Leichter als Luft, Folge 38 — Nachricht zum Frühstück

Berlin im Rückspiegel
Quelle: Pixabay

Lola begibt sich zu Jonathan Rischke und dem Kanarienquex. Die Kampagne gegen den schwedischen Immobilienkonzern M-Square soll neuen Schwung bekommen. Da platzt eine Nachricht in das strategische Frühstück.

 

Am nächsten Tag sollte Lola zum Brunch zu den beiden stoßen. Selbstverständlich kam sie wieder zu spät. Nicht zwanzig Minuten oder eine halbe Stunde, wie mindere Leute sich das erlaubten. Lola kam in der Annahme, als Rechtsanwalt hätte Jonathan ohnedies nichts Sinnvolles zu tun im Leben, volle drei Stunden zu spät in dessen Loft an. Es hätte eben auch jede Menge Verkehr gehabt, erläuterte Lola. Dabei eröffnete sie ungeniert den Brunch und schnappte sich zielsicher das einzige Marzipan-Croissant aus dem Brotkorb.

Übrigens sei ihr, Lola, auf der Karl-Marx-Straße etwas Wunderbares passiert, berichtete sie fröhlich schmatzend. In der Autoschlange an einer Ampel kurz hinterm Hermannplatz hätte sie dieser Mann überholt, auf einem gelben Fahrrad. Er habe ein ebenfalls gelbes Schild über den Rücken hängen gehabt, etwas von Demokratie, Widerstand, Europa habe darauf gestanden.

»Ein älterer Mann, vielleicht um die sechzig war das. Grauer Schnurrbart und so, Filzjacke. Radelt da rum, mit diesem Protestschild auf dem Rücken. Und plötzlich beginnt der Mann, in eine Trillerpfeife zu blasen!«, schilderte Lola weiter, sichtlich begeistert, aufgeregt direkt: »Und trillert und trillert und triumphiert!«

Aus der Gewohnheit heraus, sich von anderer Leute Begeisterung begeistern zu lassen, tat KQ begeistert. Jonathan machte ein ratloses Gesicht. »Was genau hat der da zu triumphieren gehabt?« KQ, der sich ebenso von fremder Skepsis bereitwillig anstecken ließ, meinte nun skeptisch: »Versteh ich auch nich …«

Lola rollte die Augen: »Dieser Mann fährt diese Straße hinunter, mitten im Berufsverkehr, mit einem Schild auf dem Rücken, dessen viel zu kleine Buchstaben man kaum lesen kann. Irgendwas stand da auch noch drauf von einem neuen Sturm auf die Bastille. Dazu trillert er herum …« Das müssten sie doch wohl einsehen, dass dieser Mann in exakt diesem Moment die ganze Bedeutungslosigkeit seines Lebens hinter sich gelassen und zu einem relevanten gesellschaftlichen Akteur aufgestiegen sei!

Die beiden sahen das eher nicht ein, aber so leicht gab Lola nicht auf: Dieser Mensch habe sich entschieden! Dieser Mensch habe etwas begonnen, etwas namenlos Lächerliches, das jedoch darin, dass es eben ein entschlossener Anfang sei, einen unendlichen Triumph darstelle. Dieser alte Mann auf seinem Fahrrad sei geradezu um Lichtjahre vorgeprescht! Sieger sähen so aus, neuerdings.

»Kaffee?«, wollte Rischke wissen. »Sojamilchkaffee«, gab Lola zurück. Rischke drückte die entsprechende Taste an seinem sündhaft teuren, chromverspiegelten Kaffeeautomaten und dieser spuckte, zur allgemeinen Überraschung, anstandslos einen Sojamilchkaffee in die Tasse. Jonathan nutzte die Gelegenheit:

»Schau, Lola: Das nenne ich einen Triumph! Kein fehlendes Wasser, kein rotes Lämpchen meckert, dass ich Bohnen nachfüllen, den Filter wechseln oder die Maschine entkalken muss, keine sonstige Fehlfunktion. Ich drücke auf die Taste für Sojamilchkaffee – et voilà: Sojamilchkaffee!«

»Na gut, auch das ein triumphales Ereignis!«, zeigte sich Lola großzügig. Man werde ihr jedoch zustimmen, dass der Begriff »Triumph« sich durch einen inhärenten Superlativismus auszeichne, den er manch anderem Begriff weit voraushabe. Vielleicht könne man sich deshalb darauf einigen, dass sowohl ihr protestlerischer Radfahrer als auch Jonathans Sojamilchkaffee geeignet seien, den Tatbestand eines Triumphes überzeugend zu erfüllen. Beides aber verblasse jäh im Vergleich hierzu.

Dabei griff Lola in die Innentasche ihrer uniformartigen, hellblauen Jacke, zog ein zusammengefaltetes Papier heraus und warf es theatralisch in den inzwischen geplünderten Brotkorb.

KQ schnappte sich das Teil, faltete es sorgfältig auf und strich in einer langwierigen Prozedur erst einmal das Papier glatt. Anstatt zu lesen, reichte er es anschließend mit den Worten »Macht meine Rechtsabteilung!«, an Rischke weiter. Der schließlich las und fragte nur: »Woher?« Lola: »Das hier ist dpa, läuft bei den anderen Agenturen aber auch.« Rischke: »Das sind ganz sicher dieselben?« Lola: »Jaja, das ist denen ihr Berlin-Häuptling, ich hab’s gegoogelt.«

»Der Balkonfrevler hat ausgefrevelt, richtig?«, schaltete sich der Quex ein, nachdem Rischke ihm düster schweigend das Blatt zurückgegeben hatte. Lola und Rischke nickten.

Deutsche Presseagentur

Helsinki / Berlin – Todesfall erschüttert skandinavischen Investmentfonds. Lars Lundergreen, Deutschlandchef von »M-Square«, wurde am vergangenen Dienstag tot in seiner Berliner Wohnung aufgefunden. Die Polizei nahm zur Todesursache bisher keine Stellung. Der Hochrisiko-Fonds stand wegen seines undurchsichtigen Finanzgebarens in der Kritik. Branchenkenner gehen von erheblichen Finanzproblemen des international agierenden Unternehmens aus.

UPDATE 10:43: Die Berliner Kriminalpolizei geht laut PM von einem Freitod aus.

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