
Der erfolgreiche Jung-Rechtsanwalt und ehemalige Techno-Veranstalter Jonathan Rischke will ganz nach oben. Im Country Club République Royale setzt er zum großen Sprung in die Welt der Schönen und Reichen an.
Der Country Club »République Royale« war von Berlin aus in einer bequemen Dreiviertelstunde über die Autobahn Richtung Prenzlau zu erreichen. Tädeus von Tadelshofen empfing Jonathan an der Autobahnabfahrt. So konnten sie gemeinsam vorfahren, von Tadelshofen im BMW Roadster, dahinter Rischke in seinem knallroten Bugatti Veyron.
Heather und Bobby, ein US-amerikanisches Paar, hatten sich in die flachen Weiten des Landes Brandenburg eingekauft, in großem Stil, sofort nach der Wende. Gar nichts hatte es hier gegeben, berichtete Heather rückblickend: rein gar nichts außer Müll, Gestank und Leninbüsten.
Zwei zunehmend profitable Jahrzehnte und sieben Fördertöpfe später verfügte das Clubgelände über einen Golfplatz, einen Tenniscourt, einen Wellnesstempel mit Schwimmhalle und einen Yachthafen für die Havelschifffahrt. Neben dem Eingang zum Club-Restaurant im perfekt sanierten Landschloss von 1762 prangten zwei Sterne. Der Rest des preußischen Herrenhauses diente als Clubhotel.
Die umgebaute Orangerie war 2004 als Konferenzzentrum eröffnet worden – und nur Amerikaner hatten es fertigbringen können, der gehobenen Schwafelhütte mitten im protestantischen Brandenburg den Namen »Metternich-Center« zu verpassen. Jonathan hatte sich gekugelt vor Häme und Lachen, als von Tadelshofen ihm von diesem Griff ins Symbol-Klo der europäischen Geschichte erzählt hatte.
Die ursprüngliche Kohle für das Projekt war von Heathers Seite gekommen. Deren Vater war Mitte der Achtzigerjahre mit seiner Sportmaschine verunglückt, als ausgerechnet ihm einer der letzten freifliegenden Adler Nordamerikas in den Propeller geflattert war.
Der alte Herr hatte sein Erbe mit Bedacht aufgeteilt. Die Ranch in Arizona und der dazugehörige Landbesitz gingen an die ältere Schwester. Die mittelständische Firma für Hydraulikpumpen bekam der Bruder. Heather, die an sich auf die Ranch gehofft hatte, bekam ein bisschen Geld und je ein fettes Aktienpaket von Lockheed und von McDonnell Douglas vermacht.
Bobby – der eigentlich ganz anders hieß und sich den Namen aus Verehrung für Bobby Kennedy zugelegt hatte – kam Ende der Achtziger mit Heather zusammen. Und Bobby war der Auffassung, es sei moralisch nicht haltbar, von den Aktiendividenden zweier Rüstungskonzerne zu leben.
Er lebte dennoch davon, bis er Heather endlich überzeugt hatte, das zu unternehmen, was er den großen Sprung in die Freiheit nannte.
Und der ging so:
Unmittelbar nach dem Golfkrieg von George Bush im Jahre 1991 standen die Aktien von McDonell Douglas sensationell im Kurs. Heather stieß das Paket ab, und der große Sprung in die Freiheit führte die zwei Luxus-Aussteiger nach Brandenburg, Germany. Nach längerem Herumsuchen einer ganzen Armee von Maklern entschieden Bobby und Heather aus Amerika sich schließlich für das Fünfzig-Hektar-Anwesen mit Landschloss und Havelanschluss.
Der aus Westdeutschland stammende Wirtschaftsminister der frisch gewählten Landesregierung war davon so begeistert, dass er die Kaufsumme spontan mit Fördergeldern aufdoppelte und diese den beiden Neubrandenburgern unbürokratisch als Starthilfe zuschanzte.
Restaurant und Golfplatz standen am Beginn der République Royal. Im Landschloss konnte immerhin provisorisch gewohnt werden und von Tag eins an kamen natürlich alle alten Freunde aus den USA und der restlichen Welt angeflogen, um sich die neue Heimat der beiden Draufgänger anzusehen. Dieser internationale Auflauf lockte die Medienfuzzis aus der Hauptstadt an, die eifrig und dankbar über das Engagement der betuchten US-Hippies berichteten. Bald kamen die Chefs dieser Medienfuzzis und trugen sich in die Mitgliederlisten der République Royal ein.
