Leichter als Luft, Folge 39 — Böse Überraschung

Berlin, Blick aufs Brandenburger Tor
Quelle: Pixabay

Die Kampagne gegen die Immobilienheuschrecke M-Square nimmt eine scharfe Wendung als deren Deutschlandchef unter skandalösen Umständen tot aufgefunden wird. Aber auch Jonathan Rischke erlebt eine böse Überraschung.

 

Die Einladung kam so überraschend wie folgerichtig. Der Geschäftsführer weigerte sich allerdings auch bei diesem Arbeitsessen beim Edel-Thai »Ho Chi Minh«, Lola wenigstens die kommissarische Chefredaktion des Stadtmagazins anzutragen. Über den Fall Lundergreen wollte er derweil alles wissen.

Lola musste aufpassen. Das war genau die Methode, die sie von dem Typen kannte. Informationen abschöpfen, sie auf die richtig heißen Stories ansetzen und dafür Handlungsspielräume eröffnen. Bloß ja keine strukturellen Zugeständnisse. Alles vermeiden, was den Verlag irgendeinem Risiko aussetzte. Und Lola, so viel war längstens klar, galt als risikobehaftet.

Immerhin sollte sie die nächste Titelstory machen, wurde ihr eröffnet. »1 500 Euro«, erwiderte Lola trocken: »Zusätzlich zum Zeilensatz, Fahrtkosten und Spesen. Und ich will das diesmal vorher schriftlich haben.«

Der Geschäftsführer schluckte, nahm einen Schluck Weißwein und schluckte schließlich auch Lolas Forderung. Für die schriftliche Bestätigung der Vereinbarung musste Lola im Laufe des nächsten Tages noch ein paarmal nachhaken, per E-Mail und Telefon.

Sie hakte nach – und obsiegte.

Jonathan hatte sich diesen zwanzigjährigen Afrikaner über gayromeo.com organisiert. Sam, oder wie er sich nannte, betrieb dort ein Escort-Profil.

Der Feueralarm erwischte Jonathan kurz vorm Orgasmus, doch er behielt die Nerven. »Let’s go, my horse, giddiyo!«, zischelte er dem Jungen ins Ohr, zog am Poppers und legte los. Er packte den Boy hart an, zehn, zwanzig tiefe, feste Stöße, dann spritzte er ab.

Danach musste natürlich alles sehr schnell gehen. Die Alarmsirenen machten einen Riesenlärm. Jonathan sah aus dem Fenster. Unten auf der Torstraße kam ein Löschzug angefahren. »Come on! Come on!«, trieb Jonathan den Jungen an, sich anzukleiden, streifte den Gummi ab und war selbst ruckzuck angezogen. Gewissermaßen als Gefahrenzulage stopfte er diesem Sam oder Jim oder wie er hieß statt einem Hunderter einen Zweihunderteuroschein in die Jeanstasche, ein kurzer Kuss auf den Mund und nichts wie raus.

Leichte Panik machte sich breit im Treppenhaus. Jonathan achtete darauf, dem Afroboy im Gewimmel der fliehenden Betuchten Deckung zu geben. »Stay right behind me!«, gab er Bescheid. Als sie im Foyer des Soho angekommen waren, konnte sich den Grund für den Alarm noch niemand so recht erklären.

»I have not the faintest idea, my dear!«, zuckte auch Jonathan die Achseln, als Sam nach der Ursache fragte.

Eine Durchsage der Feuerwehr forderte alle auf, sich nach draußen zu begeben. Das hätte man angesichts der unwirtlichen Witterung nun gerne vermieden.

Vor der Tür machte sich Sam bei der ersten Gelegenheit aus dem Staub. Jonathan verabschiedete die schwarze Perle mit einem Augenzwinkern und rauchte erst mal eine. Feueralarm und Orgasmus, dachte er genießerisch, das war das Geheimnis seines Aufstiegs in Reinkultur: der Kick des Verbotenen, die Geilheit der Gefahr!

