. Und Dein wahnsinniger Mut. Meine Art von Schwulsein geht ja heutzutage geschmeidig durch, aber Du mit Deinem Offensiv-Tuntentum und Deinem Straßen-Aktivismus: Für mich bist Du eine Heldin, Fauna!«

»So?«, gab Fauna scheinbar gelangweilt zurück. »Das ist nett von Dir, Johann. Ich frage mich inzwischen eher, ob diese Inszenierung, die ich da veranstalte, nicht längst ein totes Ritual ist, das ich nur noch abziehe, weil es mir das schöne Gefühl vermittelt, radikaler zu sein als alle anderen. Was mache ich denn wirklich? Auf Latschdemos rennen, labern und bestenfalls mal, in den Momenten der allergrößten Restkühnheit, einen Fascho-Aufmarsch blockieren oder eine Nobelkarosse abfackeln …«

Jonathan fuhr herum!

»Neee, Schatz, don’t worry!«, gab Fauna Entwarnung: »Dein Bugatti in der Tiefgarage Deines geliebten Bonzenclubs, das bin nicht ich gewesen. Ich habe auch keine Ahnung, wer das war, Herr Rechtsanwalt. Ist mir sowieso egal, und ich selber werde so was in Zukunft sogar auch eher bleiben lassen. Die Aufklärungsquote der Bullen stagniert zwar, aber das Risiko bleibt, und was bringt das am Ende schon, die eine Luxuskarre mehr oder weniger. Aber mal was anderes: Unser freiherrlicher Gastgeber da, was denkst Du von dem? Ich gebe zu, er ist hinreißend charmant und für jede Art des aristokratischen Pomps habe ich bekanntlich eine Schwäche. Aber wie ist der so drauf, denkst Du, politisch?«

Jonathan zuckte die Achseln. Er sei in der Hinsicht noch nicht wirklich schlau geworden aus Tädeus von Tadelshofen. Leute aus seinem gesellschaftlichen Spektrum hätten vermutlich eine Weltsicht am Start, die zu speziell sei, um in die Raster gewöhnlicher politischer Haltungen zu passen. Von Tadelshofens Gerechtigkeitssinn sei beispielsweise stark ausgeprägt. Ungerechtigkeit empöre ihn und das sei auch sehr glaubhaft. Dummerweise gehöre zur Tadelshofener Auffassung von Gerechtigkeit die unerschütterliche Annahme, dass der eigene, ererbte Reichtum völlig berechtigt sei.

»Ansonsten ist Tädeus im besten Sinne liberal, was Bürgerrechte und so angeht. Der ist auf jeden Fall ein guter Mensch, Fauna, zumindest will er es dringend sein. Der will niemandem was Böses. Da bin ich mir sicher.«

»Hm. Ich bin mir da noch nicht sicher, auch wenn er wirklich reizend ist, zu mir und überhaupt«, entgegnete Fauna: »Wir werden sehen.«

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