Ende 2001, mitten im Afghanistankrieg von George W. Bush, stieß Heather das verbliebene Aktienpaket ab, das inzwischen auf Lockheed Martin umgeschrieben und wieder einmal auf einen sensationellen Kurs gestiegen war. Mit dieser siebenstelligen Finanzspritze konnten der Yachthafen und die Schwimmhalle er- und die Orangerie zum Konferenzzentrum umgebaut werden.
Während Heather die Investitionen ermöglichte und ansonsten bildhübsch und dauerbekifft vor sich hin faulenzte, erwies sich der bis dahin als mittelmäßiger Maler dahindümpelnde Bobby als exzellenter Club-Manager. Mit New Yorker Charme und der Härte eines Tycoons hatte Bobby das Personal im Griff. Dieses Regiment war unumgänglich, wusste Bobby, denn die Lohnkosten waren die Achillesferse eines Clubs, deren Mitglieder von vorne bis hinten bedient und umsorgt zu werden selbstredend erwarten durften.
Im Vergleich zum Soho war die République Royale um ganze Welten exklusiver angelegt. Zu den hiesigen Clubmitgliedern zählten die Botschafter ernstzunehmender Nationen, Konzernführer, TV-Promis und emeritierte Spitzensportler. Außerdem global agierende Spekulanten, Lobbyisten und Großkünstler. Besonders stolz war das amerikanische Pärchen auf die vielen adeligen Namen, deren Träger sich hier tummelten. Der unadelige Jonathan wähnte sich im Paradies der Netzwerker!
Tädeus von Tadelshofen übrigens, der Jonathan das Entrée verschafft hatte, ließ beiläufig wissen, er habe sich die 40 000 Euro für die Clubmitgliedschaft einst in seinen Arbeitsvertrag als CEO einer aufstrebenden Beratungsagentur für Geopolitik schreiben lassen. Das Engagement habe nur kurz gewährt, aber die Clubmitgliedschaft sei ihm geblieben.
Die Ankunft Tädeus von Tadelshofens war Bobby rechtzeitig gemeldet worden. Er stand wie zufällig auf der Freitreppe des Herrenhauses, spätsommerlich gekleidet. Als er die Eintreffenden erblickte, ging Bobby die Treppe hinunter. Von einem entgegeneilenden Standesbewusstsein beseelt, wie es nur Amerikaner in Europa entwickeln können, wollte er von Tadelshofen ersparen, von unten kommend die Treppe heraufgrüßen zu müssen. Bobby hatte nämlich die Geschichte gehört, wonach Kaiser Wilhelm II. extra den Bahnhof Hamburg Dammtor als Kaiserbahnhof habe erbauen lassen, weil er dort vom Bahnsteig aus nach unten ausschreiten konnte, während er am bereits existierenden Hauptbahnhof von unten nach oben gemusst hätte.
Tädeus von Tadelshofen seinerseits, ausgestattet mit dem organisch gewachsenen Überlegenheitskomplex einer Familie, die – anders als etwa das Haus Hohenzollern! – seit einigen Jahrhunderten über Macht und Reichtum verfügte, schenkte solcherlei Äußerlichkeiten keine sonderliche Beachtung. Wer wen wo begrüßte, änderte ohnehin nichts an einer Überlegenheit, die ihm und den Seinen eingeboren war, noch bevor man sie in bestickten Windeln mit den Tischsitten des Hauses vertraut gemacht hatte.
Unbotmäßigkeiten von Subalternen wurden lässig, fast unmerklich abgestraft. Aber allzu diensteifrige Unterwürfigkeit stellte mitunter geradehin eine versteckte Anmaßung dar, indem sie einen Rangunterschied demonstrativ bekräftigte, der einer Bekräftigung mitnichten bedurfte.
Durch Heathers familiäre Einbettung in die amerikanische Geldaristokratie hatte Bobby Erfahrungen mit Menschen machen können, die ihre Macht als unhinterfragbare Selbstverständlichkeit erlebten. Von der Kollektivpsyche europäischer Adelshäuser wusste er nur, was Historienfilmchen, Romane und Biographien ihm vermittelt hatten. Dass man in diesen Kreisen jedoch, ganz anders als in der amerikanischen Geldelite, Kronenkraxler und Hermelinmotten, also ein Übermaß an Unterwurf, als eher unangenehm empfand, hatte er inzwischen herausgespürt.