Als Rischke eine Viertelstunde später, in der Tiefgarage des Soho, vor den rauchenden Resten seines ausgebrannten Bugatti Veyron stand, liefen ihm die Tränen herunter. Der Feuerwehrmann klopfte ihm auf die Schulter und sagte mitfühlend: »Verfickte Scheiße, wa?«

Sofort stiegen die Feindmedien groß ins Thema ein. Während der Tod des Fondsmanagers Lars Lundergreen in einer Randnotiz vermeldet wurde, brachte die BZ als Schlagzeile »Die Geister, die ich rief …«, darunter ein Foto von Rischkes ausgebranntem Bugatti, daneben ein konsternierter Rischke und im Text hieß es: »John Eduard Rischke hat sich einen Namen machen wollen, als Held der sogenannten ›Gentrifizierungsgegner‹. Gestern erlebte der Jungrechtsanwalt, welche Geister er da gerufen hat: Linke Chaoten fackelten seinen Bugatti ab!«

Jonathan pochten die Adern in den Schläfen, als er das las. Exakt diese Art der Prominenz hätte es zu vermeiden gegolten, um jeden Preis. Dazu die Häme. Jungrechtsanwalt? Er war 48. Und dieses »John Eduard Rischke«! Woher hatten die bloß diesen Eduard? Jonathan hieß so nicht und hatte auch kein Interesse, daran etwas ändern zu lassen. Was sollte denn das?

Auf Seite drei wurde das Thema weiter ausgewalzt. In einem Kommentar hieß es, der Herr Rechtsanwalt habe sich ja zuletzt als Robin Hood der jungen Kreativen gefallen. In Wirklichkeit sei er nur der nützliche Idiot der neuen Stadtguerilla gewesen. Immerhin sei der weitaus schlimmere Verdacht, Rischke mache sich mit linken Extremisten gemein, nunmehr vom Tisch. Vielleicht aber halte der Herr Rechtsanwalt das Abfackeln seines Bugattis auch für eine gelungene Aktion junger Performancekünstler am »Kreativstandort Berlin«?

Die Junge Welt, deren Redaktion sich auf der dem Soho House gegenüberliegenden Seite der Torstraße befand, beschäftigte sich ebenfalls mit Rischkes Auto. Man hatte ein Foto der auf dem Gehweg stehenden Clubgäste während des Feueralarms gemacht und untertitelte die Bildmeldung: »Wilhelm Piecks Rache? In der Parkgarage eines Business-Clubs im ehemaligen Institut für Marxismus-Leninismus, das einst Wilhelm Piecks Arbeitszimmer beherbergte, brannte gestern ein Bugatti Veyron aus. Von den Tätern fehlt jede Spur.«

Jonathans Lebenslage bekam endgültig einen surrealistischen Zug dadurch, dass am haargenau selben Tag das neue Stadtmagazin ausgeliefert worden war. Das war nicht mehr rechtzeitig zu stoppen gewesen, also hatten die Kioske der Hauptstadt einen doppelten Rischke im Angebot.

Er war wahlweise der Depp des Tages – oder ein hellsichtiger Rechtsanwalt, dessen mutiger Einsatz entscheidend dazu beigetragen hatte, die miesen Geschäftspraktiken eines offenbar dubiosen Investmentfonds aufzudecken, wie Lola in ihrer angriffslustigen Titelstory geschrieben hatte.

Die Lage war zum Verzweifeln, aber Lola sei Dank, zumindest offen. Mit etwas Glück, hoffte Jonathan, konnte man den Diskurs so twisten, dass er am Ende nicht allzu beschädigt dastünde, in der breiteren Öffentlichkeit und in seinem geschäftlichen Umfeld.

Aber was war das für ein mieses Hoffen? Jonathan stierte verloren vor sich hin. Einige Minuten später nahm er alle Kraft zusammen, legte das Stadtmagazin weg, raffte sich auf … und sank zurück auf den Fußboden, wo er in Depression verfiel.

Kaum im Selbstmitleid ertrunken, riss ihn »Karma Police« von Radiohead aus dem Meer von Verzweiflung und Fassungslosigkeit. Es war der Klingelton seines Handys. Rischke brauchte einige Sekunden, um sich aufzurappeln und das Handy aus der Sakkotasche zu angeln. Er erwischte den unbekannten Anrufer gerade noch.

»Hi there, Nath. Pavel speaking. Pavel Berger-Grün, remember?«

Donna Fauna stellte derweil Nachforschungen an, wer hinter der Aktion mit Rischkes Bugatti stecken konnte. Hatten besonders strenge Militanz-Apostel Rischke zum Feindbild auserkoren? Hatten also tatsächlich Gentrifizierungsgegner dessen knallrotes Spielzeug abgefackelt?

Es war nicht auszuschließen, jedoch unwahrscheinlich. Für so abgrundtief bescheuert mochte sie selbst die durchgeknalltesten Glaubenskrieger von der roten Kirche der revolutionären Wahrheit nicht halten. Vor allen Dingen traute sie denen, die sie für bescheuert genug hielt, nicht zu, so ein Ding in der Tiefgarage des Soho abzuziehen. Da gab es doch sicherlich Kameras, Security und Rauchmelder! Es war kaum anzunehmen, dass man da einfach so rein- und rausspazieren konnte.

Fauna hörte sich um. Man mochte Rischke durchaus nicht. So weit, dass man gegen ihn aktiv geworden wäre, gingen die Feindseligkeiten aber nicht.

Das beruhigte Fauna. Der Fall war für sie damit erledigt.

Nicht so für Lola. Die war von der Entwicklung ausnahmslos begeistert und hätte darüber beinahe ihre Rückenschmerzen vergessen. Für die Verkaufszahlen des Stadtmagazins konnte es nur Gutes bedeuten, mitten im Trubel um Rischkes Bugatti, Lundergreens Tod und den M-Square-Skandal mit einer Titelstory auf dem Markt positioniert zu sein, die sich nun wie ein annähernd prophetischer Hintergrundbericht las.

Das alles entsprach ihrer Methodik: von Zeit zu Zeit ein bisschen polarisieren, voll rein ins Konfliktfeld, und dann wieder hübsch zurück ins Körbchen.

Letzteres hieß: dranbleiben, klar, aber die Storyline gezielt abflachen, dem Thema ein bisschen freundlichere Farben beimischen.

Lola schlug als neue Titelgeschichte vor: »Der Winterbalkon«. Eine gutgelaunte Foto-Reportage über außergewöhnliches Balkon-Design in der winterlichen Hauptstadt, ein Interview mit einem Blumenhändler über immergrüne Balkon-Botanik und dazu ein Jura-Ratgeber, der die Mieter informierte, was sie auf ihren Balkonen durften und was nicht. Die Fotos für die Reportage würde der Kanarienquex liefern, den Ratgeber natürlich Jonathan Rischke, den man jetzt keinesfalls fallen lassen dürfe, sondern hegen und pflege müsse, der stehe auf der Schwelle zu echter Prominenz, so Lola.

Die Verlagsleitung hatte damit gerechnet, Lola würde, enthusiasmiert durch die Eskalation »ihres« Themas, komplett überschnappen und dem Magazin einen Radikalisierungskurs verordnen wollen. Dass sie stattdessen zu diesem geschickten Schachzug riet, gefiel der Geschäftsleitung außerordentlich. Das zerstreute einige Ängste, Lola sei allzu draufgängerisch.

Lola wurde erneut ins »Ho Chi Minh« geladen. Sie warf zur Sicherheit eine Voltaren Resinat ein und blieb den ganzen Abend über schmerzfrei. Als sie für die November-Titelstory diesmal 2 500 Euro plus Zeilengeld und Spesen forderte, meinte der Geschäftsführer, das komme gar nicht infrage. Vielmehr werde man sich diese unverschämten Forderungen ihrerseits künftig elegant ersparen, indem man sie nämlich für das gleiche Geld zur Chefredakteurin mache. Kommissarisch könne sie den Posten sofort antreten.

Lola jubilierte innerlich.

Äußerlich verhandelte sie kühl und verhandelte gut.

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