Also kam er scheinbar rein zufällig die Freitreppe so hinunter, dass von Tadelshofen nicht hinaufgrüßen musste, legte sein berühmtes Bobby-Lächeln auf und begann einen Small Talk, wie ihn nur das New Yorker Galerieleben zu führen lehrte. Binnen fünf Minuten hatte Bobby von Tadelshofen mit der jovialen Bemerkung in Empfang genommen, das Licht seiner Ankunft überstrahle selbst die Reaktorruinen von Fukushima, hatte sich mit Jonathan Rischke auf das vertraulichste bekannt gemacht, hatte das Wetter in Beziehung zur Lage an den Weltbörsen gesetzt und diese zum Tagesangebot der Küche des Clubhotels: Das sechsgängige Tagesmenu mit Känguru-Ragout als Höhepunkt, welches Gérôme heute gezaubert habe, sei nämlich so abwechslungsreich komponiert, dass es mit den derzeitigen Kurssprüngen an den Börsen spielend mithalten könne.
Von Tadelshofen schätzte Bobby als idealen Gastgeber. Bobby war zuvorkommend, ohne vollends aufdringlich zu werden, führte den Laden gekonnt und war ehrlich besorgt um das Wohl seiner erlesenen Gäste, bei deren Auswahl er ein glückliches Händchen bewies.
Innerlich bat von Tadelshofen nur inständig, dieser viertelgebildete Mensch aus Übersee hätte endlich das Einsehen, Ausflüge in die französische Sprache zu unterlassen. »… au fait accompli«, schloss aber jetzt Bobby, grottenfalsch betont und ohne jeden Sinn, seine kleine Begrüßungsansprache. Sagen wollte Bobby, dass er sich nunmehr seinen Aufgaben als Clubchef zuzuwenden habe.
Von Tadelshofen entließ ihn mit einer knappen Geste.
»Welche Sprache war jetzt das genau?«, fragte Jonathan ironieselig, als sie die Freitreppe zur Hälfte erklommen hatten. »Die zwei großen Leiden des gebildeten Standes heißen Alltag und Mitmensch«, seufzte von Tadelshofen.
Sie traten in die Eingangshalle, wo livriertes Personal bereitstand.
Von Tadelshofen gab seine Anweisungen und winkte dann Jonathan zu sich. Er hatte eine gewisse Gehemmtheit an seinem jüngeren Freund bemerkt. Als sie auf die Balkonterrasse des Herrenhauses schritten, zwinkerte er Rischke vertraulich zu: »Die kochen hier auch nur mit Champagner, John. Ne vous inquiétez pas.« – Er solle sich nicht beunruhigen.
Ein Livrierter kam an den Tisch getreten, und Jonathan griff die Vorlage mutig auf, indem er eine Flasche Champagner bestellte. »A moi aussi, s’il vous plait!«, kommentierte von Tadelshofen.
Der Kellner trat ab und brachte nicht etwa zwei Flaschen Champagner, sondern eine Flasche mit zwei Gläsern. »Und sehen Sie«, meinte von Tadelshofen feierlich: »Das ist der feine Unterschied. Woanders verstehen sie schon das Französisch nicht, und wenn Du dann auf Deutsch sagst, ich krieg dasselbe, stellen sie hirnlos zwei Flaschen Champagner hin. Der Kellner hier, ein Russe zwar – der wär’ übrigens was für Sie, John, comprenez-vous? – Gregorij denkt mit und bringt zwei Gläser. Merveilleux!«
Jonathan inspizierte Gregorij und fühlte sich geehrt und war gerührt, dass von Tadelshofen so sehr an ihn dachte und in der Tat seinen Geschmack richtig einschätzte. Dass die Kellner hier schön und schwul und noch dazu für Geld zu haben waren, überraschte ihn weniger. Das war ab einem gewissen gesellschaftlichen Level eher die Regel als die Ausnahme – und eben eine Preisfrage. Skrupel, für Sex zu bezahlen, hatte Jonathan längst abgelegt.
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